Der INF-Vertrag, die Klimakrise und die Hoffnung

So wie heute die Klimakrise die Menschen bewegt, bewegte in den 1980er-Jahren ein drohender Atomkrieg die Menschen. Der Vertrag über das Verbot von Mittelstreckenraketen (INF-Vertrag) war ein entscheidender Schritt der Entspannung. Auch wenn der Vertrag nun gekündigt ist, gibt es Hoffnung.

Die 1980er waren die Zeit von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow, von Helmut Kohl und Elisabeth Kopp, von Margaret Thatcher und Erich Honecker. Das Frauenstimmrecht war auch hierzulande beschlossen, aber noch nicht in allen Kantonen eingeführt. Es gab erste Heimcomputer, aber noch kein Internet. MTV und CDs waren noch wenig verbreitet, aber immerhin gab es Walkmans. Die 1980er waren aber auch die Zeit des «Nato Doppelbeschlusses», der «Pershing-II-Raketen» und der «nuklearen Nachrüstung» – und heftiger Proteste dagegen.

Am Rande des Abgrunds
Die Welt stand am Rande eines Atomkriegs zwischen der Sowjetunion und den USA, als Schlachtfeld stand Europa fest. Ende der 1970er-Jahre hatte die Sowjetunion begonnen, mit Nuklearsprengköpfen bestückte Mittelstreckenraketen in Osteuropa zu stationieren. Die Vorwarnzeit für einen atomaren Erstschlag auf Ziele in Westeuropa reduzierte sich damit massiv. Die Nato reagierte mit dem «Nato- Doppelbeschluss»: Das «Gleichgewicht des Schreckens» sollte wiederhergestellt werden, indem die USA ihre Truppen in Deutschland ebenfalls mit Mittelstreckenraketen ausrüstete. Gleichzeitig boten die USA jedoch Verhandlungen über eine Begrenzung dieses Typs von Nuklearraketen an.
Die Sowjetunion und die USA begannen zwar Gespräche über ein Abrüstungs- und Kontrollregime, die Verhandlungen scheiterten jedoch im November 1982 vorläufig.

Drohende Vernichtung
Im folgenden Jahr entging die Menschheit mehrmals nur knapp einem umfassenden Atomkrieg, der jedes menschliche Leben auf diesem Planeten ausgelöscht hätte. Am 26. September 1983 kam es zu einer Fehlfunktion des sowjetischen Raketenfrühwarnsystems. Das System meldete fälschlicherweise den Start von fünf Interkontinentalraketen in den USA. Nur das besonnene Handeln eines sowjetischen Offiziers verhinderte einen nuklearen Gegenschlag durch die UdSSR. Im November führte die Nato die Geheimübung «Able Archer» durch, welche unter Einbezug der politischen Führung einen Atomkrieg simulieren sollte. Die Sowjetunion erfuhr von den entsprechenden Planungen, hielt sie jedoch nicht für ein Manöver, sondern für Vorbereitungen für einen realen Angriff. Entsprechend versetzte die Sowjetunion ihre Truppen in Europa in Alarmbereitschaft – was wiederum die Nato-Staaten in Panik versetzte. Nur dank den Informationen von Doppelagenten auf beiden Seiten konnte eine Eskalation verhindert werden.

Millionen demonstrieren
Je länger, je drängender wurde bewusst: Zum ersten Mal hatte die Menschheit die Möglichkeit, sich selbst zu vernichten. Im «Heissen Herbst» 1983 demonstrierten in Europa Millionen Menschen gegen die geplante Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen. Am 22. Oktober bildeten rund 250’000 Demonstrierende eine 108 Kilometer lange Menschenkette von Stuttgart nach Ulm, gleichzeitig nahmen in Bonn ein halbe Million Menschen an einer Kundgebung teil, in Hamburg 400’000. In Bern protestierten 40’000 Menschen.
Auch in Washington und Moskau setzte sich das Bewusstsein durch, dass das Risiko einer ungewollten Eskalation zu gross war. 1987 unterzeichneten US-Präsident Reagan und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow den INF-Vertrag. Die USA und die UdSSR verpflichteten sich, ihre Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern ausser Betrieb zu nehmen und zu verschrotten sowie keine neuen solche Systeme zu entwickeln. Die Gefahr, dass Europa zum nuklearen Schlachtfeld würde, war gebannt.

Klimakatastrophe
30 Jahre sind seither vergangen. Inzwischen haben diverse andere Staaten Mittelstreckenraketen entwickelt, darunter China, Indien oder Nordkorea. Seit einigen Jahren werfen sich Russland und die USA gegenseitig vor, den INF-Vertrag zu brechen. Im Februar dieses Jahres hat Donald Trump verkündet, den Vertrag offiziell aufzukündigen. Vladimir Putin zog unmittelbar nach. Die Fortschritte der Entspannungspolitik seit den 1980er-Jahren scheinen zunichte gemacht.
Dass die Atommächte mutwillig eine neue Rüstungsspirale anstossen, ist umso absurder, als die Menschheit drauf und dran ist, sich auf einem anderen Weg selbst zu vernichten. Es gibt viele Parallelen zwischen der Gefahr eines globalen Atomkriegs und der Gefahr durch die Klimakatastrophe. Unter anderem auch, welche wichtige Rolle der Druck der Zivilbevölkerung spielen kann. Wie in den 1980er- Jahren gehen heute wieder Hunderttausende auf die Strassen, um vor der drohenden Gefahr zu warnen.
Die Geschichte der Abrüstungsverhandlungen muss nicht nur beunruhigen, sie kann auch Grund zur Hoffnung geben. Das Umdenken in Moskau und Washington setzte rascher ein, als die meisten sich je erhofft hatten. Es gibt heute noch einen Siebtel so viele Atomsprengköpfe wie auf dem Höhepunkt der Spannungen um 1983. Vielleicht geht es auch bei der Bekämpfung der Klimakatastrophe plötzlich viel schneller als gedacht.