Der lange Weg zum Zivildienst

Der Höhepunkt eines 90 Jahre dauernden Kampfes waren die 83 Prozent Ja-Stimmen am 17. Mai 1992.

Die allererste Petition für die Einführung eines Zivildienstes stammte von Paul Pettavel, dem protestantischen Pfarrer von La-Chaux-de-Fonds. Der aus einer Uhrmacher-Familie des Val-de-Trâvers stammende religiöse Pazifist und Vorkämpfer des Frauenstimmrechts hatte 1903 eine Petition für die Schaffung eines Zivildienstes eingereicht. Angesichts des Aufstiegs des preussischen Militarismus in der Schweiz hatte sein Anliegen keine Chance. Religiös-Sozialistische Petition 1923 reichten die Religiös-Sozialisten Leonhard Ragaz, ein Pfarrer aus dem Bündnerland, und Pierre Cérésole, ein Mathematiker aus Lausa ne, eine von 40’000 Personen mitunter zeichnete Petition ein. Diese verlangte die Schaffung eines Zivildienstes, der einen Drittel länger dauerte als der Militärdienst. Ragaz war, bevor er 1912 Sozialist wurde, freisinniger Feldprediger gewesen. Während des Zweiten Weltkriegs gehörte er zu den wichtigsten Zensur-Opfern. Cérésole, Sohn eines freisinnigen Bundesrates, hat 1916 als Untauglicher den Wehrpflicht ersatz verweigert und 1920 den Service Civil International gegründet. Als er 1945 starb, war er sechsmal im Gefängnis gewesen. Eine erneute Bedeutung gewann der Zivildienst mit dem Wiederaufstieg der Verweigerer- Zahlen ab 1966. Die 1974 gestartete Volksinitiative aus dem Gymnasium Münchenstein wurde, da sie als allgemeine Anregung formuliert war, völlig verwässert und verfälscht. So wurde sie neben den Wehrpflicht-Fundamentalisten auch vom Friedensrat und von der Linken abgelehnt. Selbst die InitiantInnen vermochten sich für die Vorlage nicht mehr zu erwärmen. Sie scheiterte am 4. Dezember 1977 mit 62 Prozent Nein-Stimmen. Kurz vor der Abstimmung hatten Einzelpersonen die Tatbeweis-Initiative lanciert, die einen Verzicht auf die Gewissensprüfung forderte. Tatbeweis-Initiative 1984, als die Schweiz 788 Verweigerer verurteilte, ist es der «Aktion Freiheit und Verantwortung», ihrem «Verein zur Förderung des Wehrwillens und der Wehrwissenschaft», der«Arbeitsgemeinschaft für gleiche Wehrpflicht und eine friedenssichernde Milizarmee», dem «Eidgenössischen Komitee für allgemeine Wehrpflicht», dem «Schweizerischen Aktionskomitee gegen die Aushöhlung der Allgemeinen Wehrpflicht», dem «Überparteilichen Komitee gegen die Unterwanderung unserer Milizarmee», dem «Komitee gegen die Dienstverweigererinitiative» und der «Aktion wehrhafte Friedenssicherung» gelungen, aus der zweiten Zivildienstinitiative eine Armeeabschaffungs-Initiative zu machen. Nach dieser hauptsächlich aus dem Rüstungslobby-Büro Farner orchestrierten Kampagne schaffte der Tatbeweis am 26. Februar 1984 lediglich 36 Prozent Ja-Stimmen. Viele Verweigerer und Zivildienst-AktivistInnen zogen daraus den Schluss, dass es an der Zeit sei, die Gretchenfrage zu stellen und machten ein gutes Jahr später mit bei der Lancierung der GSoA-Initiative. Um das sensationelle GSoA-Resultat vom 26. November 1989 zu erklären, verwiesen viele Bürgerliche auf den fehlenden Zivildienst. Auch wenn die GSoA diese Analyse etwas verkürzt fand, zog sie die logische Folgerung: sofortige Amnestie und unverzügliche Schaffung eines Zivildienstes. Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, rief die Vollversammlung vom 9. September 1990 zur Massenverweigerung auf, bis Amnestie und Zivildienst verwirklicht sind. Einen Monat später ergriff die GSoA mit der SPS und dem alternativen Grünen Bündnis Schweiz (GBS) das Referendum gegen die sogenannte Barras-Reform. Dieser Etikettenschwindel verzichtete zwar auf das Gefängnis, behandelte aber die Verweigerung weiterhin als Straftatbestand. Bei einer tiefen Stimmbeteiligung schaffte die Vorlage am 2. Juni 1991 lediglich 56 Prozent Ja- Stimmen – bei Nein-Mehrheiten in der Romandie. Mit 63,5 Prozent stimmte der Thurgau am deutlichsten Ja.

Mai 92

Der Mai 1992 ist einer der fortschrittlichsten Monate der Schweizer Geschichte. Im fraglichen Monat sammelte die GSoA eine halbe Million Unterschriften gegen die Beschaffung neuer Kampfjets. Und in dessen Mitte, am 17 stimmten 1’442’263 Personen für die Einführung eines Zivildienstes; ein Nein eingelegt hatten 305’441 BürgerInnen. Die höchsten Ja-Anteile hatten die beiden Basel (92 bzw. 89 Prozent), Genf (87 Prozent) sowie Zug und Tessin (86 Prozent). Den tiefsten Ja-Anteil lieferte das Wallis mit 65 Prozent. Der Zivildienst wurde am 1. Januar 1996 eingeführt – allerdings mit einer unwürdigen Gewissensprüfung vor einer Zulassungskommission. Sie wurde auf Druck von Linken und Liberalen, aber auch wegen deren Unmöglichkeit, 2009 abgeschafft. Der Zivildienst wurde zu einem derartigen Erfolg, dass die Militärköpfe in ihm eine Gefahr für ihre kriselnde Armee sehen. Setzen wir ihnen im kommenden Referendumskampf die 83 Prozent-Mehrheit vom Mai 1992 entgegen!