Die syrische Tragödie

Zuerst gab es einen friedlichen Aufstand. Dann militarisierte und konfessionalisierte Assad diesen.

Das syrische Regime gehört seit Jahrzehnten zu den repressivsten Polizeistaaten auf dieser Welt. So hat der Vater des heutigen Diktators 1982 bei der Niederschlagung des Aufstandes in Hama 30’000 Menschen umbringen lassen. Darum war es keine Überraschung, dass die Arabische Revolution, die im Dezember 2010 in Tunesien begonnen und sich schnell auf die Nachbarländer ausgebreitet hatte, im Frühling 2011 auch Syrien erfasste. Es begann mit einer regimekritischen Sprayerei von 15 Jugendlichen in der Stadt Dara. Die Schüler wurden verhaftet und von Assads Schergen bestialisch gefoltert. Am 18. März wurde eine Demonstration für deren Freilassung unter Beschuss genommen. Das war das Fanal für einen friedlichen Aufstand im ganzen Lande. Hunderttausende junger Syrerinnen und Syrer aller Konfessionen und Ethnien gingen ab diesem Zeitpunkt regelmässig auf die Strassen. Ihre Forderungen waren: Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Assad nannte sie ab dem ersten Tag «Terroristen» und entfaltete gleichzeitig sein staatsterroristisches Arsenal.

Chemie, Folter, Hinrichtungen
Von den Kriegsparteien war das Assad-Regime die mörderischste. Da sind einmal die Giftgaseinsätze gegen die Zivilbevölkerung, die nicht ausschliesslich, aber mehrheitlich von ihm durchgeführt wurden. Ein Beispiel ist Khan Shaykun in der Provinz Idlib, das unter Schweizer Beteiligung untersucht wurde. Am 4. April 2017 hat die syrische Luftwaffe das Nervengas Sarin freigesetzt. Danach haben russische Kampfflugzeuge das örtliche Spital bombardiert, wahrscheinlich um Beweise zu zerstören. In Assads Gefängnissen wird massenhaft gefoltert und gemordet. Ein Bericht von Amnesty International vom Frühjahr 2017 zeigte auf, dass im Zeitraum zwischen September 2011 und Dezember 2012 gegen 13’000 Menschen, grossmehrheitlich zivile AktivistInnen der Syrischen Revolution, erhängt wurden.

Militarisierung und Konfessionalisierung schwächen Aufstand
Mit der massiven Repression verfolgte Assad das Ziel einer Militarisierung der Aufstandsbewegung. Die in den «Lokalen Koordinationskomitees» organisierte Aufstands-Führung wandte sich gegen diese Gefahr: «Eine Militarisierung der Revolution würde die Unterstützung und Beteiligung durch das Volk verkleinern. Militarisierung würde die Revolution in eine Arena tragen, wo das Regime einen deutlichen Vorteil hat, und die moralische Überlegenheit erodieren, die die Revolution seit ihren Anfängen charakterisiert hat.» Vor allem die Repression in der Armee gegen regimekritische Soldaten und Offiziere führte zur Gründung der Freien Syrischen Armee. Diese setzte sich zum Ziel, den Aufstand militärisch zu schützen.
Das zweite Ziel, das Assad von Anfang an verfolgte, war die Konfessionalisierung des Konflikts. Die Mehrheit der Bevölkerung und des Aufstandes war sunnitisch. Um diesen konfessionell zu radikalisieren, liess er Hunderte von Gefangenen des Daesh frei. Die Daesh-Milizen eroberten schnell gewisse Gebiete – im Kampf gegen gemässigtere Oppositionsgruppen. Das Regime liessen sie in Ruhe. Und dieses setzte bis 2015 weder Bodentruppen noch Luftwaffe gegen Daesh ein. Die wichtigste Folge der von Assad gewollten Stärkung von Daesh war aber die Angst, die sie unter den religiösen Minderheiten, den Alewiten, denen Assad selber angehört, den Christen, Schiiten und Jesiden schuf. Je mehr sich die Minderheiten vom Widerstand zurückzogen, desto einseitiger sunnitisch wurde dieser.

Militär-Interventionen stärken Assad und Daesh
Dann folgte nach der Militarisierung und Konfessionalisierung die dritte Katastrophe für die Syrische Revolution. Die ausländischen Mächte begannen militärisch zu intervenieren, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Zuerst der Iran und die Hisbollah, später Russland auf der Seite des Regimes sowie von Anfang an Saudi-Arabien und die Türkei aufseiten der Assad-Gegner. Zuletzt formierte sich eine internationale Allianz unter Führung der USA gegen Daesh.
Der Hauptprofiteur dieser Eskalation war Assad. Die einen stärkten ihn militärisch, die anderen politisch. Die westliche Intervention bestätigte Assads Propaganda, dass nicht er, sondern Daesh das Grundproblem war und er deshalb Unterstützung verdiente. Gleichzeitig konnte er sich je nach Bedarf als Landesverteidiger gegen die USA profilieren. Daesh wiederum konnte sich als einzige Kraft gegen die «Ungläubigen» darstellen. Bald entwickelte sich ein völliges Durcheinander, das es sehr schwer machte, eine Solidaritätsbewegung gegen die Assad-Diktatur und gegen den Militär-Interventionismus aufzubauen. Heute ist Assad wieder ziemlich fest im Sattel. Allerdings ist es weder ihm noch Daesh gelungen, die ursprüngliche Bewegung völlig zu zerstören. Es gibt immer noch AktivistInnen und Gruppen, die untereinander vernetzt sind und unter grösstem Risiko politische Arbeit leisten.