Die UN-Sanktionspolitik: Teil des Problems statt Teil der Lösung

Die UN-Sanktionen sind mitverantwortlich für die katastrophale humanitäre Lage im Irak, stärken die Position von Saddam Hussein und erschweren einen gesellschaftlichen Wandel.

Nach der irakischen Invasion Kuwaits 1990 begann im Januar 1991 die Bombardierung Iraks. Zweiundvierzig Tage lang flogen US-Flugzeuge durchschnittlich alle 30 Sekunden Angriffe auf den Irak. Fabriken, Ölraffinerien, Öltanker, der internationale Flughafen, Bahnhöfe, Busstationen, etc. wurden attackiert. Im Bericht einer UNO-Kommission, die den Irak unmittelbar nach Kriegsende besuchte, heisst es, der Irak sei “auf absehbare Zeit in ein prä-industrielles Zeitalter zurückgeworfen worden, allerdings bei gleichzeitig intensiver Energie – und Technologieabhängigkeit”. Nach den umfangreichen Zerstörungen und Tausenden von Toten stimmte der Irak den Waffenstillstandsbedingungen zu. Die Wirtschaftssanktionen wurden nach dem irakischen Rückzug nicht aufgehoben, sondern von einer erfolgreichen Abrüstung des Iraks im Bereich der Massenvernichtungswaffen sowie bei Raketen mittlerer und grösserer Reichweite abhängig gemacht. Die Zivilbevölkerung im Irak stand nach dem 2. Golfkrieg somit vor folgender Ausgangslage: Schwer beschädigte Infrastruktur, Wirtschaftssanktionen, welche den Wiederaufbau des Landes mehr oder weniger verunmöglichten und ein Diktator, für den Menschenrechte bedeutungslos sind.

Die Wirtschaftssanktionen – das leise Sterben beginnt

Bereits 1992, also zwei Jahre nach Verhängung der Wirtschaftssanktionen, waren deren Auswirkungen bereits klar ersichtlich: Wachsende Verarmung, Unterernährung, Krankheit durch mangelhafte Wasserqualität, unzureichende medizinische Versorgung und eine enorm hohe Sterblichkeitsrate, vor allem bei Kindern. Diese Entwicklung war in einem Land, das 75 Prozent seiner Konsumgüter importierte und dessen eigene Produktionskapazitäten weitgehend zerstört waren, von allem Anfang an absehbar.

Das Programm “Öl für Nahrung” wurde missbraucht

Um wachsender Kritik an den Handelssanktionen entgegenzutreten, ohne das Embargo selbst aufheben zu müssen, beschloss der Sicherheitsrat 1995 die Grundlage für das Abkommen “Öl für Nahrung”. Das 1996 in Kraft getretene Abkommen erlaubte dem Irak, Öl unter Aufsicht der UNO zu exportieren. Die Exporterlöse werden von der UNO verwaltet und verteilt. 59 Prozent stehen der irakischen Regierung für Importe zur Verfügung. Der Rest ist für Reparationsforderungen, für die kurdischen Nordprovinzen und für die UNO reserviert. Die Importaufträge müssen dem Sanktionskomitee der UN vorgelegt werden. Während Lebensmittellieferungen problemlos akzeptiert wurden, was auch tatsächlich zu einer Verbesserung der humanitären Situation im Irak führte, war die Situation bei sämtlichen Produkten, die in irgendeiner Weise sowohl zivil wie auch militärisch genutzt werden können, anders. Besonders die USA und Grossbritanien hatten mit einer teilweise sehr restriktiven Genehmigungspraxis dafür gesorgt, dass Importe für den Elektrizitätssektor, die Wasser- und Abwasserwirtschaft, Telekommunikations- und Transportgüter sowie Produkte für das Erziehungswesen, etc. sehr oft abgelehnt wurden. Die vorgeschobenen Bedenken, die Güter könnten für militärische Zwecke umgebaut werden, dienten faktisch als Vorwand, den Aufbau der zivilen Infrastruktur zu ver- und behindern.

Die humanitäre Katastrophe geht weiter

Das “Öl für Nahrungsmittel Programm” reicht bei weitem nicht aus, der humanitären Katastrophe Abhilfe zu verschaffen. Vertreter des UN Entwicklungsprogramms UNDP mussten feststellen, dass allgemeine Unterernährung zwar nicht mehr zunehme, sich aber auf einem inakzeptabel hohen Niveau stabilisiert habe. Seit Ende des Krieges mussten gemäss UNICEF infolge der Sanktionen mehr als eine halbe Million Kinder unter 5 Jahren das Leben lassen. Heute sterben noch immer mehr als 60’000 Kinder jährlich. Gesamthaft wird von 1,5 Millionen Toten als Folge des Embargos ausgegangen.

Saddams Regime wird gestärkt – Dank den Sanktionen

Schliesslich haben die Sanktionen neben der humanitären Katastrophe auch dazu beigetragen, dass im Irak die Position Saddam Husseins nicht etwa geschwächt, sondern ganz im Gegenteil gestärkt wurde. Finanzflüsse aus schwarzen Ölexporten ausserhalb jeder UN-Aufsicht ermöglichen dem Diktator, den sich als loyal erweisenden Kräften ein von den Sanktionen weitgehend unbeeinflusstes Leben zu ermöglichen. Mit dem Verweis auf die verheerende Wirkung der Sanktionen konnte Saddam Hussein sämtliche berechtigte Kritik an seiner eigenen Politik abwehren und die Opposition im Land marginalisieren. Die Kontrolle über sein Volk wird somit noch grösser und dient dem Erhalt seiner Machtbasis. Für einen politischen und gesellschaftlichen Wandel, welcher der Zivilbevölkerung im Irak zu wünschen ist, ist die Sanktionspolitik hinderlich.

Zusatzartikel:
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Kommentar von Martin Parpan