Die Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts

Der «Krieg gegen den Terror» wird mit jedem neuen Kapitel absurder. Die immer irrationalere militaristische Eigenlogik erinnert an den Ersten Weltkrieg, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

Die einzigen Profiteure des Bombenkriegs über Syrien sind die Assad-Diktatur und die Terroristen des «Islamische Staat». Die Assad- Barbarei verkauft sich als einzige Gegenkraft zur IS-Barbarei – mit wachsendem Erfolg. Der sunnitische IS profitiert von der ausländischen Stützung oder Schonung eines Regimes, das die Sunniten schwer verfolgt.

Unvereinbare Kriegsziele

Wie konzeptlos die jüngste Interventions- Koalition ist, zeigen die unvereinbaren Ziele deren Glieder. Die USA, die mit den ideologischen und finanziellen Hauptförderern des IS, Saudi-Arabien und Türkei, aber auch mit dessen Hauptfeind, den kurdischen KämpferInnen, verbunden sind, werfen Unmengen von Bomben ab. Deren militärischer Nutzen ist kleiner als der politische Schaden, den sie anrichten. Nicht nur, weil sie Unschuldige treffen, sondern auch, weil sie dem IS helfen, sich als Hauptgegner der USA zu profilieren. Frankreich betrachtete bis vor kurzem Assad als Hauptfeind und verbündete sich nun mit dessen Hauptfreund, Putins Russland. Das ändert nichts daran, dass kein anderes europäisches Land Saudi-Arabien so viel militärische und wirtschaftliche Hilfe geleistet hat wie Frankreich. Am 13. Oktober verkündete Premierminister Valls über Twitter folgende Frohbotschaft: «Frankreich – Saudi-Arabien: Verträge über zehn Milliarden Euro!» Russland geht es um die Rettung des Assad-Regimes und die Wahrung seines Militärhafens am Mittelmeer. Sein momentaner Hauptfeind scheint die Türkei zu sein.

Der Iran, der neben den Kurden militärisch wohl effizienteste Kämpfer gegen den IS, will den Korridor zur libanesischen Hisbollah aufrecht erhalten. Das davon betroffene Israel betrachtet weiterhin den Iran, der mit den USA
ein Atomabkommen geschlossen hat, als Hauptfeind. Der Nato-Staat Türkei schiesst über Syrien einen russischen Kampfjet ab, weil der seine turkmenischen Bündnispartner angreifen wollte. Die EU wiederum stärkt zwecks Verkleinerung der Flüchtlingszahlen dem autoritären Erdogan den Rücken, der bislang mehr zur Stärkung als zur Schwächung des IS beigetragen hat. Deutschland betreibt vor allem Symbolpolitik, indem es mit Tornados, Tankflugzeugen und einer Fregatte «Solidarität» übt.

Die Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts

Tony Blair, als britischer Premier einer der Hauptverantwortlichen der Irak-Intervention von 2003, hat kürzlich eingestanden, dass die Existenz und Schlagkraft des «Islamischen Staates» eine Folge der Marginalisierung der Sunniten ist. Der Irak-Krieg von Bush, Blair und Aznar erweist sich immer mehr als die Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts. Was die französischen SozialistInnen – mit mehrheitlicher Unterstützung der Grünen und völliger Unterstützung der KommunistInnen – heute kriegs- und ordnungspolitisch betreiben, unterscheidet sich kaum von jener Bush-Politik, gegen die auch sie 2003 auf die Strassen gegan- gen sind. Typisch ist, dass die ersten Opfer des Ausnahmezustandes UmweltschützerInnen waren, die gegen die Klimaerwärmung protestieren wollten. Die Antikriegs-Bewegung steht – kurz nach dem Massaker von Paris – vor einer Situation, die der zu Beginn der Afghanistan-Intervention Ende 2001 gleicht. Sie braucht Zeit, um sich angesichts der IS-Barbarei zu orientieren. Erste Bewegungen zeichnen sich in Spanien, das 2004 für sein Mitmachen im Irak-Krieg mit 140 Toten in Madrid einen hohen Preis bezahlte, und in Grossbritannien ab. Hier stehen die Labour-Basis und die Mehrheit der SchottInnen hinter dem Kriegsgegner Jeremy Corbyn.

In der Schweiz dürfte das erste Thema der kommenden Antikriegsbewegung der Stopp jeglicher Waffenexporte, insbesondere der in die Golfstaaten, und jeglicher Finanzierung der Waffenproduktion sein. Hier liegt die schweizerische Absurdität in Sachen «Krieg gegen den Terror».