Frieden? Sieg!

Bald ein Jahr ist es her, seit die Nato unter Federführung der USA gegen Jugoslawien einen Krieg führte, um Machthaber Milosevic von seinem Vernichtungsfeldzug gegen die AlbanerInnen im Kosov@ abzubringen. Und schon zehn Jahre sind vergangen, seit die Reihe der blutigen Kriege auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien in Slowenien eröffnet wurde.

Militärische Gewalt als Mittel der Politik

  • Der Krieg stärkte auf Seiten aller Konfliktparteien die militaristischen, nationalistischen Kräfte und Strukturen. Radikal-nationalistische und militante Kräfte haben gelernt: Gewalt lohnt sich. Wer unabhängig werden will, wer die Beachtung und den Beistand der internationalen Gemeinschaft sucht, muss zur Waffe greifen. Ohne Krieg keine Kameras, ohne Kameras keine Politik.

  • Die Militarisierung der internationalen Beziehungen hat einen grossen Schritt vorwärts gemacht. Klaus Naumann, damals noch Generalinspekteur bei der deutschen Bundeswehr, erklärte bereits im Frühjahr 1994, die Nato müsse beim Krisenmanagement in der Lage bleiben, «eigenständig, also unabhängig von einem Mandat der Vereinten Nationen zu handeln» (FAZ 2.3.94). Auch US-Präsident Bill Clinton sprach in einer präsidentiellen Entscheidungsdirektive vom 3. Mai 1994 Klartext: «Wenn unsere Interessen es verlangen, müssen die Vereinigten Staaten willens und in der Lage sein, Kriege zu führen und zu gewinnen, unilateral, wann immer es notwendig sein sollte… UN-Friedensoperationen können diese Notwendigkeit nicht ersetzen. Es können sich jedoch Bedingungen ergeben, unter denen eine multilaterale Aktion am besten den Interessen der USA bei der Wahrung oder Wiederherstellung des Friedens dient.» «Wozu ist es gut, dieses ausgezeichnete Militär zu haben, von dem Sie immer reden, wenn wir es nicht benutzen können?», meinte US-Aussenministerin Madeleine Albright zu General Colin Powell. Mit ihrem neuen Strategiepapier zum 50. Geburtstag hat die Nato am Washingtoner Gipfel vom 25. April 1999 den Wandel von einem territorial begrenzten Verteidigungsbündnis zu einem geografisch unbeschränkten, werte- und interessengeleiteten Interventionsbündnis vollzogen.

  • Kritik aus friedenspolitischer, völkerrechtlicher oder einfach demokratischer Sicht ertrank im Jubel laufender «Erfolgsmeldungen» aus dem Nato-Hauptquartier – oder besser: wurde ersäuft in den CNN-News mit Livebildern aus dem Kopf der Rakete. Die tägliche Pressekonferenz, in Journalisten-Kreisen «Jaime Shea-Show» genannt, wurde, je länger der Krieg dauerte, desto mehr zur inszenierten Farce. Mit britischem Humor pflegte der Nato-Pressesprecher seine Erfolgsmeldungen zu verbreiten. Der Luftangriff auf eine Tabakfabrik wurde dann schon mal als ein Beitrag zur Bekämpfung des Nikotinmissbrauchs gefeiert.

  • Die mit der Globalisierung zunehmenden staatlichen und gesellschaftlichen Erosionsprozesse in vielen Teilen der Welt werden von den massgeblichen Verursachern zum Anlass genommen, ihre Dominanz durch Militäroperationen zu festigen. Der Nato-Krieg bot auch die Chance, neue Waffensysteme im Einsatz zu testen: Graphitbomben zur Ausschaltung der Stromversorgung, Mikrowellenwaffen zur Zerstörung elektronischer Systeme, neuartige Zielmarkierungsdrohnen.

  • Der heutige Euro-Militarismus, inkorporiert in der Person von Javier Solana, Ex-Nato-Generalsekretär, heute Generalsekretär der Westeuropäischen Union WEU und «Hoher Vertreter für die EU-Aussen- und Sicherheitspolitik» ist die Antwort auf die rüstungstechnologische Überlegenheit der USA. Statt nach alternativen, zivilen Konzepten zu suchen, wird der rüstungstechnologische Wettlauf und der Wettkampf der Rüstungskonzerne angeheizt.

  • Die westliche Kriegsführung kostete alleine für die technischen Aspekte des Krieges im Kosov@ rund 55 Milliarden Dollar – bezahlt aus den Taschen der SteuerzahlerInnen. Diese Summe kann als Direktinvestition in die seit dem Ende des Kalten Krieges darbende Waffenindustrie vor allem der USA betrachtet werden. Der weltweite Rüstungswettlauf wurde wieder angeheizt: 1998 gaben die USA rund 250 Milliarden Dollar für das Militär aus, die Länder der Europäischen Union weitere 200 Milliarden Dollar.

Fehlende Perspektiven für die Wirtschaft

  • Wenn auch nur ein Zehntel des bisherigen Aufwands an finanziellen Mitteln, die bisher in das Problem Jugoslawien investiert worden sind (einschliesslich der Ausgaben für militärische Operationen), vor Auflösung Jugoslawiens in eine Balkankonföderation investiert worden wäre, hätten wir heute eine Konföderation Jugoslawiens im Staatsverbund mit Bulgarien und Albanien, wahrscheinlich auch mit Rumänien und Ungarn als eine Regionalorganisation der Europäischen Union (nach Horst Grabert, Chef des Kanzleramts bei Willy Brandt und 1979-84 Botschafter der BRD in Jugoslawien).

  • Während der Westen im Krieg gegen Jugoslawien keine Kosten gescheut hat, stehen für den «day after», den sogenannten Frieden, viel weniger Mittel zur Verfügung. Gegenüber den rund 55 Milliarden Dollar direkte Kriegskosten des Kosov@-Krieges plus Zerstörungen im Umfang von rund 100 Milliarden Dollar nehmen sich die bisher im Rahmen des «Stabilitätspakts» versprochenen 1,5 Milliarden doch eher bescheiden aus. Den seit dem Dayton-Abkommen von 1995 in Bosnien investierten rund 5 Milliarden Dollar stehen jährliche Ausgaben von ca. 10 Milliarden Dollar für die Präsenz der 30’000 Sfor-Soldaten und der Vertreter der internationalen Gemeinschaft gegenüber. Die Präsenz der Kfor im Kosov@ wird mit jährlichen Kosten von 10 Mia. Dollar veranschlagt. Eine wirtschaftliche Entwicklung der ganzen Region und der einzelnen Gebiete ist trotz grossem Getöse bei den Konferenzen des «Stabilitätspaktes» weiterhin unwahrscheinlich. Eine Integration dieser Volkswirtschaften in die Weltwirtschaft ist angesichts von Überproduktionskrisen und Rationalisierungspotenzialen im globalen Stand-ortwettbewerb höchstens als Rohstofflieferanten (inkl. billige Arbeitskräfte) denkbar.

  • Der Entwicklung von Staatlichkeit zur Schaffung innerer (sozialer) Sicherheit und rechtlicher Regulierung wird es auf lange Zeit an der notwendigen Steuerbasis fehlen, da der wirtschaftliche Wiederaufbau blockiert ist und die internationale Standortkonkurrenz für ausländische Investoren – wo solche dennoch Interesse zeigen – weitgehende Steuerbefreiung auf viele Jahre erzwingt.

  • Der Krieg folgte einer US-amerikanischen Strategie, welche die bestehende militärische Abhängigkeit Europas von den USA demonstrieren und die ökonomische Überlegenheit der USA stärken sollte. Indem man Europa die immensen Wiederaufbaukosten in Südosteuropa aufbürdet, stellt die USA sicher, dass der Euro nicht zu einer wirklichen Konkurrenz des Dollar wird. Das Projekt eines demokratischen Europa wird endgültig scheitern, wenn es nicht gelingt, den südosteuropäischen Raum vollständig zu integrieren (nach Peter Lock).

Ein politischer Ausverkauf…

  • Ein politisches Konzept des Westens für den Balkan besteht weiterhin nicht. Nach Bosnien und Albanien verfügt der Westen mit dem Kosov@ über ein drittes De-facto-Protektorat ohne klare politische Vorstellung, was damit zu tun sei. Lokale Separationskriege können mit westlicher Alimentierung in den multiethnischen Gebieten Montenegro, im Sandzak und in der Vojvodina weitergehen, solange der Westen an seiner Politik und Strategie festhält. Das ethnische Prinzip in der Politik und die Erfahrung, dass nur Gewalt und Krieg zum Ziel führen, haben sich gegen die zivilen Anforderungen demokratischer Politik weiter durchsetzen können, weil der Westen sich zwar als «Wertegemeinschaft» bezeichnet, im konkreten Fall aber als «Interessengemeinschaft» handelt.

  • Die Nato war unter Führung der USA und unter Mittäterschaft der westlichen Regierungen bereit, alle völkerrechtlichen Konventionen militärisch zu brechen und mit völkerrechtswidrigen Aktionen unter dem Tarnmantel «moralischer Not» den Krieg auch gegen eine Bevölkerung, gegen zivile Ziele, gegen die Umwelt zu führen, nur um den dortigen Machthaber unter Druck zu setzen. Die angeblich hohen moralischen Ziele der Nato-Intervention wurden dabei samt und sonders verfehlt. Der Krieg Russlands gegen Tschetschenien ist das logische Resultat des Nato-Krieges gegen Jugoslawien: jedem sein Gärtchen, sein Einflussgebiet, seine Interessenpolitik. Die Welt wird nach den Hoffnungen von 1989 wieder kälter – der Krieg heisser.

  • Der kriegsbedingte Radikalismus hat zu einer Entpolitisierung des politischen und sozialen Lebens geführt, weil die Bevölkerung keinerlei Verbindung zwischen sich und der Regierungspolitik sieht. Sie entwickelt eine wachsende Resignation und Lethargie angesichts der Frage, auf welchem Weg es möglich ist, das eigene politische Schicksal zu beeinflussen. Die Politik der Instabilität und der Angst hat dazu geführt, dass eine Teilnahme am politischen Prozess von vielen BürgerInnen abgelehnt wird.

  • Die Vorherrschaft der informellen Wirtschaft entwickelt eine Eigendynamik gegen die staatlichen Regulierungsbedürfnisse und fördert die Korruption des schwachen Staates. Mafiöse Strukturen und kriminelle Gewaltkartelle können schwache Staaten usurpieren und sich als demokratische Kräfte legitimieren, die einerseits internationale Wiederaufbauhilfe kontrollieren, andererseits den illegalen Aktivitäten wie Drogen-, Waffen-, Organ- und Menschenschmuggel staatlichen Schutz verleihen. Solche Gebilde destabilisieren Wirtschaft und Politik in der ganzen Region.

  • Krieg ist teurer als Frieden, aber billiger als Asyl. So die einfache Abschlussrechnung der westlichen Politik. Zudem werden die Mehrkosten des Krieges gegenüber dem Frieden aufgewogen durch den Mehrwert an politischer und militärischer Legitimation. Insgesamt ist also Krieg weiterhin die lohnendste Verhaltensweise für westliche Machthaber.

… und ein moralisches Debakel

  • Die Menschenrechte werden zunehmend selektiv zur Begründung und Legitimation des Einsatzes von Gewalt benutzt. Dadurch werden sie laufend diskreditiert und ihrer moralischen Wirksamkeit beraubt. Das Abendland zieht in kriegstechnisch modernisierte Kreuzzüge der «Humanität» gegen die «Bestialität» (Habermas) – 900 Jahre nach dem ersten Kreuzzug des Christentums und der Ermordung Tausender Menschen. Nobel geht die Welt zugrunde. Das muntere Wettrüsten für die nächste humanitäre Aktion kann losgehen – nach altem kolonialem Muster: die High-tech-Waffensysteme des weissen Mannes gegen das Alteisen der Eingeborenen, welches man diesen zuerst noch für gutes Geld verkauft hat.

  • Jeder Hinweis auf die fundamentalen politischen, militärischen und völkerrechtlichen Mängel der verfolgten Nato-Strategie und die massiven Kollateralschäden der Bombardierungen galt angesichts der verzweifelten Situation der Kosov@-AlbanerInnen zumindest als besserwisserisch, eher aber als Verrat an der Moral, ja gar als Hinterhältigkeit. Die Forderung nach unnachgiebiger Härte, ein Denken in den Kategorien von totalem Sieg und totaler Niederlage oder gar die legitimatorische Berufung auf ein neues «Auschwitz» fand sich dabei nicht selten auch bei PolitikerInnen, die sich selbst als Linke und Grüne oder als Teil der Friedensbewegung zu verstehen pflegen (nach Peter Hug). Es wurde vielfach argumentiert, als ginge es um eine Entscheidungsschlacht zwischen Demokratie und Faschismus, zwischen Zivilisation und Barbarei.

  • Die politische Klasse in der «westlichen Wertegemeinschaft» hat die Gestaltung der Politik den Militärs überantwortet. Wer über eine Weltbürgergesellschaft, der der Kosov@-Krieg auf den «Sprung« helfen könne (so Habermas), schreibt, sollte zumindest nach unterschiedlichen Interessen, Einkommens- und Klassenlagen in dieser «Weltbürgergesellschaft» fragen. Alle Weltbürger sind gleich – der Pilot im Cockpit eines Kampfflugzeuges und die Reisende im Zug auf der Brücke, der Kriegsgewinnler und der Kriegsverlierer, der Sozialhilfeempfänger, dem Leistungen gestrichen werden, weil der Krieg ja finanziert werden muss, und der Boss eines transnationalen Unternehmens, dessen Gehalt nach einer globalen Fusion gerade aufgestockt wurde? (nach Elmar Altvater)

  • Technologie und Ideologie sind zum Herrschaftsinstrument über arm und reich, Befehl und Gehorsam, Leben und Tod eskaliert. So gibt es tatsächlich keine Kriege mehr, nur noch Zerstörung mit Pausen. Die Pause beruhigt die Menschenrechtsprediger und die Rüstungsindustrie bekommt Zeit und Kapital, die leeren Waffenlager und die Konten der Aktionäre aufzufüllen. Im heissen Rhythmus der Moderne folgt Schlag auf Schlag und Klick auf Klick, auf dass wir uns wohl fühlen können, während hochgerüstete Soldaten uns die Erde untertan machen, wie Gott es verheissen hat (nach Gerhard Zwerenz).

* Referenzen:

  • Altvater, Elmar. Menschenrechte und Bomben, in: Der Kosovo-Krieg. Fakten, Hintergründe, Alternativen, Ulrich Albert / Paul Schäfer (Hg.), PapyRossa, Köln 1999.

  • Fatic, Aleksandar. Testfall für Stabilität in Südosteuropa. In: Ost-West-gegen-Informationen 3/99.

  • Hug, Peter. Zukunft der europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik. Nach dem Nato-Krieg im Kosovo. In: Widerspruch 37.

  • Kaser, Karl. Europa und der westliche Balkan: Was tun? In: Ost-West-gegen-Informationen 3/99.

  • Lock, Peter. Annäherungen an den langen Nachkrieg in Südosteuropa, in: ami 8/9.99 und Nachkrieg in Sudösteuropa. Die Interessen der Rüstungsindu-strie und die ökonomischen Folgelasten, in: Widerspruch 37.

  • Materialien für einen neuen Antiimperialismus. Die Ethnisierung des Sozialen. Das Beispiel Jugoslawien. Trotzdem Verlag, Grafenau 1999.

  • Narr, Wolf-Dieter/Roland Roth/Klaus Vack. Eine pazifistisch-menschenrechtliche Streitschrift. Beispiel: Kosovo 1999 – Nato-Krieg gegen Jugoslawien. Hg. vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, Köln. Köln 1999.

  • Zwerenz, Gerhard. Man wird sich entscheiden müssen. in: Der Kosovo-Krieg. Fakten, Hintergründe, Alternativen, Ulrich Albert / Paul Schäfer (Hg.), PapyRossa, Köln 1999.

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