Miliärmacht Europa?

Die europäische Union, während Jahrzehnten Sinnbild für die Überwindung der durch die beiden Weltkriege aufgeworfenen Gräben in Europa, rüstet zum Krieg.

Dieser Schluss muss aus den Entwicklungen gezogen werden, die in den letzten Jahren zu beobachten waren. Ein Jahr nach dem Irak-Krieg ist auch klar: Das unilaterale Vorgehen der USA hat die europäischen Regierungen nicht dazu geführt, die Uno wieder als zentralen Bezugspunkt einzusetzen und verstärkt nach zivilen Lösungen zur Konfliktbeilegung zu suchen, sondern – als «Gegenmacht» zu den USA angepriesen – den Ausbau des «militärischen Kerneuropa» voranzutreiben. Dies stellt auch die französische Militärministerin Alliot-Marie in einem Interview mit der FAZ fest: «Die Irak-Krise hat die Verteidigungszusammenarbeit in der EU nicht zurückgeworfen, das Gegenteil ist der Fall. Die Verteidigung ist ein Schlüsselelement des europäischen Einigungsprozesses geworden. Sie kommt schneller voran als damals die Währungsunion.»

Dass die Marginalisierung der Uno mit der Herausbildung eines neuen Militärbündnisses nicht aufgehalten, sondern im Gegenteil weiter vorangetrieben wird, stört die Regierungen Europas nicht. Die machtpolitischen Bedürfnisse, die mit der 80’000 Soldaten umfassenden Interventionstruppe abgedeckt werden sollen, stehen offensichtlich vor Überlegungen, wie das Völkerrecht wieder gestärkt werden soll. Nachdenklich stimmt, dass die Bemühungen zur Schaffung gesamteuropäischer Friedensinstrumente (zum Beispiel die Schaffung eines europäischen Zivilen Friedensdienstes) vor dem Hintergrund der Militarisierung ins Abseits gerückt worden sind. In der Folge des 11. Septembers 2001 und im Rahmen des «Krieges gegen Terror» haben sich in Europa nicht diejenigen Kräfte durchgesetzt, die ein ziviles Europa forderten, welches die Ursachen der Konflikte angeht, sondern die Rüstungslobbyisten und die Verfechter von Überwachung, Repression und Abschottung gegen Aussen. Die neue Verfassung der EU, auf die sich die Regierungsvertreter im Sommer dieses Jahres geeinigt haben, ist Ausdruck dieser Entwicklung.

Die Schweiz ist von den Militarisierungsbestrebungen der EU stark betroffen. Bereits zeichnet sich ab, dass sich der internationale Bezugsrahmen der Schweizer Armee von der Nato hin zur EU verlagert hat. «Interoperabilität» soll künftig im Rahmen der EU geprobt werden, zum Beispiel mit der (symbolischen) Beteiligung von 20 Schweizer Soldaten im Rahmen der EU-Truppe in Bosnien. Oder mit dem Kauf des europäischen Kampfflugzeuges «Eurofighter», der in Armeekreisen als erster Kandidat für die Beschaffung des neuen Kampffliegers gilt.

Grund genug also, sich mit den europäischen Entwicklungen auseinanderzusetzen: Auf den folgenden Seiten dieser Zeitung sind darum Artikel zu finden, die sich kritisch mit der EU-Verfassung, dem geplanten EU-Einsatz in Bosnien und der europäischen Rüstungskonsolidierung auseinandersetzen. Zudem haben wir Rosi Krenn, österreichische Friedensaktivistin, gefragt, wie sich die europäischen Friedensbewegungen gegen die Militärmacht Europa zur Wehr setzen.