Müssen Flüchtlinge die Armee retten?

Am 20. Oktober stellte Bundesrat Koller in Aussicht, die Armee bei der „Betreuung“ neuangekommener Asylsuchender beizuziehen. Angesichts der hohen Anzahl Asylgesuche im September, angesichts dessen, dass die Empfangsstellen eine Woche zuvor kurzfristig überlastet waren und deshalb Asylsuchende draussen schlafen mussten, rief die Schweizer Regierung die ausserordentliche Lage aus und griff zum Militär.

Seit dem 9. November „betreuen“ nun WK-Soldaten neuangekommene Asylsuchende in abgelegenen Gegenden wie Gantrisch (Berner Oberland) oder Mollis (Glarus). Zwar war bereits im November ein markanter Rückgang der Asylgesuche zu verzeichnen, und im ganzen 1998 stellten weniger Personen ein Asylgesuch als im vergleichbaren 1992.

Auch macht es offenkundig wenig Sinn, Neuangekommene von Basel, Genf, Chiasso oder Kreuzlingen für ein paar Tage ins Gantrisch-Gebiet zu chauffieren, um sie danach zur Erledigung der Formalitäten wieder zur Empfangsstelle zurück zu transportieren.

Ferner zeugt es von bemerkenswerter Selbstüberschätzung, wenn die Armee WK-Soldaten, die kaum zur Flüchtlingsbetreuung ausgebildet wurden und diese Aufgabe während zwei kurzen Wochen wahrnehmen, für ähnlich qualifiziert hält wie seit Jahrzehnten darauf spezialisierte Hilfswerke. Die ganze Aktion stinkt eher nach PR als nach sinnvollem Einsatz der Kräfte.

Zwischenlager

Der „Armee-Einsatz im Asylzwischenlager“ – so der sinnige Titel einer grösseren Zeitung im November – kann nicht isoliert betrachtet werden. Schon 1991 befahl der Bundesrat die Aktion „Limes“. An der Ostschweizer Grenze hätten Soldaten übungshalber Flüchtlinge abwehren sollen. Ein breiter Widerstand führte damals dazu, dass die Übung abgebrochen wurde. 1997 war die Kritik weitgehend verstummt, und der Bundesrat beschloss, zuerst zwanzig, später hundert Berufssoldaten an der Grenze zu stationieren. Bereits ein Jahr später wurden auch Milizangehörige zum Grenzeinsatz abkommandiert: Je fünfzig Berufs- und Unteroffiziere im Lehrgang kamen zum Einsatz.

Mit Videokameras, Nachtsichtgeräten, Kohlendioxid-Detektoren und Rückübernahme-Abkommen versucht die Schweiz – wie Europa – seit Jahren, sich von den Flüchtlingsbewegungen abzuschotten, die sie als eines der reichsten Länder mitverursacht.

Die Folgen der militärischen Abschottung sind fatal. Seit 1993 haben europäische NGOs über tausend Tote an den Grenzen Europas gezählt. Letztes Jahr ertranken zwei Asylsuchende in der Tresa beim Versuch, die Grenze zur Schweiz illegal zu durchqueren. Eine Familie versuchte, die immer besser bewachte Grenze dadurch zu umgehen, dass sie über die Berge in die Schweiz einreiste, und erfror beinahe.

In der Asylpolitik ist die Armee eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Auf der Suche nach neuer Legitimation kommen ihr die Flüchtlinge an der Schweizer Grenze gerade recht. Nicht anders zu erwarten ist angesichts einer traditionell repressiven und hierarchischen Männergesellschaft, dass dabei Menschenrechte auf der Strecke bleiben.

Weiterführende Literatur:
Dossier Grenzen, April 98, 250 Seiten, 30.-SFr.
Dossier Tessiner Grenze, Februar 99, 60 Seiten, 20.-SFr.
Dossier Asylbetreuung durch die Armee, Februar 99, 60 Seiten, 20.-SFr.

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