Richtige Frage, schwieriges Umfeld

An ihrer Vollversammlung im März 2002 zog die GSoA in einer offenen Diskussion Bilanz aus den vergangenen Kampagnenjahren. Die GSoA-Zitig druckt einen Auszug aus dem Referat von Hans Hartmann ab.

Die GSoA war und ist keine Interessengruppe und keine professionelle Lobbyorganisation – das können andere besser. Die GSoA war und ist keine Partei – zum Glück. Die GSoA ist keine soziale Bewegung – dafür sind wir zu schwach und zu intellektuell.
Die GSoA war und ist ein ideologiekritisches Polit-Projekt, das im Rahmen des direktdemokratischen, institutionellen Systems der Schweiz einerseits das vorherrschende Denken in Begriffen und Bildern legitimer Gewalt kritisiert und andererseits versucht, zeitgemässe Alternativen dazu zu formulieren. Dabei richtete sich unser Projekt von 1982-89 gegen das militaristische Blockdenken des Kalten Krieges, konkretisiert als Kritik am «Helvetischen Totalitarismus». Nach dem Mauerfall und der «Sieg-Niederlage» in der Abstimmung von 1989 glaubte die GSoA einen «realpolitischen» Durchbruch zu einer anderen Schweiz in einer friedlicheren Welt in Griffweite. Diese Reform-Illusion zerschlug sich aber spätestens 1993/94 mit dem Jugoslawienkrieg, der F/A-18-Kampagne und der Debatte um Schweizer Uno-Blauhelme. Auf die vorübergehende Euphorie folgte damit Ernüchterung und eine politische Reorientierungsphase, die einige bekannte «GSoA-Gründerväter» (Gross, Schmid) nicht mehr mitmachen mochten. Wir anderen verfolgen seit 1995 ein neues Projekt: Die Kritik am neuen militärischen Interventionismus, konkretisiert als Kritik an der «militärischen Öffnung» der Schweiz, und das Alternativkonzept der zivilen Konfliktbearbeitung.

Mit diesem Projekt haben wir am 2. Dezember eine empfindliche Niederlage erlitten. Haben wir etwas falsch gemacht?

 

Radikale Militarismuskritik

Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir 1995 die richtigen Frage gestellt und in ein politisches Projekt umgesetzt haben: Soll die Schweiz ihren neuen Platz nach dem Ende des Kalten Krieges wirklich in einer Allianz reicher, mächtiger und hochgerüsteter Länder suchen, die eine neokoloniale Globalisierungspolitik von Fall zu Fall auch mit militärischen Mitteln absichert? Die zweite Armeeabschaffungs-Initiative und die Initiative für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst waren in erster Linie eine radikale Kritik an diesem Entwicklungspfad.
Wir haben damals auch andere Perspektiven diskutiert. Andreas Gross wollte die GSoA zum Kern einer europäischen Demokratiebewegung machen. Aber die GSoA wäre eine denkbar enge Plattform für die abstrakt-institutionelle Utopie einer transnationalen Demokratie geworden. Andere wollten mit der Abschaffung der Wehrpflicht die «Säkularisierung» des helvetischen Militarismus vorantreiben. Die Weiterführung des nach 1989 entwickelten Reformanspruchs hätte allerdings in einer gefährlichen Sackgasse enden können: Es wäre uns angesichts des schnellen Umbruchs der schweizerischen Sicherheitspolitik kaum gelungen, ein eigenes Reformprofil zu entwickeln; wir hätten wohl lediglich unsere kritische Schärfe gegenüber der militärischen Modernisierung verloren und wären still und leise untergegangen, wie andere friedenspolitische «Kompromiss-Projekte» – oder wer erinnert sich eigentlich noch an die Umverteilungsinitiative?
Nein, ich glaube die Entwicklung sowohl der schweizerischen Sicherheitspolitik wie auch der geopolitischen Lage – die jetzt in einem 50jähriger Krieg gegen Terrorismus zu kulminieren droht – haben unserer damaligen Einschätzung «Recht» gegeben. Wir hatten Recht, dass wir die «heilige Kuh Landesverteidigungsarmee» links liegen liessen und dafür die Kritik am neuen humanitären Militärinterventionismus entwickelten. Und wir hatten Recht eine zivile Alternative der Konfliktpolitik einzufordern.
Mag sein: Wir haben Kampagnenfehler gemacht und unsere Reorientierung auf die neue geopolitische Situation hat zu lange gedauert – aber letztlich ist es uns gelungen, den historischen Kern des GSoA-Projekts fortzuschreiben: eine radikale, an den globalen Realitäten orientierte Militarismuskritik, wie sie im Kontext der schweizerischen Sicherheitspolitik überhaupt formulierbar ist.


Neue nationale Sammlung

Dennoch sind wir gescheitert – so wie es halt gemessen an unseren radikal-aufklärerischen Ansprüchen zu erwarten gewesen war. Für die GSoA ist nun nicht diese Niederlage an sich problematisch, sondern die Tatsache, dass wir – sowohl von uns selbst als auch von der Öffentlichkeit – immer gemessen werden an der “Erfolgreichen Niederlage” von 1989.
Aber den damaligen Erfolg haben wir nicht wiederholen können! Denn eine solche Um- und Aufbruch-Situation wie «1989» gibt es nur extrem selten: Kaum ein anderes westliches Land machte an der Wende zu den neunziger Jahren eine derart tiefgreifende Krise des nationalen Selbstbewusstsein durch wie die Schweiz. Nur vor diesem Hintergrund konnte die allgemeine Kritik der GSoA am Rüstungs- und Verteidigungswahnsinn des späten Kalten Krieges eine solche Wirkung erzielen. Und diese Rahmenbedingung war 2001 eben gerade nicht mehr gegeben.
Ganz im Gegenteil: die «nationale Sammlung» der Schweiz für das 21. Jahrhundert ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber sie nimmt immer deutlichere Konturen an. Und die Armee, die Ende der 80er Jahre völlig «von der Rolle» war und deren baldige Selbstabschaffung Anfang der 90er Jahre eine beliebte Phantasie den Cüpli-PazfistInnen in Presse und Politik war, sie spielt dabei wieder eine Rolle. Wieder, das dürfte mit der Katastrophe vom 11. September beziehungsweise mit der katastrophalen Anwort der Regierung Bush darauf vielen klar geworden sein, befinden wir uns in einer latenten Vorkriegs-Hysterie. Dieses kollektive Angstgefühl, das von nun an immer wieder abrufbar sein wird, ist massenpsychologisch gesehen die Quelle für den neuen Militarismus des 21. Jahrhunderts.
Nationale Sammlung und Angst: Die Armee als Institution polarisiert nicht mehr die politisch-ideologischen Lager, sie befriedigt heute wieder kollektive Sicherheitsphantasien. Die Ergebnisse der Vox-Analyse über die Abstimmungsmotive bestätigen dieses Bild. Die Umfrage ergab, dass vor allem zwei Faktoren den grossen Unterschied im Abstimmungsresultat zwischen 1989 und 2001 ausmachen: Die unterdurchschnittliche Mobilisierung auf der Linken, und der Wechsel der Partei-Unabhängigen ins Nein-Lager. Und zu den Abstimmungsmotiven heisst es: «Die Analyse der Stimmmotive … macht deutlich, dass die Armee als Institution gegenwärtig nicht wegzudenken ist. Ein Grossteil der Nein-Stimmenden begründete seinen Entscheid mit der Notwendigkeit einer Armee für ein Land. Dies, obwohl sich eine knappe Mehrheit der Befragten damit einverstanden erklärte, dass die Schweiz gegenwärtig von Gefahren bedroht sei, auf welche man nicht mit militärischen Mitteln antworten könne.»
Die «Armee als Institution», so die Studie weiter, «lässt sich nicht nur an ihrem Verteidigungspotential bemessen, sondern hat in den Augen ihrer Befürworterschaft eine Daseinsberechtigung, die offenbar darüber hinausgeht.» Diese irrationale Identifikation mit der Institution Armee wollte und will das «Projekt GSoA» unterlaufen – und damit bin ich wieder am Ausgangspunkt meiner Überlegungen.

Hat die GSoA eine Zukunft?

GSoA-1989: eine Abstimmung der Hoffnung. Wir hatten damals das «Glück», mit unserer Volksinitiative als produktiver Katalysator den Zusammenbruch einer national-militaristischen Mentalität beschleunigen zu können.
GSoA-2001: eine Abstimmung der Angst. Unsere Initiativen waren dieses mal «nur» der Sand im Getriebe einer neu entstehenden Sicherheitsideologie.
GSoA-20XX? Kann eine weitere Volksinitiative dazu beitragen, die Identifikation mit der neuen kriegerischen Weltordnung langfristig aufzubrechen?
Ich habe keinen Zweifel daran, dass eine sorgfältige Analyse der nationalen und globalen Sicherheitspolitiken es uns (wie Mitte der 90er Jahre) erlauben werden, eine kohärente Kritik und sogar eine Alternative zum vorherrschenden Gewaltdiskurs zu formulieren. Aber ich befürchte, dass wir damit auf Jahre wenn nicht Jahrzehnte hinaus marginal bleiben werden. Die neue Sicherheitsideologie befindet sich in einer langen Aufbauphase. Sie wird, wenn sie ihre Perspektive in immer mehr Köpfen verankert und ihre institutionellen Arrangements erst einmal stabilisiert hat, noch an Plausibilität gewinnen. Und gerade in der Schweiz zeichnet sich nach Jahren – politisch höchst umstrittener – Reformen in der Sicherheitspolitik eine Stabilisierungsphase ab.
Der Spagat zwischen der Kritik an der «Revolution» globaler Sicherheitspolitiken und am behäbigen Reform-Alltag der schweizerischen Militärpolitik wird also eher noch schwieriger werden. Die GSoA wird sich einen solchen Spagat sehr gut überlegen müssen, wenn sie davon nicht zerrissen werden soll. Weder sterile ideologische Rechthaberei noch institutioneller Reformpragmatismus sind unsere Sache – das können andere besser.
Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders. Vielleicht kommt die neue sicherheitspolitische Weltordnung schneller aus dem Gleichgewicht, als wir uns dies heute vorstellen können. Und dann werden Alternativen wieder gefragt sein. Auch in der Schweiz. Vielleicht ist diese Ungewissheit das beste Argument dafür, dass die GSoA ihre Arbeit fortsetzen soll.