Situation in Afghanistan

Humanitäre Hilfe statt militärische Machtpolitik! Der vorliegende Artikel basiert auf einer Rede, die Jo Lang im Juli an einer Tagung des Forums «Humanitäre Schweiz» in Zürich hielt.

Ulrich Ladurner schrieb in der deutschen «Zeit»: «Unter den Afghanen macht sich das Gefühl breit, dass die Milliarden, die der Westen als Hilfsgelder zugesagt hat, entweder nicht ausbezahlt werden oder in dunklen Kanälen verschwinden. Inzwischen gibt es in Kabul längst so etwas wie etablierten Anti-NGO-Populismus.»

Neben dem materiellen Frust, spielt auch eine sich ausbreitende und verstärkende Ablehnung gegenüber den fremden Besatzern mit. Hier rächt sich bitter, dass viele Nichtregierungsorganisationen viel zu wenig Distanz zu den militärischen Besatzern gewahrt haben. Die humanitär-militärische Symbiose führt unweigerlich dazu, dass das Militärische das Humanitäre auffrisst.

Irakisierung von Afghanistan

Wer Afghanistan, insbesondere die jüngste Eskalation, nüchternen Blickes betrachtet, weiss, dass sich das Land in einem sich beschleunigenden Irakisierungs-Prozess befindet. Diese für die Besatzungsmächte unaufhaltbare Dynamik, die sich hauptsächlich nährt aus einer Ablehnung der Fremdbestimmung und einem Überdruss über die Verbindung von westlicher Arroganz und Ignoranz, lässt sich nur durch einen sofortigen Abzug aller fremden Truppen stoppen.

Mit jedem zusätzlichen Tag militärischer Fremdherrschaft, und so fassen immer mehr Afghanen die westlichen Truppen auf, wird das, was kommt, noch schlimmer. Wenn die ausländischen Truppen nicht freiwillig gehen, dann werden sie irgendwann dazu gezwungen. Und jene, die sie dazu zwingen können, werden stärker denn je dastehen.

Was tun?

Ginge es den Kreisen, die auf militärische Mittel setzen, wirklich um eine Verbesserung der Welt, dann würden sie eine ganz andere Politik betreiben. Beispielsweise die Entwicklungshilfe ausbauen statt sie zu kürzen, beispielsweise die humanitäre Minenräumung massiv verstärken, beispielsweise im Kosovo die Roma verteidigen statt sie zu verraten.

Am Beispiel des Bildungswesens will ich zeigen, wie die Schweiz den Menschen in Afghanistan konkret und nachhaltig helfen kann. All die Kriege seit der Sowjet-Invasion haben das Bildungswesen weitgehend zerstört. Ein Grossteil der Intellektuellen floh ins Ausland, nur wenige kamen zurück. Neben der Quantität ist somit auch die Qualität der Bildungseinrichtungen, insbesondere der Universitäten, gesunken.

Ein Lösungsansatz ist das ETH House of Science in Bamjyan. Es war ein weiser Entscheid, als die ETH Zürich Herrn Professor Albert A. Stahel das Mandat erteilte, dieses Projekt zu beraten und zu begleiten. Das Ziel dieses Zentrums ist es, den Wissenstransfer von afghanischen und schweizerischen Studierenden zu fördern. Mit Internetarbeitsplätzen, digitaler Bibliothek, Laborräumen usw. soll der Universität Bamiyan der Zugang zur Welt der internationalen Forschung und Ausbildung erleichtert werden. Der akademische Austausch zwischen Studierenden und Forschenden aus Afghanistan und der Schweiz soll in den Fachbereichen Bau, Geomatik, Wasser, Agronomie, Ökonomie, Pädagogik, Politikwissenschaft und, last but not least, in dem der Medienwissenschaft, unterstützt und gefördert werden.

Dieses Wissenszentrum und dieses Netzwerk können Modell sein für weitere Universitäten, zum Beispiel in Herat, Mazar-e-Sharif, Gardez. Mit dem House of Science leistet die Schweiz Hilfe zur Selbsthilfe im besten Sinne des Wortes. Und sie leistet einen vitalen Beitrag zum wirtschaftlichen, kulturellen und demokratischen Wiederaufbau dieses kriegszerstörten Landes.

Das Beispiel zeigt, dass es Leute und Länder braucht, deren Internationalismus und Humanitarismus sich nicht an materiellen und militärischen Interessen orientieren, sondern an denen der Menschen. In unserem Land gibt es diese Leute. Und die Schweiz ist dazu berufen, ein solches Land zu sein.

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