Was die Schweiz mit Lampedusa zu tun hat

Anfang Oktober kenterte erneut ein Boot mit Flüchtlingen vor der Mittelmeer-Insel Lampedusa. Über 300 Menschen verloren ihr Leben. Bundespräsident Maurer sandte ein Beileidsschreiben nach Italien. Die diplomatische Pflicht ist damit erfüllt – dies genügt aber nicht. Die Schweiz trägt an den Ursachen von Flüchtlingskatastrophen nämlich ihre Mitverantwortung.

Dass die 300 Toten europaweit für Aufsehen sorgten, hat vor allem damit zu tun, dass das Boot relativ nahe an der Küste gesunken ist. Der Tod wurde somit sichtbarer. Traurige Tatsache ist jedoch, dass im Mittelmeerraum seit Jahrzehnten Flüchtlinge ums Leben kommen. In den letzten 25 Jahren sind mehr als 20’000 Menschen, oft Kriegsflüchtlinge, auf ihrer Reise der Hoffnung in den Fluten ertrunken. In der Schweiz sorgten diese Tragödien kaum für länger anhaltende Debatten. Vor allem bürgerliche PolitikerInnen vertreten die Ansicht, dass die Problemlösung bei den Herkunftsländern liege oder dass ganz einfach den Schleppern das Handwerk gelegt werden müsse. Die Schweiz stellt sich gerne auf die Zuschauertribüne und begnügt sich mit diplomatischen Noten.

Waffenexporte führen zur Flucht
Menschen werden nicht deshalb zu Flüchtlingen, weil sie «Reiselust» verspüren, sondern weil sie sich in einer akuten Notsituation befinden. Diese Notsituation hat verschiedene Ursachen: Hunger, kriegerische Konflikte, Korruption, keine wirtschaftlichen Aussichten oder autoritäre Regimes führen zu Perspektivlosigkeit und drängen die Menschen zur Flucht. Anstatt diesen Tatsachen in einem humanitären Sinne zu begegnen und die Flüchtlinge als Bedrohte zu behandeln, werden Flüchtlinge in Europa und in der Schweiz zur Bedrohung für unseren Wohlstand degradiert. Die daraus resultierende Politik heisst Abschottung und Rückführung.
Weitgehend unbeachtet in der Diskussion bleibt die Frage, was die Schweiz zu den Ursachen für die Flucht dieser Menschen beiträgt. Wer nach Antworten sucht, kommt nicht darum herum anzuerkennen, dass die Schweiz mit Waffengeschäften ihren traurigen Teil dazu beiträgt, dass Menschen in die Flucht getrieben werden. Wenn Regierungen Geld ausgeben für Waffen, dann bedeutet das immer auch, dass dieses Geld an Orten fehlt, wo es weit sinnvoller eingesetzt werden könnte. Es fehlt Geld für Bildung, für den Aufbau von Infrastruktur, im Gesundheitswesen oder für die Förderung von gesunden Wirtschaftsstrukturen. Dies sind genau jene Elemente, die einer Gesellschaft Sicherheit und Perspektiven geben.

Die Rolle der Schweiz
Die Schweiz hat allein letztes Jahr Kriegsmaterial für über 700 Millionen Franken in 68 Länder verkauft. Die jüngste Geschichte hat uns gelehrt, dass diese Waffen keineswegs nur in diesen 68 Ländern bleiben werden, sondern dass deren Verwendung absolut unkontrollierbar ist und bleibt. In der Exportstatistik ist beispielsweise nicht ersichtlich, dass Schweizer Handgranaten an Syrien geliefert wurden. Trotzdem wurde im vergangenen Jahr bekannt, dass kistenweise Handgranaten des Bundesbetriebes Ruag im syrischen Bürgerkrieg eingesetzt wurden. Waffen, die über Umwege nach Syrien gelangten. Waffen, welche dazu beitragen, dass Menschen in die Flucht getrieben werden. Mehr als zwei Millionen Menschen haben Syrien in der Zwischenzeit verlassen.
Besonders irritierend ist zudem, dass die Schweiz mit der Änderung des Asylgesetzes entschieden hat, dass Wehrdienstverweigerung kein Asylgrund mehr sein kann. Diese Änderung richtete sich explizit gegen junge Männer aus Eritrea, welche jeweils einen namhaften Teil der eingereichten Asylgesuche ausmachen. Wer in Eritrea den Wehrdienst verweigert, riskiert Folter, Gefängnis und in vielen Fällen sein Leben. Trotz der schlechten Aussichten Asyl zu erhalten, steigen diese Menschen nach wie vor in seeuntaugliche Boote mit dem Ziel Europa. Oft werden sie kurze Zeit später als Leichen an den Küsten angespült. Je länger die Schweiz wegschaut, Abschottungspolitik betreibt und Waffenexporte zulässt, desto mehr Schuld nimmt sie auf sich.

 

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