Wehrdienst verdirbt den Charakter

Schon wenige Monate Militärdienst schaden der Charakterentwicklung von Rekruten. Was deutsche und US-amerikanische WissenschaftlerInnen nachgewiesen haben, sollte auch den Schweizer BefürworterInnen der Wehrpflicht zu denken geben.

«Die Rekrutenschule tut den jungen Männern doch gut.» Wer für die Volksinitiative zur Aufhebung der Wehrpflicht Unterschriften gesammelt hat, hat diesen Satz zigmal gehört. Noch immer ist die Vorstellung vom Militärdienst, der den Jungen zum Mann reifen lässt, in vielen Köpfen verankert. (Vor allem bei Leuten, die nie oder schon vor Jahrzehnten eine RS absolviert haben.)

ForscherInnen der Universität Tübingen und der Washington University in St. Louis sind nun erstmals in einer gross angelegten Studie der Frage auf den Grund gegangen, welche Auswirkungen der Wehrdienst auf die Charakterentwicklung junger Männer tatsächlich hat. Die WissenschaftlerInnen haben dafür die Entwicklung verschiedener Persönlichkeitsmerkmale von Schulabgängern an rund 300 deutschen Schulen untersucht.

Das Ergebnis ist eindeutig: Wer die neun Monate bei der Bundeswehr ableistet, hinkt seinen Altersgenossen später in Sachen persönlicher Reife hinterher. Und zwar nicht nur kurzfristig, sondern auch noch Jahre später. «Der Wehrdienst ist nicht nur ein kurzer Knick, der sich wieder herauswächst», wie es Bildungsforscher Ulrich Trautwein gegenüber der «Zeit» formulierte. Insbesondere seien Militärdienstleistende weniger einfühlsam und kooperativ, dafür umso aggressiver im Vergleich zu ihren Zivildienst leistenden Kollegen oder Gleichaltrigen, die keinen Dienst leisteten.

Ein reiferes Land
Die ForscherInnen schlossen aus, dass das Ergebnis damit zu erklären sei, dass tendenziell nur jene Männer den Militärdienst wählen, die ohnehin weniger kooperativ und aggressiver seien. Dieser Effekt existiere zwar. Die Probanden seien jedoch zu Beginn der Studie auf über sechzig Persönlichkeitsmerkmale getestet worden. Danach verglichen die WissenschaftlerInnen nur Männer mit gleichen Anfangswerten und ähnlichem sozioökonomischen Hintergrund. Die zurückgebliebene Charakterentwicklung könne somit nur durch die Auswirkungen des Militärdienstes selbst erklärt werden.

Wer selbst die Rekrutenschule geleistet hat, kann das Ergebnis der Studie sofort nachvollziehen. Immerhin lernt man dort in erster Linie, Befehlen zu gehorchen, anstatt selbst zu denken. Während einem im richtigen Leben beigebracht wird, Probleme zu lösen, übt man sich in der RS im Schiessen und Handgranatenwerfen. Und kaum jemand übersteht die Grundausbildung, ohne sich ein gewisses Mass an Apathie anzutrainieren.

Deutschland hat die Wehrpflicht inzwischen abgeschafft. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass das Land nun mit jeder Generation, welcher der Wehrdienst erspart wird, charakterlich ein klein wenig reifer wird. Es ist zu hoffen, dass auch die Schweiz bald diesen Schritt wagt und die Wehrpflicht abschafft.