Wenn Krankheit zur Manövriermasse wird

Die Armee XXI hat gemäss eigenen Angaben einen Nachwuchsbedarf von 24’500 Armeeangehörigen pro Jahr. Der hohe Untauglichkeitsgrad führt nun dazu, dass diese Zahl unterschritten wird. Jetzt will das VBS handeln – mit fragwürdigen Mitteln.

Der Anteil jener stellungspflichtigen jungen Männer, welche als dienstuntauglich erklärt werden, betrug in den Jahren zwischen 2003 und 2007 im Schnitt rund 35%. Zu diesen 35% kommen dann nochmals gegen 5% dazu, die nach der Aushebung, also während der Rekrutenschule, dienstuntauglich erklärt werden. Hier beginnt das eigentliche Problem für die Armee. Die übrigen 60% diensttauglichen Soldaten sind nämlich zu wenig, um auf den erwähnten Nachwuchsbedarf von 24’500 Soldaten pro Jahr zu kommen. Im Jahr 2007 fehlten der Armee rund 1’700 Soldaten.

Wertewandel

Was tun bei zu wenig tauglichen Soldaten? Diese Frage stellte sich die vom Oberfeldarzt der Armee eingesetzte «Arbeitsgruppe Optimierung Tauglichkeitsrate» im vergangenen Jahr. Die Armee hofft, dass sich der Wehrwille der jungen Männer wieder verbessert. Dies obwohl auch der Bundesrat in seinem Bericht zur Wehrgerechtigkeit vom März 2007 festhielt, dass eine Untauglichkeitserklärung früher eben als Makel empfunden wurde und den Verlust an Ausbildungs- und Berufschancen bedeuten konnte. Heute werde die Last der persönlich zu erbringenden Leistung als immer drückender und gelegentlich sogar als Konkurrenznachteil auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wahrgenommen.

Gesundheit per Befehl

Unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen entschied die Armee, vor allem bei den medizinischen Anforderungen anzusetzen. Die sogenannte «Nosologia militaris», also jenes als vertraulich klassierte Reglement, welches für die Tauglichkeitsbestimmung von Soldaten herangezogen wird, wurde überarbeitet. Das Resultat: Wenn ein stellungspflichtiger junger Mann noch im Jahr 2007 aufgrund seiner Krankheit dienstuntauglich erklärt wurde, muss dass nicht heissen, dass ein Stellungspflichtiger im Jahr 2008 mit dem selben Krankheitsbild ebenfalls dienstuntauglich ist. Die GSoA konfrontierte die «Kommunikationsstelle Verteidigung » mit der Frage, welche Krankheitsbilder den nun konkret aus der «Nosologia militaris» entfernt wurden oder anders ausgedrückt, aus welchen Kranken von heute auf morgen gesunde Menschen werden sollen. Die Antwort: «Es gäbe gewisse Krankheiten, die nach der Diagnosestellung aufgrund des medizinischen Fortschritts so behandelt werden könnten, dass die Person wiederum gesund und somit militärdiensttauglich würde. Dies treffe zum Beispiel auf bestimmte Herzrhythmusstörungen und Blutkrankheiten oder auch auf bestimmte psychische Störungen zu. Somit sei bei gewissen Krankheiten eine «Rückstellung» des Militärdienstes zu veranlassen und die Person zu einem späteren Zeitpunkt nochmals bezüglich Tauglichkeit zu beurteilen». Wie die Armee bei solchen Fällen in der Praxis vorzugehen gedenkt, bleibt allerdings ein Rätsel. Es ist davon auszugehen, dass Menschen mit Herzrhythmusstörungen, Blutkrankheiten oder psychischen Störungen sehr wohl wissen, wie sie mit ihren Krankheiten am sinnvollsten umzugehen haben. Diese Menschen warten kaum darauf, dass sie von der Armee den «Befehl» erhalten, sich einer Therapie zu unterziehen. Die Armee versucht dieses Problem insofern zu relativieren, als dass sie betont, dass die «Nosologia militaris» nur als Rahmen zu betrachten sei und die Beurteilung der Diensttauglichkeit letztendlich ein individueller Prozess bleibe, mit persönlichen Gesprächen und verschiedenen Untersuchungen.

Heikles Terrain

Es bleibt abzuwarten, wie sich die veränderte Rekrutierungspraxis in der Praxis auswirkt. Klar ist, dass genau geprüft werden muss, ob die Armee ihr zahlenmässiges Problem nicht zu Lasten von kranken Menschen zu lösen versucht. Die Armee befindet sich hier auf sehr heiklem Terrain.

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