Wie bürgerliche Sicherheitspolitik unser Land gefährdet

Welche Risiken gefährden die Schweiz? Mit dieser Frage beschäftigten sich im Auftrag
des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz 298 Expertinnen und Experten aus den Bereichen
Wissenschaft, Privatwir tschaft und Öffentliche Hand. Entstanden ist ist ein Bericht mit
interessanten Erkenntnissen.

Die «nationale Risikoanalyse 2020» listet 44 relevante Gefährdungen auf und unterteilt diese in die Kategorien Natur, Technik und Gesellschaft. Jede Gefährdung wird nach potenzieller Eintrittswahrscheinlichkeit und erwartbaren Schäden eingestuft. Als grösstes Risiko wird eine Strommangellage eingeschätzt. Bereits eine Strommangellage von wenigen Tagen hätte enorme wirtschaftliche Konsequenzen. Würde unser Land in Zeiten der Digitalisierung gar längere Zeit ohne Strom auskommen müssen, hätte dies fatale Folgen: Versorgungketten würden zusammenbrechen, Spitäler würden nicht mehr funktionieren und Kommunikationsnetze wären gestört. Erdbeben, Hochwasser, Stürme, Hitzewellen oder Influenca-Pandemien werden ebenfalls als grosse Risiken eingeschätzt. Im Weiteren stellt die Risikoanalyse dar, wie plausibel es ist, dass mutwillig verursachte Ereignisse eintreten. Als ziemlich oder teilweise plausibel erachtet das Expertengremium Anschläge mit Chemikalien oder auch Cyberangriffe. Beim Lesen fragt man sich irgendwann, wo den nun die Gefährdung «bewaffneter Konflikt» geblieben ist, gegen den uns die Armee mit ihren Waffenarsenalen schützen soll. Der Bericht kommt zum Schluss, dass bewaffnete Konflikte an der Peripherie Europas zwar zunehmen, aber kaum davon auszugehen sei, dass die Schweiz in den nächsten Jahren selbst direkt Opfer eines bewaffneten Angriffs werden wird. Eine bemerkenswerte Erkenntnis, immerhin ist der Absender das Bundesamt für Bevölkerungsschutz. Zweifellos dürfte sie den Befürwortern der bewaffneten Landesverteidigung unangenehm sein. Was ist zu erwarten? Es ist davon auszugehen, dass sie diese auf ihr Standardargument zurückziehen: «Keiner kann die Zukunft voraussagen, also ist es besser, sich abzusichern, als nichts zu tun».

GEFÄHRLICHE IGNORANZ

Die Logik «Absichern ist immer gut» ist aus sicherheitspolitischen Überlegungen allerdings falsch. Dieses «Absichern» ist verbunden mit Investitionen. Sicherheitspolitik ist somit immer auch Investitionspolitik. Und wer investiert, muss Prioritäten setzen. Falsche Prioritäten gefährden uns, weil Geld für die effektiv vorhandenen Risiken fehlt. Jeder Franken, der in militärische Landesverteidigung fliesst, fehlt andernorts. Sicherheitspolitik, die diesen Namen verdient, investiert in die Energiewende statt in Kampfjets, investiert in Beatmungsgeräte statt in Handgranaten, investiert in Pflegepersonal statt in Soldaten und will Integration statt Stacheldraht. Lieber mehr Hochwasserschutz als Grenzschutz und lieber mehr Lawinenverbauungen als Militärkasernen. Militärische Landesverteidigung hat in dieser Logik schlicht keinen Platz. Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, was es heissen kann, wenn wir reale Gefahren zu wenig beachten. Es fehlte an Vorräten für Schutzmaterial und Kapazitäten, solches herzustellen. Reserveplätze auf Intensivstationen waren kaum vorhanden. Dies, obwohl die Pandemie in der Risikoanalyse 2015 bereits als sehr relevant eingestuft wurde. Nun wäre es zu einfach zu sagen, dass sich diese Pandemie klar angekündigt hat. Unakzeptabel ist aber, dass zwischen 2015 und dem Pandemieausbruch die Militärausgaben rund 20 Milliarden betrugen, während Risiken wie Pandemien keine Beachtung fanden. Fazit: Es wird Zeit, dass sich nicht mehr jene rechtfertigen müssen, welche Politik gegen militärische Landesverteidigung machen, sondern jene, die dafür einstehen. Die Stahlhelmfraktion und die Rüstungslobby sind mitverantwortlich, dass unsere Sicherheitspolitik so wenig mit der realen Welt zu tun hat. Und dies könnte noch weitreichende Folgen haben.