Wo sind die Frauen?

Nun ist also auch der Irak «befreit». Nicht so explizit wie in Afghanistan, aber auch diesmal wurde der Feldzug nicht zuletzt im Namen der Frauen geführt, wie auch Paula J. Dobriansky vom US-Aussenministerium sagte.

Angesichts der Tatsache, dass jeder 7. US-amerikanische Soldat im Irak eine Frau war, also fast schon ein Akt von Frauensolidarität? Oder doch eher ein kluger Schachzug von Militärstrategen, welche die Interessen von Frauen hüben wie drüben ausnutzen, um einen weiteren Krieg zu legitimieren?
Von Barbara Müller für FrauenStimmen gegen den Krieg

Das Versprechen Dobrianskys, die irakischen Frauen dahingehend zu «empowern», dass sie eine bedeutende Rolle in der provisorischen Regierung übernehmen können, klingt gut (auch wenn es noch besser gewesen wäre, wenn nicht zuvor ein Grossteil der Bevölkerung «ent-powert» worden wäre). Doch nicht das Aussenministerium, sondern das Pentagon organisiert den «Wiederaufbau» des Iraks und dieses hat noch nichts vom Einbezug der Frauen verlautbart. Im Gegenteil, es ist zu befürchten, dass die irakischen Frauen unter der von den USA eingesetzten Übergangsregierung bestehende Rechte wie das Wahlrecht, das Recht auf Bildung, auf Arbeit und auf politische Partizipation wieder verlieren. Die Zusammensetzung des ersten Treffens der irakischen Oppositions- und Exilleader in Nasiriya am 15. April, wo von 80 TeilnehmerInnen fünf Frauen waren, bestätigt die Befürchtung, dass – ähnlich wie in Afghanistan – die von den USA gepriesene «Selbstbestimmung der Bevölkerung» auch im Irak fundamentalistischen Kräften religiöser und politischer Couleur Aufwind gibt.

Damit soll keinen Moment in Abrede gestellt werden, dass Menschenrechte – ebenfalls Frauenrechte – im Irak unter Saddams Regime mit Füssen getreten und auf brutale Weise verletzt wurden. Aber wenn jetzt Exil-Irakerinnen in den USA an Rotary-Club-Veranstaltungen und Sitzungen mit den KriegstreiberInnen Bush/Cheney/Rice herumgereicht werden, um über die Schreckensherrschaft Saddam Husseins und ihre persönlichen Erlebnisse zu berichten, dient das weder der politischen Forderung nach dem Einbezug der Frauen in den Wiederaufbau gemäss UNO-Resolution 1325 noch den irakischen Frauen per se. Damit werden individuelle Schicksale für eine nachträgliche Legitimierung dieses mit Hightech-Zauber geführten Krieges benutzt.

Die Geschichte von Jessica Lynch

Und was wissen wir von den sogenannten Befreierinnen, den Soldatinnen der US-amerikanischen Armee, die für Freiheit und Vaterland (!) in den Krieg gezogen sind?

Wir wissen zum Beispiel, dass viele von ihnen Mütter sind, die unter verpassten Kindergeburtstagen und Gute-Nacht-Geschichten leiden. Von den Soldaten, die Väter sind, haben wir diesbezüglich nichts gehört. Wir wissen weiter, dass die Soldatinnen «jung und blond» sind, wie die spektakulär aus Kriegsgefangenschaft befreite Jessica Lynch. Sie stammt – wer weiss das? – aus West Virginia, einem der ärmsten Bundesstaaten der USA, der eine Arbeitslosenquote von über 15% aufweist und dessen Universität kürzlich 10% des Budgets gekürzt wurde. Lynch meldete sich kurz vor ihrem High-School-Abschluss zur Armee, um Geld für ihr Studium zu verdienen. Es ist sicher kein Zufall, dass die Geschichte von Jessica Lynch zu einer medial ausgewerteten Erfolgsstory wurde. Ganz im Gegensatz zu der Geschichte von José Antonio Gutiérrez, dem ersten gefallenen US-Soldaten im Irak. Gutiérrez, als Strassenkind in Guatemala während des dortigen Bürgerkriegs aufgewachsen, lebte seit einigen Jahren illegal in den USA und verdingte sich gegen das Versprechen, bei seiner Rückkehr aus dem Irak die «Greencard» zu erhalten, bei der US-Army. Ob irgend jemand seine Lebensversicherung ausbezahlt bekommt, sei dahingestellt, in seinem Ursprungsland Guatemala jedenfalls verweigerte man ihm eine offizielle Ehrung, ist er doch «im Dienste eines fremden Herrn» gefallen. Jessica Lynch dagegen muss sich wohl kaum mehr um die Finanzierung ihres Studiums sorgen.

Doch übersehen wir für einen Moment geflissentlich die Tatsache, dass rund 30% der US-Soldaten im Irak, die sich in der Hoffnung auf eine bessere wirtschaftliche und soziale Stellung freiwillig zum Militär melden, latein- oder afroamerikanischer Herkunft sind, und gehen wir zurück zu den Frauen: «Der Einbezug von Frauen in Kampfeinheiten ist nicht länger eine Frage von Gleichstellung, sondern eine Frage der Nationalen Sicherheit», erklärte die einzige Kriegsveteranin im US-amerikanischen Kongress, Heather Wilson. Nach dem Golfkrieg 1991 wurden denn auch die letzten Hindernisse beseitigt und 2003 durften Frauen in fast sämtlichen Kampfeinheiten mit dabei sein. Unter anderem hat man herausgefunden, dass «Frauen wichtige Jobs ausführen können, die Männer nicht machen können: Irakische Frauen an den Checkpoints nach versteckten Waffen durchsuchen oder in Räume eintreten, die in der muslimischen Gesellschaft Frauen vorbehalten sind». Und: «Weit davon entfernt, die Effizienz der Männer an der Front zu beeinträchtigen, werden diese durch die Präsenz von Frauen zu Beschützertum veranlasst und führen ihre Befehle zuverlässiger aus – wie wenn ihre Männlichkeit durch die Anwesenheit von Frauen herausgefordert wäre». Zu diesem Schluss kommt der britische Militärreporter der Zeitung Daily Telegraph, John Keegen. Die Frage, welche Auswirkungen die Anwesenheit von Männern in Kampfverbänden auf Frauen hat, führt er nicht aus…

Sexuelle Übergriffe in der Armee

Interessanterweise ist die Gefahr, während einer Kriegsgefangenschaft sexuellen Übergriffen ausgesetzt zu sein, auch kein Thema bei der Ausbildung von Soldatinnen. «Sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung ist ein hässliches Ding mehr, das dir geschehen kann», erklärt Rhonda Cornum, Oberst und Militärärztin, und warnt davor, diesem Thema zuviel Gewicht beizumessen. Cornum muss es wissen, war sie doch im Golfkrieg 1991 selber als Kriegsgefangene sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Erstmals darüber gesprochen hat sie jedoch erst ein Jahr später, was die Kritik feministischer Psychologinnen am Umgang der US-Army mit diesem Thema bestätigt. Traumatas aufgrund von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen gibt es auch bei very toughen Soldatinnen, und sie können je früher desto besser behandelt werden. Das Tabuisieren (sei es nun sexueller Übergriffe auf die «eigenen» Frauen durch «fremde» Armeen oder auf «fremde» Frauen durch die «eigene» Armee oder gar auf «eigene» Frauen durch die «eigene» Armee) durch das US-Militär ist ein Rückschritt in der Aufklärungsarbeit zu diesem Thema durch Feministinnen und eine Unterwanderung des Völkerrechts, in dem endlich die Vergewaltigung von Frauen als Kriegsverbrechen anerkannt ist.


FrauenStimmen gegen den Krieg wird unterstützt von der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit, FemCo, Frauen für den Frieden Zürich, FrauenLesbenKasama und Einzelfrauen. Seit Beginn des Krieges gegen Afghanistan organisiert die Gruppe offene Diskussionen und Veranstaltungen für Frauen.

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