Zivile Sicherheit als drittes Standbein der GSoA II

Militärs wie bürgerliche Politiker haben längstens gemerkt, wovor sich die Menschen in diesem Land fürchten: Es sind – nebst der bedrohlichen sozialen Situation! – immer weniger kriegerische Auseinandersetzungen als zivile und Naturkatastrophen, welche die Frage aufkommen lassen: Wer schweisst mich im entscheidenden Moment aus den Trümmern?

Der Bundesrat hat aus dieser Erkenntnis heraus mit dem Bericht zur Sicherheitspolitik 1990 die Katastrophenhilfe als wesentliche Armeeaufgabe vereinnahmt und massiv ausgebaut. Die Militärführung rechnet zurecht damit, dass politische Angriffe auf die Armee mit diesen an sich notwendigen, aber eigentlich zivilen Aufgaben besser abgewehrt werden können. Indem die GSoA eine zivile Alternative zum militärisch geleisteten Schutz vorschlägt, erzwingt sie einerseits die Diskussion über die Funktion der Armee. Sie erbringt andererseits gegenüber der Bevölkerung einen Tatbeweis für verantwortungsvolles Handeln, der verstanden werden wird. Ende 1994 publiziert die NZZ eine 30 Seiten starke Sonderbeilage zur Armeereform ’95. Das Titelblatt ist bemerkenswert: Es zeigt im oberen Drittel einen Leopard-2-Panzer, während die unteren zwei Drittel einen Feuerlösch- und Rettungseinsatz abbilden. Zufall? Wohl kaum. Die militärpolitische Debatte hat seit den (mittleren) Achtzigerjahren den Verlauf der Abrüstungsverhandlungen und die immer geringere Verankerung in weiten Teilen der Bevölkerung integriert und daraus den Schluss gezogen, dass nur eine <grosse Armeereform> – unter diesem Namen wurde sie schon Anfang der achtziger Jahre diskutiert – der sinkenden Akzeptanz der Armee in der Bevölkerung Einhalt gebieten könne. Der Fall der Mauer und die bevorstehende Abschaffungsinitiative haben diese Reform nicht eingeleitet; wohl aber differenziert und beschleunigt.

1/3 Panzer – 2/3 Katastrophenhilfe?

Das besagte Titelblatt suggeriert, dass die Hauptaufgabe der Armee in Katastrophenschutz und Rettungsaktionen bestehe. Im Bericht 90 und im Armeeleitbild 95 stehen die sog. subsidiären Aufgaben (Aufgaben, die den zivilen Organen im Bedarfsfall als Hilfe zugedacht sind), sowie die Friedensförderung (etwa UNO-BeobachterInnen oder kleinere Sanitätseinheiten, die irgendwo in der Welt mit zu diskutierender Effizienz aber mit viel Publicity Hilfe leisten) fast gleichwertig neben der Verteidi- gungsaufgabe. Drei gleichwertige Pfeiler? Nur in der Propaganda! Dort werden – als Rechtfertigung – Friedensförderung und Katastrophenhilfe als zentrale Funktionen der Armee dargestellt. Aber wer die <reformierte> Armee genauer unter die Lupe nimmt, wird schnell eines Besseren belehrt. Die reduzierte Armee umfasst personell immerhin noch 400000 Männer (und einige wenige Frauen). Davon sind 23000 in den dezentral stationierten acht Rettungs- und in einem Katastrophenhilferegiment eingeteilt. Das ist zwar eine beachtliche Zahl, die durchaus Hilfe zu leisten in der Lage ist. Aber mit etwas mehr als 5% des Gesamtbestandes stehen sie in keinem Verhältnis zu den grossen Tönen, die das EMD in diesem Zusammenhang spuckt. Die Anzahl der Leute, die im Rahmen friedensfördernder Massnahmen eingesetzt wird, ist noch wesentlich geringer und bewegt sich im Promille-Bereich.

Hilfseinsätze von Sicherungseinsätzen unterscheiden!

Die Absicht aber könnte kaum durchsichtiger sein: Eine notwendige, populäre und kaum kritisierbare Hilfe – wie etwa bei den Unwetterkatastrophen von Brig oder im Puschlav – soll als Aushängeschild (oder Feigenblatt) für einen Apparat dienen, dessen Hauptfunktion immer noch eine militärische, und zudem natürlich auch eine ideologische ist. Diese militärische Verteidigungsfunktion sehen immer weniger Leute ein, vom Wert als <Schule der Nation> ganz zu schweigen. Die Wichtigkeit, die das EMD den Hilfseinsätzen beimisst, gilt also eher der Armee selber und entspricht weniger einer reellen Aufwer- tung gegenüber der traditionellen Landesverteidigung. Genau gesehen zerfällt der neue (propagandistische) Pfeiler der Armee, die allgemeine Existenzsicherung, in zwei Teile, die subsidiären Hilfseinsätze und die Sicherungseinsätze. Sie sind grundsätzlich verschieden einzuschätzen. Während erstere im erwähnten zivilen oder Naturkatastrophenfall zur Anwendung kommen, sind mit letzteren Einsätze gemeint, welche Antimilitaristlnnen seit jeher bekämpfen: der innere Einsatz, in letzter Zeit v.a. am Beispiel der <Migrantenströme> geübt. Es soll nicht wegdiskutiert werden, dass in der Bevölkerung auch in dieser Hinsicht Ängste bestehen. Als demokratische und antimilitaristische Organisation hat die GSoA hier aber klar Stellung zu beziehen: Wenn die Armee abgeschafft wird, trauern wir dieser Funktion keine Träne nach! Polizei und Zollverwaltung sind die Organe, welche für die Sicherheit der Bevölkerung – oder internationaler Konferenzen – zuständig sind. Alles andere brauchen wir nicht! Das pure Gegenteil gilt für die Hilfseinsätze, deren politische Brisanz im zivilen Charakter liegt.

Subsidiäre Hilfseinsätze sind zivile Aufgaben par excellence

Diese Hilfseinsätze – sie bilden das Kernstück der neuen Armeerechtfertigung – werden von den zivilen Behörden laut Armeeleitbild dann angefordert, wenn deren Organe die nötige Hilfe nicht mehr leisten können. Mögliche Einsatzszenarien sind nebst der erwähnten Überschwemmungskatastrophe auch Chemie-, AKW- oder andere Industrie’ereignisse’, kurz Szenarien, für deren Bewältigung die üblichen Mittel nicht ausreichen und von denen die Bevölkerung ein Recht hat zu wissen, dass zwar das Risiko nicht ausgeschlossen, wohl aber geringer gehalten werden kann. Hier braucht es ganz einfach eine leistungsfähige Struktur, was natürlich noch lange nicht heisst, dass dann jedes beliebige Risiko in Kauf genommen werden kann. Wenn wir die Armee abschaffen wollen, so haben wir dafür zu sorgen, dass diese zivile Aufgabe – von der Armee unter den Nagel gerissen – im Bedarfsfall auch zivil abgedeckt ist. Es ist übrigens bezeichnend, dass das logistische Kon- zept der Rettungs- und Katastrophenregimenter in enger Zusammenarbeit mit dem (zivilen) Schweizerischen Feuerwehrverband entstanden ist. Und es ist ebenfalls bezeichnend, dass die Aussagen des Bundesrates im Bericht 90 zur Sicherheitspolitik nicht am konkretesten sind, wo es um klassisch militärische Aufgaben geht, sondern dort, wo «. sie die zunehmende Verwundbarkeit der modernen Gesellschaft durch natur- und zivilisationsbedingte Katastrophen» betreffen (NZZ; 21.11.94). Beides macht deutlich, dass es sich hier um reale Gefahren handelt, die konkret umschrieben werden können, die einsichtig sind und gegen die eigentlich niemand etwas haben kann. Nur die eine Frage drängt sich auf: Warum braucht es Militär zu deren Bewältigung? Die Antwort ist einfach: Weil es das Militär gibt. Das ist ein klassischer Zirkelschluss, und die Konsequenz daraus ist simpel: Ohne Militär muss jemand anders diese Aufgabe erfüllen. – Die GSoA darf diesen Gedanken nicht den Armeebefürwortern überlassen! Wenn die GSoA in absehbarer Zeit entscheidet, ob sie einen neuen Anlauf zur Armeeabschaffung nehmen will, dann kann sie dies nur tun, wenn verschiedene Bedingungen erfüllt sind.

Eine neue Qualität in der Armeediskussion

Dazu gehört nicht nur die Rechnerei um Stimmenprozente, sondern (unter vielem anderem!) auch die Frage, ob dem Militarismus auch auf der argumentativen Ebene Positionen abgerungen werden können. So darf Jahre später nicht einfach die Debatte von 89 wiederholt werden. Es müssen neue politische Elemente eingebracht werden, und die klare Trennung von militärischen und zivilen Aufgaben kann ein solches Element werden. Es erweitert die Diskussion um die Frage nach der Funktion der Armee, eine Erweiterung, die angesichts des bisweilen bedenklichen Niveaus der seinerzeitigen Debatte – Stichworte Trachtenclub, «sie nützt ja eh nichts», Pfadiverein, Männerspiel, etc. – dringend not tut. Wenn dies zudem in verbindliche Vorschläge in Richtung ziviler Sicherheit und friedensstiftende Massnahmen umgesetzt wird, so wird es für die Armeeführung schwieriger werden, die GSoA und ihre Mitglieder einfach als Mies- und Schutzlosmacherln- nen ins Offside zu manövrieren, weil sie damit den Tatbeweis für verantwortungsvolles politisches Handeln erbringt und zeigt, dass sie sich nicht zu schade ist für die <Niederungen der Realpolitik>.

Zivile Rettungsorganisation statt <subsidiäre Hilfseinsätze> der Armee

Es wäre der Ernsthaftigkeit des Anliegens nicht ange- passt, wenn an dieser Stelle bereits ein detaillierter Vorschlag für eine zivile Rettungsorganisation gemacht würde; die Diskussion um eine zivile Alternative zum militärischen Katastrophenschutz ist noch viel zu wenig entwickelt. Sie kann auch nicht einfach als Schreibtischarbeit eines einzelnen geleistet werden, sondern bedarf der seriösen Erarbeitung, bei der Spezialisten (auch solche aus den heute noch bestehenden militärischen Strukturen) unabdingbar sein werden. Das bedeutet, dass ein entsprechender Vorschlag sicher nicht als ausformulierte Initiative gemacht werden kann, sondern dass in einer Übergangszeit, welche ja auch im Falle einer Armeeabschaffung zum Tragen käme, intensiv an einer Ausformulierung gearbeitet werden müsste. Die GSoA hat für die Details zu wenig Expertenwissen, aber sie hat die wichtige Aufgabe, das Postulat zu formulieren, politisch zu begründen und durchzusetzen. Einige wenige Grundsätze können schon heute vorgeschlagen werden: Die neu zu schaffende ‘Zivile Rettungsorganisation'(Arbeitstitel; Abk. ZIRO) hat die Lücke zu füllen, welche bei einer Armeeabschaffung die ebenfalls abzuschaffenden Rettungs- und Katastrophenhilferegimenter hinterlassen. Diese neue Struktur ist nicht zu verwechseln mit dem, militärischem Denken verpflichteten, Zivilschutz. Letzterer sähe sich mit der Abschaffung der Armee in einer völlig neuen Situation. Das Verhältnis zwischen beiden Strukturen ist genau zu klären. Die ZIRO ist als Milizstruktur wie auch als professionelle Struktur denkbar. Ihr Personal rekrutiert sich aus Freiwilligen. Die Angehörigen der ZIRO sind unbewaffnet. Von einer Kasernierung ist nach Möglichkeit abzusehen. In beiden Fällen kommt der Bund für die Kosten auf. Die obere Führungsebene ist auch im Rahmen eines Milizmodells professionell zu gestalten. Sie ist eng vernetzt mit den bereits bestehenden zivilen Rettungs- und Schutzorganisationen. Bestehende militärische Ressourcen (Logistik, Gerät, Know-how etc.) gehen in die neue Struktur über. Die GSoA tritt seit Jahren mit dem Anspruch an, die Abschaffung der Armee voranzutreiben. Dabei hat sie aus Gründen der Glaubwürdigkeit mit wenigen Ausnahmen darauf verzichtet, sich mit konkreten Armeefragen auseinanderzusetzen. Die Argumentation, die mit dem vorliegenden Vorschlag verbunden ist, mag für viele GSoA-tInnen ungewohnt sein. Das allein spricht aber noch nicht gegen sie, im Gegenteil: Die GSoA kann sich – gerade wenn es ihr mit der Abschaffung ernst ist – eine diesbezügliche Abstinenz schlicht nicht mehr leisten.

 

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