Zumutung

Das Erscheinungsbild der letzten Nummer der GSoA-Zitig provozierte eine ganze Reihe vornehmlich negativer Reaktionen. Haben wir eigentlich nicht mehr alle Tassen im Schrank?

«Die Linke ist bilderfeindlich», schrieb Martin Heller, Leiter des Zürcher Museums für Gestaltung, anlässlich der Plakatausstellung «Hoffnung und Widerstand» vom September dieses Jahres. Die Linke, so Heller, habe die Entwicklungen in der visuellen Kommunikation verpasst. Sie ignoriere die Bedeutung ästhetischer Fragen und die Möglichkeiten aktueller Vermittlungsstrategien. In der WoZ vom 10. September machte er für die konservative Bildsprache der Linken unter anderem überhöhte ideologische Ansprüche verantwortlich.

Es stimmt schon: Was soll man sich auch um Ästethik kümmern, wenn es doch darum geht, aus dieser Welt eine bessere zu machen? Politik ist ein gnadenlos unschönes Alltagsgeschäft. Der Schöngeist in uns muss sich mit sonntäglichen Museumsbesuchen und gelegentlichen Griechenland-Reisen begnügen.

Spielereien …

Seit Jahr und Tag informieren wir GSoA-Zitigs-MacherInnen in unserer Publikation über die aktuellen Diskussionen in der Sicherheitspolitik, über die Entwicklung der Friedensbewegung und über unsere eigenen Projekte «Armeeabschaffung» und «Ziviler Friedensdienst». Sehr politisch, sehr «inhaltlich» und manchmal sogar kontrovers. Reaktion: quasi Zero. Gelegentliche Zweifel, ob überhaupt jemand all die vielen Buchstaben liest … Dann (wir verkünden weiterhin ungefähr diesselbe politische Frohbotschaft) verändert unsere Zeitung das Aussehen, bricht mit Lesegewohnheiten, irritiert den routinierten Blick aufs Bekannte – und siehe da: Es hagelt Kritik. Ästhetik ist eben doch mehr als eine Formsache.

Die letzte GSoA-Zitig mit ihrer schwer lesbaren, «japanoiden» Titel-Typografie war wohl eine besondere Zumutung. «Ich würde eher ihre Graphiker als die Armee auf den Mond schiessen», e-mailte uns Alain Gabus aus Köniz, und sprach damit offenbar vielen LeserInnen aus der Seele. Der Schriftsteller August E. Hohler retournierte die Zeitung mit der Bemerkung: «Das kann ich nicht lesen. Ein unmögliches Design.» H.E. Rüegger aus Ellenmoos fühlte sich von den Schriftzeichen gar «angeekelt» und warf «die Zeitung ungelesen zum Altpapier».

Mehrere LeserInnen bemängelten, dass «die grafischen Spielereien voll zu lasten des Inhalts [gehen], da sie einem vom Lesen abschrecken» (z.B. Christine Valentin aus Basel). «Wenn jetzt die Form zum Inhalt wird, brauche ich die Zeitung auch nicht mehr», meinte etwa Jean Rey-Bellet (Muttenz), und Beat Zwinggi brachte seine Kritik folgendermassen auf den Punkt: «Ich hatte schon öfter das ungute Gefühl, dass ihr die Zeitung für Euch und nicht für den Leser macht. Seit KuhNo für die Zeitung posiert, findet man sich nur schlecht in der GSoA-Zitig zurecht. Ich bin der Meinung, dass gerade eine politische Gruppierung ihre Ideen und Ziele mit einfachen, dafür um so wirksameren Schlagzeilen an die Menschen heranbringen sollte.»

GSoA-intern hat die massive Kritik an der «Zitig» eine latent vorhandene Verunsicherung sichtbar gemacht. Eine Zeitung, die SympathisantInnen und potentielle SpenderInnen vergrault, kann sich wohl keine politische Organisation leisten. Ästhetische Experimente sind so gesehen ein Risiko.

… oder politischer Anspruch?

Die an der GSoA-Zitig geäusserte Kritik ist jedenfalls ernst zu nehmen, nicht nur weil sie teilweise von langjährigen SpenderInnen kommt. Trotzdem: Es ist keineswegs so, wie etwa Christine Valentin vermutet, dass einer Redaktion «der Inhalt … gar nicht mehr so wichtig» ist, wenn sie sich einige Zusatzgedanken zur Art und Weise seiner Vermittlung macht. Ganz im Gegenteil: «Form» und «Inhalt» stehen sowieso in einer engen Wechselbeziehung. Man kann sich über dieses Verhältnis gar nicht zu viel Gedanken machen.

Vor anderthalb Jahren hat sich der Tages-Anzeiger für teures Geld ein neues Erscheinungsbild verpasst. «Eine Zeitung muss aussehen wie eine Zeitung», verkündete die Chefredaktion. Und der Tagi lebt dieses Motto der reibungslosen «Lesbarkeit» Tag für Tag vor. Diese Zeitung ist – formal und inhaltlich – eine ständige Aufforderung an die LeserInnen, sich mit einer Weltwahrnehmung abzufinden, mit der sich viele andere schon abgefunden haben.

Gleichzeitig haben wir in der GSoA-Zitigs-Redaktion ein anderes Projekt gestartet. Es soll Irritationen und Widersprüche nicht ästhetisch einebnen, und es will die Welt nicht auf die Form des immer schon Bekannten reduzieren. Es ist dies ein Versuch, einen Aspekt unseres politischen Anspruchs auch beim Zeitungs-Machen umzusetzen: anzuregen und aufzuregen.

Ein politisch engagierter Freund erklärte mir, er habe die letzte GSoA-Zitig nicht gelesen, weil die Titel so mühsam zu entziffern gewesen seien. Wozu so etwas gut sein solle, fragte er mich. Ich konnte es ihm nicht gleich sagen. In der sich daraus ergebenden Diskussion haben wir aber viel über unsere eigenen Lesegewohnheiten und Textansprüche herausgefunden. «Immerhin», meinte ich schliesslich, «macht einem diese Zeitung bewusst, wie gerne auch wir aufgeklärten, linken Polit-Cracks uns von attraktiven Headlines verführen lassen.»

Was meinen Sie dazu?

Im eingangs erwähnten WoZ-Artikel beklagte Museumsdirektor Heller, die Linke spreche dem Bild «jede Rafinesse, jede dysfunktionale, überschüssige, delirierende Dimension ab». An den letzten GSoA-Zitigen müsste Herr Heller eigentlich seine helle Freude haben. Aber wir wollen ja nicht ins Museum, sondern Politik machen. Wenn wir für unsere LeserInnen allzu dysfunktional und delirierend sind, dann müssen wir uns eben etwas anderes überlegen. Oder was meinen Sie dazu?