Friedenspolitisches Nein zum EUFOR-Einsatz

Im Vorfeld der Nationalratsdebatte vom 16.12.2004 zur Beteiligung von 20 Schweizer Soldaten an der Eingreiftruppe der europäischen Union (EUFOR) in Bosnien-Herzegowina legten heute an einer Medienkonferenz GegnerInnen des Einsatzes dar, welche friedenspolitischen Gründe gegen die Entsendung von Schweizer Soldaten sprechen.

Ruth-Gaby Vermot-Mangold, Nationalrätin SPS und Präsidentin der Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz erklärte, dass die Herausforderungen in Bosnien-Herzegowina nicht militärischer Natur sind: «Ein Beitrag der Schweiz zur Entwicklung von demokratischen Institutionen und einer politischen Perspektive sowie zur Minenräumung ist hundertfach sinnvoller als die symbolische Entsendung von 20 Schweizer Soldaten.»

Josef Lang, Nationalrat Alternative Zug und Mitglied der SiK NR, wendete sich ebenfalls gegen den Einsatz: «Bosnien braucht keine Schweizer Armee. Aber die Schweizer Armee braucht Bosnien. Wer Soldaten nach Bosnien sendet, verhält sich sehr wohl solidarisch, aber nicht mit den bosnischen Menschen, sondern mit den eidgenössischen Militärs.» Zudem sei es eine «Respektlosigkeit gegenüber der Volksvertretung», dass die Schweizer Armee die Soldaten bereits vor dem Entscheid des Nationalrates in das Land geschickt habe.

Barbara Müller, Mitarbeiterin des Christlichen Friedensdienstes cfd, schilderte die Probleme der Region aus der Sicht ihrer ProjektpartnerInnen: «Den momentan grössten Unsicherheitsfaktor bilden denn auch nicht ethnische Gruppierungen oder die RückkehrerInnen, sondern die gewalttätigen Mafiastrukturen, die sich seit dem Ende des Krieges im Land ausgebreitet haben und den Drogen-, Menschen- und Frauenhandel sowie die Geldwäscherei kontrollieren. Solche Strukturen müssen aber auf einer juristischen und polizeilichen Ebene angegangen und können nicht von ausländischem Militär bekämpft werden.»

Renate Metzger-Breitenfellner, Journalistin, stellte fest, dass die Schweiz widersprüchlich argumentiere, da sie einerseits das Land als sicher bezeichne, um Flüchtlinge zurückzuschicken, andererseits die Schweizer Armee in die Region entsende: «Ich finde es völlig unverantwortlich, Menschen in dieses Land zurückzuschaffen, die erstens keine Ahnung haben, was sie dort erwartet ? und die wenig Aussicht auf einen Arbeitsplatz und ein Einkommen haben.»

Stefan Luzi, GSoA-Sekretär, argumentierte: «Der EU-Einsatz ist Ausdruck einer Tendenz der Marginalisierung der Vereinten Nationen: Westliche Länder operieren nicht mehr im Rahmen der Uno, sondern in eigenem Namen und unter eigenem Kommando.» Das sei eine gefährliche Entwicklung und widerspreche der Schweizer Aussenpolitik mit dem Ziel der Stärkung der Uno.

 

Redebeitrag von Ruth-Gaby Vermot-Mangold, Nationalrätin SP und Präsidentin der Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz (GfbV)

Wirtschaftliche und politische Entwicklung statt Schweizer Soldaten für Bosnien-Herzegowina

«Die Entsendung von einsatzerfahrenen Schweizer Stabsoffizieren und Liasion and Observation Teams ermöglicht einen äusserst wertvollen Wissens- und Erfahrungsgewinn zugunsten unserer militärischen Friedensförderung.»

«Die Schweizer Teilnahme an der EUFOR trägt auch dazu bei, das Defizit in friedensunterstützenden Operationen im Vergleich zu anderen europäischen Staaten zu verringern.»

Mit diesen Argumenten begründet der Bundesrat die Entsendung von Schweizer Soldaten in die EUFOR-Truppe nach Bosnien-Herzegowina. Dass der Einsatz der Schweizer Armee nützen soll, wird damit offensichtlich. Doch sollen die Schweizer Soldaten auch der bosnischen Zivilbevölkerung nützen? Es fällt dem Bundesrat schwer, in seiner Botschaft einen solchen “Nutzen” überzeugend darzulegen. Zwar spricht die Botschaft zwei der grössten Probleme des Landes an – die Verminung und die ethnische Teilung des Landes. Es geht jedoch nicht um die Frage, wie die Bevölkerung mit diesen beiden Themen umgeht, sondern darum, ob dadurch die Sicherheit der Schweizer Soldaten gefährdet sei. Der Bundesrat stellt gar fest, dass die ethnische Teilung die Schaffung einer gesamtbosnischen Armee «noch für geraume Zeit» verhindern würde und bosnische Streitkräfte daher kein «direktes Bedrohungspotenzial für die EUFOR darstellen» (!). Die bosnische Zivilbevölkerung wird dann erwähnt, wenn es um die Rückschaffung geht: So streicht der Bundesrat heraus, dass «die internationale Militär- und Zivilpräsenz in Bosnien-Herzegowina» der vergangenen Jahre eine massgebliche Voraussetzung für die Ermöglichung der Rückkehr von Tausenden von bosnischen Asylbewerbern und Flüchtlingen aus der Schweiz in ihr Herkunftsland» war.

Die bosnische Zivilbevölkerung hat ihre eigenen Vorstellungen über Frieden, Versöhnung und den Aufbau des Landes. Ich diskutiere diese Frage immer wieder mit meiner Kollegin Fadila Memisevic, Präsidentin der bosnischen Sektion der Gesellschaft für bedrohte Völker. Sie ist heute noch dankbar, dass unmittelbar nach Krieges internationale Truppen deskalierend eingegriffen und dazu beigetragen haben, neue Explosionen von Spannungen und neue Kämpfe und Uebergriffe zu unterbinden. Heute äussern jedoch viele Menschen in BiH Zweifel über den Sinn der Truppenpräsenz. Viele meinen, dass die Soldaten nun nichts mehr beitragen können bei der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Fadila Memisevic – sie, die unter Gefahr seit Jahren aktiv gegen die Kriegsverbrecher kämpft, die noch immer unbehelligt im Land leben – sagt, dass die internationalen Truppen in Bosnien-Herzegowina einzig noch zur Verhaftung der Kriegsverbrecher Mladic und Karadzic gebraucht würden. Aber ausgerechnet an dieser dringenden Aufgabe sind die Truppen in den letzten Jahren aus obskuren Gründen immer wieder gescheitert. Als regelmässige Besucherin von BiH wundere ich mich denn auch über die Unmengen Soldaten, deren Aufgaben häufig nicht ersichtlich sind. Kollegin Memisevic verdeutlich in ihren Erklärungen wo es den BewohnerInnen von BiH wirklich mangelt. Sie brauchen die Unterstützung in der Erarbeitung einer politischen Perspektive. Eine neue Verfassung für das Land tut not. Zwingend ist die Hilfe für Rückwanderer, deren Häuser noch immer zum Teil zerstört oder von anderen Personen bewohnt werden. Es braucht den Aufbau von zivilgesellschaftlichen Organisationen und zwingend sind auch unabhängige Medien. Das Minenproblem bleibt akut und immer wieder werden Menschen, vor allem auch spielende Kinder getötet, denn die rotweiss gestreiften Plasikbänder um Minenbänke herum werden von Wind und Wetter zerstört und oft nicht mehr ersetzt. Auf eine Arbeitslosigkeit von mehr als 40%, einer raschen Entwicklung des Graumarkts und – in Zusammenhang mit den stationierten Truppen – der massiven Zunahme der illegalen Prostitution, ist die Stationierung von Soldaten keine Antwort. Es braucht vielmehr eine gezielte wirtschaftliche Entwicklung und die Hilfe anderer Länder, sonst schafft Bosnien keinen wirklichen Fortschritt. Gelder müssen dabei direkt vor Ort investiert werden, zum Beispiel in kleine Fabriken und Produktionsbetriebe. Die Schweiz verfügt ausserdem über wichtige Kompetenzen in der aktiven Friedensförderung und in der Entwicklung von demokratischen Institutionen. Diese könnten in Bosnien-Herzegowina heute dazu beitragen, eine politische Perspektive zu entwickeln, von der alle profitieren. Ein solcher weiterer Beitrag der Schweiz ist daher hundertfach sinnvoller als die symbolische Entsendung von 20 Schweizer Soldaten.

 

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Redebeitrag von Josef Lang, Nationalrat Grüne, GSoA-Aktivist

Nicht Soldaten, sondern Minenräumer und Staatsrechtler braucht das Land

Bosnien braucht keine Schweizer Armee. Aber die Schweizer Armee braucht Bosnien. Wer Soldaten nach Bosnien sendet, verhält sich sehr wohl solidarisch, aber nicht mit den bosnischen Menschen, sondern mit den eidgenössischen Militärs. (Wer die bundesrätliche Botschaft zur Bosnien-Mission genau, das heisst kritisch liest, findet diese Einschätzung bestätigt.)

Bosnien hat grosse Probleme, zu deren Lösung es unsere personelle und finanzielle Solidarität braucht.

Die militärische Sicherheit gehört nicht zu diesen Problemen. Der Bundesrat selber hat Mitte letztes Jahr Bosnien-Herzegowina zu einem «Safe Country» erklärt. Tatsächlich gibt es eine starke Zunahme der Rückkehrerinnen und Rückkehrer. Allein im Jahre 2003 waren es 45’315 Personen. (Wenn es um das Rücksenden von Flüchtlingen geht, gilt Bosnien als sicheres Land. Wenn es um das Entsenden von Soldaten geht, gilt es als unsicheres Land?)

Das grösste Sicherheitsproblem in Bosnien-Herzegowina ist die Verminung. Wenn die Schweiz, die gerade in der Minenräumung hoch qualifiziert ist, etwas zur höheren Sicherheit der Menschen beitragen will, dann baut sie nicht das militärische, sondern das humanitäre Engagement aus. Die beschleunigte Rückkehr von Flüchtlingen erfordert eine Beschleunigung bei der Entminung. Solange die Felder vermint sind, können sie nicht bewirtschaftet werden. Solange die Menschen nicht auf die Felder gehen können, haben sie keine Existenzgrundlage, kann sich die (Land-)Wirtschaft nicht entwickeln. (Die Arbeitslosenrate in Bosnien-Herzegowina beträgt 41 Prozent.)

Statt ihr Engagement in der humanitären Minenräumung auszubauen, hat es die Schweiz in den letzten Jahren abgebaut. Um den echten Sicherheits-Problemen der Menschen in Bosnien-Herzegowina gerecht zu werden, reiche ich diese Woche im Nationalrat ein Postulat für einen signifikanten Ausbau der humanitären Minenräumung in Bosnien-Herzegowina ein. (Allein am letzten Donnerstag habe ich 80 Unterschriften gesammelt. Heute Nachmittag sammle ich weiter. Siehe beiliegendes Postulat Humanitäre Minenräumung in Bosnien!)

Auch zur Lösung des grössten politischen Problems von Bosnien-Herzegowina, der staatlichen Neustrukturierung, könnte die Schweiz aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen einen fruchtbaren Beitrag leisten. Bosnien-Herzegowina leidet wegen dem fremdbestimmten Dayton-Abkommen unter einem schwerwiegenden Konstruktionsfehler: die Zweiteilung in eine serbische Republik und eine bosnjakisch-kroatische Föderation, die selber wieder zweigeteilt ist. Hätte man in der Schweiz 1848 oder 1874 den gleichen Fehler gemacht und sie in eine alemannische Republik und eine französisch-italienische Föderation aufgeteilt, wäre sie spätestens im Ersten Weltkrieg auseinander gebrochen. Dieser Verweis auf die Schweiz ist nicht zufällig. Es gibt in der laufenden Verfassungsdiskussion in Bosnien-Herzegowina kaum einen Reformvorschlag, der ohne Verweis auf das schweizerische Modell des Föderalismus auskommt. Was an unserem Modell attraktiv ist für Bosnien-Herzegowina, ist die Drei-(statt Vier-)teilung in Bund, Kantone und Gemeinden, wobei insbesondere die Kantone sprachliche, ethnische, konfessionelle Grenzen überlappen und überwinden. Minenräumer sowie Staatsrechtler und nicht Soldaten braucht das kriegsversehrte Land.

Warum will die Schweiz «ums Verrecken» teure Soldaten, die Bosnien gar nicht nicht braucht, entsenden? Die Schweizer Armee leidet unter einem schweren Legitimäts-Defizit, das ihr viel mehr zusetzt als das Bundes-Defizit. Die Grenzverteidigung ist anachronistisch geworden. Zur Bekämpfung des Terrorismus ist sie ungeeignet. Und die innere Sicherheit ist eine Polizeiaufgabe. Eine Institution, der im Inland die Arbeit auszugehen droht, sucht sich im Ausland neue Jobs. (Siehe dazu die Parlamentarische Initiative der Grünen Fraktion «Moratorium für militärische Auslandeinsätze» vom 20.9.2004)

Selbst wer die Einschätzung nicht teilt, dass die bosnischen Sicherheitsprobleme nicht militärischer Natur sind, muss den helvetischen Militäreinsatz in Frage stellen: Erstens: Was für ein Signal sendet ein Land wie die Schweiz aus, wenn es sich unter das Kommando einer britischen Armee stellt, die das Völkerrechts auf schwerwiegendste und verhängnisvollste Art verletzt hat? Die Botschaft lautet: Völkerrechtsverletzung ist (selbst wenn sie 100’000 Tote zur Folge hat) ein Kavaliersdelikt! Ein militärischer Einsatz unter britischem Kommando wäre eine Hypothek für eine Aussenpolitik, welche sich die Verteidigung des Völkerrechts auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Ist das nicht ein etwas hoher politischer Preis für ein militärisches Engagement, dessen Bedeutung ohnehin mehr symbolisch als real ist? Zweitens: Soll ein Land, das seit 157 Jahren keinen Krieg mehr führen musste, das Kriegshandwerk (in dem es glücklicherweise wenig Erfahrung hat) oder nicht gescheiter das Friedenshandwerk exportieren? In diesem verfügt die Schweiz gerade in jenen Bereichen, die Bosnien-Herzegowina dringend benötigt, über sehr hohe Kompetenzen. Zum Schluss noch dies: Der Nationalrat entscheidet am Donnerstag über die Entsendung von Soldaten nach Bosnien-Herzegowina. Aber diese Soldaten sind bereits seit anfangs November dort. Das ist eine klare Gesetzesverletzung, denn ein «dringender Fall» (MG 66b 4) liegt hier eindeutig nicht vor. Das ist weiter eine ungeheuerliche Respektlosigkeit gegenüber der Volksvertretung. Wenn diese etwas auf sich hält, dann lehnt sie den Bosnien-Einsatz allein aus diesem Grunde ab.

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Redebeitrag von Barbara Müller, christlicher friedensdienst (cfd)

Handeln statt beobachten

Der cfd ist eine feministische Friedens- und Entwicklungsorganisation. Wir unterstützen seit 1993 Frauen-Empowermentprojekte in Bosnien. Diese bieten der vom Krieg besonders hart getroffenen Bevölkerungsgruppen, speziell Frauen und Betagten, psychosoziale Unterstützung und werden von der DEZA ko-finanziert.

Ich werde im Folgenden aus einer friedenspolitischen Perspektive aufzeigen, weshalb der cfd und seine Projektpartnerinnen in Bosnien eine Militärpräsenz ablehnen auch wenn deren Aufgabe nur das Beobachten, oder, wie es der Bundesrats formuliert, das Abschrecken ist und darlegen, was wir uns statt dessen für ein Schweizer Engagement beim Wiederaufbau dieses Landes wünschen.

Nach dem Abkommen von Dayton vor neun Jahren besetzte eine 60 000 Mann starke NATO-Truppe das Land. Damit war zwar offiziell der Krieg zu Ende, nicht aber die Militarisierung des öffentlichen und privaten Lebens. So berichten unsere Projektpartnerinnen darüber, dass vor allem für Frauen und explizit haben sie die Frauen von Srebrenica erwähnt die Begegnung mit dem ausländischen Militär psychische Wunden und Traumas jedesmal neu aufbrechen lassen. Häusliche Gewalt, vor allem auch von Söhnen gegen ihre Mütter, hat zugenommen seit dem Ende des Krieges. Dies ist vielleicht keine unmittelbare Auswirkung der ausländischen Militärpräsenz, sondern vielmehr des Krieges an sich Schutz vor dieser Art von Nachkriegs-Gewalt können die internationalen Truppen den Frauen aber nicht bieten. Noch weniger helfen sie den gewalttätigen Männern, über ihr Verhalten nachzudenken und ihre eigenen Verletzungen aufzuarbeiten, sondern sie portieren im Gegenteil ein militaristisches Männerbild.

Unsere Projektpartnerinnen sprechen davon, dass es im Moment aus militärisch definierten Sicherheits gründen keine Eufor- und auch keine Schweizer Militärpräsenz braucht. Sie glauben nicht, dass es, wie dies im Kosovo Anfang des Jahres der Fall war, zu gewalttätigen ethnischen Auseinandersetzungen kommen wird, bzw. sie gehen davon aus, dass die einheimischen Armeen in den beiden Entitäten dank ihrer mittlerweile guten Koordination einen solchen Konflikt schlichten können. Solche, auch mit den internationalen Truppen koordinierte Aktionen haben dazu geführt, dass eine breite Entwaffnungskampagne relativ erfolgreich durchgeführt werden konnte. Den momentan grössten Unsicherheitsfaktor bilden denn auch nicht ethnische Gruppierungen oder die RückkehrerInnen, sondern die gewalttätigen Mafiastrukturen, die sich seit dem Ende des Krieges im Land ausgebreitet haben und den Drogen-, Menschen- und Frauenhandel sowie die Geldwäscherei kontrollieren. Solche Strukturen müssen aber auf einer juristischen und polizeilichen Ebene angegangen und können nicht von ausländischem Militär bekämpft werden.

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Redebeitrag von Renate Metzger-Breitenfellner, Journalistin

Schweizer Soldaten nützen BiH nicht

Ich möchte zwei Dinge vorwegschicken: Ich habe als Journalistin in den letzten beiden Jahren sechs Wochen lang Bosnien und Herzegowina bereist – war dabei nicht nur in Sarajevo, sondern auch in Mostar, Banja Luka, Sanski Most und Srebrenica.
Ich verstehe mich nicht als Bosnien-Spezialistin. Aber ich habe sehr viel gesehen, mit vielen Menschen gesprochen, habe ihre Probleme und Nöte kennen gelernt. Und ich möchte Ihnen hier kurz von meinen Eindrücken erzählen.

Im vergangenen Oktober war ich acht Tage lang in Srebrenica. Ich habe eine Stadt kennen gelernt, in der von Wiederaufbau fast nichts zu sehen ist. Meine Damen und Herren, es gibt in Srebrenica wenig schöne Häuser: eine skandinavische Fabrik, die laut Informationen der Gesellschaft für bedrohte Völker ausschliesslich Serbinnen und Serben beschäftigt, eine Tankstelle, die Polizeistation, das Gemeindehaus, eine Kirche, eine Moschee und ein Restaurant. Dort, wo einst die Altstadt von Srebrenica war, haben wir Holz gesehen und Abfallberge. Srebrenica wirkt wie eine Geisterstadt: Viele Häuser sind verlassen, wenige wiederaufgebaut. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 90 Prozent, die Menschen haben wenig Hoffnung, keine Perspektive.

Die Schweiz will die Eufor-Truppen verstärken – und hat zu diesem Zweck bereits Anfang November 20 Soldaten nach Bosnien und Herzegowina geschickt. Zur Sicherung des Friedens. Gleichzeitig sollen etwa 150 Personen aus der Region Srebrenica in ihre Heimat zurückgeschafft werden. Für mich ist das ein Widerspruch. Weil Menschen nur dann zurückgeschickt werden, wenn das Land sicher und stabil ist – und weil dann ja andererseits keine Truppen mehr nötig sein sollten, um diese Stabilität zu gewährleisten. Ich hoffe, dass Sie mich nicht falsch verstehen: Ich glaube auch, dass Anstrengungen unternommen werden müssen, den Frieden in dieser Region zu sichern. Aber dazu gäbe es andere Mittel als militärische. Und ich finde es völlig unverantwortlich, Menschen in dieses Land zurückzuschaffen, die erstens keine Ahnung haben, was sie dort erwartet – und die wenig Aussicht auf einen Arbeitsplatz und ein Einkommen haben.

Bosnien und Herzegowina hat den Safe-Country-Status, vor einigen Monaten ist der millionste Rückkehrer gefeiert worden. Ob diese Rückkehr ein Grund zum Feiern ist, scheint mir – um es vorsichtig auszudrücken – fraglich. Denn von Aufschwung, Wiederaufbau, ökonomischer und sozialer Stabilität ist das Land weit entfernt. Das Abkommen von Dayton hat viel versprochen und wenig gehalten – und speziell in Srebrenica ist das Massaker von 1995 nicht Geschichte, sondern immer noch sehr präsent. Zwischen bosniakischen und serbischen Menschen gibt es wenig Vertrauen. Dazu kommt oft noch der Neid: gegenüber denen, die Wiederaufbauhilfe, die ein Haus, eine Kuh erhalten haben – und gegenüber all jenen, die die letzten Jahre im Ausland verbracht, «ein gutes Leben» geführt haben. In Deutschland, Österreich, Schweden – und der Schweiz.

Trotz all dieser Schwierigkeiten: Ich bin davon überzeugt, dass Bosnien und Herzegowina und Srebrenica keine Soldaten aus der Schweiz brauchen: Sie brauchen zivile Friedensförderungs -und erhaltungsmassnahmen, brauchen Geld und Unterstützung für Entminungs- und Wiederaufbauprogramme, sie brauchen keine Kirchen und Moscheen, sondern Investoren und Arbeitsplätze.

Es ist unbedingt nötig, dass sich sowohl die internationale Gemeinschaft als auch die Schweiz weiterhin in Bosnien und Herzegowina engagieren. Damit sich das nicht erfüllt, was mir Rene Holenstein, der Deza-Koordinator in Sarjavo, im Rahmen eines Interviews prognostiziert hat: «Bosnien befindet sich auf dem Weg in Richtung Dritt-Welt-Standard: Das Lohnniveau ist im Durchschnitt auf die Hälfte des Vorkriegsniveaus gesunken, die Industrie kann man vergessen, das Land verarmt rapide.»

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Redebeitrag von Stefan Luzi, Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA

Der EUFOR-Einsatz verhindert eine Stärkung der Uno

Wer die militärischen Integrationsschritte der Europäischen Union in den letzten Jahren beobachtet hat, kann keinen Moment daran zweifeln: Hier ist eine neue Macht am Entstehen, die sich – wie alle Institutionen das zu Beginn ihrer Entstehungsgeschichte tun – profilieren und legitimieren will. Nachdem die Widerstände der USA gegen die EU-Armee durch die enge Kooperation mit der NATO eingedämmt werden konnten, hat sich die EU sogleich daran gemacht, als neuer militärischer Akteur aufzutreten. Der Einsatz in Bosnien-Herzegowina ist nach den Einsätzen in Mazedonien (ohne Uno-Mandat) und in Kongo bereits die militärische dritte Intervention der EU. Dass die EU in Bosnien die NATO ablöst, ist sinnbildlich für eine generelle Aufteilung des Einflussbereiches zwischen diesen beiden Organisationen. Aussen vor bleibt dabei die Uno. Sie hat zwar die Möglichkeit, den Einsätzen der EU und der NATO ein Mandat zu erteilen, bleibt aber, was die Kontrolle, Zieldefinition und Leitung des Einsatzes betrifft, ohne Einfluss.

Der Einsatz in Bosnien setzt damit eine Entwicklung der letzten Jahre fort. Wurde die Uno nach dem Ende des Kalten Krieges noch mit einiger Hoffnung als Organisation betrachtet, die – legitimiert durch die Teilnahme fast aller Länder dieser Welt – ein globales System der Friedenssicherung aufbauen könnte, so haben sich diese Hoffnungen zerschlagen. Viele Länder beteiligen sich heute fast ausschliesslich nicht mehr im Rahmen von Uno-Missionen, sondern nur noch an Interventionen, die unter eigenem Namen, im eigenen Interessensgebiet und unter eigenem Kommando stattfinden. Die Konsequenz daraus ist nicht nur, dass der Uno damit immer mehr Soldaten für ihre eigenen Einsätze fehlen und dass die Entwicklung zu einem regelrechten Wildwuchs von regionalen Sicherheitsbündnissen mit fragwürdiger Legitimation geführt hat, sondern auch, dass solche Einsätze die Autorität der Uno als zentrale Organisation zur Durchführung von internationalen Friedensbemühungen untergraben.

Umso bedauerlicher ist, dass die Schweizer Armee in den letzten Jahren kaum je eine Bereitschaft gezeigt hat, sich im Rahmen der Uno an Blauhelmeinsätzen zu beteiligen, sondern immer Einsätze im Rahmen der Nato (Kosovo, Afghanistan) und der EU angestrebt hat. Die symbolische Anzahl von 20 Soldaten, die auch deutlich macht, dass es in erster Linie darum geht, «dabei zu sein» soll der Schweizer Armee nun den Anschluss an die neue Macht EU-Armee sichern – und dem dazugehörigen Rüstungsmarkt. Für dieses Ziel sind dem VBS anscheinend alle Mittel recht: So hat sich Armeechef Keckeis kürzlich hinreissen lassen zu sagen, dass «die Schweiz auf dem Balkan verteidigt» werde…

Die BefürworterInnen von Schweizer Auslandseinsätzen im Rahmen der EU müssen sich daher die Frage gefallen lassen, ob sie mit der Stärkung der militärischen Komponente der EU nicht die Uno als völkerrechtlich legitimierte Organisation zur Durchführung internationaler Friedensbemühungen schwächen und ein globales System in Kauf nehmen, in dem Militärmächte in ihrem Interessensgebiet zunehmend eigenhändig militärisch operieren. Die Frage ist dringend, denn eigentlich hat sich die Schweizer Aussenpolitik dem Ziel einer Stärkung der Uno verschrieben – nicht einer Schwächung.

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