Resolution: Gegen die Ausdehnung des Zwangsdienstes

Gegen die Ausdehnung des Zwangsdienstes

Diese Resolution wurde von der Vollversammlung der GSoA am 03. Oktober 2021 verabschiedet.

Resolution: Gegen die Ausdehnung des Zwangsdienstes

Noch dieses Jahr will der Verein «Service Citoyen» die Volksinitiative «für einen Service Citoyen» lancieren, welche die Einführung eines obligatorischen Bürger*innendienstes für alle fordert. Im Gegensatz zum Status quo sollen Bürger*innen aller Geschlechter einen obligatorischen Dienst leisten. Die Dienstmöglichkeit ausserhalb des Militärdienstes («Milizdienst») würde diesem neu gleichgestellt. Über die Wahlfreiheit der Dienstart sowie darüber, was alles als Milizdienst eingestuft würde, gibt der Initiativtext widersprüchliche bzw. keine Angaben.

Laut dem Verein Service Citoyen soll die Initiative gelebte Solidarität herbeiführen, indem alle nach ihren Stärken einen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Zudem soll sie die Gleichstellung fördern. Was nach einer schönen Idee klingt, die mehrere Probleme auf einmal angehen möchte, ist letztlich leider weder ein gesellschaftlicher Fortschritt noch entspricht die Initiative den Zielen und Vorstellungen der GSoA.

Das Prinzip «alle nach ihren Stärken» wird aus mehreren Gründen kaum umsetzbar sein. 2020 wurden 5’254 Personen zum Zivildienst zugelassen. Bereits heute ist das Finden von geeigneten Stellen für viele Zivis eine schwierige Angelegenheit. 2030 werden rund 80’000 junge Menschen das Erwachsenenalter erreichen, die nach der Annahme der Initiative für einen Bürger*innendienst aufgeboten werden würden. Einen passenden Diensteinsatz für all diese jungen Menschen zu finden, wird damit nicht einfacher. Wie schon erwähnt gibt der Initiativtext zudem keinen Anhaltspunkt, was als Milizdienst zählt und was nicht. Betreffend der Wahlfreiheit besteht keine Klarheit: Einerseits soll der Militärdienst dem Milizdienst gleichgestellt werden, was eine Wahlfreiheit bedingen würde. Auf der anderen Seite soll der Armee- und Zivilschutzbestand gesichert sein, was bedeutet, dass die Armee sich über den Wunsch der Dienstpflichtigen hinwegsetzen kann. Wie soll das Prinzip «alle nach ihren Stärken» verwirklicht werden, wenn der nötige Rahmen dafür nicht festgelegt wird? 

Viel eher hätte die Initiative zur Folge, dass viele junge Menschen beispielsweise im Bildungs- oder Pflegebereich eingesetzt werden, was wiederum den ohnehin schon vorhandenen Druck auf die Löhne erhöht. Wieso sollte jemand in einem Bereich, in dem es an Personal mangelt, jemand zu einem fairen Lohn einstellen, wenn man auch eine*n günstige*n Dienstleistende*n nehmen kann? Die Initiative birgt die Gefahr steigenden Lohndumpings. 

Die Initiative impliziert, dass zu wenig Milizengagement in unserer Gesellschaft vorhanden sei. Jedoch leisten Schweizer*innen bereits heute sehr viel Arbeit in Vereinen, im politischen Bereich, in der Feuerwehr, in freiwilligen Einsätzen bei Organisationen, im Bereich der Care-Arbeit etc. und wenden grosse Teile ihrer Freizeit dafür auf. 2016 wurden insgesamt 664 Millionen Stunden Freiwilligenarbeit von Schweizer*innen geleistet. Die Anerkennung eines solchen Engagements als Miliztätigkeit könnte einen Dienst tatsächlich aufwerten. Zwangsdienste sind dafür aber nicht geeignet, im Gegenteil. Ausserdem ist es in unserem bürgerlichen Parlament eher unwahrscheinlich, dass bei der Umsetzung dieser Initiative ein solch breites Verständnis von Milizengagement zur Anwendung käme.

Auch das Gleichstellungsargument ist deplatziert. Solange die Gleichstellung der Geschlechter nicht Tatsache ist, gibt es keine Rechtfertigung für einen obligatorischen Dienst für Frauen. Es ist auch völlig falsch anzunehmen, dass Frauen keinen Dienst an der Gesellschaft leisten, nur weil sie aktuell von der Dienstpflicht ausgenommen sind. Der Löwinnenanteil von bezahlter sowie unbezahlter Care Arbeit wird von Frauen gestemmt. Die gesamte unbezahlte Arbeit der Frauen hat einen monetären Wert von 242 Milliarden Franken. Mit einem auf alle Menschen ausgedehnten Zwangsdienst wird nicht mehr Gleichstellung erreicht. Es würde lediglich die nachteilige Situation der Dienstpflicht für Männer auf Frauen ausgeweitet. Man würde ja auch nicht alle Männerlöhne senken, um damit die Lohngleichheit zu erreichen. 

Ob mit oder ohne Initiative: Das VBS stellte bereits Überlegungen zur Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems an. Dabei wurden vier Modelle präsentiert, wobei eines davon dem Bürger*innendienst sehr nahekommt. Ein Problem, welches das VBS selbst äussert, wird bei «Service Citoyen» nicht erwähnt: Die Idee des Bürger*innendienstes verstösst gegen den UNO-Menschenrechtspakt, den die Schweiz mitunterzeichnet hat und in dem ein Zwangsarbeitsverbot festgehalten ist. Konsequenterweise wäre die Initiative also sogar für ungültig zu erklären.

Wie bereits angedeutet garantiert die Initiative darüber hinaus explizit die Sicherung der Bestände der Armee und reiht sich damit in das Narrativ der unterbesetzten Armee ein. Es sei bemerkt, dass die Armee bei einem Sollbestand von 100’000 Soldaten einen Effektivbestand von über 140’000 Soldaten aufweist (2020). Mit dieser Initiative würde die Armee letztlich also noch gestärkt. Mehr Menschen als bisher würden in einer ihrer wichtigsten Lebensphase zu einem Dienst gezwungen. Dies wiederum lässt weniger Zeit offen für jenes gesellschaftliche Engagement, das bereits freiwillig geleistet wird. Deshalb lehnt die GSoA die Volksinitiative «Service Citoyen» ab.

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