Alternatives Symposium

 

Begrüssung: Viele Gründe für eine Gegentagung

Von Roland Brunner, GSoA

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde

  • Fast zehn Jahre ist es her, dass der wirtschaftliche, soziale und politische Zerfall des ehemaligen Jugoslawien in eine Reihe von Nachfolgekriegen um Macht und Herrschaft eskalierte. Zehn Jahre, in denen die internationale Gemeinschaft von einem militärischen trouble-shooting zum nächsten, von einem Waffenstillstandsabkommen zur nächsten Militärdrohung eilte. Von einer politischen Lösung der Konflikte sind wir weit entfernt. Dass das Abkommen von Dayton Teil des Problems und nicht der Lösung ist, wissen heute alle, wagt aber kaum jemand laut zu sagen.
  • Fast auf den Tag genau ein Jahr ist es her, dass die Nato mit Bombenangriffen aus 5000 Metern Höhe versprach, im Kosovo@ Frieden und Menschenrechte durchzusetzen. Mit der Begründung, einen neuen Völkermord zu verhindern, wurde internationales Recht gebrochen. Dass die damals herumgebotenen Zahlen von Hunderttausenden von Toten, Vergewaltigten und Gefolterten reine Legitimationspropaganda waren, ist jetzt offensichtlich. Lehren daraus werden aber nicht gezogen. Dass man nicht einfach oben Bomben runterlassen kann und unten Frieden und Respekt vor Menschenrechten herauskommt, sollte inzwischen allen klar sein. Die Situation im Kosov@ heute zeigt, wozu militärisches Konfliktmanagement fähig ist – und wozu eben nicht.
  • Genau ein Monat ist es her, dass die NZZ unter dem Titel “Flucht ohne Ende” berichtete, dass vermehrt wieder Bosnien-Flüchtlinge illegal in die Schweiz zurückkommen, weil sie in ihrer zerstörten Heimat keine Überlebensperspektive haben (NZZ 23.2.200). Noch zwei Monate Zeit verbleiben, bis rund 70’000 Menschen aus dem Kosov@ die Schweiz verlassen müssen. Ob sie in ihrer vorherigen Heimat eine Bleibe und eine Zukunft haben, interessiert die Schweizer Politik nicht.
  • Zwei Wochen sind vergangen, seit die Mehrheit des Nationalrates für die Revision des Militärgesetzes grünes Licht gegeben hat. Grundsätzlich ist dieses Gesetz Ausdruck einer falschen Sicherheitspolitik. Zudem werden minimalste friedenspolitische Bedingungen in den Wind geschlagen: Ohne zwingendes UNO- oder OSZE-Mandat, ohne Beschränkung auf friedenserhaltende Missionen, ohne Begrenzung der Bewaffnung auf den Selbstschutz wird mit diesem Gesetz der Armee ein Blankoscheck für bewaffnete Auslandeinsätze ausgestellt.
  • Ebenfalls zwei Wochen ist es her, dass mit Vorschlägen für Arbeitsverbote und Abstrichen bei der Fürsorge für Asylsuchende die nächste Runde der institutionellen Asylverhinderung eingeläutet wurde.
  • Ganze drei Tage ist es her, dass der Ständerat mit 35 gegen 4 Stimmen die Umverteilungs-initiative zur Halbierung der Armeekosten runtergeputzt hat. Bundesrat Ogi qualifizierte sie als “überholtes Konzept von gestern”. Zitat: “Unser Departement hat schon massiv gespart. Wir bluten! Die Durststrecke muss ein Ende haben! (…) Die künftige Armee wird zwar klein, aber nicht billiger sein.” Folgerichtig sieht der Bundesrat im Legislaturprogramm “im Rüstungsbereich einen Nachholbedarf” und spricht von einer Ausgabensteigerung von 4 Prozent für die Armee.

Vertreter – auch hier fast ausschliesslich Männer – dieser militaristischen und migrationsfeindlichen Politik treffen sich in den nächsten beiden Tagen hier in Luzern auf Einladung des Europa-Forum und unter dem Patronat von Bundespräsident und Verteidigungsminister Adolf Ogi.

Derzeit stehen in Europa 1,9 Millionen Menschen – zum weitaus grössten Teil Männer – unter Waffen. Die Welt lässt sich Krieg und Rüstung jährlich 1200 Milliarden Franken kosten.

Es reicht! Es ist Zeit für Frieden und Gerechtigkeit, Zeit für ein soziales und solidarisches Europa. Um dieser Hoffnung Ausdruck zu geben, haben wir uns heute zu einer Gegentagung versammelt. Ich bedanke mich bei allen, die mit ihrer Anwesenheit dagegen protestieren, dass am offiziellen Europa-Forum Sicherheit fast ausschliesslich unter militärischen und migrationsfeindlichen Vorzeichen diskutiert wird und die hier und heute zeigen, dass es ein anderes Europa gibt – ein soziales und solidarisches.

Liebe Anwesende, vielen Dank, dass ihr gekommen seid. Ich wünsche uns allen eine gute und spannende Tagung.

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Für ein solidarisches und ziviles Europa

Eröffnungsansprache von Cécile Bühlmann, Nationalrätin des Grünen Bündnis Luzern

Wir sind heute hier zusammengekommen, um zu zeigen, dass es zu dem in den nächsten Tagen in Luzern stattfindenden Europaforum eine Alternative gibt. Wir manifestieren dass das, was dort über Sicherheitspolitik in Europa gedacht und gesagt werden wird, nicht unseren Vorstellungen von Sicherheit entspricht.

Jetzt könnte man uns vorwerfen, wir würden ohne besseres Wissen so etwas im voraus behaupten, wir sollten doch erst einmal abwarten, bevor wir urteilen. Ein Blick ins Programm der Veranstaltungen belegt, warum wir diese Befürchtungen hegen. Zusammensetzung und Themen des Forums sind so ausgewählt, dass nicht nur ganz wichtige Aspekte von Sicherheit, wie wir sie verstehen, fehlen, sondern sie zeigen ein Verständnis von Sicherheitspolitik, das selber zur Bedrohung der Sicherheit jener wird, die nicht zu den Habenden gehören, die nicht weiss und männlich sind.

So wird wieder einmal mehr Sicherheit von Männern definiert. Die Männer sind am Europaforum fast ganz unter sich, ganze zwei Frauen sind als Referentinnen eingeladen. Und von der einen der beiden, Benita Ferrero-Waldner sind kaum feministische Impulse zu erwarten, ist sie doch bisher nicht durch ihr frauenspezifisches Engagement in die Schlagzeilen geraten, sondern deshalb, weil sie als österreichische ÖVP-Aussenministerin mithilft, die Haiderpartei salonfähig zu machen. Und von der zweiten Referentin, Brigitte Brenner, weiss ich nur, dass sie Chefin Koordination für Sicherheitspolitik und staatliches Krisenmenagement im Bundeskanzleramt in Wien ist, also kaum jemand, der aus der Perspektive der durch spekulative Share holder-Wirtschaft und Ausgrenzung Betroffenen, Sicherheit definieren wird.

Im übrigen werden 35 Männer zu Wort kommen um zu definieren, was Sicherheit ist. Dabei sind für Frauen Männer das grösste Sicherheitsrisiko. Gewalt gegen Frauen im Alltag, Gewalt gegen Frauen in kriegerischen Auseinandersetzungen, Frauenhandel, Zwangsprostitution, Ausbeutung, Armut, das alles sind Folgen patriarchaler Rollenteilung. Und in Luzern wird morgen über Sicherheit debattiert von – wie es in der Einleitung heisst- namhaften Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Militär, ohne dass dies ein Thema sein wird. Ich kritisiere, dass das Forum so einseitig männerlastig zusammengesetzt ist. Man scheint bei den Organisatoren des Forums noch nie gehört zu haben, dass es gerade Frauen sind, die dies benennen. Man tut so, als ob es noch nie eine feministische Kritik an diesen Zuständen gegeben hätte!

Keine einzige Vertreterin einer NGO, die sich für die Anliegen der von Gewalt und ungerechten Wirtschaftsstrukturen betroffenen Frauen engagieren, ist als Referentin eingeladen. Wenn diese Perspektive gewünscht gewesen wäre, hätte sie sich problemlos finden lassen. Ich glaube, an diese Dimension hat schlicht und einfach niemand gedacht, sie kommt nicht vor im Mainstream patriarchaler Logik.

Dabei gäbe es dazu soviel zu sagen. Letzte Woche haben wir Parlamentarierinnen Vertreterinnen des Fraueninformationszentrums FIZ eingeladen, welche mit einer Petition an den Bundesrat gelangt sind, endlich dem Frauenhandel den Riegel zu schieben und von Gewalt betrofffene Frauen besser zu schützen. Statt dass diese Frauen bei uns durch Gesetze geschützt werden, liefern wir sie nämlich Zuhältern und mafiösen Banden geradezu aus, indem wir ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehren und sie nur sogenannte Artistinnenbewilligungen erhalten. Das ist eine schlecht kaschierte Heuchelei, geht es doch in Tat und Wahrheit um nichts anderes als um Prostitution. Wenn Frauen gegen ihre Menschenhändler klagen, haben sie keinen Zeuginnenschutz und werden ausgewiesen. Alle Versuche von uns feministischen Politikerinnen, diese Zustände abzuschaffen, sind am hartnäckigen Widerstand des Bundesrates und des Parlamentes bisher gescheitert und so klage ich die offizielle Politik der Komplizenschaft mit den Frauenhändlern an.

Aber darüber wird man im Europaforum morgen kaum sprechen. Dort ist Migration sowieso nur unter dem Aspekt der Gefährdung der Sicherheit ein Thema, steht doch in der Einleitung unter den Stichworten zur Sicherheitspolitik in Europa:

  • Kriminalität
  • Geldwäscherei
  • Migration

Durch das ständige in die Nähe rücken der Migration von negativen Phänomenen wie Kriminalität und Geldwäscherei wird diese zur Bedrohung, gegen die man sich durch Abschottung und Ausgrenzung, durch Militär und Polizei, schützen muss. Statt Migration als Notwendigkeit und Normalfall einer globalisierten Wirtschaftswelt zu definieren und menschenwürdige Bedingungen für Migrantinnen und Migranten einzufordern, werden sie zur Bedrohung unserer Sicherheit hochstilisiert, vor allem wenn sie von ausserhalb der EU kommen, aus dem unseligen dritten Kreis. Und da wundert man sich noch und entrüstet sich, wenn in Emmen und anderswo Leuten aus diesem dritten Kreis die Einbürgerung verwehrt wird!

Diesem Konzept von Sicherheit wollen wir mit der heutigen Veranstaltung unsere Vision eines Europas entgegenstellen, das menschenwürdige Bedingungen für alle Bewohnerinnen und Bewohner, unabhängig ihres Geschlechtes, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihres Alters schafft, eines Europas, das durch die Wahrung der Menscherechte und nicht durch hochgezogene Grenzzäune Furore macht, eines Europas, das durch nachhaltige Wirtschaft statt durch eine rücksichtslose Umverteilungspolitik auffällt, eines Europas, das für den Frieden auf der Welt durch sein Einstehen für Gerechtigkeit und Demokratie, statt durch Waffen, seinen Beitrag leistet.

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Für ein solidarisches, ziviles Europa

Von Peter Steyrer, Koordinator EU-Politik der Grünen im Europa-Parlament, bis Ende 1999 friedens- und sicherheitspolitischer Referent der Grünen im österreichischen Parlament

Demokratische Offenheit statt fremdenfeindliches Abwehr

Die Gegenbewegung gegen eine blau-schwarze Koalition hat sich nicht zufällig unter der zentralen Losung “Keine Koalition mit dem Rassismus” versammelt:

Diese Regierung in Wien unter dem konservativen Partei-Obmann Wolfgang Schüssel hat eine Null-Quote für Zuwanderer (selbst Familienzusammenführung wird unmöglich), eine Verschärfung der Bestimmungen hinsichtlich Einbürgerungen und die Etablierung des Saisonniermodells (halbjährige Arbeitsbewilligungen für Ausländer ohne Arbeitsrecht und soziale Sicherung ohne Status darüberhinaus) in ihrem Programm. So werden AusländerInnen in Zukunft Arbeitssklaven im österreichischen Wohlstandsparadies, das jetzt neoliberal aufgezwirbelt werden soll.

Blau-schwarz – immerhin sind die rechtsextremen Freiheitlichen zweitstärkste Partei geworden – daher ist von blau-schwarz zu sprechen, auch wenn den Schwarzen der Regierungschef eingeräumt wurde. Anders wäre eine ERSTMALIGE Regierungsbeteiligung der Führerpartei FPÖ von Jörg Haider auch völlig undenkbar. In diesem Sinne hat Wolfgang Schüssel den Türöffner für rechtsextreme Regierungsbeteiligungen in EU-Staaten aus höchstpersönlichem Machtstreben, einmal selbst Kanzler zu werden, gespielt.

Blau-schwarz bringt eine verstärkte Militarisierung:

Nato-Beitritt und eine Beistandsverpflichtung im EU-Vertrag sind im Regierungsprogramm fixiert. Waffenexport soll liberalisiert werden, die Nachrichtendienste des Heeres werden mit umfassenden Rechten ausgestattet werden.

ABER: BEREITS SEIT ZEHN JAHREN WAR ABSCHOTTUNG UND MILITARISIERUNG AM PROGRAMM DER ROT-SCHWARZEN KOALITION:

UND: Die EU hat diese Politik immer auch selbst betrieben. Schengen, Petersberg-Aufgaben, Euro-Korps! Wesentliche Schritte gegen demokratische Offenheit, Militarisierung und Neutralitätsaushöhlung waren:

A) Abschottung:

1991 völkerrechtswidriger Grenzeinsatz des Bundesheeres an der Ostgrenze gegen Flüchtlinge! Der Eiserne Vorhang wurde hier wiedererrichtet!

1991/92 Asylgesetz – Drittlandklausel;

1992/93 Aufenthalts und Fremdengesetz quotiert die Zuwanderung;

Die Asylzahlen sind von 1990: 22.000 im Jahr 1999 auf unter 1000 gedrückt worden.

B) Militarisierung:

Flüchtlingseinsatz an der Grenze hebt die Imagewerte des Heeres wesentlich; ebenso die Kämpfe in Slowenien und der Sicherungseinsatz des Bundesheeres an der Grenze.

Im 2.Golfkrieg 1991 werden US-Panzer gegen die Neutralitätsregeln durch Österreich durchgeführt.

Inzwischen nimmt Österreichs Militär sogar am Nato-Einsatz KFOR im Kosovo teil.

JETZT nachdem Schüssel die Führerpartei FPÖ unter Haider in die Regierung geholt hat, kommt ein Revisionismus dazu, der für eine etwaige zukünftige Regierung unter Haiders eigener Führung nichts gutes erahnen läßt:

A) Die Aufhebung der Benes-Dekrete und Avnoj-Beschlüsse für Tschechische Republik und Slowenien eine Bedingung f.d. Aufnahme in der EU:

“Die Bundesregierung wird sich während der Erweiterungsverhandlungen insbesondere auch für den gleichen Zugang zum Recht für In- und Ausländer und die Nichtdiskriminierung aufgrund nationaler Herkunft und Sprachzugehörigkeit bei Vermögensrestitutionen und Privatisierung einsetzen.”

(Regierungsübereinkommen Pt. 1.2)

Benes-Dekrete und Avnoj-Beschlüsse haben nach dem 2.Weltkrieg die Enteignung des Besitzes geflohener und vertriebener deutschsprachiger Menschen in der Tschechischen Republik und in Slowenien betroffen.

B) NS-Opfer, österreichische Kriegsgefangene und Vertriebene rehabilitieren

“Die Bundesregierung wird um sachgerechte Lösungen in den Fragen aller im Zuge des Zweiten Weltkrieges zur Zwangsarbeit gezwungenen Perwsonen, der österreichischen Kriegsgefangenen sowie der in der Folge der Benesch (sic! In eingedeutschter Schreibweise!) – Dekrete und Avnoj Bestimmungen nach Österreich vertriebenen deutschsprachigen Bevölkerung bemüht sein.”

Blau-schwarz ist ein REVISIONISTISCHES PROJEKT mit einem neoliberalen, rassistischen und militaristischen Programm. Das unterscheidet diese Koalition von dem vorangegangenen rot-schwarzen.

Widerstand:

12.November 1999: 50.000 in Wien “Keine Koalition mit dem Rassismus”;

Seit Bildung der Regierung täglich Demonstrationen;

Höhepunkt am 19.Februar: 200.000 am Heldenplatz in Wien; inzwischen Donnerstagdemonstrationen zuletzt 5.000-10.000;

Jetzt Unterschriftensammlung für Neuwahlen.

Problem:

Haider macht weiter als Kärntner Landeshauptmann. Als FP-Obmann ist er jetzt formell zurückgetreten. JETZT wird er die “Brüssler Bürokraten jagen”. Ohne Tabuzone und ohne rote Alarmlampe wird er seine revisionistische Politik in ganz Europa ausstreuen. So sitzt die FPÖ in der Regierung, Haider bleibt der Führer aller Opposition und gewinnt so möglicherweise noch eine Wahl – dann als Kanzlerkandidat der FPÖ.

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Flüchtlingspolitik durch die Nato

Von Beat Leuthardt*

Bevölkerungen an den Rändern gegen Militarisierung Europas

Von “Schengen”, dem ursprünglich auf Grenzöffnung ausgelegten EU-Elitegremium, zum NATO-Krieg im Kosovo gibt es direkte Verbindungen. Sie führen über die erste NATO-Flüchtlingstagung von 1996 In Warschau.

Polens Direktor des Migrations- und Flüchtlingsamtes war unabkömmlich: Eine Internationale Tagung, wir verstanden, eine hohe Ehre für ihn und ganz Warschau. Wichtige Flüchtlings- und Migrationstagungen fanden bis dahin in Berlin oder allenfalls Budapest statt; Polen war, obwohl schon längst Pufferstaat für Deutschland zur Abfederung unerwünschter “Migrationsströme”, aus EU-Sicht randständig.

Das war im Oktober 1996. Die Tagung, von der nach aussen kaum etwas bekannt wurde, veränderte alles. Und sie ist zugleich ein Spiegelbild für die Wandlung der Festung Europa. Denn es war eine Nato-Tagung, ausdrücklich und ausschliesslich zur Flucht- und Migrationspolitik in Europa. Wo noch kurze Zeit zuvor Friedens- und Sozialeinrichtungen den Führungsanspruch in der Flüchtlings- und Migrationspolitik behaupteten und wo die Westeuropäische Union etwas gegen die Militarisierung zu stellen versuchte, hatte sich die Nato bereits die Oberhand verschafft und alles Ausgleichende platt gewalzt.

Die 1996er Nato-Tagung sollte endgültig den Führungsanspruch der Militärs im Thema Nummer eins der letzten zehn Jahre in Europa bekräftigen. Hinterher muss man wohl vermuten, dass der Kosovo-Krieg mit seinem Flüchtlingsmillionen-Kalkül schon damals in Warschau eine Wurzel hatte. Das Tabu “Armee gegen Flüchtlinge” war damals schon gebrochen, die Entpersönlichung von Menschen auf der Flucht schon voll im Gange.

Der kurze Aufschrei in der Schweiz

Das war drei Jahre zuvor in der politischen Debatte in der Schweiz noch ganz anders. Es war ein Aufschrei wie selten zuvor und danach, als wir im Januar 1993 von geheimen Plänen der Schweizer Armee berichteten, Armee an die Grenzen gegen Flüchtlinge zu stellen. Jene “Übung Limes” wurde zunächst bis in Kreise des FDP-Opportunisten Franz Steinegger scharf verurteilt, das damalige Eidgenössische Militärdepartement zu einem halben Rückzieher genötigt, weil die rechtliche Grundlage für “Ordnungsdienst im Nichtkriegszustand” fehlte.

Doch die Entwicklung zur Militarisierung der Gesellschaft mit Flüchtlingen und MigrantInnen als Testpersonen war schon damals nicht mehr aufzuhalten. Der Zürcher Divisionär und Rechtsaussen Ulrico Hess (eben erst im Verbund mit der SVP-Rechten für die Initiative zur Beschleunigung der Volksrechte aufgetreten) forderte schon damals Armeeaufgaben für den so genannten “unfriedlieben Ordnungsdienst” und redete neue sicherheitspolitische Herausforderungen herbei. Solche Herausforderungen sah der Armeeausbildungschef Jean-Rodolphe Christen in machtpolitischen Risiken wie “Migration”, die er im selben Atemzug nannte wie “aggressiver religiöser Fundamentalismus, illegaler Waffenhandel, Drogen, Terrorismus und das organisierte Verbrechen”.

Wenige Jahre später hatten sie sich durchgesetzt. Der “Assistenzdienst”, der Armee-Einsätze gegen Flüchtlinge erlaubt, ist Gesetz geworden, abgekupfert beim österreichischen Heer, das als erstes an der Ostgrenze im Burgenland gegen Unschuldige auf der Flucht eingesetzt wurde. Sammellager für Asylsuchende werden – in den 1980er-Jahren völlig undenkbar – temporär von uniformierten und bewaffneten Soldaten geführt, während in den ehemals von sozialarbeiterisch geschulten BetreuerInnen geführten kleineren Asylzentren Zivilschützer längst die Oberhand gewonnen haben.

An der Südgrenze, wo zu den Zeiten des Zweiten Weltkriegs noch Soldaten Grenzwächter versehentlich umlegten, leisten erstere letzteren seit zwei Jahren “Unterstützung”. Dass es sich bei jenen Soldaten um “Festungswächter” handelt, ist angesichts des mittlerweilen fest eingeführten Begriffs der Festung Schweiz und der Festung Europa ein Witz, über den im Ausland herzhaft gelacht wird. Wie schon 1991, als Gesamtverteidigung gegen Albaner im Tessin geführt wurde, werden auch jetzt wieder Asylmassen herbeigeredet und Fluchten aus Richtung Kosovo vorsorglich gestoppt. Tatsächlich waren es gerade mal 7851 so genannt illegal Einreisende, die der verstärkte Festungswacht-Grenzwacht-Verbund im ersten Halbjahr 1999, also zu den Zeiten des Nato-Krieges im Kosovo, angehalten hatte; ganze 12714 waren es im gesamten Jahr 1998 gewesen.

Dass diese tatsächlichen Flucht- und “Aufgriffszahlen” an der italienisch-schweizerischen Grenze also verhältnismässig bescheiden blieben, ist in der öffentlichen Diskussion bravourös ausgeblendet worden. Kaum, dass je jemand beim Ufficio svizzero accoglienza profughi – eine Art Tessiner Asylkomitee – oder bei Kaplan Koch und den übrigen Helferinnen und Helfern nachgefragt hätte. Stattdessen wurden breite Debatten über die Erneuerung des Festungswachtkorps-Mandates geführt So verläuft die Schweizer Militarisierungspolitik nun schon seit Jahren.

Ohne Schengen kein Kosovo-Krieg?

Was hat der Nato-Krieg im Kosovo mit dem Schengen-System zu tun? Vermutlich einiges. “Offene Grenzen für Europa” hatte einst ex-Bundeskanzler Helmut Kohl gefordert Die “Gruppe Schengen”, die er als informelles Behördengremium zusammen mit Frankreich und den Benelux-Staaten einsetzte, hätte 1985, als sie gegründet wurde, eine gute Sache werden können: Leben im Grenzraum ohne willkürliche Behinderungen durch Schlagbäume und durch Ausweispflichten mit positiven Auswirkungen selbst auf die Siedlungsstrukturen und die Raumplanungen in den Grenzzonen.

“Schengen” hat seit 1985 aber fast alle Chancen für eine Öffnung in Europa vertan und hat stattdessen jede Möglichkeit genutzt, Gebiete abzuschotten und Menschen auszuschliessen. Immer mehr Staaten der Europäischen Union hat man ins Schlepptau geholt; Behörden in der Schweiz und in Österreich haben sich freiwillig (über-) angepasst.

So haben sich die Polizeistrategen im Verbund mit den durch den Mauerfall von Arbeitslosigkeit bedrohten Geheimdienstmitarbeitern durchgesetzt. Die Gefahren ausbleibender Grenzkontrollen auf die Fahndungsaufgriffe und “Trefferquoten”, konsequent überbetont, dienten der inneren Aufrüstung und erlaubten so einen Wettkampf zwischen Innerer Sicherheit im Innern und Äusserer Sicherheit ebenfalls im Innern, etwa dem “unfriedlichen Ordnungsdienst”. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die Angestellten der Inneren Sicherheit ins “Kerngeschäft” der Äusseren Sicherheit einmischen würden und mit Tipps, Technologie und vorbereiteter Asylabschottung ausserhalb der Europäischen Union Flüchtlings-, Migrations- und Militärpolitik miteinander verquicken würden, wie dies im Kosovo geschehen ist.

Im Kosovo 1999 hat sich die Handschrift von “Schengen” vierzehn Jahre später besonders krass in der Kriegs- und Lagerpolitik der Europäischen Union gezeigt. Abschottung und Ausgrenzung haben Kohl und seine Erben dazu gebracht, Flucht- und Migrationsströme – auch die selber erzeugten – schon weit ausserhalb der EU-Aussengrenzen zu erkennen und noch im “fremden Land” zu stoppen.

Das “Schengen der Offenen Grenzen” hätte bedeutet, die Menschen einzulassen und im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 aufzunehmen. Stattdessen sind die “Schengen”-Verantwortlichen in Wien und Bonn/Berlin seit 1998 offen daran, den Asylrechtsanspruch und damit die Genfer Konvention faktisch abzuschaffen und eine Kontingentslösung zu installieren. Die aggressive Flüchtlingspolitik im Kosovo ist das genaue Abbild der Luftangriffe auf so genannte zivile jugoslawische Ziele.

Faktisch ist die Militarisierung der Asylpolitik in den Kosovo-nahen Lagern, die Beschränkung von Fluchten auf einige tausend Kontingentsflüchtlinge, die Sonderbehandlung dieser Flüchtlinge und deren gnadenlose Rückführung im ersten Moment nach dem Ende des Krieges die genaue Einübung militärisch-taktischer Vorgehensweise unter Ausserachtlassung “ziviler” internationaler Abkommen wie eben der Genfer Flüchtlingskonvention. Deren Entkernung füllte folgerichtig die Traktandenliste des Sondergipfels der EU-Staats- und Regierungschefs im finnischen Tampere von Mitte Oktober. Im Ergebnis entspricht es den noch unter dem früheren Flüchtlingsdelegierten und Divisionärs Peter Arbenz geäusserten Ideen über von der Schweiz aus überwachte “sichere Zonen” etwa im Verfolgerstaat Türkei.

Wie dies im Kosovo konkret ausging, schildert die stets bestens informierte und analysierende Berliner Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (” Widerspruch”, Juli 1999): “Die Blockierung der Flucht nach Westeuropa in diesem organisierten Ausmass war einmalig.” Zum einen sei dies geschehen “durch die Verhinderung der Ausreise aus der Lagerregion”, zum Zweiten “durch Erschwerung der Einreise nach Westeuropa” und drittens “durch eine polizeiliche Fahndung längs der Fluchtwege in den Transitstaaten”. Die Militarisierung der Flüchtlingslager habe hierzu ebenso beigetragen wie die Aufrüstung der Vorfeldfahndung mit Informationssystemen, welche &’eine Fälle von Namen, Adressen, Telefonnummern und individuellem Aussehen von als FluchthelferInnen eingeschätzten Personen aus den Umkreisen von Kirchen, Reisebüros, Parteileuten, Pensionen und Hotels” registrieren und europaweit auswerten. Die ”Informellen Konsultationen ” mit Sitz in Genf und einer Art Filialen in Wien und Budapest unter Jonas Widgren – einem schwedischen Sozialdemokraten und Zögling des früheren Flüchtlingsdelegierten Peter

Arbenz – leisten hier sozusagen outgesourct ganze Arbeit im Sinne moderner und betriebswirtschaftlich orientierter Strategiearbeit im Dienste der europäischen InnenministerInnen.

“Moderne” Feindbilder von Spanien bis Litauen

Heute, vierzehn Jahre nach Gründung der “Gruppe Schengen” und ebenso viele Jahre seit der Illusion einer grenzenlosen Gesellschaft, sind die Machtbefugnisse eines Bundesgrenzschutzes oder der französischen Schlaggruppe der Police aux Frontières weniger eingeschränkt denn je. Eine Europol-Fahndungs- und Geheimdiensteinheit politische Schranken gibt den nötigen Flankenschutz, die Militarisierung der Polizeien und die polizeilich angereicherten Funktionen des Militärs ergeben unbeachtet interner Rivalitäten eine gewisse Verschmelzung von Innerer und Äusserer Sicherheit. Westeuropas Zentren sind heute voll von Kontrolleuren in Kampfmontur und Kontrollmöglichkeiten ohne Anlass.

Ähnlich wirkt sich dies auch an den Rändern Europas* aus. Von Süd bis Ost, von der Costa del Sol über Apulien bis zur Steiermark, zu Ungarns Osten und der Baltischen Ebene treten ungewohnte Kampfpolizisten an die Stelle des sozial kompetenteren Dorfpolizisten. In Litauen werden arme Bauersleute in Kampfstiefeln vom Hof geholt, weil sie das taten, was ChristInnen tun, nämlich

den nachts Anklopfenden Obdach zu gewähren, und stecken wegen “Beherbergung Illegaler” in Untersuchungshaft.

In Südspanien vis-à-vis der marokkanischen Küste werden Taxifahrer zur Einschüchterung nachts in Zellen gesteckt, weil sie tagsüber Personen als Fahrgäste aufgenommen hatten, die in den Augen “Schengen”-getrimmter guardia civil-Bediensteter wie fliehende oder migrierende MarokkanerInnen aussehen. Die Taxifahrer bilden derzeit eines der am meisten betroffenen Angriffsziele eines Machtapparats, der zwischen “zivilen” und “militärischen” Aufgaben ebenso wenig unterscheidet wie zwischen den früheren Testpersonen der Flüchtlinge und MigrantInnen einerseits und den heutigen Taxifahrern andererseits. Wenn in Ostdeutschland, wo das Ganze seinen Anfang nahm, Taxifahrer zu gegen zwei Jahre Gefängnis ohne Bewährung verurteilt werden, weil sie Fremdaussehende als Fahrgäste aufgenommen haben, ohne dass der Aufschrei wesentlich über die Kampagne “Kein Mensch ist illegal” hinaus gedrungen ist, dann ist jede weitere “Kriegserklärung” gegen soziale Gruppen möglich und aus militärischpolizeilicher Sicht aussichtsreich.

Diese Erfolgschancen, die der neuen, aggressiven Festung Europa zugestanden werden müssen, werden punktuell allerdings immer wieder geschmälert. Dies geschieht wohl weniger in den Mittelost- und Oststaaten, deren soziale Notwendigkeit, sich der Europäischen Union anzuschliessen, kritische Abwehr gegen innere Aufrüstung zur Luxusware werden lässt. In Gegenden wie Südspanien allerdings trifft man noch auf politische Situationen, in denen sich Sozialdemokraten im Wahlkampf zum Zweck des Stimmenfangs nicht für, sondern gegen die Flüchtlingsabwehr aussprechen. Die Tatsache, dass jährlich weit über tausend Menschen in der Meerenge von Gibraltar auf Grund europäischer Abwehrmassnahmen ihr Leben verlieren, bewegt dort die Menschen noch. Sie macht Solidarität zur Alltagserscheinung und stürzt wohlmeinende guardia civil-Bedienstete in unlösbare moralische Zwiespälte.

Entfernte Nachbarschaften

Dennoch zeigen sich die Zerfallserscheinungen menschlicher Grundwerte wie Solidarität mit Flüchtlingen und MigrantInnen oder der Unverletztlichkeit kirchlicher Räume und christlichen Denkens, die in den Zentren Westeuropas zu beobachten sind, zunehmend auch an Europas Rändern. Hand in Hand mit der Zunahme von Filialen der Deutschen Bank und anderer Importeinrichtungen entfremden sich Nachbarn, werden aus Neugierigen Gleichgültige und aus Gleichgültigen Misstrauische. Der kleine Grenzverkehr, noch in den ersten Jahren von “Schengen” zwischen Marokko und Spanien die Regel, wird zur Ausnahme. Doch beugen sich die Menschen dort nicht ohne Weiteres der inneren Aufrüstung der Küstenzonen und Küstengewässer.

Viele Geschichten belegen das Gegenteil; Engagement und Menschlichkeit lassen sich in den aktuellen Generationen (noch) nicht dauerhaft zerstören. Dies ist die positive Erfahrung, die man aus Litauen und der Ukraine, aus Spanien und Italien mitbringen kann.

* Der vorliegende Text erschien im Monatsmagazin MOMA Nr. 11/12.1999. Er beruht auf dem Mitte Oktober erschienenen neuen Buch von Beat Leuthardt: An den Rändern Europas. Berichte von den Grenzen. 300 Erzählseiten sowie Mittelteil mit Sachinformationen. Rotpunktverlag Zürich. Preis: 36 Franken. Bezug: Buchhandel, Verlag oder direkt beim Autor (Büro EuroGrenzen, Postfach 1860, 4001 Basel oder www.eurogrenzen.ch).

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NATO, Europäische Union (EU) und Bundeswehr nach dem Krieg

Von Tobias Pflüger (IMI)

Die NATO, die Europäische Union und die Bundeswehr wurden durch den Krieg gegen Jugoslawien substanziell verändert.

1. Die neue NATO: ein Interventionsbündnis

Während des Krieges gegen Jugoslawien verabschiedete die NATO am 24.04.2000 eine neue NATO-Strategie. Diese neue NATO-Strategie hat im wesentlichen drei Kernelemente:

A. “Selbstmandatierung”: Die NATO gibt sich in Zukunft selbst ein Mandat für Militäreinsätze. Das bedeutet eine effektive und offensive Aushebelung der UNO, eine Stärkung militärischer Organisationen und eine Schwächung zivilerer zwischenstaatlicher Organisationen. In der neuen NATO-Strategie wird dazu betont: “In diesem Zusammenhang erinnert das Bündnis an seine späteren Beschlüsse in bezug auf Krisenreaktionseinsätze auf dem Balkan.” U.a. dies zeigt, der Jugoslawienkrieg war ein Muster für zukünftige NATO-Kriege und nicht eine “bedauerliche Ausnahme”.

B. Interventionismus: Es wurde festgelegt, daß es in Zukunft sogenannte “nicht Artikel 5 Krisenreaktionseinsätze” geben soll. Im Art. 5 des NATO-Statutes steht drin, daß wenn ein NATO-Land angegriffen wird, wird dies als Angriff auf alle NATO-Staaten verstanden. Diese Formulierung hat den Mythos des Verteidigungsbündnisses NATO begründet. In Zukunft wird die NATO nicht mehr nur für “Verteidigung” sich zuständig fühlen, sondern auch sogenannte “Nicht-Art. 5 Einsätze” (also Angriffsaktionen wie gegen Jugoslawien) durchführen. Die regionale Zuordnung, wo diese Einsätze stattfinden sollen, wurde weitestgehend offengelassen.

C. Kampfeinheiten: Durch eine Umstrukturierung der NATO-Armeen sollen noch mehr kleinere, kampforientierte Einheiten (also Krisenreaktionskräfte – KRK) geschaffen werden. Die US-Amerikaner sprechen in diesem Zusammenhang von sogenannten “Warfighting-Profis”. In Deutschland gibt es einen Vorboten dieses neuen NATO-Armeetypus: Die Elitekampftruppe “Kommando Spezialkräfte (KSK).

Die NATO hat damit den Schritt vom (offiziellen) Verteidigungsbündnis hin zum militärischen Interventionsbündnis gemacht.

2. Militarisierung der Europäischen Union (EU)

Die EU hat auf ihren beiden Gipfeln nach dem Krieg wesentliche Beschlüsse in Bezug auf eine eigenständige Militärmacht EU gefaßt. Unter deutscher Präsidentschaft wurden beim EU-Gipfel in Köln Beschlüsse gefaßt, die dann beim EU-Gipfel in Helsinki konkretisiert wurden: Neu installiert wurden ab dem 01.03.2000: ein “sicherheitspolitisches Komitee”, ein EU-Militärausschuß und ein EU-Militärstab. Wesentlich ist, daß die EU beschloß eine EU-Interventionstruppe von ca. 60.000 Mann zu schaffen. Zugleich einigte man sich auf zwei Möglichkeiten bei EU-Militärinterventionen: Entweder mit Rückgriff auf NATO-Equipment oder eigenständig. Den noch neutralen Staaten Finnland, Schweden, Österreich und Irland wurden “konstruktive Enthaltungen” zugestanden. D.h. die Militarisierung der EU konnte vorangetrieben werden und die “neutralen” Staaten verstießen nicht direkt gegen ihre “Neutralität”. Die neue rechts-rechtsextreme Regierung Österreichs liegt im übrigen in der Außen- und Militärpolitik voll auf Linie der EU, das derzeitige Verhalten der anderen EU-Staaten ist zumindest was die wesentliche Außen- und Militärpolitik anbelangt lediglich ein “Strohfeuer”. Wie allerdings Großbritannien und Irland in einer militarisierten EU zusammenarbeiten sollen ist offen. Diese Militarisierung der EU geht einher mit einer Oligopolisierung der europäischen Kriegswaffenindustrie, federführend sind hier wie im Militärbereich die EU-Kernstaaten Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Schließlich sollen einer europäischen Interventionsarmee auch “europäische” Waffen zur Verfügung stehen.

3. Kampf- und Kriegsorientierung der Bundeswehr

Die neue NATO-Strategie und die EU-Militarisierung haben konkrete Auswirkungen auf die Bundeswehr. Außerdem hat Rudolf Scharping wesentliche Beschlüsse bezüglich der neuen Struktur der Bundeswehr nach dem Krieg gefaßt, schon vor der Vorlage des Berichtes der von Richard von Weizsäcker geführten Kommission “Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr”. Die Bundeswehr wurde von 340.000 Mann und Frau auf 324.000 Mann und Frau reduziert. Zugleich wurde der Anteil der Krisenreaktionskräfte (KRK) beim Heer um 13.000 erhöht, so daß jetzt ca. 66.000 KRK-Soldaten zu Interventionen bereitstehen. wurde also quantitativ “abgerüstet”, aber vor allem qualitativ aufgerüstet. Das Urteil zu Frauen in die Bundeswehr paßt im übrigen hervorragend in die neue Militärkonzeption: Es fehlen der Bundeswehr derzeit Freiwillige also Menschen die den tödlichen Job machen wollen. Diese Lücke kann nun mit engagierten Frauen aufgefüllt werden. Die Bundeswehr wird weiter Stück für Stück “kriegsführungsfähig” gemacht.


Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler, Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., Burgholzweg 116/2, 72070 Tübingen, Telefon und Fax: 07071-49154 und 49159. e-mail: IMI@imi-online.de. Weitere Informationen im Internet: http://www.imi-online.de/ 26.3.2003

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Bewaffnete Auslandeinsätze: Gespaltene SP

Interview mit Valérie Garbani, SP

Pyrrhussieg für Ogi

Verteidigungsminister Adolf Ogi hat seine Militärgesetzrevision durch den Nationalrat gebracht. SP-Nationalrätin Valérie Garbani wehrt sich gegen faule Kompromisse.

Interview: Hans Hartmann

WoZ: Sie haben zusammen mit Fernand Cuche von den Grünen zur Teilrevision des Militärgesetzes einen Rückweisungsantrag gestellt. Warum?

Valérie Garbani: Die Bewaffnungsvorlage ist Ausdruck der megalomanen Vorstellung, Frieden könne mit Waffengewalt erzwungen werden. Mit Solidarität hat dies den offiziellen Beteuerungen zum Trotz nichts zu tun. Bundesrat Adolf Ogi hat im Rat deutlich gemacht, worum es geht: Man will das Image der Schweiz bei befreundeten Regierungen aufpolieren und gleichzeitig die xenophoben Kreise für die Armeereform gewinnen, indem man ihnen verspricht, bewaffnete Interventionen würden Flüchtlinge von der Schweiz fern halten.

Wollen Sie am Sonderfall festhalten?

Weltweit besteht ein groteskes Missverhältnis zwischen militärischer Ressourcenverschleuderung und einer unterdotierten zivilen Konfliktpolitik. Es wäre vernünftig, die fehlenden zivilen Mittel zur Verfügung zu stellen, statt zum Überangebot an Interventionstruppen beizutragen. Mit Sonderfall-Denken hat das nichts zu tun – oder ist das schon Sonderfall, wenn man etwas weiter denkt als die Regierungen und Armeen anderer Länder?

Die Bürgerlichen behaupten, es brauche sowohl zivile als auch militärische Anstrengungen …

Die Bürgerlichen verweigern eine echte sicherheitspolitische Diskussion. Die Umverteilungsinitiative beispielsweise lehnen sie einfach mit dem Argument «Armeeabschaffung auf Raten» ab. Und Ogi verdrängt systematisch, dass sich zwei Perspektiven der aussenpolitischen Öffnung gegenüberstehen: seine eigene, die von der Zusammenarbeit militärischer Apparate ausgeht, und unsere, die auf eine zivile Kooperation der Gesellschaften hinarbeitet.

Trotz dieser Grundsatzkritik hätten Sie Ihre Opposition gegen die Vorlage unter bestimmten Bedingungen aufgegeben.

Als Parlamentarierin muss ich ja versuchen, den Gesetzgebungsprozess zu beeinflussen. Das Verteidigungsdepartement will einen Blankocheck für alle denkbaren Militäreinsätze. Dagegen wollten wir zwei Sicherungen ins Gesetz einbauen: erstens die Beschränkung des Einsatzes von Schweizer Soldaten auf rein friedenserhaltende Operationen, die mit der Zustimmung der Konfliktparteien und einer auf den Selbstschutz beschränkten Bewaffnung durchgeführt werden, und zweitens ein obligatorisches Uno- oder OSZE-Mandat. Dies zusammen hätte eine gewisse Garantie dafür gegeben, dass die Schweiz die Verdrängungspolitik der Nato gegen die Uno nicht unterstützt.

Adolf Ogi liess im Rat durchblicken, dass er das UN-Peacekeeping als Auslaufmodell betrachtet. Die Schweiz müsse ihre Solidarität auch in anderen Konstellationen unter Beweis stellen können …

Seit 1948 hat die Uno auf der Basis von Kapitel 6 der UN-Charta 53 Peacekeeping-Operationen durchgeführt, vierzig alleine seit 1988. Dabei kamen 800 000 Soldaten sowie tausende von Militärpolizisten und Zivilpersonen aus hundertzwanzig Staaten zum Einsatz. Gegenwärtig laufen sechzehn Peacekeeping-Operationen, unter anderem in den aktuellen Konfliktgebieten Kosovo, Osttimor, Republik Kongo und Sierra Leone. Man muss sich fragen, was für Interventionsszenarien der VBS-Chef im Kopf hat, wenn ihm das nicht reicht.

Die nationalkonservative Rechte begründet ihr Nein auch mit dem Argument, in der Praxis könne man zwischen friedenserhaltenden und friedenserzwingenden Einsätzen nicht unterscheiden.

Die beiden Interventionsformen können klar unterschieden werden: auf der Ebene des Mandats, der Durchführung und des politischen Kontexts. Im Rahmen eines politischen Friedensplans, der durch die Konfliktparteien und die Uno getragen wird, kann militärisches Peacekeeping tatsächlich helfen, den Übergang zu einer stabilen Friedensordnung zu schaffen. Dafür gibt es erfolgreiche Beispiele aus den neunziger Jahren, etwa die UN-Operationen in El Salvador oder Moçambique.

Die Vorstellung, mit friedenserzwingenden Massnahmen könne man langfristig Menschenrechte sichern, ist hingegen abwegig und – angesichts der fortschreitenden Aushöhlung des Asylrechts – Ausdruck einer Doppelmoral. Peaceenforcement wäre allenfalls als letztes Mittel legitim, wenn damit auf der Basis des Völkerrechts und eines umfassenden politischen Konsenses ein Genozid verhindert würde. Der Golfkrieg und die Nato-Intervention in Kosovo haben aber gezeigt, dass Peaceenforcement zurzeit unter machtpolitischen Vorzeichen eingesetzt wird.

Nun hat der Nationalrat einem CVP-Kompromissvorschlag zugestimmt, der die Teilnahme an Kampfhandlungen zur Friedenserzwingung ausschliesst …

… die Teilnahme an einzelnen Kampfhandlungen – was immer genau damit gemeint ist -, aber eben nicht die unterstützende Teilnahme an friedenserzwingenden Operationen selbst. Zurzeit versucht die Nato, den Unterschied zwischen Peacekeeping- und Peaceenforcement-Operationen zu verwischen. Das Mandat für die Kfor-Truppe in Kosovo, welches die Möglichkeit zur Eskalation des Einsatzes schon vorwegnimmt, ist ein Beispiel dafür. Auch die Militärgesetzrevision vernebelt diesen Unterschied. Damit läuft man genau in die Falle. Die Annahme des CVP-Antrags hat daran nichts geändert.

Das Gesetz wäre in der Schlussabstimmung durchgefallen, wenn die SP wie die Grünen geschlossen dagegen gestimmt hätten. Doch fünfundzwanzig SP-NationalrätInnen enthielten sich der Stimme, vierzehn stimmten dagegen und acht sogar dafür.

Die SP ist eben eine pluralistische Partei. Ich halte das Gesetz, so wie es vom Nationalrat beschlossen worden ist, für inakzeptabel. Unsere wesentlichen Forderungen – obligatorisches Uno- oder OSZE-Mandat, nur Peacekeeping – wurden nicht erfüllt.

Statt von Pluralismus könnte man auch von Desorientierung sprechen.

Nein, aber ich bin überzeugt, dass die Auseinandersetzung um die bewaffneten Auslandeinsätze in der SP eine fundierte sicherheitspolitische Diskussion auslösen wird.

Wenn der Ständerat nicht noch korrigierend eingreift, werden die GSoA und andere friedenspolitische Gruppen voraussichtlich das Referendum ergreifen. Was macht die SP?

Der Ständerat wird wohl nichts mehr ändern. Adolf Ogi geht offenbar davon aus, das VBS könne die Referendumsabstimmung gegen links und rechts gleichzeitig gewinnen. Ich bin dagegen, aus Angst vor einer unheiligen Allianz, ein friedenspolitisches Referendum à priori auszuschliessen. Wir müssen unsere Argumente weiterentwickeln und in die öffentliche Diskussion einbringen.

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Krieg und Frieden

Von Hans Hartmann, GSoA

Zehn Überlegungen zu einem Jahrzehnt des sicherheitspolitischen Umbruchs und dessen Auswirkungen auf die Zukunftsplanung der Schweizer Armee.

1. Während die Armeen der reichen Gesellschaften des Nordens auch nach dem Ende des Kalten Krieges weiterhin zuverlässig als institutionelle Ressorucenvernichtungsmaschienen funktioniernten, sind die kollektiven Phantasien über Gewalt und Gegengewalt durcheinandergeraten. Die Legitimationsprobleme der Institution Armee sind ein Ausdruck dieses Umbruchs. Eine Ära der Gewalt-Ideologie geht zu Ende, eine neue folgt. Die Gretchenfrage des 21. Jahrhunderts lautet: Was folgt auf die Ideologie der “Nationalen Sicherheit”?

2. Offensichtlich: die Ideologie der “Kollektiven Sicherheit” – doch was ist damit gemeint. Verbanden viele zu Beginn der 90er Jahre damit eine diffuse Hoffnung auf ein System internationaler Politik, welches die Anwendung von Gewalt in internationalen Beziehungen an Institutionen des internationalen Rechts bände, überwiegt heute eine neo-interventionistische Interpretation. “Ad-hoc-Staatengruppen” oder Bündnisse wie die Nato oder die EU beanspruchen immer selbstverständlicher das Recht, “stabiliserend” in Krisen und kriegerische Auseinandersetzungen anderswo einzugreifen, m.a.W.: das Recht, Krieg zu führen. Voraussetzung dafür sind lediglich: der dafür nötige politische Wille, entsprechnede militärische Mittel und ein auf öffentliche Akzeptanz ausgerichteter Legitimationsdiskurs. Der ideologische Umbruch führt im 21. Jahrhundert jedenfalls dazu, dass Gewalt, Macht, Sicherheit in den reichen Staaten des Nordens (vielleicht mit Ausnahme der USA?) nicht mehr in Kategorien der nationalen Abwehrfähigkeit gedacht werden, sondern in Kategorien des “Irgendwie-Zusammenwirkens”. Nationale Grenzen verlieren ihre symbolische Schützengraben-Funktion. Statt um Abwehr von Gewalt, geht es nun um ihre Kontrolle beziehungsweise Lokalisierung (“vor Ort”). Nach dem Waffenstillstand des Kalten Krieges kommt nicht der Frieden, sondern der Krieg und zwar jederzeit, fast überall; nach dem “Gleichgewicht des Schreckens”, der Scherecken des Ungleichgewichts, das von einem agressiven Ausgrenzungsimerialismus immer wieder reproduziert wird

3. Die Schweizerische Sicherheitspolitik eignet sich gut, den Übergang von der Ideologie der “Nationalen” zur “Kollektiven Sicherheit” kritisch zu analysieren; nicht nur weil die Schweiz diesen Umbruch einige Jahre verspätet und quasi im Zeitraffer nachvollzieht, sondern vor allem weil sie lange auf einer reinen, hyper-ideologischen Form des nationalen Verteidigungsdenkens bestand und dem nun eine hyper-moralische Version des neuen militärischen Kontrolldenkens entgegensetzt. Wurde die Propaganda des deutschen Verteidigungsministers Schraping im Kosovo-Krieg treffend als “humanitärer Fanatismus” gedeutet, muss der militante Solidaritätsdiskurs des schweizerischen Verteidigungsmninisters Ogi als “Kriegshumanismus in Friedenszeiten” bezeichnet werden. Die nur spärlich bewaffneten Schweizer Swisscoy-Soldaten müssen noch nachträglich ihren symbolischen Beitrag zum “Nie-wieder-Auschwitz-Bombardement” der Nato leisten, und werden jedenfalls als humanitäre Kriegshelden mit entscprechenden Medaillen dekoriert.

4.Warum dieser moralisierende Überschuss? Die Schweiz hat sich im 20. Jahrhundert wie die meisten europäsichen Staaten sicherheitspolitisch als “Sonderfall” verstanden. Wie alle anderen Staaten entwickelte sie ein Verständnis der “Nationalen Sicherheit”, das militärische “Abwehrfähigkeit” als ultima ratio der Aussenpolitik etablierte. Die meisten der vom 2. Weltkrieg direkt betroffenen Gesellschaften allerdings, projizierten im Kalten Krieg einen Teil der gescheiterten Sicherheitsphantasien auf die jeweils beschützende Supermacht (und übten so die Grundlagen einer übernationalen Sicherheitsideologie während Jahrzehnten ein). Anders die offizielle Schweiz: Sie radikalisierte das militärische Abwehrdenken (Reduit) zu einer nationalen Allmachtsphantasie, die durch exorbitante Rüstungsanstrengungen und Dauerindoktrination aufrechterhalten wurde.

5. Jahrzehntelang eingegrenzt durch die All-Ohnmachtsphantasie des atomaren Overkills expandierte diese helvetische Allmachtsphantasie nach 1989 ins Lächerliche. Einige Jahre lang versuchte die offizielle Schweiz vergeblich, diese Phantasie (und die sie verkörpernde Institution Armee) zu redimensionieren und so zu stabilisieren. Vergeblich. Die “Armeereform 95” und die Blauhelmvorlage (1994) scheiterten kläglich. Etwa ab 1996 traten Armeespitze und Verteidigungsministerium die Flucht nach vorne an: in Richtung auf eine damals erst ungenau skizzierbare Sicherheitskooperation mit den befreundeten Armeen des reichen Nordens.

6. Als Belege für die Geschwindigkeit dieses Umbruchs lassen sich eine Vielzahl von Stellungnahmen, Strategiepapieren, politischen Entscheidungen und organistorischen Massnahmen der vergangenen vier Jahre anführen. Stellvertretend verweise ich an dieser Stelle auf die Entwicklung auf Gesetzesebene, die die diskursiven Veränderungen mit einigen Jahren Verspätung “abbildet”: Als rechtlicher Rahmen für Gestalt und Entwicklung der Armee galt von 1907 bis 1995 eine “Militärorganisation” genannte Gesetzesgrundlage – im wahrsten Sinne des Wortes ein Jahrhundertwerk also, das zwei Weltkriege und vier Jahrzehnte Kalten Krieg praktisch unverändert überstand. Das seit 1995 gültige Militärgesetz soll nun bereits wieder in den ideologisch sensiblenKernbereichen (bewaffnete Auslandeinsätze, systematische Ausbildungszusammenarbeit mit befreundeten Armeen) revidiert werden. Im Jahr 2003 soll dann eine neuerliche Totalrevision des Militärgesetzes auch die übrigenAspekte der Militärorganistaion auf den Stand der kooperativ-interventionistischen Sicherheitsideologie bringen.

7.Die Projektionen der neuen, kooperativ-interventionistischen Sicherheitsideologie brechen sich ständig an der Oberfläche der bestehenden Landesverteidigungsarmee. Dies führt zu chronischen Legitimationsproblemen, die sich nur durch sinkenden Militärausgaben, also eine Reduktion der institutionellen Vernichtung gesellschaftlicher Ressourcen vorübergehend auffangen lassen.

8. Sinkende Militärbudgets aber verschlechtern umgekehrt die Fähigkeit der Armee, sich neu auszurichten. Diesen drohenden Teufelskreis will die “Armeereform XXI” nun sprengen: Die Institution Armee muss die neue Sicherheitsideologie wieder zuverlässig verkörpern – und zwar so schnell wie möglich. Die internationale Entwicklung erhöht diesen Zeitdruck: Zwar sind die Perspektiven für eine EU-Eingreiftruppe noch unklar; dafür hat die Nato die Uno weitgehend aus dem Geschäft des militärischen Krisenmanagements verdrängt. Für die Schweiz besonders wichtig: Die Nato wird Interventionen materiell, organisatorisch und ideologisch durch die Zusammenarbeit mit formell “ungebundenen” Partnerstaaten abstützen. Wie diese Zusammenarbeit aussehen wird, entscheidet sich in den nächsten Jahren. Will die Schweiz Armee davon profitieren, muss sie sich jetzt an der Ausarbeitung der entsprechenden Konzepte beteiligen.

9. Fazit: Es besteht aus der Sicht der Schweizer Armee eine realistische Chance, mittelfristig im “Vorhof” der Nato konzeptionell und praktisch an der Entwicklung der neuen internationalen Sicherheitskonzeption mitzuwirken. Die Paritzipation am neuen transatlantischen Sicherheitsparadigma beziehungsweise der daraus resultierende Legitimationsgewinn dürfte – zusammen mit einer entsprechenden Anpassung der Militärorganisation – wieder für steigende Militärausgaben ausreichen.

10. Grösster Stolperstein für diese Projekt ist die Unwägbarkeit der Entwicklung internationaler Sicherheitszusammenarbeit. Heute ist das VBS wohl froh, dass das Blauhelmgesetz 1994 in der Volksabstimmung durchgefallen ist. Wie würde der Bundesrat denn heute erklären, dass dieses Gesetz schon wieder revidiert werden muss? Ziel der laufenden Militärgesetzrevision ist daher die “Versachlichung” der in Zukunft noch nötigen politischen Entscheide. Deutlicher als Philippe Welti, zuständiger Mann für die “Armee XXI” im VBS, kann man das nicht sagen: ” Die Armee XXI wird die bisherigen Armeereformen weit übertreffen … Der wesentliche Unterschied liegt im Reformkonzept, welches nicht darauf abzielt, der Armee ein neues starres Gewand zu verpassen, das so lange halten muss, bis es nicht mehr zu halten ist und durch eine neue Reform ersetzt werden muss. Die Reform sieht vor, mit diesem Reformschritt zum letzten Mal einen Sieben-Meilen-Schritt zu tun. Einmal umgesetzt, so geht die Hoffnung, soll diese Reform die letzte solcher umfassenden Umstrukturierungen gewesen sein. … Es ist das erklärte Ziel der Planung für die Armee XXI, den historischen Zyklus von Reform- Ausharen – nächste Reform – Ausharren usw. zu brechen. … Die Planer wollen aus der Armee ein vitale Organisation machen, die den kontinuierlichen Wandel laufend erkennt und laufend ihre Folgerungen daraus zieht. Das nennt man eine lernende Organistion. Das ist eine.”

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Redebeitrag von Dr. Maja Wicki

Von Dr. Maja Wicki, Philosophin/Publizistin/Psychoanalytikerin Zürich

Macht kann zwischen Gut und Böse alles sein, eine Stärkung oder
eine Gefährdung der einzelnen Menschen und der Demokratie.
Eine Gesellschaft ist nur so stark, wie ihre schwächsten Glieder es sind.
Daher ist es eine dringliche politische Aufgabe,
die Macht des Denkens und der Sprache zu benutzen,
um die Rechtsaussenentwicklung abzubauen,
der Fremdenfeindlichkeit und dem Antisemitismus entgegenzuwirken
und gegen die herabsetzende Verarmung und den gesellschaftlichen Ausschluss
eines zunehmenden Teils der Bevölkerung zu kämpfen.

Während im nahen Ex-Jugoslawien von 1991 an Krieg und Gewalt tobten und das kulturell vielseitige Land zerstörten, setzte in der Schweiz wie in Österreich, in Deutschland, in Frankreich und in weiteren Ländern eine von Jahr zu Jahr zunehmend bedrohlichere Verhärtung und Verstärkung der politischen Rechtsaussenentwicklung ein. Im Lauf dieses Jahres spitzt sich diese Entwicklung noch mehr zu, in einer macht-orientierten Rücksichtslosigkeit. All dies bedeutet einen gefährlichen Abbau demokratischer Kultur, politischer Gerechtigkeitsarbeit und menschlichen Zusammenlebens.

Was bedeutet diese Entwicklung? Gibt es Möglichkeiten, sie zu verändern?

Die Ursachen der heutzutage ängstigenden Zuspitzungen sind vielfältig, deren Absichten sind die Machtgewinnung und Machtausübung, in Bezug auf die Entwicklung nichts Neues. Im Jahr 1944 schrieb der in die USA geflüchtete Theodor W. Adorno (in “Minima Moralia” veröffentlicht), dass “der Blick auf mögliche Vorteile der Todfeind menschenwürdiger Beziehungen ist. Aus solchen Beziehungen können Solidarität und Füreinandereinstehen folgen, aber nie können sie aus Gedanken an praktische Zwecke entspringen”.

Es handelt sich um unverhüllt rücksichtslose “praktische Zwecke”. Deren Erfüllungsstreben zeigt sich in der Gleichschaltung des Politischen mit gegenseitig sich misstrauenden, gewinn- und entwicklungssüchtigen Wirtschaftsunternehmen, mit damit verbundener rücksichtsloser Wichtigtuerei bezüglich der eigenen Markt- und Anpassungsvorteile und daraus folgenden berechnenden, jedoch häufig überstürzten und zugespitzten Interessen- und Feindseligkeitsentscheiden. Auch geht die “praktische Zweckerfüllung” einher mit dem immer wieder feststellbaren berechnenden Widerstand gegen die notwendige, gründliche Aufarbeitung der gesamten jüngeren politischen Geschichte und deren Wiedergutmachung, Dass sich diese Geschichte ohne gründliche Aufarbeitung gerade in menschenverachtender, fremdenfeindlicher und in antisemitischer Hinsicht durch die traumatisierenden Macht- und Gewaltentwicklungen wiederholen kann, insbesondere durch die überall aufkeimende und mit lügnerischen Vorgaben oder gar mit Gewalt sich durchsetzende Ethnisierung, versetzt ganz Europa in Gefahr. Ein Wissen um die verhängnisvolle aktuelle Entwicklung und daraus entstehende aktive Gegenbewegungen sind dringlich erfordert.

Nach dem letzten Weltkrieg setzten in vielen Ländern bedeutungsvolle politische Gegenbewegungen ein, die unabgeschlossen sind und von denen eine der konstruktivsten die 1948 zustande gekommene “Allgemeine Deklaration der Menschenrechte” ist. Ich bin überzeugt, dass die Umsetzung der Menschenrechte im Sinn einer nicht missbräuchlichen Sicherheitspolitik tatsächlich eine Chance des friedlichen Zusammenlebens der vielfach unterschiedlichen, im Menschsein jedoch gleichen Menschen in jeder demokratisch strukturierten Nation ist. Reale Verpflichtungen fehlen jedoch noch in den meisten Ländern. Zwar gibt es über 70 Menschenrechtspakte und -übereinkommen, die von einzelnen Nationen ratifiziert wurden. Sie betreffen auf besondere Weise die Rechte bestimmter Gruppen des menschlichen Zusammenlebens, Kinder, Flüchtlinge, Fremde, Frauen, Arme etc., die dringend der Anerkennung und Durchsetzung der gleichen Rechte bedürfen, wie sie in vielen Fällen allein die Mächtigen besitzen. Aber selbst wenn einzelne Pakte durch Staaten ratifiziert wurden, zum Beispiel durch die Schweiz 1989 das Übereinkommen über die Rechte des Kindes oder 1994 das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassismus, breiten sich rassistische, auch judenfeindliche Tendenzen aus, oder Kinder und Erwachsene aus Ländern der lebensbedrohlichen Not, die auf irgend einem Weg in die Schweiz kamen, werden trotzdem ausgeschafft, entgegen deren Bedürfnis.

Es ist eine dringliche politische und kulturelle Aufgabe, dass die Menschenrechte, mehr als fünfzig Jahre nach ihrer Verkündigung, in den Nationen, die sich auf gefährliche Weise entwickeln,

  1. in rechtlicher und politischer Hinsicht eine verpflichtende Rolle einnehmen und
  2. auf verlässliche, verpflichtende Weise zu einem weltweiten Instrument des Friedens und des guten menschlichen Lebens werden.

Die Einhaltung und Umsetzung der Menschenrechte muss für Machtausübende verpflichtend werden, auch hier in der Schweiz. Damit dies zustande kommt, müssen wachsende denkerische und politische Koalitionen eingegangen werden innerhalb eines Landes wie innerhalb der verschiedenen Länder mit all denjenigen Menschen, welchen die tatsächliche Umsetzung der Menschenrechte fehlt und die bereit sind, darum in politischer Hinsicht zu kämpfen – vor allem für das Recht, dass Menschen verschieden sein dürfen und trotzdem den gleichen Anspruch auf alle Persönlichkeitsrechte, auf Respekt ihrer menschlichen Würde, ihrer Ausbildungs- und Handlungsmöglichkeiten, kurz: auf ein angstfreies Leben haben. All dies muss als politische Aufgabe verstanden und umgesetzt werden.

Was ist die Bedeutung unserer Veranstaltung hier in Luzern, einer Gegenveranstaltung zu dem von der offiziellen Politik durchgeführten “Europa-Forum”, in welchem es insbesondere um militärisch abgestützte, asylfeindliche und armutverachtende Sicherheitspolitik geht? Als ich hierher kam, schweifte der Blick über den See und hielt die Dörfer und Berge an den Ufern fest, und er ging in die Runde der Menschen, die aus allen Gegenden zusammengekommen sind.

Und es wurde mir einmal mehr klar, dass das, was zu den Bedürfnissen unseres gelebten Lebens gehört, nämlich die menschlichen, auch die politischen Mängel und Fehlentwicklungen zu klären und politische Gegenmodelle demokratischer Machtausübung zu entwickeln, in politischer Hinsicht unaufschiebbar ist. Es geht darum, den menschlichen Respekt sowie das gewaltfreie und notfreie Zusammenleben der Menschen, unabhängig von deren Herkunft, Sprache, Geschlecht, Alter und Religion, in einem politisch und kulturell so starken und stärkenden Mass zu fordern und zu fördern, dass die Rechtsaussenbewegungen zurückgehen und keine ängstigende Macht mehr ausüben.

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Entwicklungszusammenarbeit fördert den Frieden

Von Peter Niggli, Geschäftsleiter der Arbeitsgemeinschaft Swissaid/Fastenopfer/Brot für alle/Helvetas/Caritas

Wohin floss die Friedensdividende?

Seit elf Jahren wäre es möglich gewesen, eine Friedensdividende in friedensfördernde politische und gesellschaftliche Taten zu investieren. Die Bilanz zeigt enttäuschende Resultate. Wo die Militärausgaben gesunken sind – die Schweiz hinkt hier hintendrein -, wurde die Friedensdividende für alle möglichen Zwecke kassiert, jedoch nur selten gezielt für Friedensförderung. Nun könnte man sagen, die pekuniäre Seite sei nicht so wichtig. Wichtig sei, dass die Friedensdividende wenigstens die Köpfe der Machtträger erreicht und ihr Denken sanft verändert habe.

Tatsächlich ist in manchen Regierungsberichten und internationalen Deklarationen etwas Friedensdividende abgelagert und zu erstaunlichen Einsichten geronnen. Die guten Ideen haben es jedoch ungemein schwierig, in ebenso gute Taten Eingang zu finden.

So ist man sich geistig heute ziemlich einig, dass Frieden und Sicherheit davon abhängen, dass die globale Kluft zwischen Arm und Reich und der ungeheure Unterschied an Lebenschancen zwischen Norden und Süden irgendwie gemildert wird. Entwicklungszusammenarbeit, die Förderung der Demokratie, die Stärkung der Frauen und benachteiligter Minderheiten, das alles sind Mittel dazu.

Es gibt auch keinen ernstzunehmenden intellektuellen Einspruch, wenn der nachhaltige Umgang mit lebensnotwendigen Ressourcen als Voraussetzung für die Sicherung des Friedens gilt. Jedes Kind kann heute schon herunterbeten, dass um Wasser Kriege ausbrechen werden, falls keine gerechte Verteilung angestrebt wird. Die wirtschaftlichen Änderungen für eine ökologisch tragbare Produktions- und Lebensweise, der Pfad in eine andere technologische Zukunft, die Herstellung eines Mindestmasses an gesellschaftlicher Partizipation und Gerechtigkeit – alles, was es braucht, um zu nachhaltigerer Entwicklung zu gelangen, ist bekannt.

Es scheint jedoch, als hätten alle diese Gedanken – das geistige Fett der Friedensdividende – eine dunkle Kehrseite. In denselben Köpfen, die zur guten Einsicht drängen, wandeln sich die zu lösenden Probleme in Gefahren. Die Armen im Süden erscheinen als Gefahr für die Reichen im Norden. Die Wasserknappheit der einen scheint den anderen gefährlich, die einen Wasserüberschuss besitzen. Implodierte, instabile Machtgebilde, die an Ungleichheit, Dominanz und mangelnder Demokratie zugrundegingen, scheinen bedrohlich für die Satten und Friedlichen.

Europa leidet an dieser Schizophrenie. Soll man die Ursachen der Destabilisierung und Friedensbedrohung angehen oder ihre Folgen? Oder beides ein bisschen? Im Unterschied zu den Vereinigten Staaten liess Europa seine Budgets für Entwicklungszusammenarbeit nicht auf Null sinken. Moderne Konzepte der Friedensförderung erfreuen sich beträchtlicher Beliebtheit in kleinen Friedensboutiquen der Aussenministerien. Etwas Nachhaltigkeit und Ökologie hat sowohl die Binnenmarktmaschine der EU als auch die Schweiz über den Zeitgeist hinaus gerettet.

Aber von einer Umkehr der Investitionen, von einer spürbaren Verwendung der Friedensdividende kann keine Rede sein. Materiell am besten abgesichert sind diejenigen Initiativen, die auf die bewaffnete humanitäre oder friedensfördernde Intervention zielen. Die Destabilisierung mit Waffengewalt zu verhindern beziehungsweise von den eigenen Grenzen fernzuhalten, sich abzuschotten, die eigenen Ressourcen etwas zu schonen und den Rest des Planeten zu plündern, das sind alles neue Ausformungen der Friedensära nach dem Kalten Krieg, die uns aus der früheren Geschichte des Kontinents nicht ganz unbekannt sind.

150 Milliarden Dollar gaben die westlichen Staaten zwischen 1991 und 1998 aus, um die Zerfallskonflikte im ehemaligen Jugoslawien diplomatisch und militärisch zu befrieden. Darin sind die Kosten des Kriegs im Kosovo vom vergangenen Jahr noch nicht enthalten. Nur ein Bruchteil davon wurde im Sinne einer Friedensdividende in die Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Perspektiven der Region investiert. Heute zählt die Uno-Protektoratsverwaltung des Kosovo die Rappen, nachdem die Nato 1999 einige Milliarden Dollar mobilisiert hatte.

Jugoslawien ist nur das naheliegende Beispiel. Nach demselben Muster investiert Europa und die USA weltweit ein Vielfaches in Abschottungssicherheit und nur ein Rinnsal in diejenigen Aktivitäten, die unbestrittenermassen versprechen würden, die grossen Spannungen und Probleme unserer Welt an der Wurzel anzugehen.

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Solidarität schafft Sicherheit – für ein ziviles und solidarisches Europa

Von Barbara Müller, cfd-frauenstelle für friedensarbeit

Solidarität und Sicherheit, zwei Wörter die, in Zusammenhang mit Europa wohl die verschiedensten Assoziationen auslösen. Bei den Damen und Herren aus Wirtschaft, Politik und Militär, die ab morgen hier in Luzern tagen werden, lösen sie sicher andere Bilder aus als bei uns, Vertreterinnen und Vertretern linker, feministischer, friedenspolitischer Organisationen. Doch ich bin fast sicher, dass es auch unter uns hier Anwesenden die unterschiedlichsten Vorstellungen davon gibt, was Sicherheit, was Solidarität bedeutet. Und ich glaube auch, dass verschiedene Vorstellungen davon, was Europa ist oder sein soll, hier vertreten sind. Ich will im Folgenden versuchen darzustellen, was Sicherheit und Solidarität aus einer feministischen Perspektiven bedeuten:

Den Männern wird im Krieg die Aufgabe zugeschrieben, die Frauen zu schützen und für ihre Sicherheit zu garantieren. Ganz offensichtlich erfüllen sie ihre Aufgabe schlecht, denn 90% der Kriegsopfer sind Frauen und Kinder. Schlimmer noch: in vielen Kriegen wurden und werden Frauen für Kriegszwecke benutzt, indem z.B. Vergewaltigung oder Zwangsprostitution als Kriegswaffe eingesetzt wird. Die Zivilbevölkerung und dabei speziell die Frauen haben die Konsequenzen eines Krieges zu tragen und Lebensstrategien zu erfinden um sich selber und ihre Kinder zu schützen. Frauen tragen vor, während und nach einem sogenannten Konflikt die Zivilgesellschaft, übernehmen Rollen, die ihnen traditionellerweise verschlossen sind und die sie auch sofort nach Beendigung eines Konfliktes wieder abgeben müssen.

Rüstung und militärische Verteidigungsbereitschaft garantieren keine Sicherheit, sondern schaffen im Gegenteil neue Gewaltverhältnisse. Frauen sind in der Regel nicht an den Entscheidungen über Krieg und Frieden beteiligt. Armeen, Verteidigungsministerien, internationale Verteidigungszusammenschlüsse werden weitgehend wenn nicht ausschliesslich von Männern gelenkt. Erst seit die Armeen begonnen haben, so genannte Friedensmissionen zu erfüllen, werden mehr und mehr auch Frauen miteinbezogen. Wobei auch diese Frauen weniger in Entscheidungspositionen sitzen sondern es werden ihnen untergeordnete Aufgaben zugeordnet. Dies haben Untersuchungen z.B. bei der Kfor-Truppen in Kosova oder Studien in OSZE-Missionen ergeben. Frauen werden vor allem dann eingesetzt, wenn es um Fragen der Menschenrechte geht, da Mann dem weiblichen Sozialcharakter einen natürlichen Gerechtigkeitssinn zuschreibt.

Ich bin mir bewusst, dass es Frauen gibt, die freiwillig in die Armee gehen, die sich zu Auslandeinsätzen melden und die den Einbezug der Frauen ins Militär als einen Schritt Richtung Gleichberechtigung sehen. Dies ist die Entscheidung einer jeden einzelnen. Trotzdem behaupte ich, dass ein gleichberechtigter Einbezug von Frauen auf allen Ebenen der Vorbereitung und Durchführung von Kriegen kaum den Interessen der Frauen der Zivilgesellschaft entspricht. Weltweit räumen die meisten Frauen der Erhaltung der Lebensgrundlagen und der Überwindung von Gewalt in allen Lebensbereichen höhere Priorität ein als der kollektiven Fähigkeit, Kriege zu führen oder eine militärische Verteidigungsbereitschaft zu erstellen. Und auch diese Tatsache ist nicht allein auf den weiblichen Sozialcharakter zurückzuführen sondern hängt teilweise auch mit der gesellschaftlichen Rollen- und Arbeitsteilung zusammen. Ebenso wie ich Wert darauf lege, dass bei den Frauen differenziert wird, möchte ich das bei den Männern machen, denn auch die Männerfront ist keine in sich geschlossene Front. In der klassischen Rollenverteilung, die vom starken und vom schwachen Geschlecht ausgeht, ist auch die männliche Rolle einseitig besetzt und schränkt Handlungsmöglichkeiten ein. Genau deshalb spielt die feministische Fragestellung auch für linke Männer eine wichtige Rolle, da wir genau das ansprechen, was auch ihr aufbrechen wollt.

Der Friedensbegriff der Frauenstelle für Friedensarbeit geht denn auch über die blosse ‘Abwesenheit von Krieg’ hinaus. Wir fordern einen Sicherheitsbegriff, der soziale Gerechtigkeit ins Zentrum setzt und Frauenrealitäten einschliesst. Eine Sicherheit, bei der Frauen nicht einfach mitgemeint sind, sondern an deren Ausformulierung und Konstruktion sie massgeblich beteiligt sind. Und zwar auf allen Ebenen. Frauen dürfen auf keinen Fall von den Friedensverhandlungen und der Wiederaufbauphase ausgeschlossen sein: Wie kann von Sicherheit für Frauen gesprochen werden, wenn, wie z.B. in Georgien, Flüchtlingsfrauen und intern vertriebene Frauen in ein Gebiet zurückgeschickt werden, in dem noch der selbe General herrscht, der für ihr Vergewaltigungen und die Ermordung ihrer Familienangehörigen verantwortlich ist? Und wie kann von Sicherheit für Frauen gesprochen werden, wenn nach Beendigung eines bewaffneten Konfliktes die Mehrheit der Kleinwaffen in private Haushalte verschwinden?

Aber eigentlich müsste die Partizipation der Frauen schon viel früher beginnen, nämlich beim Aushandeln von gesellschaftlichen Regeln und Umgansformen, bei all dem, was einem schlussendlich das Gefühl von ‘Sicherheit’ gibt. Nur ein Sicherheitsbegriff der weibliche Realitäten mit einschliesst, wird den Bedürfnissen aller gerecht und kann als Grundlage für den Aufbau einer gleichberechtigten Gesellschaft dienen.

Ich will dabei nicht in die selbe biologistische Falle treten wie diejenigen, die von der angeborenen Friedfertigkeit der Frauen sprechen und behaupte deshalb nicht, Frauen hätten per se einen anderen Friedensbegriff als Männer. Ich will mich durchaus der Kontroverse stellen, dass wir hier in der Schweiz als cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit uns für ‘höchstens zum Selbstschutz bewaffnete Schweizer Auslandeinsätze’ starkmachen und gleichzeititg unsere Projektpartnerinnen in Kosova den Einsatz der Nato befürworteten. Ich würde aber behaupten, dass wir uns insofern einig sind, als dass wir beide betonen: Das allein genügt nicht. Es braucht noch etwas anderes. Vorher, gleichzeitig, nachher. Das Fehlen von friedensfördernden und friedenserhaltenenden Instrumenten darf niemals die Legitimation für friedenserzwingende Massnahmen sein sondern soll im Gegenteil Motivation dafür sein, alle Kräfte zur Erarbeitung und dem Aufbau von solch friedensfördernden und friedenserhaltenden Instrumente.

Nicht viel anders steht es mit dem Begriff Solidarität. Eine frauengerechte Solidaritätspolitik basiert auf einer umfassenden Solidaritätspolitik: Entschuldung, faire Preise, Sozialklauseln, Armutsbekämpfung, Überwachung internationaler Verträge und Gremien, usw.

Solidarische Politik zugunsten von Frauen bedeutet jedoch noch mehr: Dabei geht es unter anderem um den Zugang zu Ressourcen und Produktionsmitteln, um den Einbezug in Entscheidungsprozesse im öffentlichen wie im privaten Bereich, um Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, um körperliche Integrität, um freie Verfügung über die Fortpflanzung, um Schutz vor Gewalt und anderes mehr.

Feministische Frauen und Frauenorganisationen weltweit fordern Frieden als eine Grundbedingung für ein besseres Leben, Gerechtigkeit und Entwicklung. Die Voraussetzung, um Frieden zu erreichen, ist nicht allein die Abwesenheit von Krieg, sondern auch eine umfassende Entmilitarisierung aller Gesellschaftsbereiche. Zuerst braucht es eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von Interessen ächtet und überflüssig macht. Feministische, solidarische Entwicklungszusammenarbeit heisst in diesem Zusammenhang, bereits vorhandene, zivile Strukturen und Initiativen, konkret, Projekte, die die Eigenverantwortung und das Empowerment von Frauen zum Ziel haben, zu fördern.

Was heisst das nun auf Europa bezogen? Es bedeutet zum Beispiel, den fremdenfeindlichen Diskursen etwas entgegenzusetzen. Es bedeutet, Migration als Tatsache und nicht als Bedrohung zu sehen, die Diskussion über Migration zu Dekonstruieren, sie zu Entkulturalisieren und Entnationalisieren. Es bedeutet, MigrantInnen die gleichen Rechte zuzugestehen wie wir sie selber besitzen und sie in ihren Forderungen zu unterstützen. Es bedeutet eine Umverteilung der Ressourcen, die Reduktion von materiellem Gebrauch und die Bereitschaft, auf gewisse Privilegien zu verzichten. All die bereits erwähnten Forderungen sowie viele mehr sind unter anderem in der europäischen Plattform des Weltmarsch der Frauen 2000 enthalten. Sich hinter diese Forderungen zu stellen bedeutet, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, die Situation der Frauen in ganz Europa und auf der ganzen Welt wahrzunehmen und sich hinter ihre Forderungen zu stellen.

Eine Sicherheit, wie sie die cfd-Frauenstelle für Friedensabeit versteht, kann nicht von einer Armee garantiert werden. Weder von der Eigenen, noch von der Gegnerischen, noch von einer sogenannt neutralen, friedenssichernden. Demokratie, und damit verbunden Transparenz, sind für uns zentrale Werte europäischer Politik. Eine europäische Sicherheitspolitik muss deshalb von Institutionen geprägt werden, in denen Transparenz, demokratische Mitbestimmung und der Zugang für Nichtregierungsorganisationen gewährleistet sind. Militärverbände wie die NATO garantieren dies nicht. Ansätze ziviler Konfliktlösung müssen unabhängig von politischen oder wirtschaftlichen Interessen und unter Einbezug aller sozialen Gruppen gesucht werden. Ein konkreter Schritt in diese Richtung ist die Initiative für einen zivilen Friedensdienst. Die Idee ist, dass gut ausgebildete Frauen und Männer in Konfliktsituationen zur Verfügung stehen, um mitzuhelfen, eine gewaltfreie Form der Konfliktlösung zu erarbeiten und die am Konflikt Beteiligten beim Aushandeln und später bei der Umsetzung von Vereinbartem zu begleiten und zu beraten. Das können kleinere Konflikte auf lokaler Ebene sein, aber auch Konflikte auf internationaler Ebene. Entscheidend ist der Punkt, dass für die Forschung und Praxis ziviler Konfliktlösungsmöglichkeiten endlich ebenso viel Mittel und Menschen zur Verfügung stehen wie für militärische Forschung und Aktionen, dass Geld für Ausbildung und soziale Sicherheit investiert wird statt für Waffen und den Unterhalt von Armeen.

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Hilfswerke im Spannungsfeld von Krieg und Frieden

Von Zoltan Doka, Schweizerisches ArbeiterInnen-Hilfswerk SAH

Dimensionen und Kräfteverhältnisse

Die humanitäre Tradition der Schweiz wird immer wieder als starkes Argument für unsere Aussenpolitik herangeholt. Ein Barometer dieser humanitären Einstellung der schweizerischen Bevölkerung sind die Sammelergebnisse der Glückskette.

Am 9.4.1999 hat die Glückskette einen der erfolgreichsten Sammeltage ihrer Geschichte durchgeführt. Rund 38 Mio. Fr. wurden für die Menschen aus dem Kosova gespendet.

Das sind rund 27 Tomahawk Raketen.

Mit diesem Zahlenbeispielen will ich nur die Dimensionen und die Kräfteverhältnisse zwischen der Politik und Militär und den Hilfswerken und NGO’s aufzeigen.

Wir sind in jeder Kriegssituation von Anfang an in einer schlechten Ausgangslage, da uns die Mittel und Kapazitäten fehlen, um die realen Bedürfnissen der Betroffenen abzudecken. Diese Erkenntnis soll aber nicht heissen, es habe ja keinen Sinn mit den betroffenen Projekte zu entwickeln und durchzuführen.

Ausschlaggebend für die Sammelergebnisse ist die “Medienstimmung” im Land. Ist eine Ereignis medial zuwenig attraktiv, wird nur ein Aufruf lanciert, wie der zum Kosova im Winter 1998, der nur einige 10’000 Fr. eingebracht hat, obwohl in der Realität die Situation schon damals mehr als prekär war. Andere Krisengebiete werden in den Medien und der Politik kaum wahr genommen, wie der Krieg in Angola.

Die beendeten und kommenden Kriege im ehemaligen Jugoslawien werden Europa über Jahre beschäftigen. Die ökonomischen Grundlagen Serbiens wurden nachhaltig zerstört. Die angrenzenden Länder, wie Albanien und Mazedonien wurden massiv destabilisiert und die Zukunft der Teilrepublik Montenegro ist immer noch ungewiss . Die Kosten dieser Destabilisierung kann heute noch keiner Beziffern, ebensowenig die Kosten eines Wiederaufbaus. Der Marshal-Plan für den Balkan ist aber unter den Titel Stabilitätspakt schon auf dem Weg. Und hat von Beginn an mehr Enttäuschung als Enthusiasmus ausgelöst.

Der Marshal Plan von einst und heute.

Wiederaufbau in den ehemaligen Krisengebieten in Osteuropa bedeutet nicht die Rekonstruktion dessen was war, sondern die Neugestaltung eines ökonomischen und politischen Systems. Die betroffenen Länder haben 3 immense Herausforderungen: Die Verarbeitung des Kriegstraumas in der gesamten Bevölkerung, die politische Neuordnung (Sei dies durch eine neue Regierung oder durch ein Protektorat) und die Umstellung von der Planwirtschaft in eine freie Marktordnung. Wie schwierig dieser Prozess ist, sieht man in den kriegsverschonten Ländern Rumänien und Bulgarien, die immer wieder am Rande eines Kollaps stehen. Ungleich komplexer ist es in Bosnien und wird es auch in Serbien sein.

Hatte man noch vor 50 Jahren den schnellen Neubeginn Deutschlands nach dem Krieg bewundert, fragen wir uns heute warum der “Wiederaufbau” in anderen Kriegsversehrten Ländern so schwierig ist. Ein Aspekt, neben den politischen Ränkespielen aller beteiligten Parteien, ist sicherlich ein Paradigmenwechsel in der globalen Wirtschaftspolitik. War bis Mitte der 70-Jahre ein starker staatlicher Sektor das normalste auf der Welt, ist seit dem ersten Neo-Liberalen Test in Chile 1973/74 die Demontage des staatlichen Sektors zum Hauptziel der westlichen ökonomischen und politischen Elite geworden. Der Marshall-Plan für Deutschland basierte aber auf den Grundsätzen einer sozialen Marktwirtschaft, in der man versuchte für eine möglichst breite Masse der Bevölkerung einen Wohlstand zu generieren, und sei es auf Kosten des Staates bzw. des Kapitals. Wenn wir nun an das zerbombte Serbien und Kosova denken, oder an Bosnien, wird durch den Wiederaufbau, der mit beträchtlichen Mitteln der Neo-Liberalen finanziert wird, natürlich auch einen neo-liberale Wirtschaftsordung eingeführt oder zumindest versucht. Also wird Privatisierung und Budgetdefizit Vorgaben von 3% das künftige Marktwesen dieser Länder prägen. Ob sie wollen oder nicht. Das die Instrumente des Neo-Liberalismus nicht gerade zur Entwicklung von prosperierenden Gesellschaften beiträgt haben wir aber schon etliche Male in anderen Ländern mit ansehen müssen.

Es geht immer alles nach Plan, nur nicht so wie wir es gedacht haben.

Wiederaufbau oder besser gesagt Soziale Erholung, gerade in Kriegsversehrten Ländern dauert immer länger als man meint. In Bosnien sprach man von 2 Jahren, nach Unterzeichung des Dayton Vertrags, bis die Rückkehr abgeschossen ist und sich die Lage einigermassen stabilisiert hat. 4 Jahre nach Dayton ist die politische Situation immer noch sehr unstabil. Der ökonomische Wiederaufbau noch nicht die kritische Masse erreicht, um von einem Ende der Wiederaufbau Phase zu sprechen. Dieser wird noch gewaltige Mittel benötigen, die jetzt aber in den neuen Brennpunkt verschoben werden.

Aber auch Kosova und Serbien werden wieder aus den Schlagzeilen verschwinden, den es wird neue Krisenherde geben. Und dann richtet sich die volle Aufmerksamkeit an diesen neuen Ort.

Und die Geldflüsse werden umgeleitet.

Obwohl die vorher beschriebenen Sachverhalte unsere Arbeit sehr beeinflussen, versuchen wir aber als Hilfswerk trotzdem einen Beitrag zu leisten um die Folgen der Politik und Militärs zu linderen. Die Stärkung der zivilen Gesellschaft durch die Unterstützung von lokalen Interessengruppen, wie Frauen, Medien, Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen, LehrerInnen ist dabei zentral.

Die Hilfswerke müssen sich bei Ihrem Tun nur immer im klaren sein, ob sie nun Wasserträger der Neo-Liberalen werden, oder ob sie die Gratwanderung schaffen Unabhängigkeit zu bewahren und trotzdem genügend Mittel zu beschaffen um ihre Arbeit zu finanzieren.

Es ist heute eine Tendenzen feststellbar bei der NGO‘s von “offizieller Seite” als ein wirksames Instrument zu Problemlösung wahrgenommen werden. Wir seien flexibel, nahe bei den Betroffenen und engagiert in der Sache. Dabei wird den NGO’s ein Bruchteil der Mittel zugesprochen, die für militärische Aktionen ohne grosse Fragerei nach Nachhaltigkeit und Sinn ausgegeben werden. Es ist auch fest zu stellen, dass die Armeen sich ihre Legitimität über sog. humanitäre Einsätze holen wollen, mit dem Argument sie hätten ja alle erforderlichen logistischen und personellen Voraussetzungen dies zu tun. Dies führt zu einer “Militarisierung” der humanitären Hilfe bei der man nicht mehr nach den Ursachen eines Konfliktes fragt, sondern in den Einsatz geht.

Einen Punkt habe ich in meinen Ausführungen noch nicht erwähnt. Den der Prävention. Angenommen man hätte die Serbische und Kosovarische Opposition, die Träger der Zivilgesellschaft, die unabhängigen Medien, die Unternehmer, die Geld verdienen wollen egal mit welcher Ethnie, seit 10 Jahren mit einem Bruchteil der Mittel unterstützt, die man im wahrsten Sinne verpulver hat, hätten wir wahrscheinlich eine andere Ausgangslage.

 

Support to civil society as a strategy in conflict prevention and peace-building

Nena Skopljanac

The symposium taking place in Congress and Cultural Center in Luzern on April 27-28 – under the title “Security Policy in Europe” – was a direct cause for organising this counter-conference today.

As focusing on the topics like defence system, struggle against crime, arms issues, global economy and migration problems, the symposium leaves no doubts that it looks upon a phenomenon of security on one hand from a prospective extremely reduced on military aspects, while on the other hand it stays limited within Europocentirc point of view that leaves no space for practising true solidarity principle in international politics. It stays within a framework of attempting to discuss possible dealing with consequences, while it completely fails to even open, let alone discuss, possible strategies and means to address reasons and causes for insecurity on a proper way.

Exactly this is how I understood meaning and sense of this event we are taking part in today: to try to elaborate various insecurity factors and to look for possible strategies and concrete measures to address them in a manner of solidarity principle, cooperation, and inter-active citizen participation.

 

 

In order to avoid staying on an abstract level, I would in my further elaboration focus on one among many of in and outside insecurity factors, but one that is perceived as the biggest explicit threat to regional, European and world-wide security – armed conflicts. And I will specially refer to those that happened and are still going to happen in the Balkans, more precise on the territory of the former Yugoslavia. I used a term armed conflict and not war, not because I do not think it is a war, but to emphasise a term conflict. Exactly conflicts on individual, micro- and macro-social, as well as international level are ground for creating insecurity on all these levels. Or better to say, not conflict per se – as they are inevitable part of a normal situation – but a way how we deal with them. There is no study in the field of conflict theory, nor is there some seminar and training on conflict resolution, which does not convey the following as key-thesis: 1. Conflict is not emerging just like that, but because some factors created ground for its emerging. 2. Conflict can not disappear itself, just like that, but an active participation of conflicted sides in its resolution – i.e. dealing with reasons that enabled it and with consequences it made – is required. 3. If nothing, or not enough, or not with required means, is taken in order to resolve some conflict, it will develop further, always becoming more complex, deeper, stronger – till it escalates into an open violence, armed conflict, war.

Also, the crucial aspect is the one formulated in the thesis no.2. In all parts of the former Yugoslavia, a large majority of citizens was in times before each of the wars in the area broke out against it. Only some of them have been actively participating in a number of various civil society grassroots groups and initiatives who tried to resolve conflicts. They were small, with quite limited financial and material resources, and without needed know-how. They were either fully neglected or not enough seriously recognised by large majority of players within so called international community – both official and non-governmental – and only by a very few really concretely supported.

Who heard and reacted upon warnings coming from independent intellectuals and peace groups in former Yugoslavia during 1990 that the war would break out if nothing would be done? Who supported dozens of civic groups and initiatives throughout the country who staged daily protests and public events in spring 1991 aimed at alarming and mobilising domestic and international public to urgently act in preventing the war? I do not know if someone knew about it and how wide circles of those who knew were. But I know that absolutely none of various possible concrete support was given.

What did we do when Kosov@ Albanian students were asking during their mass protests in autumn 1997: Europe, where are you? Tens of their appeals were circulating for months per e-mail in which they were desperately seeking for urgent support in non-violent conflict resolution trainings and joint developing of strategies and means to deal with conflict which started getting components of sporadic armed clashes. According to what is known to me, only three international organisations responded and concretely supported them: Balkan Peace team, International Fellowship of Reconciliation, and Nansen Academy from Norwey.

Who knew about initiative of a several student groups in Serbia called “Anti-war Campaign Serbia” in spring 1998. While the war in Kosov@ was getting in intensity, they planned to distribute 1 million leaflets with anti-war texts, as well as stickers and posters calling on citizens not to support the regime’s war policy. They got only around 50,000 DEM support from Soros Foundation for this action. Instead in all cities throughout Serbia, they were able to carry out this action only in a quarter of them.

EDA PA III received in spring 1998 through the Embassy in Belgrade the project of ANEM (Association of Independent Electronic Media) to produce in a co-operation with Koha ditore from Kosov@, and with a support of the BBC expert team, 2 one-hour documentary movies on violation of human rights in Kosov@, to be subtitled both in Albanian and Serbian, and broadcast on ANEM stations and TV in Tirana. As ANEM has been among our partners, we strongly supported this application. However, EDA PA III decided not to approve the grant. Was 100,000 SFr. too much for the project aimed at confidence-building among Albanians and Serbs. The audience in Serbia (and we are speaking about 1.6 million audience) stayed without possibility to understand what really Kosov@ conflict was about, while Kosov@ Albanians did not have a chance to realise that there are some Serbs who did really care about what was happening to them.

These are only a few examples. There have been many more for the last decade I could list now, but, instead, I would prefer to focus on what might be useful for a future acting and use these examples as references for lessons that we learnt from the past.

Among a wide spectrum of strategies and means that acteurs from outside of a conflict area can do in order to prevent conflict’s escalation and thus a break-out of a war, a support aimed at strengthening a civil society in a conflict area has been recently gaining more and more on importance. Citizens who organise themselves in order to actively participate in resolving a conflict, who are ready to establish contacts and develop joint projects and initiatives with same-minded citizens on “other side”, should be given outmost support. A hard-core of civil societies in conflict areas usually make human rights-, women-, students and youth, independent intellectuals organisations, independent trade-unions, various citizens initiatives in the field of democracy building, and independent media. Experience from the area of the former Yugoslavia shows that they are – if supported on an appropriate way – able to mobilise and articulate a certain, in some cases even impressive, amount of social energy and acting aimed at moving social and political development into a direction that contributes to a conflict resolution. I will give you a few examples to illustrate this.

Positive results in the last elections in Croatia, that were welcome in Europe with an open enthusiasm, were a great deal possible thanks to a half-an-year joint campaign of a few hundreds of Croatian NGOs called “Vote 99”, who managed to educate voters on importance and meaning of elections and mobilise them, especially the most marginalised social groups (youth, women, elderly, unemployed) to cast their ballots.

40 towns where the opposition won the last elections in Serbia are exactly those towns where independent local media exist. Without their professional reporting, critical analysis of the regime, and influencing citizens to think on their own and not according to what was offered by the regime’s propaganda this would certainly not happen. Also the demonstrations that took place after the results were annulled by the regime were extensively covered and encouraged by those media.

Independent media from Kosov@ managed within an astonishingly short time to revive their operation in exile in Macedonia and Albania and thus provide hundreds of thousands of refugees so much needed information on what was going on, where their family members were, what kind of support, where and from whom they could get, etc. Already in telephone contacts, while still waiting on the border to leave Kosov@ or immediately after arrival in Macedonia, all of them were expressing enormous will to re-start their operation – immediately.

In an immediate post-war situation, causes of conflicts that led into it still remain unresolved. A long-term, systematic and well-thought broad spectrum of measures and activities is needed to be carried out in order to reach a stable peace. Essence of the peace-building process represents a process of re-building a society able to deal with its conflicts on a peaceful and non-violent way. It is not about models that can be planted everywhere no matter of social, political and cultural environment. Therefore, a strategy of the international community to create own models without participation of local players and than to introduce them from above, through structures and institutions also established and run by it – which was on the international conference “Kosovo Media Development” in Pristina in October 1999 defined as “Kosovarisation” – simply can not work. As we are witnessing now in a case of Kosov@. A strategy should rather be to help creating a proper framework and then support local players to re-build their society themselves. More precisely, it should disfavour those local players who are contributing to maintenance or even new sharpening of conflicts and support those aiming at creating possibilities for their resolution.

Let me give you just one example. With a support of Swiss government (DEZA/AZO), and run by the Swiss NGO (Foundation Hirondelle), the UNMIK Radio Blue Sky was established. The editors and mangers are exclusively internationals. Also, those who decide on a concept, programme content and a way of its presenting to Kosov@ audience are people who have probably never before been in Kosov@, who do not know its society, who do not know culture and value system of its audience, who do not know causes of the conflict, how is it understood and explained by conflicted sides, what wounds it left in individual and collective memory, etc. Radio inevitably fails to make a programme a larger audience would listen to. Still after a several months, large majority of Kosov@’s population has never heard of the radio, let alone listened to it. The radio manages at present to produce only 2 hours of programme, while the rest is music. Annual costs for the project are – 2 million Swiss francs, which makes it being one of the most expensive radio programmes in the world (according to hours of produced programme and the staff number).

On the other hand, not a single franc was given to support any of local media who are our partners: the daily “Koha ditore”, the weekly “Zeri” and the daily “Zeri i dites”, Media Project – RTV 21 and Radio Contact. All of them are established and run by prominent professionals, people who have for years proven as open-minded, moderate, tolerant and as such have initiated or participated in projects aimed at resolving Kosov@ conflict on a peaceful way. They have been among those to first publicly rise their voice against crimes and expulsions of non-Albanian population and to appeal for tolerance and peaceful coexistence. Those media are the most listened or read, which means that they do have credibility in Kosov@’s society. It is an enormous mistake not to support them to develop faster and become even more influential. It would have long-term positive results, and it would be much cheaper too.

New war is knocking at the door. This time in Montenegro. I am sorry to say that at present MH is the only Swiss organisation who has local partners and projects in Montenegro (I exclude here those who have only humanitarian aid projects there). HEKS and MH are the only to have partners and projects in Serbia. We are at the moment working on providing a support to ANEM affiliates – 32 radio and 20 TV stations throughout Serbia – equipment needed for an ordinary work in normal conditions, but which would be essential to provide broadcasting also in a situation when Milosevic would attempt to completely disable operation of these stations. We are convinced that in a time of war preparations and war itself, enabling a public in Serbia to get professional reporting on what really is going on is extremely important. However, we do know that this is just a very small contribution, even if it comes from a small group of people engaged on a pure voluntary basis.

Time to try to do something to prevent this new war is quickly running away, and it seems that not so many are aware of it. If they are, it looks than as if they do not care about it.

People who will meet in next two days on the symposium of Europa Forum Luzern will not discuss it as political strategies and means in conflict prevention is not among their topics.

I am unpleasantly surprised with a fact that in given circumstances the most prominent activity of Mr. Josef Deiss, Swiss Minister of Foreign Affairs, in regard to the Balkan region is to take part in a promotion of DJ Bobo’s concert in Sarajevo. Maybe we will have to wait for some time till Swiss authorities will do something related to Montenegro. Unfortunately, prospects that it will be some pompous announced rock concert in destroyed Podgorica (capital of Montenegro) are certain.

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Die Militärausgaben umverteilen – die menschliche Sicherheit fördern

Von Toni Bernet, Sekretär der Umverteilungsinitiative

Es steht heute in einem krassen Missverhältnis, wieviel an Ideen, personellen Kapazitäten und Geld aufgewendet werden für zivile und für militärische Konfliktbearbeitung:

Vergleichen wir die Budgetposten im Bundehaushalt: Im Budget des EDA für “Friedensförderung” stehen in diesem Jahr etwa 30 Millionen Franken zur Verfügung, die für zivile Beiträge an UNO- und OSZE-Projekte geleistet werden, inkl. die Ausbildung und den Einsatz für MenschenrechtsbeobachterInnen und das in diesem Jahr beginnende Projekt zur Ausbildung von Friedensförderungs-ExpertInnen; beim VBS ist der Budgetposten “Friedensförderung” in diesem Jahr etwa doppelt so hoch (inkl. Swisscoy-Einsatz) – aber rund dreissig Mal mehr wird allein für Rüstungskäufe ausgegeben.

Gegenüber einer grosszügig berechneten Summe von anderthalb Miliarden Franken für die internationale Friedensförderung (darin ist die gesamte Entwicklungszusammenarbeit mitgezählt) gibt die Schweiz das dreifache für die Landesverteidigung aus.

Ein ähnliches Missverhältnis müssen wir für die europäische Ebene feststellen: So hielt die Friedensforscherin Jutta Koch an der Tagung “Weichen stellen” im letzten September fest: “Die Steuergelder fehlen bei der Umsetzung der eigentlichen Friedenspolitik in Europa, die auf ökonomische Integration Ost- und Südosteuropas, gestufte westliche Marktöffnung unter Orientierung an ökologischen Standards, Krisenprävention und Konfliktbearbeitung mit friedlichen Mitteln, Stärkung der OSZE und der Vereinten Nationen setzen müsste.”

Die Umverteilungsinitiative (mit vollem Titel Volksinitiative “Sparen beim Militär und der Gesamtveteidigung – für mehr Frieden und zukunftsgerichtete Arbeitsplätze”, die Abstimmung ist am 26. November 2000 zu erwarten) stellt eine konkrete Antwort dar auf die Frage, wo in der künftigen Friedens- und Sicherheitspolitik investiert werden soll. Sicherheit beschränkt sich nicht auf die Abwehr von bewaffneten Konflikten und organisierter Gewalt, worauf sich der offizielle neue Sicherheitsbericht des Bundesrats eingrenzt. Wir brauchen ein breiteres Verständnis von menschlicher Sicherheit, wo wirtschaftliche, soziale, Umwelt-, Geschlechterfragen, Bildung, Gesundheit genauso wichtig genommen werden wie Konfliktabwehr und -verteidigung.

Die Ressourcen und das Geld müssen dort investiert werden, wo sie eine langfristig sinnvolle Aufgabe erfüllen können, dafür ist die Umverteilungsinitiative ein Ansatz:

z.b. Entwicklung und Friedensförderung

Zusätzliche Mittel sollen für Entwicklungspolitik eingesetzt werden. Es gibt ein wachsendes Verständnis dafür, dass EZA neben der Aufgabe, Ursachen von bewaffneten Konflikten zu bekämpfen, sich zusätzlich mit konkreten Fragen der Konfliktbearbeitung befassen muss. Konkret auszubauende Bereiche sind:

  • Frühwarnung und Prävention

  • Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Gruppen

  • Ausbildung von Friedensförderungs-ExpertInnen, die im Rahmen von internationalen Projekten tätig sind. Ein Ansatz dazu ist der Zivile Friedensdienst

z.b. Sozialpolitik

Heute werden Sozialversicherungsbeiträge zur Finanzierung der Militärausgaben verwendet. So zahlen auch Frauen Lohnprozente in die Erwerbsersatzversicherung, Beträge, die nur an militärdienstleistende Männer (und ein paar Dutzend Frauen in der Armee) ausbezahlt werden, die aber zur Finanzierung einer Mutterschaftversicherung verweigert wurden. Oder die Einsparungen in der geplanten 11. AHV-Revision könnten aufgefangen werden, wenn die Umverteilungsinitiative verwirklicht wird.

z.b. zivile Produktion

Fast die Hälfte der militärabhängigen Arbeitsplätze in der Schweiz sind seit 1990 gestrichen worden, ohne dass eine Umstellungspolitik begonnen wurde – das bedeutet, dass heute noch die vermeintlich einzige Perspektive der im Militärbereich Beschäftigten darin liegt, um jeden Preis die Militäraufträge aufrechtzuerhalten. Der offiziell geplante Stellenabbau geht jedoch weiter. Es braucht für die langfristige Umstellung auf zivile Produktion und damit die Aufrechterhaltung der Beschäftigung den Konversionsfonds der Umverteilungsinitiative.

z.b. Kollektive Sicherheit

Eine Skizze für die umfassende Konfliktbearbeitung ist in der “Agenda für den Frieden” des früheren UNO-Generalsekretärs Boutros Ghali enthalten: die Stichworte dazu:

  • vorbeugende Diplomatie

  • friedensschaffende Massnahmen

  • friedenssichernde Massnahmen

  • Friedenskonsolidierung

  • und als eigentliche Hauptaufgabe die Konfliktursachen ausräumen.

Diese Konzept, von der UNO begonnen und weiterentwickelt, steht für ein aktives Engagement für die Friedensförderung im Rahmen einer völkerrechtlich abgestützten Kollektiven Sicherheit und ist nur mit einer aktiven internationalen Zusammenarbeit zu haben.

Fordern wir die Umsetzung der Vision von einer Kollektiven Sicherheit ein. Ich finde dies sinnvoller als nur zu Reagieren auf unliebsame Entwicklungen: Die Ideen und Konzepte für eine zivile Politik müssen konkret entworfen und vorbereitet werden. Dies ist meiner Meinung nach die Aufgabe der Friedensbewegung und der Linken, Alternativen zu einer militärlastigen Politik zu formulieren und Ansätze für eine neue Politik einzufordern.

Es geht dabei um einen Prozess der schrittweisen Abrüstung und des schrittweisen Auf- und Ausbaus einer Politik, die die menschliche Sicherheit fördert. Die Umverteilungsinitiative ist ein konkreter Vorschlag, wie die Mittel in zukunftsweisende Konfliktbearbeitung umgelagert werden können.

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Ziviler Friedensdienst als alternative Handlungsperspektive in der Konfliktbearbeitung

Von Jürgen Störk

Wenn ich mir die Liste der Gäste für das Europa Forum betrachte, vermute ich, dass in den nächsten zwei Tagen viel von Verteidigung, Rüstung, von militärischen Strategien und polizeilichen Massnahmen die Rede sein wird. Es scheint, als ob sich das Europa der Abwehr, Ausgrenzung und der Zwangsmassnahmen hier in Luzern trifft, um den Ausbau der Festung Europa koordiniert voranzutreiben. Es ist wichtig, gegen die beängstigende Vision einer europäischen Armee, schneller Eingreiftruppen und ähnlichen Abwehrmechanismen auch friedenspolitische Visionen zur Diskussion zu stellen. Deshalb danke ich den Veranstaltern des Zivilen Europa Forum dafür, diese Gelegenheit für eine Gegenöffentlichkeit geschaffen zu haben.

Ich möchte in meinem Beitrag für die Einführung eines zivilen Friedensdienstes plädieren. Ich sehe einen ZFD, so wie er heute in der Schweiz als Volksinitiative vorliegt, oder so wie er in unseren Nachbarländern Österreich und Deutschland bereits eingeführt wird, als sinnvolle und praktikable Alternative. Aus den zahlreichen Gründen, welche mich bewegen, für die Zukunft in der Konfliktpolitik nicht auf Soldaten sondern auf zivile Friedensdienste zu setzen, möchte ich drei Thesen ausführen:

  1. Der ZFD schafft gewaltfreie Alternativen zu militärischem Handeln
  2. Der ZFD schafft Demokratie in der Konfliktbearbeitung
  3. Der ZFD schafft Dialog und Verständigung

1. Der ZFD schafft gewaltfreie Alternativen zu militärischem Handeln

Ich vertrete Die Ansicht, dass die Bereitschaft und Fähigkeit zum Frieden sich in einer Gesellschaft letztlich nicht an ihrem Verteidigungspotential misst, sondern daran, welche Kapazitäten sie ausgestaltet hat, um Friedenspolitik zu betreiben. Die militärischen Sicherheitslogik und Verteidigungspolitik erstrebt Schutz und Abwehr von Gewalt durch Androhung von Gewalt Stichwort Dissuasion. Diese Methode bringt mit sich, dass von einem Teil der Bevölkerung – Männern – Gewaltausübung eingeübt, reproduziert und legitimiert wird. Demgegenüber bestaltet sich zivile Friedenspolitik als offener gewaltfreier Prozess, der aktiv und präventiv am Abbau aller Formen von Gewalt arbeitet. Das heisst, Friedenspolitik setzt einen andauernden dynamischen Prozess in Gang, der physische, psychische und strukturelle Gewaltverhältnisse unter Menschen abbaut und durch gewaltfreie Alternativen die Bildung einer friedlichen menschlichen Konfliktkultur verwirklichen hilft.

Die Überwindung der Gewalt ist ein langfristiger gesellschaftlicher Prozess, weil er erfordert, dass die Menschen nicht nur im Lesen und Schreiben sondern auch im gewaltfreien Umgang mit Konflikten gebildet werden. Die Initiative für einen ZFD trägt dem Rechnung, indem sie verlangt, dass ein freiwilliger, kostenloser Zugang zu einer Grundausbildung in gewaltfreier Konfliktbearbeitung ermöglicht wird. Die Einführung des ZFD wird in diesem Bereich ebenso bedeutsame und weittragende Konsequenzen für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft mit sich bringen, wie beispielsweise vor 200 Jahren die Einführung der allgemeinen Volksbildung im Bereich der Demokratie nach sich zog. Ging es damals um die Emanzipation des Menschen von der “selbstverschuldeten Unmündigkeit”, so geht es heute um die nicht minder anspruchsvolle Emanzipation des Menschen von “selbstverschuldeter Gewalt”. Doch das geht nicht von heute auf morgen und braucht Strukturen. Der ZFD bietet dank seiner pluralen zivilen Trägerschaft ein guter Rahmen um dem festgestellten langfristigen Bedarf für eine Alphabetisierung im gewaltfreien Umgang mit Konflikten beizukommen,

Dringend sind auch für die laufenden Auseinandersetzungen konkrete Alternativen zu militärischem Handeln gefragt, denn solange die Staaten so massiv und total einseitig in den Aufbau und den Unterhalt der „ultima ratio” d.h. militärischer Gewaltmittel investieren, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass vor der ulitma gar keine andere Mittel zum Einsatz. Der ZFD fördert und schafft gezielt gewaltfreie Methoden der Konfliktbearbeitung, baut sie aus und entwickelt sie weiter. Er befähigt uns Menschen und Gesellschaften, nicht erst dann zu handeln, wenn‘s knallt und dann bestenfalls zurück zu knallen, sondern rechtzeitig kreative Mittel und Methoden einzusetzen, damit es gar nicht mehr knallt. Vorsorgen ist besser als Heilen.

2. Der ZFD schafft Demokratie in der Konfliktbearbeitung

Im internationalen Diskurs über “Konflikte” geben staatliche Bünde den Ton an – begonnen mit der NATO, über die Europäische Union, bis hin zur OSZE, um nur drei der wichtigsten internationalen Instanzen zu nennen. Diese sogenannte „Realpolitik” spricht viel von „Sicherheit”, welche mit staatlichen und das heisst in erster Linie militärischen und polizeilichen Macht- und Zwangsmitteln garantiert werden soll. Dass dies trotz der mannigfachen Katastrophen, welche noch jede militärische „Konfliktbearbeitung” zeitigte, also kurz gesagt, wider besseres Wissen heute immer noch salonfähig ist und gar mit enormen personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet wird, hat nicht etwa damit zu tun, dass sie besonders wirkungs- und sinnvolle Konfliktbearbeitung leisten würde, sondern unter anderem mit der historischen Tatsache vielfältiger wirtschaftlicher Interessen, überkommener Strukturen und machpolitischem Kalkül.

Zwar gibt es im Bereich des zivilen Konfliktmanagement seit Jahren ebenfalls Ansätze von Bürgerinitiativen, auch hier kurz drei Beispiele: der Service Civil International, die Hesinki Citizen Assembly oder die Peace Brigades International. Diese und viele weitere Organisationen der Zivilgesellschaft, mischen sich bürgernah und mit gewaltfreien Mitteln ins Konfliktgeschehen und suchen aktiv und verändernd auf das Konfliktgeschen einzuwirken. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie am grünen Tisch der inszenierten Polittragödien bis heute leider wenig, um nicht zu sagen kein Gewicht haben. Ein Blick auf Jugoslawien zeigt, dass sie es leider nicht erreichten, die Konfliktdiskurse auf internationaler Ebene merklich zu zivilisieren, und das hiesse zu entmilitarisieren, geschweige denn, gewaltsame Konfliktverläufe in sichtbarer Weise zu beeinflussen.

Meine Erfahrungen mit zivilen Friedensdiensten im Rahmen der Peace Brigades International beweisen mir, dass dies nicht etwa daran liegt, dass gewaltfreie Methoden nichts taugen würden. Ganz im Gegenteil konnte ich mich von deren Wirksamkeit und Nachhaltigkeit überzeugen. Dass sie in Konflikten nicht viel präsenter sind, liegt einmal daran, dass sie von den staatlichen Akteuren nicht als Konfliktbearbeiter anerkannt, sondern kurzerhand beiseite ausgeschlossen werden und zweitens daran, dass sie allesamt im Vergleich zu den Investitionen in die Gewaltmaschinerie mit geradezu lächerlich wenigen Ressourcen ein Dasein knapp am Existenzminimum fristen müssen. Friedensdienste hängen bis heute fast ausschliesslich von Freiwilligenarbeit und Spenden ab, welche mit grossem Aufwand zusammengesucht werden müssen. In der Kürze sind damit zwei wesentliche Gründe genannt, welche friedenspolitische Arbeit hindert im grossen Stil gesellschaftlich relevant zu werden.

Der zivile Friedensdienst, bietet die Chance in Beidem gründlich Abhilfe zu schaffen. Erstens wird in der Konfliktpolitik das bis heute bestehende faktische Gewaltmonopol staatlicher Organe durch eine zivile gewaltfreie Komponente ergänzt. Explizit zivile Körperschaften, Nichtregierungsorganisationen wie Hilfswerken und Friedensorganisationen, werden Kompetenzen und Mittel zuerkannt, damit sie bei Konflikten unabhängige friedensförderliche Rollen übernehmen können.

Die Einführung einer Vielzahl von zivilen Akteuren auf den verschiedenen Konfliktbühnen im In- und Ausland, bedeutet eine historische Wende in der Konfliktbearbeitung, welche meines Erachtens in ihren langfristigen Konsequenzen nicht unterschätzt werden sollte. Neben die staatlich-repressiven Gewaltinstrumente werden starke zivile Komponenten treten, welche insbesondere durch präventive Massnahmen drohende Gewalt verhüten. Die Ermächtigung der Bürger, in Konfliktgeschehen mitzuwirken, bedeutet eine Demokratisierung des staatlichen Monopols auf Krieg und Frieden, indem bei der Konfliktbearbeitung Organisationen der Zivilgesellschaft Mitverantwortung eingeräumt wird. Bei wahrhaftiger Durchführung wird ein solches „Check and balance” von staatlicher und zivilgesellschaftlicher Konfliktbearbeitung rasch zu einer massgeblichen Zivilisierung des Konfliktverhaltens der Nationalstaaten führen.

Ausserdem stellt der ZFD allein schon dadurch eine Weiche zum Frieden, dass er das unerhört krasse Missverhältnis der Ausgaben für militärische bzw. zivile Konfliktbearbeitung korrigiert. Bei der anvisierten Konversion staatlicher Sicherheitspolitik zu einer gesellschaftlichen Friedenspolitik muss als erstes Ziel angestrebt werden, dass für zivile Konfliktbearbeitung mindestens ebenso viel personelle und finanzielle Mittel eingesetzt werden, wie für staatlich-militärische – und zwar auf Kosten letzterer. Wenn in einigen Jahren zivile Konfliktbearbeitung etabliert ist, wird sich das Verhältnis in nicht allzu ferner Zukunft noch weiter zugunsten ziviler Massnahmen verschieben. Die offenkundige Nützlichkeit und Wirksamkeit der Prävention gewalttätiger und zerstörerischer Konfliktaustragung sowie die fortschreitende Alphabetisierung in Gewaltfreiheit wird die weit überdimensionierten Gewaltinstrumente sukzessive überflüssig machen.

3. Der ZFD schafft Dialog und Verständigung

Ich möchte als drittes Argument für einen ZFD jenes des globalen Austausches anführen. Vergessen wir nicht, dass ein ziviler Friedensdienst nicht nur durch seine solidarische Unterstützung vor Ort wirkungsvoll Einfluss auf Konflikte nimmt. Er ermöglicht durch Einsätze im In- und Ausland auch einen globalen Austausch von Lebenswelten und –erfahrungen, in deren Zentrum Dialog, Verständigung und Kooperation stehen. Wir können davon ausgehen, dass die im Rahmen solcher Dienste getätigten Erfahrungen die Dienstleistenden in ebenso intensiver Weise prägen, wie dies aktuell die Absolvierung der militärischen Dienstpflicht bei jungen Männer tut, bloss sind die Erfahrungen von gänzlich anderer Natur. Gewaltfreie Friedenspolitik baut nicht auf autoritäre Hierarchie, sondern auf demokratische Hetrarchie, nicht auf Befehl, sondern auf Konsens, nicht auf Zwang und Gehorsam, sondern auf Motivation und Freiwilligkeit, um nur einige Unterschiede anzuschneiden.

Welche gesellschaftspolitische Auswirkungen werden wohl nur schon ein paar hundert Dienstleistende jährlich haben? Bei den Personen selbst und in ihrem Umfeld, am Arbeitsplatz, bei Verwandten, Freunden und Bekannten? Zur Veranschaulichung möchte ich auch hier einen Vergleich anregen: Überlegen sie sich mal welche gesellschaftspolitischen Lern- und Bewusstwerdungsprozesse die paar Tausend Menschen, welche Einsätze in sogenannten Entwicklungsländern geleistet haben nach ihrer Rückkehr in der Schweiz bewirkt haben.

Ich bin der Meinung, dass ein ZFD bereits im Rahmen von 10-20 Jahren ebenso merkliche Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Kompetenzen für einen gewaltfreien Umgang mit Konflikten haben wird. Er wird weit wirkungsvollere Massnahmen für eine globale Verständigung und solidarische Sicherheit entwickelt haben, als dies durch Verteidigungsbündnisse und militärische Potenz je erreicht werden kann. Wie im letzten Jahrhundert die Einführung der allgemeinen Kriegsdienstpflicht ein staatspolitisches Instrument war, welches viel zur Bildung und Stärkung des Nationalstaates beitrug, so ist heute die Einführung des ZFD ein friedenspolitisches Instrument, welches zu einer wahren Weltinnenpolitik führen wird.

Der letzte Krieg in Europa hat einmal mehr mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass mit militärischen Mitteln vielleicht einmal ein Krieg zu gewinnen ist, der Frieden aber in jedem Fall verloren geht.

Ich fordere deshalb, dass wir Bürger und Bürgerinnen unsere Staaten verpflichten, endlich den Frieden zu erklären und nicht weiterhin den Krieg, sondern den Frieden vorzubereiten. Nur so können wir die reelle Chance schaffen, dass vielleicht einmal für alle Frieden zu gewinnen ist, der Krieg aber in jedem Fall verloren geht.

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