Leserbrief zu den Armeetagen in Frauenfeld |
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Hans Eigenmann
Gemeinderat Grüne
Sulackerstr. 7a
8500 Frauenfeld
Frauenfeld, 14. Juni 1998
Offener Brief an Bundesrat Ogi und die Verantwortlichen der Armeetage in Frauenfeld
Sehr geehrte Herren
Zweck der Armeetage in Frauenfeld war es laut Ihren Bekundungen, das Militär als modernes, volksnahes und schlagkräftiges Instrument einer umfassend verstandenen Sicherheitspolitik am Ende des 20. Jahrhunderts zu präsentieren. So weit, so gut; könnte man dazu sagen (sofern man die Armee als taugliches Instrument dazu betrachtet). Zwei Spaziergänge durch die Stadt am Samstag nachmittag erschreckten mich als kritischen Beobachter aber derart, dass ich einige Fragen dazu öffentlich diskutiert haben möchte.
Willkürliche Kontrollen und Verhaftungen
Frauenfeld - eine Stadt im Belagerungszustand! So muss man den Eindruck beschreiben, den die buchstäblich an jeder Ecke postierten und bewaffneten Polizisten auf die Einwohnerschaft machten. Die Stimmung erinnerte mich an Fernsehbilder aus afrikanischen Städten, in denen die Staatsmacht mit allen Mitteln die öffentliche Ordnung gegen marodierende Horden von Warlords aufrecht zu erhalten versucht. Willkürliche Personenkontrollen, eigentliche Verhöre unbescholtener Frauenfelderinnen und Frauenfelder und sogar Verhaftungen von Jugendlichen gehörten offenbar zum Abschreckungs-Dispositiv, mit dem um jeden Preis Krawalle verhindert werden sollten. Eine friedliche Aktion der Thurgauer Jusos (Basteln von Friedenstauben) wurde im Keim erstickt und verhindert.
Fragen an die Verantwortlichen
1. Hat es diese so moderne und glaubwürdige Armee wirklich nötig, sich verschanzt hinter einem derart unverhältnismässigen Polizei-Kordon zu präsentieren? Hat man sich auch überlegt, dass dieses muskelprotzerische Verhalten möglicherweise auch der Armee wohlgesinnte Bürgerinnen und Bürger (solche sind in Frauenfeld bekanntlich gut vertreten!) vor den Kopf stossen könnte?
2. Haben Sie als Verantwortliche oder hat die Armee Angst vor unserer Jugend und vor ihren kritischen Fragen? Vor einer Jugend nota bene, auf die Sie eigentlich bauen müssten, wenn Sie selbst die Existenz der Armee langfristig nicht vollends in Frage stellen wollen... Bei den erwähnten Kontrollen und Belästigungen durch die Polizeikräfte schien es jedenfalls kaum ein durchschaubares Prinzip zu geben, ausser dass offensichtlich junge Leute unter 25, wenn sie nicht gerade in Uniform daherkamen, grundsätzlich als potentielle Krawallmacher galten. Wäre es nicht weit sinnvoller gewesen, wenn Sie sich mit den Kritikern an einen Tisch gesetzt hätten und mit ihnen über die angeblich so gewandelten Aufgaben und den vorgeblich viel einsehbareren Sinn Ihres Tuns diskutiert hätten?
3. Sie versicherten uns im Vorfeld der Armeetage in verschiedenen Gremien (Grosser Rat, Gemeinderat), dass die Schau dank Sponsoring und freiwilligen Einsätzen den Staat kaum etwas koste. Eine einfache Rechnung nur zur polizeistaatlichen Massivpräsenz der "Sicherheits"-Kräfte zeigt, dass hier unehrlich argumentiert wurde. Meine Augenschein-Schätzung in der Stadt geht von 200 - 250 Polizisten (Militärpolizei, Kantonspolizei, Stadtpolizei und Kräfte aus benachbarten Städten) aus. Rechnet man pro Mann zurückhaltend mit 1000 Franken (1 Tag Einsatz mit Fahrzeugen und Material), so ergäbe sich eine Viertel-Million an Steuergeldern, die nirgends in einem Budget erschienen. Wie rechtfertigen Sie das?
4. Wie in totalitären Staaten wurden am Samstag nachmittag Jugendliche aufge-
halten, kontrolliert und nach ihren Absichten befragt. Alle Fakten wurden
schriftlich festgehalten. Was passiert mit den erhaltenen Informationen?
Kritische Fragen um die Armeetage waren auch im Vorfeld zu hören. Selbst Leute, welche die Armee nicht grundsätzlich in Frage stellen, fanden Zeitpunkt und Umfang der Propagandaschau fragwürdig. Nun hat Art und Weise der Polizeipräsenz den Kritikern im nachhinein vollends rechtgegeben. Der PR-Effekt dürfte sich in Grenzen gehalten haben, das Ziel wurde nicht erreicht. - Allfällige weitere solche Anlässe dürften es in Frauenfeld schwer haben.
Hans Eigenmann, Gemeinderat Grüne