Ein offener Brief an die Friedensbewegten in der Schweiz
Zur freien Verfügung / Veröffentlichung freigegeben.
Mit freundlichen Grüssen Roland Brunner, Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA
Ein Gespenst geht um in Europa: das Gespenst des Friedens.
Auch in der Schweiz wütet dieses Unwesen, es zerstört materielle Ressourcen
und geistige Fähigkeiten. Von Bundespräsident Adolf Ogi bis SP-Sicherheitsexpertin
und Nationalrätin Barbara Haering, von Alt-Divisionär Gustav Däniker bis
Alt-Armeeabschaffer Andi Gross, vom Verteidigungsministerium VBS bis zum
Friedensrat SFR reicht die Koalition der Unvernunft: Wer Frieden wolle,
müsse Krieg führen.
Eine Polemik von Roland Brunner
Eigentlich schien fast alles klar: Das Militär will sich modernisieren
und neu legitimieren, während die Friedensbewegten die Friedensdividende
einfordern, die dank dem Ende des Kalten Krieges möglich wurde. Während
Armeespitzen und politische Führung in ganz Europa an neuen Aufgaben und
Strukturen für ihre alten Armeen basteln, fordert die Friedensbewegung
den Umstieg in die Konfliktvorsorge, in präventive Massnahmen, in ziviles
Handeln. Sicherheit ist weniger denn je eine militärische Kategorie, sondern
ein Begriff gesellschafts-politischer Verantwortung und die könne und
müsse man wahrnehmen, indem militarisiertes Denken und militärisches Handeln
zurückgedrängt wird. Der Koalition des militärischen Konfliktmanagements
steht eine Koalition der zivilen Konfliktbearbeitung gegenüber. Die zivilen
Allianzen für den Frieden bekämpfen Ideologie und Politik der militärischen
Allianzen für den Krieg.
Friedenspolitische Minimalbedingungen
So weit, so gut, so schön und leider falsch. Mit dem Zerfall des ehemaligen
Jugoslawien und den Nachfolgekriegen auf dem Balkan kam Verwirrung auf.
Während im Golfkrieg gegen den Irak die US-Kriegsmaschinerie in ihrem
humanitär-menschenrechtlichen Gehabe noch zu entlarven war, krochen grosse
Teile ehemals Friedensbewegter nun mit "Srebrenica" und "Kosovo" den Militärs
auf den Leim. Friede lasse sich nur erzwingen, dazu brauche es Militär
und damit Rüstung. Und weil die Schweiz solidarisch auf der Baustelle
des Friedens mitbauen wolle, brauche halt auch die Schweiz ein neues Militärgesetz,
neue Transportkapazitäten, neue Schützenpanzer, kurz: eine neue Armee.
Die Schweiz müsse ihren Sonderfall überwinden und zum ganz normalen Land
in Europa werden. Die Beteiligung am ganz normalen Kriegswahnsinn scheint
da der beste Tatbeweis. Während nun diese Unlogik von Adolf Ogi und dem
auf Kurs getrimmten Offizierskorps inzwischen unisono vertreten wird,
tönt der Chor der Friedensbewegten immer noch dissonant. Heute ist einzig
die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA konsequent in ihrer Antwort
auf die militaristischen Modernisierungspläne der Schweizer Armee: Abschaffung
der Armee, Schaffung eines freiwilligen Zivilen Friedensdienstes, kein
Mann und keine Mäuse für den Krieg, alles für den Frieden, deshalb auch
kein neues Militärgesetz, das der Schweizer Armee die bewaffnete Beteiligung
an Auslandeinsätzen - nota bene auch im Rahmen friedenserzwingender Missionen
- erlauben soll. Die GSoA droht offen damit, gegen die Gesetzesrevision
das Referendum zu ergreifen. Ogi und die GSoA sind in ihren Positionen
kohärent - so gegenteilig sie auch argumentieren. Und dazwischen? Zwischen
Ogi und GSoA tummelt sich das Feld der Beliebigkeiten und Verwirrungen.
Nachdem erst eine breite Koalition von friedens- und entwicklungspolitischen
Organisationen friedenspolitische Minimalbedingungen für den bewaffneten
Auslandeinsatz von Schweizer Soldaten festgelegt hat, gelten diese Positionen
heute anscheinend nichts mehr. Als Minimalbedingungen forderte man die
strikte Anbindung der Einsätze auf ein UNO-/OSZE-Mandat (d.h. die völkerrechtliche
Legitimierung und Legalisierung), die Beschränkung Einsätze im Rahmen
friedenserhaltender Missionen (auch keine "friedensunterstützende Einsätze"
als logistischer Beitrag im Rahmen der Kriegsführung) und die Eingrenzung
der Bewaffnung auf den Selbstschutz. Geblieben ist von diesen Minimalbedingungen
nach den Verhandlungen in den beiden Kammern des Schweizer Parlaments
wenig. Während der Nationalrat als erste Kammer alle Bedingungen verwarf,
akzeptierte der Ständerat wenigstens die erste Bedingung der Mandatsfrage.
Auch dieses kleine Zugeständnis muss aber im Herbst erst noch die Differenzbereinigung
zwischen den beiden Räten und dann die Schlussabstimmung überstehen. Die
Forderungen zwei und drei wurden im Nationalrat noch von der SP selbst
eingebracht, im Ständerat dann jedoch sang- und klanglos fallengelassen.
Kriegswirren in Pazifistenköpfen
Was tut nun die Friedensbewegung? SP-Nationalrätin Barbara Haering,,
mit Peter Hug die sicherheitspolitische Führerfigur in der Schweizer Sozialdemokratie,
meint die SP werde so der Gesetzesrevision wohl mehrheitlich zustimmen
können. Selbst der als Marxist verschrieene SP-Fraktionschef Franco Cavalli
bezeichnet eine Ja-Mehrheit jetzt als eher wahrscheinlich. Viel absurder
aber noch ist die Reaktion des Schweizerischen Friedensrates SFR: Auf
den 1. Juli lädt er ein zur Jahresversammlung unter dem Titel "Abschied
vom Inseldasein - friedenspolitische Perspektiven für die Schweiz in der
Welt". Der Einladung beigefügt ist eine Medienmitteilung "Referendum gegen
Militärgesetz-Revision keine friedenspolitische Priorität" und ein sechsseitiges
Papier "Friedenspolitische Prioritäten am Beginn des neuen Jahrzehnts".
Man staunt: Das Referendum gegen das neue Militärgesetz, das immerhin
den Schweizer Soldaten die Türe öffnen soll zu bewaffneten Auslandeinsätzen,
ist keine Priorität aber immerhin eine ganze Veranstaltung und eine eigene
Medienmitteilung wert. Wir teilen mit, dass wir nichts mitzuteilen haben...
Wer das Papier liest, dem stehen die Haare zu Berge. "Zwar ist auch der
SFR nicht glücklich damit, dass Bundesrat Ogi die Frage des Einsatzes
von bewaffneten Schweizer Soldaten im Ausland aus dem Zusammenhang der
Neuorientierung der Sicherheitspolitik herausgebrochen hat und damit eine
eher militärtechnische Frage zum zentralen Problem hochstilisieren will.
Die wichtigen Fragen sind jedoch politischer Natur, vor allem die Öffnung
der Schweiz." Ogi macht den SFR nicht glücklich. Schande über ihn, wo
er doch so ein netter Mensch ist. Das könnte der SFR aber noch knapp verschmerzen,
aber: Die Revision des Militärgesetzes ist eine militärtechnische Frage!
Ob und wie sich Schweizer an internationalen Konflikten beteiligen, ob
bewaffnet als Soldaten oder zivil im humanitären und friedenspolitischen
Engagement eine militärtechnische Frage? Ob mit oder ohne UNO-/OSZE-Mandat
eine militärtechnische Frage? Ja, der Vorstand des Friedensrates erklärt
explizit, er wolle auf ein Referendum gegen die Militärgesetz-Revision
verzichten, auch wenn im Differenzbereinigungsverfahren der beiden Räte
das kleine Zugeständnis der Mandatsfrage wieder zurückgenommen werde.
Seine ganzen Kräfte richtet der SFR auf die Abschaffung der Neutralität,
denn die sei "obsolet geworden, war es rückblickend gesehen schon am Ende
des 2. Weltkrieges". Nun, auch wir fordern solidarisches Engagement statt
passiver Neutralität, aber mit Schweizer Soldaten im Rahmen des militarisierten
weltweiten Konfliktmanagements? Bei Ogi herrscht Freude. Die vom SFR geforderte
"Neuorientierung der Sicherheitspolitik" ist genau sein Ding. Und während
Barbara Haering und der SFR noch meinen, im November ihre Abstimmungsvorlage
für die Halbierung der Armeeausgaben (Umverteilungs-Initiative) als Regulativ
einsetzen zu können, hat Ogi den Kampf gegen dieses Begehren längst mit
aller Deutlichkeit aufgenommen: Wer will, dass sich die Schweiz auf der
Baustelle des Friedens engagiert, muss das neue Militärgesetz befürworten
und Ausbildung und Ausrüstung der Truppe finanzieren. "Solidarität" kostet
und eine teilprofessionalisierte, internationalisierte Truppe braucht
Transportflugzeuge, Schützenpanzer und was das militarisierte Herz sonst
noch so begehrt. Mit einer halben Armee lasse sich kein ganzer Beitrag
leisten.
Friedenspolitische Verantwortung
Die GSoA hält daran fest: Auch nach dem Ende des Kalten Krieges stehen
sich zwei Blöcke gegenüber das militarisierte Machtdenken und das zivile
Konfliktverständnis. Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten und
die Kriegsführung verhindern. Wer im Namen von Frieden und Menschenrechten
Krieg legitimiert und führbar macht, dient nicht dem Frieden, sondern
verrät ihn. Wer mit so viel politischer Verwirrung im Kopf Friedenspolitik
betreibt, verabschiedet sich selber aus der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung
und räumt den Militärs das Feld, das schnell wieder zum Schlachtfeld werden
wird. Der gute Wille zum Frieden reicht nicht, es braucht politisches
Denken und Handeln - und das lassen wesentliche Teile von SP und Friedensrat
im Moment schwer vermissen. SP und SFR tragen mit die Verantwortung für
die weitere Ausgestaltung der Schweizer Sicherheits- und Militärpolitik.
Wir laden sie herzlich ein, diese mit uns gemeinsam wahrzunehmen, statt
sich mit windigen Formulierungen aus der Politik zu verabschieden.
26.6.2003
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