Bericht der Komission Brunner: Bedrohung fehlt - Armee bleibt |
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von Hans Hartmann
Der Armee-Bericht der «Studienkommission Brunner» bewegt sich in den Bahnen jener nebulösen Paradoxallogik, welche das Militärdepartement seit Jahren vorspurt: Die Schweiz ist militärisch nicht mehr bedroht - also schicken wir die Armee überall hin, wo sie wenigstens den Eindruck der Nützlichkeit erwecken könnte. Zur Abwehr der aktuellen Bedrohungen sind «nicht primär militärische Mittel nötig» (Bericht) - also machen wir die Armee für die Bewältigung dieser Bedrohungen fit. Nicht um Sinn beziehungsweise Unsinn der Armee geht es in dieser «Reformdebatte», sondern um ihre Anpassung an neue Angstszenarien.
Prostitution u.a.m.
Das Motto des Brunner-Berichtes lautet daher: alles vorschlagen, was der Armee in Zukunft als Geschäftsgrundlage dienen könnte. Besonders eindrücklich ist das Panoptikum der Bedrohungen, das zu diesem Zweck ausgebreitet wird: Naturkatastrophen, Freisetzung hochtoxischer Stoffe oder Krankheitserreger, mächtige Verbrechernetze, Waffen- und Drogenhandel, Prostitution, Menschenhandel und Verschleppung, Geldwäscherei, Schutzgelderpressung, Korruption, Terrorismus, extremistische Randgruppen, Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Atomkoffer, Raketenangriffe, wirtschaftliche Druckversuche, Ausschluss aus Märkten, Handelshemmnisse, politische und moralische Einschüchterung, Boykotte, Erpressung, Sabotage, unkontrollierte Migrationsbewegungen, illegales Abhören, Spionage, Einschleusen falscher Informationen, Störung von Informatiksystemen Das dürfte für einen ersten Eindruck reichen.
Der Bericht bietet also zeitgemässe Armeepropaganda, mehr nicht, und man könnte zur Tagesordnung übergehen. Man könnte - wäre da nicht die unerträgliche Verwirrung, welche die ganze Armeereform-Debatte in einigen fortschrittlichen Köpfen angerichtet hat. Was beispielsweise der bekennende Pazifist Andreas Gross als Kommissionmitglied da alles mitunterschreibt, ist doch bemerkenswert. Ich muss die LeserInnen wieder mit einer Aufzählung langweilen: die Beibehaltung von militärischen «Kernkompetenzen» und einer «glaubwürdigen autonomen militärischen Verteidigung», die gezielte Aufrüstung der Armee mit mehr «Flieger- und Raketenabwehr» und «neuen High-Tech-Waffen», ein professionelles Armee-«Einsatzkorps» für innere Einsätze, «Anti-Terror-Einsätze» und «punktuelle Auslandeinsätze», die militärische Flüchtlingsabwehr «in ausserordentlichen Situationen», die Einrichtung eines «verwaltungsunabhängigen Sicherheitsrates», die «Verstärkung der Kompetenzen des Bundespräsidenten» beim «Krisenmanagement», die Ausweitung der «Aktivitäten des Nachrichtendienstes», die Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten, Polizei und Armee, die «grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit» und die Bespitzelung im Rahmen des «Schengener Informationssystems».
Gefährlicher Irrtum
Die Verwirrung hat einen Namen, eine Ursache und gefährliche Konsequenzen. Ihr Name lautet: Christoph Blocher. Die Ursache liegt in der Bereitschaft einiger Linker, die Armeedebatte für eine falsch verstandene Europa-Diskussion zu instrumentalisieren. Die Hauptbotschaft des Berichts, so Andreas Gross in der WoZ (Nr. 9/98 vom 26. Februar), sei «die Forderung, dass die Schweiz sich öffnen muss». Das ist falsch. Die Hauptbotschaft des Berichtes lautet, dass die «Öffnung» der Schweiz nur über die militärische Hintertür zu haben ist, und dass unsere «Solidarität» und «Würde» sich an der Akzeptanz messen, welche unsere Armee bei den Nato-Partnern geniesst.
Die Konsequenzen: Was die Schweiz zur Beseitigung der realen Konfliktursachen und sicherheitspolitischen Bedrohungen beitragen könnte, interessiert die Kommission nicht. Die Uno erscheint im Bericht lediglich als Agentur, welche ab und zu Militärinterventionen mit ihrem Gütesiegel versieht. Die Nato hingegen wird zur «einzigen glaubwürdigen Sicherheitsorganisation in Europa», zur «ultima ratio» in politischen und militärischen Krisen stilisiert. Die OSZE, ihre finanziell kleingehaltene zivile Alternative, ist der Kommission gerade mal zwei beiläufige Erwähnungen wert. Über zivile Ansätze der gewaltfreien Konfliktbearbeitung von unten schweigt sie sich ganz aus. Von den transnationalen Netzen zivilgesellschaftlicher Solidarität - kein Wort. Zivile Sicherheitspolitik bleibt in Bundesbern undenkbar.
Die Komission begnügt sich damit, zwecks Neulegitimierung der Schweizer Armee die Heiligenbildchen auszuwechseln: Schwupp, runter mit der bewaffneten Neutralität, und hopp, her mit der bewaffneten Solidarität. Ein «Schweizer Solidaritätskorps» soll dafür sorgen. Über die Einsatzkriterien für die neue Truppe erfahren wir ebensoviel wie über ihre mögliche Grösse und den zu erwartenden Bedarf, nämlich nichts. Klar ist für die Kommission nur eins: Kriegstauglich muss sie sein, denn dass Schweizer Soldaten «vom indirekten Schutz der SFOR-Truppen» abhängig seien, «verträgt sich schlecht mit unserer Würde». Und: Der «Kontakt mit anderen Armeen» und mit «echten Gefahren» käme «der ganzen Armee zugute».
Wie etwa der deutschen Bundeswehr: Deren katholische Feldprediger haben auf ihrer Jahresversammlung 1997 erkannt, dass die Vorbereitungen der Bundeswehr auf Auslandeinsätze den Nährboden für die rechtsextreme Infiltration bilden. Der Ernstfall ändere das Bewusstsein der Soldaten und ziehe ein anderes Spektrum von Wehrpflichtigen an. Auch die Brunner-Kommission will ja mit dem Solidaritätskorps «die Motivation junger Bürgerinnen und Bürger fördern». Kein Wunder, adelt sie die Armee - ebenso unkritisch wie präventiv - zur «demokratischen Institution».
In der Weltwoche feierte Fredy Gsteiger nach Erscheinen des Berichts Armee und Zivilschutz nicht nur als «Speerspitze des Fortschritts», er setzt auch noch in Sachen gelebter Solidarität eins oben drauf: «Selbstverständlich» müssten «die entsandten Eidgenossen» bewaffnet sein - wer wolle denn schon «unsere Soldaten von Jordaniern und Senegalesen» beschützen lassen. Endlich dürfen auch eidgenössische Leitartikler über Würde und Waffen, Krieg und Tod räsonieren, als ginge es um den Medaillenspiegel von Nagano.
Es ist erstaunlich genug, dass in einem Streitgespräch zwischen einem linken Pazifisten und einem nationalkonservativen Landesverteidiger letzterer darauf hinweisen muss, dass Militärbündnisse immer erklären, sie strebten den Frieden an, dass es aber ein wenig naiv wäre, diesen Beteuerungen Glauben zu schenken (Gross und Blocher in der Weltwoche vom 26.2.98). Geradezu tragisch ist aber der Irrglaube, das helvetische Sonderfall-Denken könne über die militärische Hintertür ausgehebelt werden. Der Sonderfall wird bloss ein wenig grösser: Statt einem Promille der Weltbevölkerung soll er in Zukunft einige Prozent umfassen. Die Kommission hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, das zu vertuschen: Ihre Solidarität soll nämlich lediglich «mit jenen Ländern aufgebaut werden, deren Interessen mit den unseren Übereinstimmen». Schaffen wir den Anschluss an den europäischen «Sicherheitsraum», werden wir mit den «übersteigerten Nationalismen oder religiösen Fundamentalismen», die da draussen in «den nahen oder fernen Krisenherden» wüten, mit den «militanten ausländischen Gruppierungen, mafiosen Organisationen und kriminellen Banden», die über der Schweiz hereinbrechen, schon fertig. Die heilige Kuh kommt von der Sonderfall-Alp am Gotthard herunter - aber nur, um in den warmen Sonderfall-Stall der glücklichen Nato-Kühe einzuziehen.
Paradigmenwechsel
Der militärpolitische Paradigmenwechsel ist, von der Öffentlichkeit beinahe unbemerkt, schon vollzogen worden. Nach der Nato haben auch die einheimischen Armee-Ideologen den zentralen Schalthebel umgelegt: Die Armee gilt nicht mehr als sinnvoll, insofern sie per Abschreckung den imaginären Krieg fernhält, sondern insofern sie sich per Intervention gelegentlich ganz real daran beteiligt. Die Militärs formieren sich neu. Derweil ruht sich ein Teil der friedliebenden Linken auf den pazifistischen Lorbeeren von vorgestern aus.
Divisionär a. D. Gustav Däniker bringt die politische Bedeutung des Berichts «Brunner» auf den Punkt: es sei «ein Signal, wenn Armeeabschaffer Gross keine Hemmungen hat, sich einem Modell anzuschliessen, das die militärische Komponente so prominent einschliesst. Bundesrat Ogi und seine Generalität können ihren bereits seit einger Zeit eingeschlagenen Weg getrost fortsetzen.» Ein inakzeptables Signal. Die Diskussion über die Zukunft der Sicherheitspolitik und die politische Öffnung der Schweiz darf sich nicht auf die beiden militärischen Optionen «bewaffneter Alleingang» und «Nato-Beitritt» beschränken. Die GSoA vertritt eine Alternative: Ziviler Internationalismus statt militärische Abwehrphantasien. Am 17. März 1998 starten die beiden, von immer mehr Organisationen unterstützten Volksinitiativen für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst und für eine Schweiz ohne Armee.