An Andreas Gross, Adrian Schmid, Martin Bühler und Jürgen Schulz
Solothurn, 23. November 1997
Liebe Freunde
Im Vorfeld der heutigen GSoA-VV haben verschiedene Zeitungen über Euren bevorstehenden, schon vor anderthalb Jahren angekündigten Austritt aus der GSoA berichtet. In diesem Zusammenhang hat Andreas Gross einen Abschiedsbrief an die GSoA erwähnt. Auf unsere Nachfrage hin hat nun auch die GSoA ein Exemplar dieses «Brief zum Abschied von der GSoA» erhalten. Darauf wollen wir antworten.
- Politische Meinungsbildung ist ein kollektiver Prozess. Die vorliegenden GSoA-Initiativprojekte sind das Resultat eines solchen, intensiven - auch für euch offenstehenden - Diskussionsprozesses. Sie wurden an vielen Treffen besprochen, weiterbearbeitet und mehrmals haben wir darüber abgestimmt. Daran habt Ihr kaum - und in den letzten anderthalb Jahren gar nicht - teilgenommen.
- Unseren Diskussionsprozess machen wir in Publikationen auch für eine breitere Öffentlichkeit nachvollziehbar. Offenbar macht Ihr von diesem Angebot keinen Gebrauch. So weigert ihr Euch bis auf den heutigen Tag konsequent, die einfache Tatsache wahrzunehmen, dass die GSoA zwei und nicht nur eine Initiativen lancieren will. Und keine der beiden ist einfach eine Neuauflage der ersten GSoA-Initiative. Mit keinem Wort geht Ihr auf unsere intensiven Diskussionen über den veränderten politischen Kontext ein, in dem wir unsere friedenspolitischen Vorschläge situieren. Spurlos scheint an Euch vorüberzugehen, dass die Friedens-, Demokratie- und Menschenrechtsbewegungen weltweit neue Konzepte ziviler Solidarität entwickeln und dass wir in unserem Vorschlag eines freiwilligen Zivilen Friedensdienstes eine Möglichkeit sehen, solche Erfahrungen und Ideen umzusetzen. Es scheint fast, als wolltet Ihr diese neuen Ansätze gar nicht sehen.
- Wie Ihr schreibt, liegt die Differenz zwischen euch und uns tatsächlich «in der unterschiedlichen Einschätzung der gegenwärtigen politischen Situation und den friedenspolitischen Perspektiven der Schweiz». Aber anders als Andreas Gross gegenüber der NZZ behauptet hat, haben wir unsere Einschätzungen offen und ernsthaft diskutiert. Wir haben verschiedentlich dargelegt, warum wir nicht einfach vertrauen, dass «der Zug, den die GSoA mit ihrer ersten Initiative auf die Schienen gesetzt hat» (Brief) von alleine im richtigen Reformbahnhof einfährt.
- Dort wo ihr nur die «weltpolitischen Chancen der Veränderung seit 1989» und den weltpolitischen «Rückenwind» seht, braucht es differenziertere Überlegungen. Zweifellos ist das militär- und sicherheitspolitische Denken in der Schweiz und global im Umbruch. Das heisst aber keineswegs, dass sich Militarismus und Armeen von selbst erledigen. Ganz im Gegenteil: Es gibt starke Anzeichen für ein neues globales Interventions- und Kontrolldenken, das militärisch durchgesetzt werden soll und mit dem sich die Armeen dieser Welt relegitimieren wollen.
- Die in Eurem Brief erwähnten «friedenspolitischen Reformen» beziehungsweise die «drastischen Reformpläne» aus dem EMD passen sich zunehmend in diese Entwicklung ein. Statt der Abschreckung zu dienen soll die Armee nach dem Willen der EMD-Reformer heute plötzlich ein Instrument der «Solidarität» sein. Globale Gewaltstrukturen und Konfliktursachen werden dabei ebenso ausgeblendet wie die Chancen friedlicher Konfliktbearbeitung.
- Immer mehr Menschen ergeben sich diesem neuen Denken, das zwar im Namen von Humanität, Menschenrecht und Zivilisation daherkommt, aber militärische Machtphantasien verbreitet. Militärische Intervention dort, wo die Politik die Folgen von Ungerechtigkeit, Verelendung und Unterdrückung nicht mehr kontrollieren kann - das ist für viele schon eine ganz normale Vorstellung geworden. Genau dem wollen wir mit unseren Initiativprojekten entgegenwirken. Ausgehend von den Erfahrungen sozialer Basisbewegungen auf der ganzen Welt, wollen wir im öffentlichen Gespräch eine andere, zivile Perspektive von Öffnung und Solidarität entwickeln.
- Kritik ist uns immer willkommen. Für uns ist es aber schwer verständlich, dass Ihr uns beharrlich etwas vorwerft , das wir gar nicht anstreben. Es geht uns nicht um «die Wiederholung eines Erfolgsrezeptes», wie Ihr uns vorwerft. Wir wollen keineswegs das «Tabu» der Armee ein zweites Mal brechen und schon gar nicht unser eigenes «68» bzw. «89» erleben. Schon vor eineinhalb Jahren habt Ihr vier Unterzeichner des Briefes den aktiven GSoAtInnen derart seltsame Motive unterstellt. Hättet Ihr in der Zwischenzeit unsere inhaltliche Diskussion wenigstens mitverfolgt, wüsstet Ihr, dass diese Phantasien aus der Luft gegriffen sind.
Die grosse Mehrheit der aktiven GSoA-Mitglieder hat mehrmals bestätigt, dass sie die Lancierung von neuen Initiativen sinnvoll und notwendig findet. Dass Ihr diesen Entscheid nicht mittragen wollt, akzeptieren wir als eure persönliche Entscheidung. Wir verstehen aber nicht, warum ihr eine politische Kampagne gegen die GSoA-Projekte führt, ohne dass ihr euch je inhaltlich damit auseinandergesetzt habt. Andi Gross behauptet, die Lancierung neuer GSoA-Initiativen seien "Gift" (Berner Zeitung) und "kontraproduktiv" (NZZ) für die Friedenspolitik. Das ist nicht mit einer Analyse der Entwicklung in der schweizerischen und internationalen Sicherheitspolitik begründbar. Eher steht eine Mythologisierung des eigenen Erfolges von 1989 dahinter.
Die sicherheitspolitische Diskussion befindet sich in der Schweiz und weltweit im Umbruch. Das Weltbild des kalten Krieges ist zusammengebrochen, ein neues ist im entstehen begriffen. Um so wichtiger ist unser Beitrag zu diesem Orientierungsprozess. Wir bedauern es, dass ihr diesen Weg nicht mehr mit uns zusammen gehen wollt. Hoffentlich ziehen wir eines Tages wieder am selben Strick - und dann wieder auf der gleichen Seite.
Mit freundschaftlichen Grüssen
Renate Schoch, Zürich; Hans Hartmann, Zürich; Roland Brunner, Zürich; Nico Lutz, Bern; Tobia Schnebli, Lugano/Genève; Paolo Gilardi, Genève; Astrid Astolfi, Genève; Jörg Sommerhalder, Genève; Luc Gilly, Genève; Danilo Baratti, Davesco-Soragno; Jürg Wiedemann, Birsfelden; Lukas Romer, Basel; Josef Lang, Zug; Marco Tackenberg, Bern; Sandra Küttel, Bern; Martin Krebs, Bern; Catherine Wiedmer, Bern; Reto Gasser, Bern