GSoA-Vollversammlung vom 23. November
1997 in Solothurn:
Einleitung von Roland Brunner zur Diskussion über das
GSoA-Initiativprojekt
"Solidarität schafft Sicherheit - für einen freiwilligen
Zivilen Friedensdienst"
Frieden braucht uns alle!
"Der neue Feind, auf den es sich heute einzustellen gilt, heisst Instabilität. Die hauptsächliche Aufgabe der Sicherheitspolitik ist demzufolge, für Stabilität zu sorgen. Dazu gehören die Implementierung von Demokratie und Menschenrechten, von wirtschaftlicher Prosperität und von sozialer Gerechtigkeit." Der dies sagt, ist kein Armeeabschaffer, sondern Volker Rühe, seines Zeichens oberster Verteidiger und Armeechef in Deutschland.
Auch wenn Volker Rühe einsieht, dass es heute keine militärischen Bedrohungen mehr gibt, sondern die gesellschaftlichen Risiken zu Instabilitäten führen, ist seine Antwort als Verteidigungsminister logischerweise eine militärische: Er fordert den "Aufbau einer glaubwürdigen europäischen Verteidigungsidentität" und die Schaffung von "intelligenten Streitkräften".
Es fällt mir schwer, mir intelligente Streitkräfte vorstellen zu können. Gerade weil Bedrohungen und Unsicherheiten in Europa heute keine militärischen sind, ist die Vorstellung, man könne mit bewaffneter Kontrolle Sicherheit schaffen alles andere als intelligent.
Blauhelme oder unter welcher Fahne auch immer bewaffnete Einheiten ins Felde ziehen, können höchstens Waffenstillstandsabkommen überwachen. Und auch hier sind sie genau so lange erfolgreich, als die Armeen der Kriegsparteien den Waffenstillstand einhalten wollen. Wie gross aber die Kluft zwischen einem Waffenstillstand und einem Frieden ist, beweisen uns die Realtitäten von Bosnien-Herzegowina, aber auch von Zypern oder Ruanda jeden Tag.
Wer mit Armeen Sicherheit schaffen will, folgt einer machtgeleiteten Kontroll- und Herrschaftsvision! Sicherheit heisst für Verteidigungsminister militärische Überwachung und Notfall-Intervention. Wir kennen dieses Versagen von der Drogenpolitik: Wer meint, man könne Drogenabhängigkeit mit polizeilicher Repression beantworten, hat Allmachtsphantasien und wird immer mehr Kontrolle und Polizei fordern, ohne je mehr Sicherheit zu erreichen. Wer auf Schweizer Soldaten als zukunftsfähigen Exportartikeln in Sachen Sicherheit setzt, wird auf dem Weltmarkt der Krisen- und Konfliktbearbeitung scheitern. Es fehlt der Welt nicht an Soldaten. Es fehlt an Möglichkeiten und am Willen, mit Konflikten politisch und nicht gewalttätig umzugehen.
Was antworten wir? Was bedeutet für uns Sicherheit? Sicherheit gegen gesellschaftliche Bedrohungen entsteht durch solidarisches Lernen voneinander und Handeln miteinander. Wo Menschen lernen, sich gegenseitig zu vertrauen und sich aufeinander verlassen können, da fühlen wir uns sicher. Sicherheit ist also ein gesellschaftliches Projekt. Sicherheit erfordert Solidarität, solidarisches Handeln, um sich in Situationen von Unsicherheit zu verständigen und zu vergewissern. Sicherheit kann deshalb nicht an den Staat delegiert werden, sondern Sicherheit geht uns selber an.
Dies gilt nicht nur für unsere Sicherheit hier in der Schweiz, sondern auch für unsere Erfahrungen in der internationalen Arbeit: Vor allem in unseren Antikriegsaktivitäten im ehemaligen Jugoslawien haben wir gelernt, dass Frieden ein Prozess ist, ein Projekt, das eine aktive und solidarische Unterstützung der kriegsversehrten Gesellschaften erfordert. Und hier setzt unser Initiativprojekt "Solidarität schafft Sicherheit - für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst" ein. Wir wollen:
- allen in der Schweiz lebenden Menschen die Chance geben, den Umgang mit Konflikten zu lernen
- Menschen ermöglichen, ihre Fähigkeiten im In- und Ausland einzusetzen, um so einen solidarischen Beitrag zur Sicherheit zu leisten,
- der Schweiz selber eine Chance geben, mit einem Zivilen Friedensdienst ein zukunftsfähiges Projekt einer solidarischen Schweiz aufzubauen - im engen Austausch mit vielen ähnlichen Ansätzen, die heute in der ganzen Welt diskutiert werden.
Wir müssen die zivile Politik und die Sicherheitsbedürfnisse aus der militärischen Ecke befreien. Der Zivile Friedensdienst ist für uns die konsequente Weiterführung der antimilitaristischen Erfahrungen mit dem Anspruch, den Staat auf die Interessen der Gesellschaft zurückzubingen, seine militärischen Auswüchse abzuschneiden und Frieden zum gesellschaftlichen Projekt zu machen.
Der Zivile Friedensdienst ist unsere Antwort an alle diejenigen, die uns glauben machen wollen, dass mit Armeen zivile Sicherheit geschaffen werden könne.
Wir sagen: Sicherheit braucht Solidarität, nicht bewaffnete Kontrolle und hochgerüstete Armeen. Frieden und Sicherheit sind zu wichtig, als dass wir sie Politikern und Militärs überlassen können. Frieden und Sicherheit brauchen unser eigenes Engagement und unsere Solidarität. Setzen wir ein Zeichen für eine solidarische Schweiz: Schaffen wir einen Zivilen Friedensdienst.
Roland Brunner, GSoA