GSoA-VV vom 23.11. 1997

"Blocher oder Ogi" oder "Hobbes oder Kant"?

Die Friedensbewegung steht vor zwei Alternativ-Angeboten. Das erste im FriZ vertretene lautet: "Der heute relevante Wertekonflikt ist der zwischen der Auns und dem Bundesrat", präziser der zwischen Blocher und Ogi. Das andere in der GSoA-Zitig vorgestellte lautet: "Der heute relevante Wertekonflikt ist der zwischen Hobbes und Kant", anders ausgedrückt: der zwischen einem Obrigkeits- und einem Demokratieprinzip.

Das erste Angebot geht davon aus, dass der Bundesrat von der "Geistigen Landesverteidigung" Abschied genommen hat – zugunsten der internationalen Solidarität. Am vorletzten Samstag fand auf dem Morgarten eine Art Gegenveranstaltung zur heutigen Versammlung statt. Was Bundesrat Ogi dort herausgelassen hat, war alter Wein aus alten Schläuchen: nationalistisch-egoistische Nabelschau! Gewiss hätte Ogi vor anderem Publikum neuere Schläuche benützt. Hinter dem militärischen Ausgreifen in die Welt (wie auch ins Zivile) steckt nicht globales Verantwortungsgefühl, sondern militärischer Überlebensdrang. Weil die Schweizer Armee innerhalb der bisherigen funktionalen und nationalen Grenzen keine Arbeit mehr hat, sucht sie sich diese ausserhalb. Eine Arbeitslose will nicht "ausgesteuert" werden!

Die Älteren von euch kennen das Märchen "Des Kaisers neue Kleider". Zwei Webern gelingt es, den Kaiser, den Hof und das Volk zu überzeugen, dass die teuren, stofflosen "Kleider" eine "kostbare Tracht" sind. Wie gelingt den Webern das werberische Kunststück? Sie trichtern dem Kaiser, dem Hof und dem Volke erfolgreich ein, dass, wer die "neuen Kleider" nicht sieht, hinterwäldlerisch sei. Die ganze Fiktion fällt zusammen, als ein autonomes Kind, das dem eigenen Urteilsvermögen mehr vertraut als der offiziellen Propaganda, in die Menge ruft: "Der Kaiser ist nackt!" Was darauf mit dem Kaiser passierte, ob sie ihm die alten Kleider wieder verpassten oder ob sie die Republik ausriefen, das teilt uns Christian Andersen nicht mit. Die GSoA hat die Chance, ihren Ruf "Die Armee ist nackt!" zu verbinden mit einem konsequenten Vorschlag.

Zum zweiten Angebot: Aufgrund der schrecklichen Konfessionskriege kam Thomas Hobbes zum Schlusse, der "Mensch sei des Menschen Wolf", die Gesellschaft brauche deshalb einen obrigkeitlichen "Leviathan", der für Recht und Ordnung, Stabilität und Sicherheit sorgt. Der moderne Namen für "Leviathan" ist Nato, allerdings baute der Hobbessche "Leviathan" auf einem allgemeinen Gesellschaftsvertrag und nicht auf einseitigen Machtinteressen. Immanuel Kant, der Autor des "ewigen Friedens", vertrat die "weltbürgerliche" Alternative einer globalen Zusammenarbeit im Rahmen einer "Republik freier verbündeter Völker". Wem der liberale Kant näher steht als der autoritäre Hobbes setzt auf die UNO statt auf die Nato! Auf beides setzen heisst - man betrachte nur die finanziellen Ausgaben - die Marginalisierung und Instrumentalisierung der UNO durch die Nato zu fördern.

Vor genau 150 Jahren stand Europa vor der gleichen Alternative: für Hobbes stand die "Heilige Allianz", deren Zauberwort "Stabilität von oben" hiess: der Staat kam vor der Gesellschaft, das Militär vor der Politik. Für Kant stand der "Völkerfrühling", dessen Schlüsselwert "Bewegung von unten" war: der Citoyen hat über dem Soldaten zu stehen. Leider blieb die Schweiz das einzige Land, in dem sich - mindestens für ein paar Jahrzehnte - das republikanisch-demokratische Prinzip gegenüber dem obrigkeitsstaatlich-militaristischen durchzusetzen vermochte.

1998 ist ein gutes Datum für die Lancierung von Initiativen, welche zeigen, was Republik bedeutet.

1998 ist ein denkbar schlechtes Datum, um die Armee zu feiern. Erstens ist sie im Unterschied zur Verfassung nicht ein Kind von 1848, sondern von 1815, also der Restauration. Der Bundesrat selber hat das in seiner GSoA-Botschaft vom Mai1988 betont. Zweitens gibt es keine Institution, die derart stark mit der Geistigen Landesverteidigung, der ideologischen Negation von1848, verbunden ist. Genau von dieser Geistigen Landesverteidigung muss sich die Schweiz emanzipieren, wenn sie eine solidrische und weltoffene Zukunft haben will.

Ich komme zum Schluss: Damit in der Schweiz und in der Welt die "ächtrepublikanischen" Werte, wie es vor 150 Jahren hiess, gegenüber den obrigkeitlich-militaristischen gestärkt werden, braucht es überall kleinere und grössere autonome Republiken wie die GSoA und ihre Initiativen.

Josef Lang, Zug