Gegen Blankochecks für bewaffnete
Auslandeinsätze
Das Eidg. Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport
(VBS) schickte Ende Januar eine Teilrevision des Militärgesetzes in die
Vernehmlassung. Bundesrat Adolf Ogi begründet die Gesetzesrevision mit
der Notwendigkeit, dass sich die Schweiz solidarisch an der internationalen
Sicherheitspolitik beteiligen soll. Die unterzeichnenden Parteien, Organisationen
und Personen unterstützen zwar diese Zielsetzung, aber die vorgeschlagene
Gesetzesrevision bildet dafür ein untaugliches Mittel. Wir unterstützen
alle Schritte zugunsten einer solidarischen Friedenspolitik. Wir lehnen
Blankochecks für bewaffnete Auslandeinsätze jedoch ab. Bei der aktuellen
Vorlage vermissen wir den friedenspolitischen Zusammenhang. Wir weisen
deshalb die vorliegende Teilrevision des Militärgesetzes zurück.
Es fehlt eine friedenspolitische und aussenpolitische Einbettung
Der Bundesrat kündigte an, mit der Teilrevision des Militärgesetzes (Art.
48a, 66 und 150a) einen grösseren Beitrag der Schweiz zu einer internationalen
Friedens- und Sicherheitspolitik anzustreben. «Sicherheit durch Kooperation»
lautet das Motto. Genau dieser Zusammenhang fehlt nun jedoch. Das VBS
legt allein eine Teilrevision des Militärgesetzes vor, ohne zu erläutern,
in welches Gesamtbild dieser neue Mosaikstein eingefügt werden soll. So
wird das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt: Anstatt ein friedens- und sicherheitspolitisches
Konzept vorzulegen – und darin nebst anderem den Stellenwert allfälliger
militärischer Komponenten zu definieren –, wird das Einsatzgebiet der
Armee in schwammigen Begriffen international ausgeweitet. Bevor eine breite
Diskussion über den angekündigten Sicherheitsbericht erfolgt ist, sollen
schon vorgängig – isoliert und konzeptlos – im militärischen Bereich konkrete
Massnahmen beschlossen werden.
Es gibt heute zahlreiche Schweizer und Schweizerinnen, die in Zusammenarbeit
mit internationalen Organisationen, dem Bund und spezialisierten Nichtregierungsorganisationen
ausserhalb der Landesgrenzen im Bereich der zivilen und militärischen
Konfliktbearbeitung tätig sind. Wenn schon, müsste die rechtliche Stellung
all dieser Personen gestärkt werden. Statt dessen beschränkt sich die
Vorlage auf eine Regelung des militärischen Sonderfalles. Und im gleichen
Zug soll auch noch die gesetzliche Grundlage für Truppenübungen von und
mit Nato-Verbänden (Art. 48a) in der Schweiz geschaffen werden.
Dieses Vorgehen mag zwar den Legitimationsbedürfnissen einer Armee Rechnung
tragen, deren Hauptauftrag, die Landesverteidigung, jegliche Aktualität
und Wahrscheinlichkeit eingebüsst hat. Es macht aber friedens- und sicherheitspolitisch
keinen Sinn. Daher weisen wir die vorgeschlagene Revision zurück.
Keine Blankochecks für bewaffnete Auslandeinsätze
Im Sommer 1994 stand das Bundesgesetz über schweizerische Truppen für
friedenserhaltende Operationen zur Abstimmung. Viele von uns setzten sich
1994 tatkräftig für ein friedenspolitisches Ja ein. Darin waren in einem
speziellen Gesetz die Voraussetzungen für bewaffnete Einsätze und deren
Durchführung detailliert umschrieben:
-
Der Einsatz der Schweizer Truppen für friedenserhaltende Operationen
war unmissverständlich an ein entsprechendes Mandat der UNO oder OSZE
gebunden.
-
Die Zustimmung aller direkt beteiligten Konfliktparteien musste vorliegen
(Peace-keeping).
-
Die UNO und die OSZE mussten zusichern, dass sich die Truppen unparteiisch
verhalten und nur zur Notwehr von der Waffe Gebrauch machen würden.
Die vorliegende Gesetzesrevision lässt demgegenüber jegliche Sensibilität
für die politisch und völkerrechtlich äusserst sensible Frage vermissen,
wann eine militärische Intervention in ein Konfliktgebiet legitim ist.
Von den klaren Leitplanken, welche die Blauhelm-Vorlage vorsah, ist im
vorliegenden Entwurf für eine Teilrevision des Militärgesetzes keine Rede
mehr. Laut Art. 66, Abs. 3 ist das Ziel «die Erfüllung des Auftrages».
Wer diesen Auftrag erteilt, welche völkerrechtlichen Voraussetzungen dabei
beachtet werden müssen, wie weitreichend ein solcher Auftrag sein darf,
damit Schweizer Truppen mitwirken werden (und dazu rechtlich, politisch
und militärisch überhaupt in der Lage sind), bleibt vollkommen undefiniert.
An Stelle der bisher als notwendig erachteten Regelungen ist bloss noch
von «Friedensförderungsdienst im internationalen Rahmen» (Art. 66, Abs.
1) die Rede. Ein Einsatz von Schweizer Truppen wäre also auch im Nato-Verbund
und ohne UNO- oder OSZE-Mandat möglich. Von der Zustimmung der Konfliktparteien
wird gänzlich abgesehen, denn in der Praxis sei es schwierig, «eine eindeutige
Grenze zwischen ‚Peace-keeping' (Friedenserhaltung) und ‚Peace-Enforcement'
(Friedenserzwingung) zu ziehen» (Erläuterungsbericht zur Gesetzesrevision).
Und weil die Unterscheidung schwierig ist, soll zukünftig einfach alles
erlaubt sein – dies scheint die Logik im neuen Gesetz zu sein.
Ebenfalls keine Grenzen soll es zukünftig im Bereich der Bewaffnung geben:
«Der Bundesrat bestimmt im Einzelfall die Bewaffnung und die übrigen Massnahmen,
die für den Schutz der eingesetzten Personen und Truppen sowie die Erfüllung
des Auftrages erforderlich sind» (Art. 66, Abs. 3). Nach dem Wortlaut
des Gesetzes wäre eine Beteiligung von Schweizer F/A-18 beim nächsten
Weihnachtsbombardement von Bagdad nicht ausgeschlossen. Es geht eben um
weit mehr als um den Selbstschutz von bereits im Ausland eingesetzten
Schweizer Truppen. Denn der Bundesrat kann bereits gestützt auf die aktuelle
Rechtslage einzelnen im Ausland tätigen Personen den Waffengebrauch zum
Selbstschutz bewilligen.
Eine Folge dieser Blankocheck-Argumentation besteht auch darin, dass
unklar bleibt, ob der Bundesrat weiterhin glaubt, Friedensförderung in
nationalen Kategorien konzipieren zu können, oder ob er anerkennt, dass
angesichts bestehender Interdependenzen Frieden und Sicherheit unteilbar
geworden und von keinem Land (oder Bündnis) für sich allein gepachtet
werden können. «Die Schweiz zieht direkten Nutzen aus den internationalen
Anstrengungen zugunsten erhöhter Stabilität und Sicherheit», heisst es
etwa, oder: «Ausgehend von der fallbezogenen Interessenlage der Schweiz
soll der Bundesrat ermächtigt werden, der internationalen Gemeinschaft
auch Truppenkontingente für multinationale friedensunterstützende Operationen
anbieten zu können.» Ist der Ausgangspunkt nun allein die Schweiz, oder
geht es darum, einen solidarischen Beitrag zugunsten einer neuen Qualität
der internationalen Gemeinschaft zu leisten? Für uns ist klar: Weil sich
das Engagement für Frieden, Demokratisierung und Menschenrechte nicht
allein nach der «fallbezogenen Interessenlage der Schweiz» richten darf,
sondern sich zwingend vorab an der Situation des Konfliktgebietes orientieren
muss, lehnen wir diese Gesetzesrevision ab.
Militärische Bündnispolitik statt Mitwirkung in einem kollektiven Sicherheitssystem
Das Völkerrecht unterscheidet zwischen kollektiver Verteidigung in einer
Bündnisstruktur (Nato, WEU) und Systemen kollektiver Sicherheit (UNO,
OSZE). In jüngster Zeit kam freilich unter der Führung der USA die fatale
Tendenz auf, den fundamentalen Unterschied zwischen Nato-Politik, die
sich nach wie vor an der spezifischen Interessenlage der Mitgliedsstaaten
dieses Verteidigungsbündnisses orientiert und Massnahmen, die auf eine
kooperative und kollektive Sicherheit aller vereinten Nationen abstellen
zu verwischen. Die Nato setzt sich trotz verhaltener Kritik einiger kontinentaleuropäischer
Staaten immer mehr darüber hinweg, dass ihre eigene Rechtsgrundlage, der
Atlantikvertrag, «out-of-area»-Einsätze verbietet und als alleinigen Zweck
der Gemeinschaft den gegenseitigen Beistand zur Abwehr eines Angriffes
vorsieht. Noch bedenklicher ist die Tendenz zur Selbstmandatierung, mit
welcher die Nato glaubt, andere Staaten mit Militärschlägen bedrohen zu
können, ohne dass die UNO die erforderlichen völkerrechtlichen Voraussetzungen
geschaffen hat.
Der Bundesrat manövriert im Kielwasser dieser Nato-Politik, wenn er die
1994 hoch-gehaltenen Prinzipien der Völkerrechtstreue aufgibt und plötzlich
nur noch pauschal von «Friedensförderungsdienst im Ausland» spricht. Dies
ist kein definierter Begriff, sondern ein modisches Schlagwort, mit dem
jegliche militärische Intervention gerechtfertigt werden soll. Anlässlich
der Blauhelm-Vorlage war sich der Bundesrat der fundamentalen Bedeutung
klarer völkerrechtlicher Begriffe noch bewusst. Beim vorliegenden Entwurf
zur Teilrevision des Militärgesetzes wirkt er jedoch kräftig daran mit,
das Begriffswirrwarr zu vergrössern und Nato-Bündnispolitik mit Massnahmen
kollektiver Sicherheit gleichzusetzen. Damit schwächt der Bundesrat nicht
nur die völkerrechtliche Autorität und die multilateral-integrative Politik
der UNO und der OSZE, sondern auch die Position derjenigen Länder, welche
sich innerhalb der Nato dagegen wehren, dass die Allianz die Rolle der
global agierenden Ordnungsmacht für sich in Anspruch nimmt.
Es geht bei dieser Gesetzesänderung offensichtlich weniger um Friedensförderung
im Rahmen der kooperativen und kollektiven Sicherheit als um eine Annäherung
der Schweiz an die Nato. Dieser Eindruck wird auch durch den Vorschlag
bestärkt, der Bundesrat solle die Kompetenz erhalten, internationale Abkommen
über die Ausbildung von Truppen im Ausland oder mit ausländischen Truppen
abzuschliessen. Das VBS verzichtet gänzlich darauf, solche Ausbildungsabkommen
irgendwie zu qualifizieren. Genannt wird allein die Allerweltsformel,
die Abkommen hätten sich im «Rahmen der schweizerischen Sicherheits- und
Neutralitätspolitik» zu bewegen. Die Natoisierung der militärischen Ausbildung
in der Schweiz könnte also weit über die koordinierte Vorbereitung zu
internationalen Peace-keeping-Einsätzen hinausgehen. Es fand bisher keine
politische Diskussion darüber statt, in welchen Bereichen die Ausbildung
der Schweizer Armee möglicherweise internationalisiert werden soll. Es
fehlt jegliche Dringlichkeit, vor einer solchen Diskussion bereits das
Gesetz zu ändern und dem Bundesrat weitestreichende Kompetenzen zu erteilen.
Ebenso auslegungsbedürftig ist der dritte Teil des Revisionsvorschlags,
der dem Bundesrat die Kompetenz erteilen will, Rahmenabkommen über den
Status von Streitkräften im Ausland abzuschliessen. Das VBS denkt hier
zum Beispiel an das «Status of Forces Agreement» mit der Nato von 1951.
Genau dieser Vertrag hat es kürzlich Italien verunmöglicht, den US-amerikanischen
Piloten vor Gericht zu stellen, der für das Seilbahnunglück von 1998 mit
20 Toten verantwortlich war und der von der US-Justiz freigesprochen wurde.
Wir lehnen es auch im Bereich der Ausbildungskooperation und der rechtlichen
Situation von Armeeangehörigen ab, Blankochecks auszustellen.
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