Für eine solidarische Friedenspolitik
Wir verknüpfen die Rückweisung der Teilrevision des Militärgesetzes mit
klaren Forderungen: Wir verlangen einen deutlich grösseren Beitrag der
Schweiz zur internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik. Die Schweiz
soll sich gleichzeitig auf allen Ebenen für eine Stärkung der bestehenden
Ansätze zu Systemen kooperativer und kollektiver Sicherheit einsetzen.
Wir unterstützen den sofortigen und von einem klaren friedenspolitischen
Konzept begleiteten Beitritt der Schweiz zur UNO und für einen merklichen
Ausbau der Schweizer Beteiligung an UNO- und OSZE-Missionen.
Kurz: Wir fordern ein erheblich stärkeres friedens- und sicherheitspolitisches
Engagement der Schweiz im Rahmen der UNO und der OSZE. Dabei muss zivilen
Mitteln das Primat zukommen. Ein bewaffneter Beitrag der Schweiz ist nur
unter klaren rechtlichen und politischen Bedingungen denkbar. Diese Bedingungen
werden mit dem vorliegenden Entwurf zu einer Teilrevision des Militärgesetzes
jedoch bei weitem nicht erfüllt.
Für ein Spezialgesetz über Massnahmen zur Konfliktbearbeitung
Wir fordern ein eigenständiges Gesetz, welches das gesamte Spektrum der
Konfliktbearbeitung regelt und auf den Ausbau des Schweizer Beitrages
zur internationalen Friedenspolitik zielt. Eine isolierte Regelung von
bewaffneten Auslandeinsätzen lehnen wir ab. Wenn es darum geht, den solidarischen
Beitrag der Schweiz zu definieren, gilt es zur Kenntnis zu nehmen, dass
weltweit jährlich 750 Milliarden Dollar für militärische Mittel und keine
20 Milliarden für Gewaltprävention aufgewendet werden. In der Schweiz
ist das Missverhältnis noch krasser: 5150 Millionen Franken für die Landesverteidigung
stehen 37 Millionen für die Friedenserhaltung und –förderung im engeren
Sinne gegenüber. Im weiteren Sinne stehen den Gesamtaufwendungen für die
Landesverteidigung einschliesslich den milizbedingten versteckten Kosten
von 8,5 Milliarden Franken Ausgaben für ein umfassend definierte internationale
Friedensförderungspolitik unter Einschluss der Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit,
Osteuropahilfe, humanitäre Einsätze, Menschenrechts- und Demokratisierungshilfe,
internationale Organisationen, globale Umweltpolitik und Massnahmen für
den Abbau alltäglicher Männergewalt von zusammen weniger als 1,6 Milliarden
Franken gegenüber.
Für uns geht es in erster Linie um die Umverteilung des militärlastigen
Mitteleinsatzes zugunsten einer massiven Stärkung des Schweizer Beitrages
zur zivilen Konfliktbearbeitung. In diesem Bereich verfügt die Schweiz
traditionell über eine hohe Glaubwürdigkeit. Alle bisherigen Erfahrungen
zeigen zudem, dass militärische Massnahmen nur dann einen Beitrag zu einer
nachhaltigen Friedensregelung zu leisten vermögen, wenn sie in ein umfassendes
Konzept eingebettet sind, das die demokratische und soziale Entwicklung
der betroffenen Gesellschaften zum Hauptziel hat. Es geht um einen massiven
Ausbau der bestehenden Instrumente zur Früherkennung von Konflikten, der
Konfliktprävention, der Vermittlung in Konfliktsituationen und des sozialen
und demokratischen Wiederaufbaus in Nachkonfliktsituationen; es geht um
Menschenrechtsarbeit, Wahlbeobachtung, nachhaltige soziale Entwicklung
und interkulturelle Begegnung. Es braucht nicht primär Soldaten, sondern
allen voran zivile SpezialistInnen und engagierte Freiwillige im Rahmen
eines zivilen Friedensdienstes. Damit diese Anstrengungen ausgebaut werden
können und nicht verpuffen, braucht es ein klares, umfassendes politisches
Konzept, eine einheitliche gesetzliche Grundlage und ausreichende personelle,
institutionelle und finanzielle Ressourcen. Es ist unsinnig, in einem
Gesetz nur die ultima ratio – bewaffnete Auslandeinsätze – regeln zu wollen
und die prima ratio – ein verstärktes Engagement für eine zivile Konfliktlösung
– ausser acht zu lassen.
Klare rechtliche Bedingungen: UNO- oder OSZE-Mandat ist zwingend
Die völkerrechtliche Situation ist eindeutig: Für eine bewaffnete Konfliktintervention
ist ein UNO- oder allenfalls OSZE-Mandat zwingend. Die Nato beispielsweise
ist nicht legitimiert, sich selber das Mandat für die Androhung oder gar
Durchführung militärischer Einsätze zu erteilen – so hartnäckig sie auch
immer darauf hinarbeitet. Einverstanden, weder die UNO noch die OSZE sind
makellos, und ihre Handlungsfähigkeit war in verschiedenen Konflikten
eingeschränkt. Dies darf aber nicht dazu verleiten, auf völkerrechtliche
Standards zu verzichten. Vielmehr bilden die bestehenden Missstände für
uns eine klare Aufforderung, auf eine demokratischere und handlungsfähigere
UNO und OSZE hinzuarbeiten. Zu prüfen wäre, ob die Schweiz und andere
gleichgesinnte Staaten längerfristig ihre Einheiten direkt der UNO zur
Verfügung stellen könnten, wie dies die UNO-Charta im Kapitel VII eigentlich
vorsieht. Eine Unterstellung von Truppen unter UNO-Kommando ist bis heute
an den nationalen Interessen der Entsenderstaaten gescheitert. Die Schweiz
könnte hier ein wichtiges Zeichen setzen.
Zentral ist, dass sich internationale Konfliktinterventionen auf eine
Rechtsidee und nicht auf nationale machtpolitische Interessen stützen.
Um dieser Rechtsidee auch verfahrensmässig mehr Gewicht zu verleihen,
schlagen wir vor, bereits auf Gesetzesstufe entsprechende Vorschriften
zu erlassen. So könnte vorgesehen werden, dass jede Schweizer Beteiligung
an bewaffneten Einsätzen im Ausland vorgängig von einer unabhängigen juristischen
Instanz in einem umfassenden Gutachten auf deren Völkerrechtsverträglichkeit
überprüft und dieses Gutachten vom Bundesrat veröffentlicht wird.
Klare politische Bedingungen: Breit abgestützter Friedensplan
Internationale Truppen allein schaffen keinen Frieden. Bewaffnete Interventionen
sind isoliert nie die Lösung des Problems. In einem bereits eskalierten
Konflikt können Truppen der internationalen Gemeinschaft bestenfalls dazu
beitragen, den Konflikt einzufrieren und die Spielräume für politisches
Handeln zu vergrössern. Wo Gewalt noch nicht ausgebrochen oder vorübergehend
eingedämmt ist, können sie im Rahmen klarer politischer Verhandlungslösungen
einen Beitrag zur Stabilisierung leisten. Konfliktinterventionen – insbesondere
bewaffnete - dürfen keinesfalls Politikersatz sein. Ohne erkennbare und
nachhaltige politische Perspektive ist eine Diskussion über bewaffnete
Einsätze nicht angebracht. Sie sind auch dann zum Scheitern verurteilt,
wenn sich die politischen Vorgaben in erster Linie am Machtinteresse der
Intervenierenden orientieren. Es muss vielmehr um eine Konfliktbearbeitungsstrategie
gehen, die auf der Mitwirkung aller betroffenen Konfliktparteien beruht.
Dabei ist in jedem Fall sicherzustellen, dass sämtliche zivilen Mittel
ausgeschöpft werden, bevor bewaffnete friedenserhaltende Massnahmen ergriffen
werden. Dabei sollte die internationale Staatengemeinschaft auch bereit
sein, nicht-militärische Mittel unter Umständen gegen den Willen der Machthaber
umzusetzen. Es ist eine absurde Situation, wenn international vereinbart
wird, dass die OSZE nur unter der Zustimmung von Serbien eine Radio-Station
in Kosova einrichten darf, gleichzeitig aber die Nato Bombardements auf
Serbien vorbereitet.
In den letzten Jahren sind im Völkerrecht deutliche Fortschritte erreicht
worden, im Falle massiver Menschenrechtsverletzungen die Souveränität
von Staaten zu relativieren. Diese Ausweitung des Handlungsspielraumes
der internationalen Gemeinschaft sollte in erster Linie dazu genutzt werden,
um präventivdiplomatische Interventionen auf allen Ebenen zu stärken,
nicht aber, um als neue legitimatorische Ressource für unterbeschäftigte,
überdimensionierte Streitkräfte zu dienen.
Unabhängige Begleitung der Ausgestaltung und Durchführung von Einsätzen
Allein der veränderte Auftrag und eine neue Verpackung machen aus Soldaten
noch keine Friedensengel. Auch Friedenstruppen unter UNO-Kommando haben
in Bosnien und Ostafrika Schlimmes angerichtet: Bordelle errichtet, Frauen
vergewaltigt und Menschenleben gefährdet. Diese Verfehlungen und Verbrechen
dürfen kein Grund sein, sämtliche bewaffneten friedenserhaltenden Massnahmen
zu diskreditieren. Sie weisen aber auf die Dringlichkeit hin, die Einsätze
verstärkt zu kontrollieren. Eine wichtige Rolle können bei dieser Aufgabe
die spezifischen Erfahrungen und Wahrnehmungen von Nichtregierungsorganisationen
in der Schweiz sowie im Konfliktgebiet spielen. Wir fordern deshalb, auf
gesetzlicher Stufe vorzusehen, dass eine allfällige Schweizer Beteiligung
an internationalen Friedensmissionen durch eine Watchgroup begleitet wird,
in der friedens-, frauen-, umwelt-, migrations- und entwicklungspolitische
Anliegen vertreten sind. Ihnen müssen die Mitwirkung und ein Einspracherecht
bei der Ausbildung der Dienstleistenden und der Ausgestaltung und Durchführung
der Einsätze eingeräumt werden. Bei Schweizer TeilnehmerInnen an internationalen
Friedensmissionen soll ein verändertes Konfliktverständnis vorausgesetzt
werden können: Dies erfordert eine andere Ausbildung im Sinne ziviler
politischer Bewusstseinsbildung. Sie müsste sich von der herkömmlichen
Rekrutenausbildung grundlegend unterscheiden; es wäre zu fragen, in welchen
Institutionen und Strukturen sie anzusieden wäre.
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