Ende einer amour fou

Einst waren sie ein Herz und eine Seele, doch inzwischen verdrängt der wirtschaftliche Standortwettbewerb auch die Gesamtverteidigung: Die zivilen Chefetagen machen auf Liebesentzug, die potentiellen Offiziersanwärter verschlaufen sich in der Karriereleiter und die Schweizer Armee verliert ihr Hinterland ï Von Nico Lutz

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Die Wirtschaft pfeift immer lauter auf militärische Führungsqualifikationen. «Ich halte ganz andere Fähigkeiten für entscheidend. Diese werden im Militär nicht nur nicht geschult. Die militärische Erfahrung mit der personellen wie auch der Auftragshierarchie ist diesen eher abträglich. Positive Veranlagungen werden oft noch verschüttet. Wenn ich also alle meine Gedanken zum Nennwert nehme, darf ich Militärkarrieren aus utilitaristischer Sicht nicht fördern.» Der dies sagt, ist kein GSoAt. Ganz im Gegenteil: Hans Widmer, Offizier der Schweizer Armee und Präsident des Verwaltungsrates der Oerlikon-Bührle Holding. Der oberste Chef der grössten Schweizer Waffenschmiede äusserte diese Einschätzung an einer Seminartagung der Militärischen Führungsschule im April 1997.

Karriere-Blocker

Widmer war nicht allein mit seinem Urteil: «Die militärische Karriere kann für internationale berufliche Karrieren sehr wohl zum Hindernis werden», und «zusammenfassend lässt sich die Situation so beschreiben, dass der militärische Karriereweg mindestens noch wohlwollend geduldet wird» liess Ulrich Grete, Generaldirektor und Leiter der Fachsparte Ressourcen und Management-Support der UBS verlauten. Da hat sich in den letzten zehn Jahren einiges verändert. Selbst Versicherungen und Banken, wo Gold am Hut einst zu den sichersten Aufstiegsgarantien gehörten, ziehen andere Saiten auf. Die Armee und nicht die Armeeabschaffung ist eine Bedrohung für den Wirtschaftsstandort Schweiz: Diese Bilanz zieht heute bei weitem nicht nur die GSoA.

Die Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift (ASMZ) reagierte prompt auf den Liebesentzug von Wirtschaftsseite. «Ohne gegenseitiges Entgegenkommen ist heute noch weniger als früher eine ausgewogene zivile und militärische Bewirtschaftung des Kaderpotentials möglich», jammerte sie nach der Tagung. Die Wirtschaft erhalte ohne grossen Aufwand gut geschulte Kader-Anwärter und erspare sich viel eigene Ausbildungszeit. Da die Schweiz als Willensnation verbindende Klammern wie die Armee dringend brauche, müsse jeder Manager und Personalchef ein vitales Interesse haben, die Armee bei der Rekrutierung von gutem Kaderpersonal zu unterstützen, flehte ASMZ-Chefredaktor Charles Ott. Die Themen ‹Nachwuchsproblem in der Armee› und ‹mangelnde Opferbereitschaft der Wirtschaft› fehlten im letzten halben Jahr in praktisch keiner Ausgabe der ASMZ.

Freiwillige gehen in Deckung

2000 neue Leutnants braucht die Armee 95 jährlich. 1995 fehlten 600 und 1996 gar 740. Mit einem Defizit von 1340 jungen Offizieren ist das Armeereform-Projekt gestartet. «Nicht nur die Wirtschaft, auch die Schweizer Armee braucht die Besten» lautete der flammende Appell des stellvertretenden Chefredaktors Louis Geiger im November 1997. Und Jacques Dousse, der neue Chef Heer, setzte in der jüngsten ASMZ, die an alle Offiziersaspiranten verschickt wurde, noch eins obendrauf: «Sie haben Charakter, das weiss ich. Ihr Entschluss Offizier zu werden ist Beweis genug. (...) Einen Charakter durchdrungen von Gehorsam und Disziplin. (...) Diese Berufung wird an Ihnen kleben bleiben, von morgens bis abends, im Winter wie im Sommer, Jahr für Jahr.» Tatsache ist jedoch: Immer weniger Soldaten wollen sich auf diese klebrige Angelegenheit einlassen.

Bundesrat Ogi will nun mit finanziellen Anreizen versuchen, die militärische Karriere attraktiver zu machen: 16í450 Franken mehr soll ein Leutnant, gar 22í500 Franken zusätzlich soll ein Hauptmann für den Dienst in Feldgrün erhalten. 50 Millionen, zehn mal mehr als das hochgepriesene Anti-Minenzentrum der Armee in Genf, soll die Aktion zur Sicherung der Offiziersbestände kosten. Für die Förderung der Beförderung will Ogi fast die Hälfte des Betrages rausbuttern, welcher eine Mutterschaftsversicherung die öffentlichen Hand kosten würde. Und die längst fällige Erfüllung dieses über 50 Jahre alten Verfassungsauftrages würde die Schweiz real sicherer machen ñ nicht die Reduktion der Nachwuchssorgen einer Armee ohne Feind.

Definitives Downsizing

Die jüngste Strategie gegen die eigenen Nachwuchsprobleme ist schon wesentlich besser: Der Sollbestand der Armee wird von 400í000 auf 360í000 Mann reduziert. Mit einem Schlag braucht die Armee so jährlich 300 Offiziere (insgesamt deren 4000) weniger.

Nur: Wenn Unsinn kleiner und billiger wird, dann wird er nicht automatisch sinnvoll. Die Armee liefert mit der Ankündigung, im laufenden Jahr 50 Millionen einzusparen, keine Begründung, wofür sie die restlichen Milliarden braucht. Es würde auch herzlich wenig nützen, wenn die Lebensversicherungen mitteilten, sie bieten eine günstigere Sterbehilfe an. Von einer Lebensversicherung wollen wir etwas anderes.

Auch von der Schweiz erwarten wir etwas anderes: Sicherheit statt Verteidigung und einen solidarischen Beitrag zu einer internationalen Friedenspolitik. Darum: ‹Downsizen› geht in die richtige Richtung ñ ‹abschaffen› ist die notwendige Schlussfolgerung. Und alle Nachwuchsprobleme wären endgültig gelöst.

Das geschieht ihnen recht: Vor lauter Sharholder Value ist der wirtschaftlichen Elite unseres Landes der Sinn für den Gesamtverteidigungs-Value abhandengekommen. Ganz anders die GSoA: Wir formulieren eine Lösung für die drängenden Nachwuchsprobleme der Armee.