GSoA - wohin des Wegs?

Initiativen sind mehr als eine Jagd auf Abstimmungsprozente!

Die Forderung, die Schweizer Armee abzuschaffen und durch eine intelligentere Friedens- und Sicherheitspolitik zu ersetzen, bedeutet für die GSoA mehr als ein sonntägliches Amen in der Kirche. Initiativen für eine Schweiz ohne Armee und einen Schweizer Friedensdienst sind eine konkrete Handlungsperspektive. Jenseits von NATO-Beitritt oder bewaffnetem Alleingang wollen wir einen Weg für eine weltoffene Schweiz aufzeigen. Das hat die Vollversammlung am 31. März 1996 in aller Deutlichkeit bestätigt.

Von Marco Tackenberg und Nico Lutz

Kung-fu-tse, seit dem 17. Jahrhundert in Europa besser bekannt unter der latinisierten Form seines Namens Konfuzius, stiftete nicht nur eine Religion, sondern bereicherte die Welt auch mit der ewigen Weisheit, dass es nicht wichtig sei, ob Katzen weiss oder schwarz seien, sondern dass sie Mäuse fangen. Übertragen auf die GSoA, welche immer schon ein Flair für Allegorien aus dem Tierreich hatte, heisst dies, dass es nicht wichtig ist, ob wir exakt am 1. März 1997 die Initiativen für eine Schweiz ohne Armee und einen Schweizer Friedensdienst lancieren, sondern dass wir un- seren Job tun und die Heilige Kuh beharrlich weiter entweihen. Vertrauen auf Militärreformer Die Forderung, die Schweizer Armee abzuschaffen und durch eine intelligentere Friedens- und Sicherheitspolitik zu ersetzen, bedeutet für die GSoA mehr als ein sonntägliches Amen in der Kirche. Initiativen für eine Schweiz ohne Armee und einen Schweizer Friedensdienst sind eine konkrete Handlungsperspektive. Jenseits von NATO-Beitritt oder bewaffnetem Alleingang wollen wir einen Weg für eine weltoffene Schweiz aufzeigen. Das hat die Vollversammlung am 31. März 1996 in aller Deutlichkeit bestätigt.ist mehr als naiv «Praktisch ist die schweizerische Sicherheitspolitik und insbesondere die Landesverteidigung heute immer noch auf dieses extrem unwahrscheinliche Worst-Case- Szenario eines Rückfalls in nationalistische Rivalitäten ausgerichtet.» Nein, wir zitieren nicht aus einer GSoA-Zitig, sondern halten die Analyse des umtriebigen Ständerats Otto Schoch und seiner Arbeitsgruppe in den Händen, die damit einen Vorschlag für eine «Schweizerische Sicher- heitspolitik und Armeen im modemen internationalen Umfeld» vorlegen. In ihrer sicherheitspolitischen Lagebeurteilung kommt die Arbeitsgruppe in mehreren Punkten einer Analyse, wie wir sie in der GSoA anstellen würden, erstaunlich nahe. «Die Schweiz ist seit 1989 nicht mehr potentieller Frontstaat und in ihrer Nachbarschaft sind keine mächtigen und konkurrierenden Militärblöcke mehr erkennbar» (S. 4). Oder auf Seite 18: «Die Doktrin der Dissuasion und des hohen Eintrittspreises führte zu einer wahrscheinlich übertriebenen Maximierung des Aufwandes. Wenn es zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen wäre, hätte die Taktik der verbrannten Erde zu unabsehbaren und heute kaum mehr akzeptablen Schäden für die eigene Bevölkerung geführt.» Soweit sind wir uns ziemlich einig. Auch für uns ist ein «Rückfall in chauvinistische Rivalitäten unter jetzigen NATO- und EU-Partnern in absehbarer Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit» auszuschliessen (Seite 8). Welche Schlüsse zieht die Arbeitsgruppe aber aus ihrer Analyse? Na? Für den Fall «eines bewaffneten Kampfes im Sicherheitsraum Westeuropa» empfiehlt Schoch «ein politisches Bekenntnis zur Partnerschaft, eine klare Politik der militärischen Kooperation und entsprechende Massnahmen im Bereich der Rüstungsbeschaffung...» (S. 15). Wobei eine auf diese Weise modernisierte Armee «ebenso hohe finanzielle Aufwendungen» erfordere wie das heutige Massenheer (S. 17). Schöne Aussichten: europäische Inte- gration über die Militärpolitik und dazu die kumulierten Nachteile einer Mischform aus Miliz- und Profiarmee. Wer da behauptet, das Militär schaffe sich von alleine ab oder Armeereformer würden alles zum Besten richten - wenn man sie nur nicht durch unsere Initiativen ablenke -, der hat irgendwo eine bereits ungesunde Portion Opti- mismus aufgelesen. Und nur weil der EMD-Chef vor ein paar Offizieren etwas von einer weiteren drastischen Armeebestands-Reduktion gemunkelt hat, ist das noch lange kein Grund, die Hände in den Schoss zu legen. Denn Ogi hat schon viel erzählt.

Frage der Sicherheitspolitik ist heute gestellt

Sicher, die GSoA könnte in der einsetzenden Diskussion über die Neuausrichtung der Sicherheitspolitik abseits stehen oder versuchen, ihre Vorstellungen mit einem Seminar in Le Bémont an die breite Öffentlichkeit zu tra- gen. Der Erfolg wäre mehr oder weniger gleich Null. Irgendwo zwischen bewaffnetem Alleingang und NATO-Beitritt käme wohl ein Kompromiss - ohne uns - zustande. Sehr originell wäre das kaum. Und seriös erst recht nicht. Einen ernsthaften, zukunftsweisenden Beitrag kann die GSoA aber leisten, wenn sie mit neuen Volksinitiativen einen dritten Weg abseits von Eurointegration und Morgarten- Nostalgie aufzeigt. Europa braucht die Schweizer Armee nicht! Europa braucht aber Unterstützung im Be- reich des Wiederaufbaus (Bosnien!), bei humanitären Aktionen oder bei der Förderung ziviler Konfliktlösungsme- chanismen. Dort liegt die Stärke der Schweiz. Mit einem freiwilligen Friedensdienst nach dem Vorbild der <Peace Brigades International> erweisen wir der Weltgemeinschaft einen willkommeneren Dienst. Den Armee-BefürworterInnen dürfte es heute bedeutend schwerer fallen, als homogener Block gegen die GSoA anzutreten. In einer öffentlichen Diskussion haben wir die Chance, ihre Widersprüche - Igelmentalität versus NATO- Beitritt - aufzuzeigen. Die Konkretisierung der <umfassenden Friedenspolitik>, wie sie in guten Ansätzen mit dem Initiativvorschlag <Sicherheit durch Solidarität> vorliegt, erlaubt uns, eine solidarische Sicherheitspolitik für eine weltoffene Schweiz zu formulieren. Warten unsere sicherheitspolitischen Gegner auf genau diese Initiative? Sind sie giggerig auf eine Revanche für den November 1989? Erstens: Rache ist ein schlechter Ratgeber in der Politik. Wenn es das Establishment danach dürstet, so soll dies mal nicht unser Problem sein. Zweitens spricht die Erfahrung mit der Ungültigerklärung der ersten SP- Armee-Halbierungsinitiative ja gerade nicht für den Mut der Bürgerlichen, sich mit armeekritischen Initiativen aus- einanderzusetzen. Dies kann auch nicht erstaunen. Die Schweizer Armee könnte sich langfristig nur durch einen NATO-Beitritt legitimieren. Diese Option hat sich die politische Klasse aber in der ganzen Nachkriegszeit mit ihrem rechtspopulistischen und isolationistischen Diskurs - nicht zuletzt um GSoAI zu bodigen - selber verbaut. Wer an der Neutralität rüttelt, welche immer noch von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung befürwortet wird, der bekommt Prügel von Blocher & Co.

Armee und Globalisierung

Der nationale bewaffnete Alleingang eines Kleinstaates in Mitteleuropa ist aber heute schon mehr Hommage an eine scheinbar gloriose Vergangenheit, denn vernünftige Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Daher kann es nicht grundsätzlich falsch sein, in frühesten sechs bis sieben Jahren wieder einen Volksentscheid über diese Armee an den Urnen zu ermöglichen. In einer Welt zunehmender Globalisierung trachten auch wir nach einer adäquaten Antwort auf die Entmachtung der Demokratie durch die transnationale Wirtschaft. Die <politische Baustelle Europa>1 ist auch unser Thema - dass sich die GSoA an dieser Diskussion intensiver beteiligen muss, ist eine berechtigte Kritik. Aber wir weigern uns, die Bedrohung <Armee> gegen die Bedrohung <globale Wirtschaftsstrukturen>2 auszuspielen. In der Tat sind zunehmende Globalisierung und Sinnlosigkeit des bewaffneten Alleinganges die verschiedenen Seiten ein und derselben Medaille! In einer Gesellschaft, in der mit dem Megatrend Globalisierung die Vernichtung von Arbeitsplätzen und die Zunahme sozialer Ungleichheit gerechtfertigt wird, fordern auch wir unseren Anteil an Deregulierung und verlangen die Streichung des Eidgenössischen Militärdepartements. Wir greifen das System an seiner schwächsten Stelle an: der anachronistischen Verkörperung des bewaffneten Alleingangs. Es ist müssig zu diskutieren, ob die «Armeen nicht mehr die zentralen, grössten Bedrohungen» darstellen oder ob das Thema schlicht «langweilig sei» (Peter Hug). Wer sich selber auf die eine oder andere Art vom Militär verabschiedet hat, Unterordnung, Disziplinierung und Zwang in der Truppe nur noch aus der zeitlichen Distanz kennt, sollte vorsichtiger Stellung nehmen. Nur einem üblen Demagogen käme es in den Sinn, die Schweizer Armee mit dem mörderischen Treiben russischer Truppen in Tschetschenien gleichzusetzen. Wer aber die Augen davor verschliesst, dass der Satz «Soldaten sind Mörder» für jede Armee der Welt Gültigkeit hat, weil Armeen vom einzelnen immer Todes- und Tötungsbereitschaft verlangen, der stellt sich selber bloss.

Wirklichkeit mitgestalten

Schwerer wiegt die Kritik, dass es in der heutigen Realität - geprägt durch den Golfkrieg und die Politik der Waffen in Ex- Jugoslawien - zu einer Neulegitimierung des militärischen Denkens gekommen sei, dass eine weitere Initiative für eine Schweiz ohne Armee quer in der politischen Landschaft stünde, sich gar kontraproduktiv auswirken könnte. Kann man also als politischer Realist heute noch die Armeeabschaffung fordern? Hoimar von Ditfurth hat den grundsätzlichen Fehler dieser Fragestellung so formuliert: «Der 'Realist' ist insofem naiv, als er nicht zur Kenntnis nimmt, dass wir alle nicht 'in der Welt' leben, sondern nur in dem Bild, das wir uns von der Welt machen.» Mit anderen Worten: Die Realität exi- stiert nicht per se, unabhängig von unserer Wahmehmung. Das deutsche Wort <Wirklichkeit> verweist auf unser <Wirken>, also auf die Art und Weise, wie wir mit dem Gegebenen umgehen, wie wir durch unsere Wahmehmung und die aus ihr folgenden Handlungen das Reale erst konstituieren. Eine zweite Armeeabschaffungs- Initiative und der Vorschlag für einen Schweizer Friedensdienst können folglich nicht <an sich> nützlich oder kontraproduktiv sein. Alles hängt ab von unserem gemeinsamen Denkprozess, von der Überzeugungskraft unserer Argumente und von unserem Willen, mit einer engagierten Kampagne den öffentlichen Diskurs wieder zu suchen. Die Rahmenbedingungen sind heute sicher nicht nur optimal. Aber waren sie vor über zehn Jahren besser, als eine kleine Gruppe mitten im kalten Krieg beschloss, die Schweizer Armee abzuschaffen? Dass es mit der ersten GSoA-Initiative gelang, eine enorm breite Diskussion auszulösen, hing wesentlich auch mit der Wir-Identität von uns ArmeekritikerInnen zusammen: «Es überrascht mich, dass die Gegenseite nicht stärker versuchte, uns auseinanderzudividieren».3 Was einst unsere Stärke ausmachte - unsere gemeinsame Dis- kussionskultur und unser gemeinsames Handeln - dürfen wir heute nicht leichtfertig und borniert aufs Spiel setzen. Seien wir ehrlich - es sind auch typische Männerspiele, die in der GSoA derzeit ablaufen: boys with toys! Einverstanden, das Tabu Armee konnte 1989 nur einmal gebrochen werden. Zwar mag dies unserer Sache etwas den Punch nehmen, andererseits war die Härte des Schlagabtauschs mit unseren sicherheitspolitischen Gegnern vielleicht mehr dem Resultat vom 26.11.89 als dem demokratischen Diskurs über die Armee dienlich. In den nächsten Monaten wird es darum gehen, die Initiativvorschläge in Ruhe zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Auch organi- satorisch lässt sich in der GSoA noch einiges verbessern. Wir denken beispielsweise an den Kontakt zur Romandie und zum Tessin. Nicht zuletzt an der Frauenfrage wird sich mitentscheiden, ob mit neuen Projekten eine tragfähige Kampagne lanciert werden kann. «Remember how long it took women to get the vote. Time is on our side»4 hat ein GSoAt vor sieben Jahren zuversichtlich erklärt. «Wer aufgibt, wird aufgegeben», heisst es an anderer Stelle. Genug davon, denn: «Über manche Gedankenlücke bilden Zitate die Eselsbrücke». Damit wären wir auch schon wieder bei unseren Tierallegorien gelandet. Ganz lassen können wir's mit dem Zitieren aber noch nicht. Denn wie heisst es so hoffnungsvoll auf dem Umschlag des GSoA-Jahrbuchs 89/90: <Utopie wird Realität>. Dafür müssen wir aber noch einiges tun.

Anmerkungen:

1 Andreas Gross, Auf der politischen Baustelle Europas, Realotopia, 1996
2 Die Weltwoche, Andreas Gross, Warum ich gegen eine neue Initiative bin, 21.3. 1996
3 GSoA-Jahrbuch 89/90, Utopie wird Realität, Seite 518 4 ebenda