Von Hans Hartmann
Seit bald drei Jahren steht unter der Bezeichnung «Partnership for Peace» (PfP) ein Angebot der Nato an alle OSZE-Staaten im Raum, die sich für eine engere militärische Zusammenarbeit interessieren: Auf der Basis bilateraler Abkommen könnten auch Nichtmitglieder mit der Nato im Ausbildungsbereich, bei grenzüberschreitenden Katastropheneinsätzen, bei der Friedenssicherung mit militärischen Verbänden und vielen anderen schönen Dingen kooperieren. Inzwischen haben alle europäischen Länder von diesem Angebot Gebrauch gemacht mit Ausnahme Irlands, Tadschikistans, der Konfliktparteien im ehemaligen Jugoslawien und der Schweiz.
Schweizer Armee: Vom Feind verlassen, von Freunden umzingelt
Der Bundesrat darf in eigener Regie über einen Beitritt zur PfP entscheiden, aber er
kann es aus politischen Gründen nicht. Angesichts seiner Unentschlossenheit warf die
Neue Zürcher Zeitung dem EMD und dem Aussenministerium unlängst «operative
Konzeptlosigkeit» vor. Um die PfP werde ein regelrechter Eiertanz aufgeführt. Was
steckt dahinter?
Seit Kaspar Villiger 1989 das EMD übernahm, versucht die Landesregierung, das alte
Konzept militärischer Landesverteidigung zu reformieren. Das Projekt Armee 95 soll
diese Reform in die militärische Praxis umsetzen. Dabei bewegt sich das EMD im
Spannungsfeld zweier sich wechselseitig ausschliessender Optionen: Eine Gruppe von
Militärbefürwortern will um jeden Preis an der Abschottungsideologie der bewaffneten
Neutralität und an der Miliz-Idee festhalten. Für diese Sonderfall-Extremisten ist die
Identifikation von Nation und Armee wichtiger als plausibel klingende Erklärungen
dafür, wozu diese Armee konkret zu gebrauchen wäre.
Gerade umgekehrt hält es eine Gruppe von Militärexperten, die Neutralität, Miliz und anderen ideologischen Plunder lieber heute als morgen
über Bord werfen möchte. Diese Bedrohungs-Funktionalisten wollen die Armee möglichst glaubwürdig auf die neuen, sicherheitspolitischen
Bedrohungs- und Einsatzszenarien zuschneiden. Und das ist ohne Professionalisierung und ohne Einbindung in eine Verteidigungsallianz des
(westlichen) Nordens nicht zu haben.
Die Neue Zürcher Zeitung hat die Auseinandersetzung um einen möglichen PfP-Beitritt der Schweiz deshalb als «Debatte unter
sicherheitspolitischen Fundamentalisten» gebrandmarkt, die letzlich nur die «Legitimation der Landesverteidigung» gefährde. In der Tat hat es
die sich moderat gebende Mittelposition des EMD schwer: Wo liegt die Mitte zwischen zwei völlig gegensätzlichen Perspektiven?
In den letzten Jahren haben Armeeführung und Landesregierung eindrücklich demonstriert, dass diese Frage zwar nicht beantwortet, aber
doch ausgesessen werden kann. Die bewaffnete Neutralität soll beibehalten, aber den neuen Umständen angepasst werden, und ohne
Kooperation mit dem Ausland geht es sowieso nicht mehr. Die Armee soll «semi-professionalisiert» werden, aber deshalb muss man ja nicht
gleich die Miliz-Idee aufgeben. Versteckt werden diese und andere Widersprüche hinter einem Nebel von diffusen Bedrohungsbildern,
Sicherheitsversprechen und Zauberwörtern wie Multifunktionalität und Subsidiarität. Die Armee soll immer noch die Schweiz verteidigen, ja.
Aber zusätzlich auch unsere Existenz sichern. Und zum Frieden beitragen. Und der Polizei helfen zwecks innerer Sicherheit. Und bei
Katastrophen aufräumen. Und Flüchtlinge abhalten. Und solidarisch sein mit den Bruderarmeen. Und
«Die Strategie, das Nachdenken darüber, wie die Schweiz künftig verteidigt werden soll», sei in den letzten Jahren zu kurz gekommen,
diagnostizierte Adolf Ogi bald nach seinem Amtsantritt im EMD zu Beginn des Jahres. Jetzt hat Ogi eine 41 Mitglieder umfassende
«Studienkommission für strategische Fragen» ernannt, welche unter anderem das zu erwartende sicherheitspolitische Verhältnis der Schweiz
zu Europa im nächsten Vierteljahrhundert prognostizieren soll. Schwierig, schwierig.
Die disparate personelle Zusammensetzung der Kommission vom überzeugten P-26-Offizier Jacques-Simon Eggly bis zum
Armeeabschaffer Andreas Gross, vom Europhoriker Jacques Pilet bis zur Galionsfigur des Alleingangs Christoph Blocher, vom
Ex-EMD-Generalsekretär Hans-Ulrich Ernst bis zum Astronauten Claude Nicollier macht mir eine andere Prognose leichter: Die
Nebeldecke droht sich zu verdichten.
GSoA-Zitig, September 1996, Nr. 66