Der Krieg in Bosnien und der Herzegowina ist zumindest unterbrochen soweit mit Krieg nur Kämpfe mit schweren Waffen gemeint sind. Von Friede freilich kann noch nicht oder nur lokal die Rede sein. Die GSoA-Antikriegskampagne unterstützt darum weiterhin friedensfördernde Projekte im ehemaligen Jugoslawien. Marcel Hänggi überbrachte im Frühjahr GSoA-Spendengelder an drei Projekte: Die Zeitung «Novi Prelom» in Banja Luka, das Menschenrechtsbüro in Tuzla und das internationale Projekt für sozialen Wiederaufbau in Gornji Vakuf.
Von Marcel Hänggi
Gornji Vakuf in Zentralbosnien ist laut Statistik die am stärksten zerstörte Gemeinde in Bosnien-Herzegowina: 80 Prozent der Häuser sind zerstört. Ein anderer Umstand aber prägt das Leben im Dorf noch mehr: Gornji Vakuf ist zweigeteilt. Kroatische und muslimische Politiker, die offiziell seit über zwei Jahren die «Föderation Bosniens und der Herzegowina» bilden und verbündet sind, haben aus dem Dorf zwei Dörfer gemacht. Und weil der Dorfname Gornji Vakuf aus der Türkenzeit stammt, haben die Kroaten den vortürkischen Namen Uskoplje für ihren Dorfteil wieder ausgegraben.
Die Trennungslinie zwischen den zwei Teilen läuft mitten durch das Dorf. Die beiden Dorfteile haben je ihre eigene Währung, ihr eigenes
Ambulatorium, ihre eigene Dorfverwaltung samt Polizei und Schule, und während man sich im einen Dorfteil «zdravo!» grüsst, heisst es auf der
anderen Seite der Linie «bok!».
Die Bewegungsfreiheit im Dorf ist seit dem Waffenstillstand Anfang 1994 gewährleistet. Doch im allgemeinen bleiben die Leute in «ihrem»
Dorfteil. Sie haben Angst, auf die andere Seite zu gehen, fühlen sich dort nicht wohl oder haben drüben einfach nichts zu suchen.
Das UNO-Büro in Wien (UNOV) unterhält in Gornji Vakuf ein Projekt für sozialen Wiederaufbau. Für die UNO ist diese Art von
Graswurzel-Arbeit neu. Ein erstes Projekt entstand in der ehemaligen UNO-Schutzzone bei Pakrac in Kroatien, einer ehemals zwischen
SerbInnen und KroatInnen geteilten Stadt (die GSoA-Zitig hat verschiedene Male davon berichtet). Die meisten der 10 internationalen
Freiwilligen, die heute im Projekt Gornji Vakuf arbeiten, haben ihre Erfahrungen in Pakrac gesammelt.
Ziel der Arbeit ist es, die Menschen beider Dorfteile wieder zusammenzubringen. Mitte Mai wurde ein Jugendzentrum eröffnet, in dem die
SchülerInnen beider Dorfhälften Foto-, Computer- und Englischkurse besuchen können. Es ist bereits ein Fortschritt, dass es einen
gemeinsamen Ort für Menschen beider Seiten gibt. Die Klassen sind freilich noch nicht gemischt, der Prozess der Versöhnung braucht Zeit
und darf nicht zu sehr forciert werden.
Die internationalen Freiwilligen unterhalten ferner ein Programm zum Wiederaufbau zerstörter Häuser auf beiden Seiten. Kroatische und
muslimische Laien werden in gemischten Arbeitsgruppen in den wichtigsten handwerklichen Kenntnissen unterrichtet und bauen die Häuser
gemeinsam wieder auf.
Ab diesem Sommer werden zusätzlich zu den zehn Langzeitfreiwilligen Gruppen von Kurzzeitfreiwilligen gebildet, welche jeweils sechs
Wochen im Einsatz stehen. InteressentInnen, die Erfahrung in Friedensarbeit in Ex-Jugoslawien haben oder beruflich auf dem Bau arbeiten
und englisch sprechen, können sich melden (Telefon 00387-88-494105 oder via E-mail: philip.pierce@zamir_zg.ztn.apc.org.). Die
GSoA-Antikriegskampagne hilft gerne, die Kontakte zu vermitteln.
Medien haben im Krieg im ehemaligen Jugoslawien eine wichtige Rolle gespielt mit nationalistischer Propaganda vor allem auf der Seite der
Kriegstreiber. Um so wichtiger ist die Arbeit der nichtnationalistischen, von den jeweiligen Regierungen unabhängigen Medien.
Während in dem Teil Bosniens, der von der Regierung in Sarajewo kontrolliert wird, einige unabhängige Medien entstehen konnten, gibt es in
den serbisch und kroatisch kontrollierten Teilen des Landes kaum solche. In der Serbischen Republik existieren zur Zeit drei Zeitungen, die
nicht von der Regierung kontrolliert sind: Ekspres-Magazin in Bijeljina, die Zeitung der Sozialdemokraten Nesavisne Novine in Banja Luka
und Novi Prelom, die Zeitung der Sozialliberalen Partei, ebenfalls in Banja Luka.
Bei meinem Besuch in Banja Luka gibt sich Miodrag Zivanovic, Philosophieprofessor an der Uni Banja Luka und Chefredaktor von Novi
Prelom, optimistisch. Die zweiwöchentlich erscheinende Zeitung wurde 1992 gegründet. Achtmal konnte sie erscheinen dann wurden alle
Redaktionsmitglieder in die Armee einberufen. Nach dem Waffenstillstand, im Dezember 1995, nahm Novi Prelom nun ihren zweiten Anlauf.
Mit den Behörden habe man heute keine Probleme mehr, erzählt Zivanovic, die Zeitung sei sogar an den staatlichen Kiosken erhältlich.
Novi Prelom will mehr sein als ein Parteiblatt und steht kontroversen Meinungen offen. Seit dem Dayton-Abkommen ist es möglich, Kontakte
mit den anderen Teilen des Landes herzustellen. Unter OSZE-Schutz sind nun sogar Reisen nach Tuzla oder Sarajewo möglich. Novi Prelom
wird in Tuzla verkauft und soll, in Zusammenarbeit mit Slobodna Bosna, in Zukunft auch in Sarajewo erhältlich sein.
So hoffnungsvoll das klingt, darf die Bedeutung von Novi Prelom nicht überschätzt werden. Nur 4000 beträgt die aktuelle Auflage. In den von
Pale kontrollierten Teilen der Serbischen Republik kann Novi Prelom nicht gekauft werden. Produziert wird die Zeitung unter ärmlichen
Bedingungen: Auf der Redaktion befinden sich zwei mechanische und eine elektrische Schreibmaschine, kein Computer
Trotzdem: Novi
Prelom ist ein Anfang demokratischer Öffentlichkeit in diesem Teil Bosniens und verdient als solcher Starthilfe auch von der
GSoA-Antikriegskampagne.
In der Strasse, in der das «Biro za ljudska prava» seinen Sitz hat, wohnen so erklärt mir Mitarbeiter Mirza Mukic Menschen von 15
Nationalitäten. Das multiethnische Bosnien existiert heute noch, wenngleich nur noch in Inseln. Tuzla ist eine solche Insel.
Das Menschenrechtsbüro, das vom Zürcher Uli Kern und von der Tuzlaerin Branka Rajner geleitet wird, wurde im Oktober 1995 als lokale
Nichtregierungs-Organisation (NGO) gegründet. Das Büro organisiert Seminarien und Runde Tische zu Menschenrechtsthemen, wobei der
Begriff Menschenrecht in einem weiten Sinn verstanden wird. Themen wie Kriegswaisen, Vertriebene und Flüchtlinge fallen ebenso darunter
wie Demokratie und Pressefreiheit. Die Kurse richten sich an Leute, welche diese Kenntnisse durch ihren Beruf weiterverbreiten:
Lehrpersonen, JournalistInnen, JuristInnen usw.
An sich sollen mit den Kursen Teilnehmende aus ganz Bosnien-Herzegowina erreicht werden. Da aber die Bewegungsfreiheit noch nicht für
ganz Bosnien und alle Menschen garantiert ist, konnte bisher niemand aus den serbisch bewohnten Gebieten teilnehmen. Teilnehmende aus
dem kroatisch bewohnten Südbosnien (Herzeg-Bosna) dürfen auf keinen Listen erscheinen, da sie Repressionen ausgesetzt sein könnten.
Um dort präsent sein zu können, wo Menschenrechtsarbeit am dringendsten ist, baut das Menschenrechtsbüro in Bijeljina eine Aussenstation
auf. In dieser Hochburg des serbischen Nationalismus gab es bisher nichts Vergleichbares. Oppositionelle Gruppen oder lokale
Menschenrechts- und BürgerInnenorganisationen konnten sich keine bilden. Mit dem Büro in Bijeljina soll ein Ort geschaffen werden, wo sich
solche Gruppierungen bilden und von der nötigen Infrastruktur profitieren können.
Uli Kern legt Wert darauf, seine Arbeit im Kontext der internationalen Politik zu sehen. Das Dayton-Abkommen bestimmt diese Politik. Nach
Kern ist dieses kein Friedensabkommen, es konsolidiert im Gegenteil die ethnischen Trennungen. Die grossen internationalen Organisationen
sind mit der Umsetzung des Dayton-Abkommens beauftragt.
Die kleinen NGOs wirken dank Unabhängigkeit, Flexibilität und Nähe zur Bevölkerung dort, wo die Umsetzung des Dayton-Abkommens
Lücken lässt. Die internationalen Organisationen können ihre Arbeit durch Gewährung von Schutz sowie von finanzieller und logistischer
Unterstützung ermöglichen. Die GSoA-Antikriegskampagne leistet einen finanziellen Beitrag an das Betriebskapital des Büros und damit an
die laufenden Aktivitäten auf dieser Insel des multiethnischen Bosnien.
GSoA-Zitig, September 1996, Nr. 66