Kaum war die Interventionsdebatte in der deutschen Friedensbewegung abgeklungen, sorgte ein neues Thema für heftige Kontroversen. Im Dezember 1995 schien die Idee eines Zivilen Friedensdienstes (ZFD) in Deutschland vor der Umsetzung zu stehen. Nach dem Abkommen von Dayton hatte sich bis in die Parteien hinein herumgesprochen, dass zur Absicherung des Friedensprozesses in Ex-Jugoslawien zivile, gewaltfreie Mittel geeignet sein könnten.
Angesichts kriegerischer Auseinandersetzungen und massiver Menschenrechtsverletzungen werden in der öffentlichen Debatte zumeist
Militärinterventionen als einzige Alternative zum Nichtstun vorgeschlagen. Die vielfältigen Möglichkeiten der nicht-militärischen Krisen- und
Kriegsintervention machen hingegen deutlich, dass dies eine Scheinalternative ist. Voraussetzung für die Anwendung ziviler Formen der
Konfliktbearbeitung ist jedoch, dass sie ebenso vorbereitet, geplant und institutionell verankert werden wie bislang nur die militärischen
Aktivitäten.
Geprägt wurde der Begriff «Ziviler Friedensdienst» von der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, die auch ein erstes Konzept
vorlegte. Übernommen hat ihn dann der Bund für Soziale Verteidigung (BSV), ein Dachverband der deutschen Friedensbewegung. Die
Arbeit an dem Konzept wurde durch das Engagement des BSV gegen den Krieg im ehemaligen Jugoslawien intensiviert und bereichert.
Nach vier Jahren kontrovers geführter Debatten in verschiedenen Friedensorganisationen, Verbänden und auf öffentlichen Veranstaltungen
über Konzept, Umsetzung und Finanzierung fand der ZFD auch bei Bundestagsabgeordneten Gehör. Das ist besonders der Lobbyarbeit des
1994 gegründeten «Forum ZFD» zu verdanken, das sich die Institutionalisierung des ZFD als staatlich gefördeter Dienst zur Aufgabe gemacht
hat. Seit Sommer 1995 arbeitete das Forum ZFD mit einer interfraktionellen Arbeitsgruppe im Bundestag zusammen.
Mit dem Dayton-Abkommen stand die Ausbildung freiwilliger deutscher Fachkräfte, die beim Aufbau einer Zivilgesellschaft im ehemaligen
Jugoslawien und bei der Entfeindungs- und Versöhnungsarbeit der Kriegsgegner helfen sollen, auf der Tagesordnung. Für die Startphase
Ziviler Friedensdienst fand sich ein breites Trägerbündnis unterschiedlichster Friedensorganisationen. Die angehenden ZFD-Fachkräfte sollten
ein viermonatiges Training in ziviler Konfliktbearbeitung und landeskundlicher Vorbereitung durchlaufen und danach während mindestens 20
Monaten eingesetzt werden. Gedacht wurde an internationale Teams, in denen auch einheimische AktivistInnen aus den Kriegsgebieten
mitarbeiten sollten.
Im Frühjahr 1996 schien es realistisch, dass die dafür notwendigen 30 Millionen DM im Bundestag bewilligt werden könnten. Doch im Juni
verhinderte Entwicklungshilfeminister Spranger (CSU), dass ein interfraktioneller Antrag den Bundestag erreichte. Nicht nur «Kostengründe in
der gegenwärtigen Lage», auch «Zweifel an der Eignung der Organisation» wurden genannt.
Der ZFD zielt darauf ab, die Idee der Gewaltfreiheit zu institutionalisieren und auf diesem Weg in Konflikten wirksam zu machen. Männer und
Frauen ab 23 Jahren sollen in einer grundlegenden mehrmonatigen Ausbildung befähigt werden, planvoll in Krisen und gewaltsamen
Konflikten einzugreifen (im In- und Ausland). Obwohl jeder Konflikt einzigartig ist, lassen sich doch typische Konfliktphasen herausarbeiten.
In jeder Phase kann eine Unterbrechung der Gewalteskalation oder eine Transformation gewaltträchtiger Konflikte in zivile
Bearbeitungsformen erreicht werden. Das geschieht z.B. durch Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen, durch die Vermittlung von Formen
des gewaltfreien Umgangs mit Gewalt, durch Mediation, Vertrauensbildung, Schlichtung und Versöhnung.
Der ZFD übernimmt aus der klassischen Sozialarbeit und der etablierten Diplomatie bestimmte Aspekte, geht aber darüber hinaus. Er arbeitet
projektbezogen und wirkt auch auf die politischen Verhältnisse. Besondere Beachtung findet in der Ausbildung die Analyse von
Geschlechterrollen in Konfliktsituationen. Sexismus spielt bei der Entstehung eines Konflikts sowie beim Aufbau von Feindbildern und
vermeintlichen Handlungszwängen während des Kriegsverlaufs eine häufig unterschätzte Rolle.
Innerhalb der bundesdeutschen Debatte werden mehrere Bedenken gegenüber dem Konzept des ZFD geäussert. Beispielweise wird nach
den Konsequenzen staatlicher Finanzierung für die konzeptionelle Unabhängigkeit gefragt. Das Projekt soll seine Aktivitäten frei gestalten. Ist
hier nicht eine staatliche Einflussnahme zu befürchten?
Ein weiteres Bedenken betrifft das Verhältnis von ZFD und NGOs: Bei einer staatlichen Institutionalisierung des ZFD bestünde die Gefahr der
Ausgrenzung und Verdrängung sozialer Bewegungen und kleinerer NGOs mit ihren heute schon funktionierenden Strukturen und
Möglichkeiten. Kritisch hinterfragt wird auch die Legitimation des ZFD, sich in Konflikte einzumischen. Ähnlich wie bei Missionen der OSZE
muss die Einladung an den ZFD von der betroffenen Bevölkerung kommen. Zudem soll die internationale Zusammensetzung der Teams einen
«Friedenskolonialismus» verhindern.
Mit einer bundesweiten Protestaktion wird derzeit versucht, das Konzept in einem zweiten Anlauf als Pilotprojekt in den Bundestag
einzubringen. Am GSoA-Seminar in Fribourg werde ich ausführlicher über das Konzept und den aktuellen Stand der Debatte referieren.
Renate Wanie, hauptamtliche Mitarbeiterin in der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden (BRD) und Vorsitzende der Helsinki Citizens Assembly (Deutsche Sektion) hat am Ausbildungscurriculum des ZFD mitgearbeitet.
GSoA-Zitig, September 1996, Nr. 66