Die sicherheitspolitische Debatte der offiziellen Schweiz hat sich in den 90er Jahren radikal verändert. Gleichzeitig haben sich im Lager der Armeebefürworter gegensätzliche Zukunftsperspektiven herausgebildet. Der vorliegende Artikel beleuchtet die Gründe dieser Entwicklung und die möglichen Konsequenzen für ein zukünftiges Armeeabschaffungsprojekt.
Von Hans Hartmann
Jede Politik basiert auf einem kognitiven Modell - auf einem System von Selbst- und Fremdwahrnehmungen also. Das gilt auch für die schweizerische Sicherheitspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Beinahe ein halbes Jahrhundert lang orientierte sich die Selbstwahrnehmung am Sonderfall Schweiz, die Fremdwahrnehmung an den Bildern des Kalten Krieges. Bis weit in die 80er Jahre erschienen daher zentrale militärpolitische Glaubenssätze als beinahe unhinterfragbare Tatsachen. Die wichtigsten waren: «Die Existenz der Schweiz ist durch fremde Armeen bedroht» und: «Die Einheit von Volk und Milizarmee ist das einzige wirksame Mittel gegen diese Bedrohung».
Dieses kognitive System verdankte seine Stabilität der engen Verknüpfung von Identität und Abwehr. In den Köpfen der meisten SchweizerInnen definierte es die
Grenzen des geschichtlichen Raumes Schweiz. Ideologisch war es in zwei Richtungen wirksam: vereinheitlichend gegen innen und abgrenzend gegen aussen.
Die bundesrätliche Botschaft über die erste GSoA-Initiative vom 25. Mai 1988 illustrierte dies noch einmal deutlich. Die Landesregierung kritisierte damals vor
allem den Gedanken, der Staatszweck der Schweiz könne auch ohne militärische Landesverteidigung erfüllt werden, wenn stattdessen eine umfassende
Friedenspolitik entwickelt werde.
Dies stelle «sowohl jahrhundertealte geschichtliche Erfahrungen wie auch das heutige Verhalten praktisch aller Völker in Frage», befand der Bundesrat damals. Er
empfand diesen Gedanken also als Angriff auf die kognitiven Grundlagen seiner Politik, denn «Neutralität und ein auf Selbstverteidigung ausgelegtes militärisches
Machtinstrument» gehörten seiner Ansicht nach «begrifflich zusammen» und der Satz «die Schweiz hat keine Armee, sie ist eine Armee» beschrieb in seiner Sicht
eine bewundernswerte Realität (Botschaft S.9). In diesem Sinn erwog die Landesführung sogar, dieses beispiellos «radikale Begehren» trotz seiner begrenzten
Thematik als «materielle Totalrevision der Bundesverfassung» zu behandeln.
Rückblickend überrascht es daher nicht, dass sich die strategischen Leitlinien der offiziellen Sicherheitspolitik in den 70er und 80er Jahren kaum entwickelten. So
erklärte der frischgebackene Direktor der Zentralstelle für Gesamtverteidigung, Hansheiri Dahinden, noch Ende 1987 den sicherheitspolitischen Bericht des
Bundesrates von 1973 zur «Bibel der Schweizerischen Sicherheitspolitik» (SS* 10/1987). Jede Änderung dieser Doktrin berge die Gefahr, «das logische Gefüge
von klarer Analyse der Bedrohung, gültiger Formulierung der sicherheitspolitischen Ziele und weitsichtiger Festlegung der Strategie zu gefährden».
Anfang der 80er Jahre wurde auf dieser Basis ein Armeeauftrag formuliert, der sich auf militärische Abschreckung und die Landesverteidigung im Kriegsfalle
konzentrierte. Die Unterstützung der zivilen Behörden bei der Sicherung der «inneren Ordnung» war nur in Ausnahmesituationen vorgesehen und nur wenn es der
Hauptauftrag zuliess. Auch dieser Armeeauftrag erschien damals als zukunftsweisend. So erklärte der damalige Generalstabschef Jörg Zumstein Ende 1984 vor der
Zürcher Offiziersgesellschaft, er gehe davon aus, dass die Armee auch im Jahre 2000 denselben Auftrag zu erfüllen haben werde: «Wie man es auch drehen mag:
Eine Abänderung des heutigen Auftrages der Armee liefe auf eine Minderung der Sicherheit hinaus.» (ASMZ 2/1985, Beiheft)
Der Kampf gegen die GSoA-Initiative wurde also Ende der 80er Jahre mit dem kognitiven Arsenal des Kalten Krieges geführt. Dieser Krieg war damals
allerdings schon zu Ende. Schon lange vor dem Fall der Berliner Mauer war klar geworden, dass der Feind im Osten, keineswegs die freie Schweiz knechten
würde. Auf die Frage, wie er die Soldaten nach dem Wegfall des Feindbildes vom bösen Russen noch motivieren wolle, erklärte der damalige EMD-Chef Kaspar
Villiger im Juni 1989: «Es stimmt, ein echtes Feindbild führt zu einem nationalen Schulterschluss und vereinfacht es, die Leute zu motivieren. Ich bin aber überzeugt,
dass die Bedrohung für die Schweiz schon seit Jahren etwas Abstraktes ist. Die Leute von der Notwendigkeit unserer Armee zu überzeugen, ist heute mehr ein
vernunftmässiger Akt als ein emotionaler.» (TA, 3.6.89)
Mit anderen Worten: Villiger forderte die LeserInnen auf, am bisherigen Wahrnehmungsmuster festzuhalten, auch wenn es nicht mehr intuitiv zur Welt zu passen
schien - die Alternative lautete Orientierungslosigkeit bzw. Übernahme der gsoatischen Perspektive.
Doch die Krise ihres kognitiven Modells zwang die militärisch-politische Elite unseres Landes zu Beginn der 90er Jahre, ihre eben noch als sakrosankt erachteten
Leitsätze zu revidieren. Dabei griffen sie auf ideologische Elemente zurück, welche schon in der Mitte der 80er Jahre als Antwort auf die
Anti-Atom-Friedensbewegung entwickelt worden waren. Eine Durchsicht militärpolitischer Zeitschriften zeigt, dass der Entspannungskurs Gorbatschows in diesen
Kreisen als «verstärkte psychopolitische Kriegsführung» interpretiert wurde (SS 12/1988). Mit Bildern von «strategischem Terror» und «indirekter Kriegsführung»
begannen Vordenker wie Divisionär Gustav Däniker, die Grenze zwischen Friedens- und Kriegszustand aufzuweichen. Neben die Hauptbedrohung durch «den
Osten» setzten sie eine Serie «moderner» Bedrohungsbilder. Mögliche Einsatzszenarien für die Armee unterhalb der Kriegsschwelle wurden interessant.
Dies zeigt sich etwa in einem Däniker-Text, in dem sich dieser Gedanken über die Lage der Schweiz nach einer allfälligen Annahme der Armeeabschaffungsinitiative
machte: Die Schweiz, so Däniker, würde von einem «gewaltigen Strom von Asylbewerbern - vor allem junge Männer aus den verschiedensten
Befreiungsbewegungen» - überflutet; «einige der brutalsten Terrororganisationen» würden ihre Zentralen in die Schweiz verlegen; der Finanzplatz würde gemieden
und für die Bewältigung von Naturkatastrophen und «eines neuen Tschernobyl» müssten 50000 bis 60000 Beamtenstellen geschaffen werden. Schliesslich würden
«Pläne für einen obligatorischen Arbeitsdienst, aber auch für Bürgerwehren» diskutiert. Sogar die Schaffung einer Bundessicherheitspolizei «von mehreren 10000
Mann» erwartete Däniker (ASMZ 11/1986).
Bemerkenswerterweise fanden diese Szenarien keinen Eingang in die offizielle Armeedoktrin der 80er Jahre. Kronzeuge dafür ist wiederum Gustav Däniker, der
noch Ende 1988 explizit auf die Trennung von Sicherheitspolitik und Politik im weiteren Sinne bestand. Letztere habe sich generell den
«Selbstbehauptungsproblemen» - etwa bei Fragen «der Nuklearenergie, der Asylpolitik, der Stärke der Polizei (und) der Handhabung technischen Grossgeräts» -
zu widmen. Sicherheitspolitik dagegen habe sich ausschliesslich mit Handlungen zu beschäftigen, die sich «in feindlicher Absicht» gegen Staat oder Volk richteten.
Vor dem Hintergrund der seitherigen Entwicklung ist Dänikers Begründung dieser Trennung besonders interessant: Als Hauptgrund nannte er seine «Sorge um eine
Militarisierung unserer Gesellschaft». Wenn alles oder jedes unter Sicherheitspolitik eingestuft werde, könne man sich «letztlich bei jedem Geschäft auf das hehre
Ziel der Selbstbehauptung berufen». Dies würde einen sicherheitspolitischen Konsens verunmöglichen, denn «alle aufgezählten Gebiete sind schliesslich höchst
kontrovers». Schlimmer sei aber noch «die Gefahr eines latenten Totalitarismus. Wer bestimmt letztlich, was sicherheitspolitisch richtig ist?» Die Zentralstelle für
Gesamtverteidigung sähe sich gezwungen, sich praktisch überall einzumischen. Däniker: «Die Vision eines Grossen Bruders, der da entstehen könnte, ist wohl nicht
ganz von der Hand zu weisen.» (ASMZ 11/1988)
Genau diese Grenze zwischen militärischem Verteidigungsauftrag und allgemein-politischen Sicherheitsfragen hat der «sicherheitspolitische» Diskurs der 90er Jahre
aufgeweicht. Dies prägt alle seit 1990 erschienenen Strategiedokumente des Bundes: vom «Bericht 90» des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz
(Oktober 1990), über das «Armeeleitbild 95» (Februar 1992) und die Botschaft zum neuen Militärgesetz (September 1993) bis zum bundesrätlichen «Bericht zur
Neutralität» (November 1993). Neben der nur noch summarisch erwähnten Abschreckungs- und Verteidigungsaufgabe der Armee erhielten neue bzw. bisher
untergeordnete Aspekte grösseres Gewicht: erstens der Ordnungsdienst bei der «Abwehr von schwerwiegenden Bedrohungen der inneren Sicherheit», zweitens die
«Existenzsicherung», also die Bewältigung von «ausserordentlichen Lagen», und drittens der Beitrag zur internationalen «Friedensförderung».
Dänikers 1986 geäusserte Horrorvisionen über die Lage der Schweiz nach einer allfälligen Armeeabschaffung geben heute den Hintergrund der Neuorientierung
von Armee und offiziellem Sicherheitsdiskurs ab - obwohl die Armee nicht abgeschafft wurde. Däniker ging es damals offenbar um mehr als um
Abstimmungspropaganda. Zur Debatte standen der Bankrott eines altbewährten kognitiven Modells und die Suche nach einer Alternative. Doch diese Suche
musste zu Streit im Lager der Armeebefürworter führen - spätestens wenn es um die Formulierung einer kohärenten sicherheitspolitischen Konzeption ging.
Angesichts der bevorstehenden GSoA-Grundsatzdiskussion zwang diese Sorge um den «sicherheitspolitischen Konsens» Leute wie Däniker in der zweiten Hälfte
der 80er Jahre zum konzeptionellen Stillstand. Erst nach dem Wegfall des unmittelbaren Argumentationsnotstandes, also nach dem 25. November 1989, konnten
sie ihre offene Auseinandersetzung um ein neues «gültiges» Wahrnehmungsmuster beginnen.
Damit komme ich zu einem zweiten bemerkenswerten Krisenphänomen in der gegenwärtigen Militärpolitik der Schweiz: zur Polarisierung im Lager der
Militärbefürworter. Bei dieser Einschätzung kann ich mich auf Experten berufen, die es wissen müssen. Schon am 8.Juni 1991 beklagte sich Kaspar Villiger vor der
Delegiertenversammlung der Schweizerischen Offiziersgesellschaft: «Es mehren sich die Anzeichen dafür, dass sich auch innerhalb der Armeebefürworter relativ
unversöhnliche Gruppen zu bilden beginnen, zwischen denen es schwierig ist, einen Konsens zu finden.» (Basler Zeitung, 10.6.91)
Heute zeichnen sich die Konturen dieser Blöcke klarerer ab: «Da gibt es den Block derjenigen, die nur von bewaffneter Neutralität und von einer eigentlichen
Kampfarmee hören wollen. Die blosse Frage, ob internationale Zusammenarbeit unserer Sicherheit nicht besser dienen würde, gilt ihnen als Sakrileg. ... Was aber,
wenn wir uns einmal zwischen Eigenständigkeit und Sicherheit entscheiden müssen? ... Da gibt es eine weitere Truppe, die möglichst schnell der Nato beitreten
möchte, weil sie nur so unsere künftige Sicherheit gewährleistet sieht. Man will eine kollektive Verteidigung, gleichzeitig aber eine rein schweizerische, stark
professionalisierte Armee .» (Gustav Däniker, ASMZ 7/8-96)
Beim Streit unter ArmeebefürworterInnen stehen nicht Sinn und Unsinn des Militärischen zur Debatte. Vielmehr reagieren sie ganz unterschiedlich auf das
Auseinanderfallen der beiden ideologischen Kräfte, welche, wie ich zu Beginn des Artikels beschrieben habe, ihr traditionelles kognitives Modell bestimmten. Eine
erste Gruppe will die nach innen gerichtete Kraft bewahren. Zu ihr gehören vor allem Politiker und hohe Offiziere im Umkreis von AUNS und «Schweizerzeit»;
starke Sympathien gibt es auch im Schweizer Unteroffiziersverband. Die emotionale Einheit von Volk und Armee steht für sie an erster Stelle, die Bedrohung durch
einen äusseren Feind wird unwichtig oder völlig abstrakt. Diese Gruppe - ich möchte sie als Sonderfall-Traditionalisten bezeichnen - hält am Milizsystem und an der
bewaffneten Neutralität fest, militärische Blockbindung lehnt sie ab. «Eigenständigkeit vor Sicherheit» könnte ihr Wahlspruch lauten.
Völlig entgegengesetzt reagiert eine zweite Gruppe, die vor allem die nach aussen gerichtete Kraft bewahren möchte. Ihre Exponenten findet man vor allem in den
militärpolitischen Think-Tanks um FDP-Ständerat Otto Schoch sowie im militärisch-akademischen Establishment. Für sie rückt die militärische Garantie von
Sicherheit in den Vordergrund. Da dies aber nur noch im Verbund mit befreundeten Armeen plausibel erscheint, verliert die traditionelle
Innen-Aussen-Unterscheidung ihren Sinn. «Innen» bezeichnet in diesem neuen Denken den west- und mitteleuropäischen Sicherheitsraum, «aussen» ungefähr all
das, was nicht in der Nato Unterschlupf finden wird. Diese zweite Gruppe - ich bezeichne sie als Sicherheits-Funktionalisten - befürwortet daher Schritte in
Richtung Professionalisierung und militärischer Blockbindung. Die Armee soll nicht die Einheit der Nation garantieren, sondern glaubwürdig «sicherheitsrelevante»
Aufgaben erfüllen können. «Sicherheit vor Eigenständigkeit» heisst ihre Perspektive.
Für diese gegensätzlichen Positionen gibt es eine Vielzahl von Belegen. Dennoch gehe ich nicht davon aus, dass eine dieser Extrempositionen allein das Lager der
Armeebefürworter bestimmen wird. Ihre Bedeutung liegt vielmehr in der ideologischen Beeinflussung der dritten, äusserst heterogenen und weitaus grössten Gruppe
in diesem Block.
Diese dritte Gruppe verhält sich zu den polarisierenden Fragen der Professionalisierung und militärischen Blockbindung zurückhaltend bis ambivalent. So spricht
der Bundesrat in seinem Neutralitätsbericht von «mitgestaltender» und «partizipativer» Neutralität sowie von «neutraler Kompatibilität» und meint damit alles und
nichts. Generalstabschef Arthur Liener will die Miliz «teilweise professionalisieren», gleichzeitig aber den Milizgedanken als ein «staats- und auch
demokratieerhaltendes Prinzip, das wir ohne gravierende Folgen gar nicht aufgeben können» keinesfalls fallenlassen. Gegen eine Berufsarmee würde er sich sogar
«wehren» (Weltwoche, 23.5.96).
Diese Zentrumsfraktion möchte die auseinanderdriftenden Pole der Debatte integrieren, indem sie die Diskussion auf ein weniger umstrittenes Feld lenkt: auf die
Konstruktion neuer Bedrohungsbilder und neuer Einsatzszenarien. Mögliche Bedrohungen lauern überall. Die Armee soll sich «alle Optionen» offen halten, soll
«multifunktional» werden. Mit anderen Worten: Sie soll (vorläufig) für den klassischen Verteidigungsfall tauglich bleiben, sie soll auch für die (eventuelle)
internationale Kooperation tüchtig gemacht werden, aber vor allem soll sie sich auf neue Aufgaben konzentrieren: auf Katastropheneinsätze, auf die Abwehr von
Terrorismus und Migration, auf den Ordnungsdienst imIinnern.
Dabei ist Erfindungsgeist angesagt. Experimente laufen manchmal schief, und Milizoffiziere sind bei ihrer Durchführung gelegentlich allzu eifrig. Auf den 1. Oktober
dieses Jahres erliess deshalb der Generalstabschef einen Befehl, wonach in Übungsanlagen der Armee keine «echten» innen- und aussenpolitischen Ereignisse
geschildert werden dürfen. Doch militärische Pannen und Peinlichkeiten sollten nicht darüber hinwegtäuschen: Die Armee will sich auf experimentellem Weg
relegitimieren.
Diese neuen Bedrohungs- und Einsatzszenarien alleine werden die Existenz einer hochgerüsteten Schweizer Armee längerfristig kaum rechtfertigen können. Aber
meiner Meinung nach könnte sich um sie herum ein neuer militaristischer Konsens herauskristallisieren. Wie dieser genau aussehen wird, ist noch offen. Die
Sicherheits-Funktionalisten werden Professionalität und militärische Kooperation auch in diesem Bereich in den Vordergrund stellen. Gewinnen die
Sonderfall-Traditionalisten die Überhand, ist eine Erneuerung des Bildes vom grossen Schutzraum Schweiz zu erwarten.
Ein Versuch in dieser Richtung bildet der im vergangenen Jahr von der Vereinigung Schweizerischer Nachrichtenoffiziere (VSN) herausgegebene Band mit dem
Titel «Armee-Einsätze unterhalb der Kriegsschwelle». Der Präsident des VSN schreibt im Vorwort zu diesem Buch: «Die VSN liess sich vom Bild der grossen
Schutzzone Schweiz leiten, einer Zone also, die Bürgern Schutz bietet. Schutz vor Terror und organisierter Kriminalität ... eine Zone, die wir gemeinsam selber
schützen und dabei eigenständig bleiben. Die Bevölkerung bei Katastrophen zu unterstützen und das eigene Haus wirkungsvoll vor Friedensstörungen aller Art zu
schützen, dazu ist die Armee ein wirkungsvolles Instrument.»
Auch wenn die Armeebefürworter mit dem Ende des Kalten Krieges ihr gemeinsames umfassendes Wahrnehmungsmodell verloren haben, halten sie dennoch alle
an einer grundlegenden Prämisse fest: Sie gehen davon aus, dass die Armee auch in Zukunft Antworten auf existenzielle Bedrohungen liefern kann, ob nun diese
Bedrohungen selbst einen militärischen Charakter haben oder nicht. Daher wehren sie sich gegen eine Relativierung der gesellschaftspolitischen Bedeutung der
Armee und gegen substantielle Einsparungen.
Genau diese Prämisse teilen die ArmeegegnerInnen nicht. Der relative Abstimmungserfolg der ersten GSoA-Initiative zeigte zur Enttäuschung der
ArmeebefürworterInnen, dass dies wahrscheinlich nichts mit einer krankhaften Veränderung der Wahrnehmung zu tun hat. Dennoch wird die aktuelle
sicherheitspolitische Debatte nicht von der alternativen Friedensperspektive bestimmt. Im Gegenteil: Die Reformdiskussion zielt auf einen - der neuen internationalen
Lage angepassten - militaristischen Konsens. Selbst gemässigte Vorschläge, die einen zivilen Sicherheitsbegriff ins Spiel bringen könnten, stören dabei nur. Sie
werden abgeblockt (ein Beispiel hierfür ist die Ungültigerklärung der ersten Armeehalbierungsinitiative).
Möglicherweise würde eine zweite Abschaffungsinitiative die Differenzen im Lager der Armeebefürworter vorübergehend in den Hintergrund drängen. Aber sie
könnte dafür die gesellschaftliche Streitfrage auf die Tagesordnung setzen, die PazifistInnen wirklich interessiert: Sollen wir unsere Ressourcen und unsere Phantasie
in bewaffnete Streitkräfte investieren, wenn wir ein friedlicheres und sichereres 21. Jahrhundert wollen - oder sollen wir endlich ernsthaft die Ursachen organisierter
Gewalt bekämpfen?
*SS=Schweizer Soldat, ASMZ=Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift.
GSoA-Zitig Nr.68, November 1996