Seit dem 1. Oktober 1996 ist es soweit: in der Schweiz gibt es endlich einen Zivildienst. Die Freude darüber ist jedoch nicht uneingeschränkt. Bereits heute zeichnet sich ab, dass die Zivildienst-Willigen einen Spiessrutenlauf vor sich haben.
Von Oli Rey*
Um das Gewissen der zukünftigen Zivildienstleistenden zu prüfen, werden weder Aufwand noch Kosten gescheut. Mit einer 60köpfigen Zulassungskommission, präsidiert vom ehemaligen Oberst im Generalstab Anton Keller, haben die Verantwortlichen im Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Biga) - allen voran der Leiter der Abteilung Zivildienst Samuel Werenfels (ebenfalls Offizier) - ein Gremium geschaffen, dass die sogenannte Gewissensprüfung durchführen soll. Nach den Worten von Biga-Direktor Nordmann sollen die erwählten Kommissionsmitglieder in Dreier-Ausschüssen während der Anhörung «vorurteilsfrei auf andere Menschen eingehen».
An einem sonnigen Herbstnachmittag Mitte Oktober begleitete ich den Militärverweigerer Louis (Name geändert) zum BIGA nach Bern. Der Umstand, dass jeder
Gesuchsteller eine Gewissensprüfung bestehen soll, war mir bekannt - und eigentlich von vornherein ein Dorn im Auge. Trotzdem versuchte ich, möglichst ohne
Vorurteile zu dieser Anhörung zu gehen und vor allem dem nervösen, von Prüfungsangst verunsicherten Louis etwas Sicherheit und Unterstützung zu geben. Er hatte
in seinem dreiseitigen Gesuch die Gewissenskonflikte, die ihm das Leben im Militär schwer machen, ausführlich, glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt. Aus
seinem Lebenslauf wird klar, dass die Auseinandersetzung mit Gewalt für ihn schon seit längerer Zeit ein wichtiges Thema ist. Sein Engagement in der Jungwacht ist
auch ein Tatbeweis für seine Überzeugung.
So traten wir einigermassen guten Mutes nach einer längeren Wartezeit im - mit militärkritischen Cartoons behängten - Warteraum in das Zimmer, wo die Anhörung
stattfand. Der erste Eindruck war nicht unsympathisch: Die drei Kommissionsmitglieder, zwei Frauen und ein Mann, stellten sich vor. Dann ging es los. Schon nach
der ersten Frage hätte ich am liebsten Einspruch erhoben: «Sie wissen, jeder Schweizer ist militärdienstpflichtig. Warum glauben Sie, sich der Armee entziehen zu
können?» Wie bitte? Ich fühlte mich zurückversetzt in die gute bzw. schlechte alte Zeit der Militärstrafverfahren, und als ich meine Augen leicht zukniff, glaubte ich,
uniformierte Militärrichter vor mir sitzen zu sehen. Ist das die «Menschenkenntnis und das Einfühlungsvermögen für das Gespräch mit Menschen in Gewissensnot»,
wie sie die Kommissionsmitglieder nach den Worten ihres Präsidenten Keller mitbringen?
Weiter ging es mit dem Fragekatalog, der mir doch allzu vertraut vorkam. War es in der Kommission für Waffenlosgesuche oder vor dem Militärgericht, wo ich
ähnliche Fragen schon gehört hatte? Bisher hiess es, es gehe dem Biga darum, die Ernsthaftigkeit der Gesuche zu prüfen. Ich bekam aber bald den Verdacht, dass
die Kommissionsmitglieder einer Absprache zwischen Biga und EMD aufgesessen sind: Die Fragen wirkten so unpersönlich und schematisch, dass sich mein
Goodwill schnell verflüchtigte.
Wie er sich denn die Verteidigung von schwangeren Frauen, Alten und Kindern vorstelle, wenn fremde Aggressoren in die Schweiz eindringen wollten, fragte die
ältere Dame etwa. Die Krönung des ganzen Gesprächs, das mehr und mehr zu einem Verhör verkam, war schliesslich die Frage der Vorsitzenden: Wie sich denn
Louis, der sich den Prinzipien der Gewaltfreiheit verpflichtet fühlte, verhalten würde, wenn er in der Dämmerung hinterrücks von einem grossen, starken Mann
angefallen würde? Ich war endgültig sprachlos. Jetzt haben wir doch schon seit einigen Jahren den kalten Krieg hinter uns, und noch immer stellen die
Kommissionsmitglieder nach fundierter Schulung beim Biga Fragen, die sonst nur engstirnigen Militärköpfen in den Sinn kommen.
Nach 50 Minuten hatte es Louis endlich geschafft. Auch ich bekam die Gelegenheit zu einem Schlusswort. Dabei beschränkte ich mich auf die Hervorhebung des
akuten Gewissenskonfliktes des Gesuchstellers. Danach wurde uns das weitere Verfahren aufgezeigt: Der Ausschuss werde sich beraten und einen Antrag auf
Annahme oder Ablehnung des Gesuchs stellen. Der endgültige Entscheid werde später vom Biga gefällt.
Louis war die Anhörung schlimmer vorgekommen als die Abschlussprüfung für die Matura. Ziemlich verwirrend war für ihn, dass Zivilpersonen ihm solche Fragen
vorsetzten.
Immerhin erhielt Louis bereits zwei Tage später den schriftlichen Entscheid vom Biga, er sei zum Zivildienst zugelassen. Laut Willi Rauch vom Biga, gibt es keine
Quoten, mit denen die Zulassung beschränkt wird. Also sollten mindestens theoretisch alle Gesuchsteller, die wie Louis einen Gewissenskonflikt aufzeigen können,
zum Zivildienst zugelassen werden.
Eine Gewissensprüfung dieser Art ist höchstens für eine kurze Übergangsphase akzeptabel, einem freien Zugang zum Zivildienst steht sie jedoch im Weg. Sie ist
bewusst als Hürde eingebaut worden, weil die Militärs Angst um ihre Bestände haben. So darf das auf keinen Fall lange bleiben, denn die Chance eines
Zivildienstes als sinnvollen Einsatz für das Allgemeinwohl und als präventiven Dienst am Frieden soll nicht vertan werden. Darum gibt es für mich nur eines: die
Abschaffung der absurden Anhörung.
* Oli Rey arbeitet auf der Zürcher Beratungsstelle für Militärverweigerung und Zivildienst mit.
Etwas Sinnvolles tunDie Beratungsstelle für Militärverweigerung Zürich und das Schweizerische Zivildienstkomitee haben fristgerecht zur Einführung des Zivildienstes
ein Handbuch herausgegeben. Darin ist alles Wissenwerte über Das Buch ist im Buchhandel erhältlich oder kann bei der Beratungsstelle für Militärverweigerung und Zivildienst (Tel. 01 240 07 42) bestellt werden. Die Beratungsstellen in Zürich, Bern (Tel. 031 333 01 00) und St. Gallen (Tel. 071 222 45 68) stehen auch für weitere Fragen zu Militärverweigerung und zum Zivildienst zur Verfügung. Die Beratungsstelle Zürich kann auch Kontakte in anderen Kantonen vermitteln. |
GSoA-Zitig Nr.68, November 1996