Bis zur Wende war Berlin offiziell entmilitarisiert. Die Opposition gegen die Militarisierung durch die Deutsche Bundeswehr hat sich nach 1989 wiederholt zu Wort gemeldet. Die Jubelparade unter dem Motto «Das Volk lacht die Armee aus» war der neuste Streich der Berliner AntimilitaristInnen.
Von Frank Richter, Potsdam
Am 3. Oktober jährte sich zum 6. mal der Tag der deutschen Einheit. Wieder hätte es ein schier unerträglicher Tag werden können, wäre da nicht diese
merkwürdige Veranstaltung gewesen. Diese Veranstaltung war eine Jubelparade unter dem Titel: «Das Volk lacht das Militär aus». Die Idee dazu war einfach
und der Effekt überwältigend.
Warum die Idee einfach war? Es gibt, insbesondere in Berlin, eine lange Tradition solcher verhöhnender Aufzüge, deren Ziel ist, durch Spott die Angst zu lindern,
durch Satire auf eine andere Art zum Nachdenken anzuregen und eine Auseinandersetzung mit Inhalten zu transportieren. Letztendlich ging es auch darum, durch
viel Spass die Motivation zu steigern und neue Kraft zu schöpfen. Es sei hier nur an etliche Jubelparaden erinnert, die anlässlich von Staatsbesuchen diverser
(inzwischen ehemaliger) US-Präsidenten durchgeführt wurden und mir schon damals zu Mauerstadtzeiten viel Freude bereiteten. Die Idee war also nicht neu und
auch das Militär war immer schon ein Teil des Zieles, auf das der Spott gerichtet war.
Warum der Effekt überwältigend war? Zuerst war da der sogenannte Tag der deutschen Einheit, der in der ohnehin sehr tristen deutschen Feiertagskultur neben
dem 20. Juli, dem Tag des deutschen Widerstands, den absoluten Gipfel an Alptraumhaftigkeit darstellt. Um so wohler tat die Jubelparade - ermöglichte sie doch
sowohl unser antimilitaristisches Anliegen öffentlich zu machen, als auch einen Akzent gegen die landesübliche, bierselige und selbstgefällige Einheitsfeierei zu setzen.
Weiter konnte durch den karnevalsähnlichen Charakter das Vermummungsverbot ausgehebelt werden.
Es wurden durch die Jubelfeier auch eine Vielzahl von BürgerInnen erreicht, die sich durch einen Demonstrationsaufzug herkömmlicher Art wohl weniger hätten
interessieren lassen. Dadurch brachte dieser Anlass so viele antimilitaristisch bewegte Menschen auf die Strasse wie seit den Kundgebungen zum Golfkrieg nicht
mehr.
Ich selbst nahm als katholischer Militärseelsorger an dem Aufzug teil und war Mitglied eines Erschiessungskommandos, welches einstweilige Erschiessungen
sowohl an eigens mitgebrachten - natürlich langhaarigen - Kriegsdienstverweigerern, als auch an Passanten vollstreckte. Dazu bedienten sich meine Kollegen
selbstgebauter Holzgewehre und auch der obligate Trommelwirbel fehlte nicht.
Der anwesende Militärrichter verkündete das Urteil stets unter der Anmerkung, dass gegen den richterlichen Entscheid zwar der Rechtsweg zulässig sei, die
Vollstreckung jedoch sofort stattfinde und eingelegte Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hätten. Meine Aufgabe war, den Verurteilten die Absolution zu
erteilen und ihnen den letzten Wunsch zu erfüllen, der natürlich auch bei Nichtrauchern immer aus einer letzten Zigarette bestand.
Ein anderes Kommando kooperierte mit dem unseren dahingehend, dass es einen monströsen, fahrbaren Holzkäfig mitführte, in welchen alle Wehrunwilligen
verbracht wurden, um später von uns abgeholt zu werden.
Auch allerlei technisches Gerät wurde zur Schau gestellt, wie es sich ja für eine Parade gehört. Mittels Farbe, Klopapierrollen und Tarnnetz liess sich aus so
manchem VW-Passat ein ganz passabler Panzer zaubern, von dessen Höhe herab es sich für so manchen selbsternannten Obristen oder General in
Michael-Jackson-artiger Phantasiemontur prima vorbeiparadieren und -salutieren liess. Auch die Luftwaffe hatte ihren neuesten Eigenbau auf einen Kipplaster
montiert und lud zum Abheben ein.
Ferner fand eine Prothesenverlosung statt und eine mobile Musterungskommission schrieb tauglich, was das Zeug hielt, notfalls unter Zuhilfenahme der zu
verlosenden Prothesen. Williges Volk war stets zugegen, es trug Schafsmasken und Transparente mit der Aufschrift: «Mäh».
Zu guter Letzt durfte auch die Militärmusik nicht fehlen. Es gab einen Wagen mit diversen Bands, die während des Umzugs ihr Programm zum besten gaben.
Abgeschlossen wurde der Zug von einem, neuerdings ja obligaten, Tekkno-Wagen für die vollends Bewegungssüchtigen - quasi als abschliessende
Wehrertüchtigung.
Nach offiziellen Angaben und inoffiziellen Schätzungen nahmen an der Jubelparade zwischen 3000 und 15000 Personen teil. Die Demonstration verlief ohne
Zwischenfälle (also friedlich) und kam auch mit relativ geringem Polizeiaufgebot aus. Die Atmosphäre war entspannt bis freundlich, da sich immer wieder
interessierte Paradeteilnehmer bei den Ordnungshütern erkundigten, woher diese denn ihre supergeilen Fummel herhätten und zu welcher Einheit sie überhaupt
gehören würden?
Einen Haken hatte die Angelegenheit natürlich doch, wie ja eigentlich alles im Leben. Es gab nämlich eine Vorgeschichte, und die geht so:
Schon vor ca. einem Jahr entstand die Idee zu dieser Aktion und es bildete sich ein Organisationsstab unter der Schirmherrschaft der Kampagne gegen
Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär und eben des Kabarettisten Dr. Seltsam, welcher unter dem Pseudonym AMOK (antimilitaristisches
Organisations-K.O.M.I. T.E.E.) aktiv wurde. Die ursprüngliche Route sollte vom Alexanderplatz über die Strasse Unter den Linden durch das Brandenburger Tor
führen, also der traditionell-historischen Paradestrecke Deutschlands folgen. Da diese Strecke sich nicht nur bei antimilitaristischen Kreisen allgemeiner Beliebtheit
erfreut und dort auch regelmässig das ernstgemeinte Deutschlandfest zum Einheitsfeiertag stattfand, galt es, sich diese Route frühzeitig zu sichern. So wurde die
Jubelparade bereits vor einem Jahr für diese Strecke polizeilich angemeldet, um eventuellen anderen Nutzern zuvor zu kommen.
Dies gelang jedoch leider nicht, da der offizielle Berliner Filz der Partner für Berlin GmbH, die obendrein noch einem ehemaligen Berliner Senator gehört und
traditionell das Deutschlandfest veranstaltet (der Rubel rollt), den Vorzug gab. Dies, obwohl diese ihre Veranstaltung wesentlich später angemeldet hatten. So
mussten wir auf eine Alternativroute ausweichen, die bei weitem nicht so spektakulär war. Nichtsdestotrotz liessen wir uns unseren Wehrwillen nicht nehmen und
auch mit anderer Streckenführung kamen alle voll auf ihre Kosten. Eine Lehre, die allerdings daraus gezogen wurde, ist, dass es nicht nur Jubelparaden zum
Militärischen Komplex braucht, sondern auch zu so manch anderem Thema. So wird es wohl bald auch einen Umzug des Filzes geben und viele dieser
nützlichen Sachen mehr.
So lasst uns also jubeln, Hohelieder singen, preisen und zelebrieren bis zum Abwinken, denn:
STRAHLEND WIRD DIE ZUKUNFT SEIN
GSoA-Zitig Nr.68, November 1996