Belgrads StudentInnen auf der Strasse«Mit Eiern gegen Betonköpfe»Belgrad, Bundesrepublik Jugoslawien: Am 24. November 1996, eine Woche nach dem Wahlsieg der Opposition bei den Lokalwahlen und vier Tage nach Bekanntgabe der Annullierung der Wahlresultate duch das Regime Milosevic, treffen sich tausende von StudentInnen vor der Philosophischen Fakultät der Universität im Zentrum der Stadt. Seit diesem Moment ist kein Tag ohne StudentInnenproteste vergangen. Von Roland Brunner, GSoA-Antikriegskampagne |
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Während die Opposition täglich um 15 Uhr demonstrierte, um
die Durchsetzung ihres Wahlerfolges zu erreichen und diesem Ziel
Schritt für Schritt, Zugeständnis um Zugeständnis näher kam,
demonstrierten bis 45000 StudentInnen täglich um 12 Uhr -
unabhängig, aber zusammengehörig. Auch sie forderten die
Einhaltung der verfassungsmässigen Rechte, vor allem der Presse-
und Meinungsfreiheit, und die Anerkennung der Wahlresultate, aber
sie wollten dies nicht für eine Partei, sonden für die
Demokratie - und damit für sich selber: «Wir stellen uns nicht
auf die Seite der Machthaber oder der Opposition, sondern wir
bestehen auf der Einhaltung der Gesetze», schreiben sie in ihrer
Grundsatzerklärung am 27. November. Dass sie damit zu einer der
Haupttriebkräfte gegen das Regime der Sozialistischen Partei von
Slobodan Milosevic und der Koalitionspartnerin Vereinigte Linke
JUL seiner Ehefrau und Serbiens Iron Lady Mira Markovic wurden,
zeigte sich schnell.
Darüber hinaus vertraten die StudentInnen eigenständige
Forderungen, die sie täglich mit viel Phantasie auf die Strasse
brachten: In erster Linie verlangten sie die Absetzung des
Universitätsrektors Dragutin Velickovic, Mitglied der
herrschenden Partei und von dieser auch gegen den Willen der
Universität zum Rektor gemacht. Die StudentInnen können
Velickovic nicht vergeben, dass er 1991 und 1992 die Rekrutierung
von Studenten an der Universität zugelassen hat. Als dann rund
300000 junge Männer Jugoslawien verliessen, um sich dem Krieg zu
entziehen, verlangte Velickovic, die Ausreise solle ihnen
verboten werden und wer das Land verlasse, solle auch sein Recht
auf Rückkehr verlieren. Die zehntausenden von protestierenden
StudentInnen bezeichnete er als kleine manipulierte Gruppe.
Als dann auch noch der Präsident des serbischen Parlaments die
StudentInnen als Minderjährige bezeichnete, antworteten ihm
diese: «Die StudentInnen sind nicht Minderjährige, sondern
vollwertige BürgerInnen dieser Gemeinschaft, die mit
vollständiger rechtlicher und moralischer Verantwortung Tag für
Tag in den Strassen demonstrieren. Wo waren Sie, als unsere
Mitstudierenden auf Befehl des Regimes hin, dem auch Sie
angehören, in Vukovar und an anderen Orten getötet wurden?
Solange Sie uns als BlutspenderInnen brauchten, kümmerte Sie
unser Alter auch nicht.»
Die
StudentInnen lassen sich kaum von verbalen Attacken beeindrucken. Immer mehr
Fakultäten und Professoren haben sich den Protesten angeschlossen. Sie haben
nicht nur die Fakultät für Philosophie oder für Kunst erfasst, sondern auch
Fakultäten wie die Mathematik, die Veterinärmedizin oder die physikalische Chemie
lahmgelegt. Die Protesterklärung gegen den Rektor trägt auch die Unterschriften
von 1500 der 2700 Belgrader Professoren. Von Belgrad aus hat der StudentInnenprotest
das ganze Land und fast alle Universitäten von Novi Sad im Norden (15000 StudentInnen
am 5.12.96) bis Prishtina im Süden, in der Vojvodina, in Zentralserbien (Nis)
und in Montenegro erfasst.
Aber nicht nur mit Macht und Druck machen Belgrads Studis
Politik, sondern auch mit Witz und Phantasie: Angefangen hat es
wohl mit dem Studenten, der seinen Hund an die Kundgebung mitnahm
und ihm ein Plakat umhängte: «Ich habe dieses Hundeleben
satt!» Dusan Vasiljevic, Pressesprecher des
StudentInnenprotests, erklärt: «Die Hauptinspiration für
unsere Aktionen ist die Dummheit des Regimes.» Und angesichts
der immer wieder neuen Protestaktionen muss die wohl grenzenlos
sein
Trillerpfeifen wurden zur Waffe im demokratischen
Kampf genauso wie Kochtöpfe, mit denen die StudentInnen zur Zeit
der abendlichen Fernsehnachrichten am staatlichen
Propagandasender Lärm schlagen, um die Lügenküche der
Regierung zu übertönen.
Die StudentInnen pflanzen Bäume und bauen Mauern, spielen
Strassentheater vor den massiven Polizeiaufgeboten,
dekontaminieren öffentliche Plätze, auf denen sich
die Milosevic-Anhänger trafen, mit Putzmitteln, bieten den
Wahlkomitees Nachhilfestunden im Rechnen an oder tragen auf ihren
Transparenten Aussagen mit wie «Mit Eiern gegen Betonköpfe»
oder «Oberster Serbischer Gerichtshof: Wir annullieren die
Wahlen für die Miss World.» Und eigentlich demonstrieren die
StudentInnen ja gar nicht, denn der Staat hat ein
Demonstrationsverbot erlassen. Sie treffen sich einfach täglich
zu Spaziergängen
Auch als die Proteste der politischen Koalition zajedno
(gemeinsam) am 21. Februar mit einem grossen Fest abgeschlossen
wurden, weil nach 50 Jahren sozialistischer Herrschaft erstmals
andere Parteien die Mehrheit im Belgrader Parlament stellen,
demonstrierten die StudentInnen weiter. Und selbst als sie von
der Regierung vor die Alternative gestellt wurden, bis zum 24.
Februar ihre Proteste einzustellen oder das ganze Schuljahr zu
verlieren, blieben sie sich selber treu: Ihre Zukunft sei ihnen
wichtiger als das Schuljahr, erklärten sie und opferten die
Semestergelder und die abgesessenen Studienstunden des Jahres der
Hoffnung auf Demokratie.
Seit dem ersten Tag suchen die StudentInnen die Öffentlichkeit
vor Ort und im Ausland. Über die Protestseiten auf dem
weltweiten Web (Internet) sind sie auch in Kontakt mit
StudentInnen auf der ganzen Welt. Auf der GSoA-Homepage findet
Ihr (http://www.gsoa.ch) bei der GSoA-Antikriegskampagne den
direkten Link zu den Belgrader Studis. Wie wär's mit einem
virtuellen Besuch in Jugoslawien?
Seit zweieinhalb Monaten fordern täglich zehntausende und
manchmal hunderttausende von StudentInnen und BürgerInnen mit
friedlichen und phantasievollen Kundgebungen ihren Wahlsieg bei
den Kommunalwahlen ein. Die herrschende Garde Serbiens,
Präsident Slobodan Milosevic und Serbiens Iron Lady
Mira Markovic scheinen bereit, mit ihrem Ehe- und
Parteienbündnis von Sozialistischer Partei SPS und Vereinigter
Linker JUL jeden Preis für den eigenen Machterhalt zu bezahlen.
Wir verurteilen dieses Vorgehen und unterstützen die
Demokratiebewegung Serbiens in ihren legitimen Forderungen nach
der Anerkennung der Wahlresultate, nach Presse- und
Meinungsfreiheit, nach einem friedlichen demokratischen Wandel
des Landes. Wir fordern die serbischen Behörden auf, den
Forderungen der Bürgerbewegung nachzukommen und die
Auseinandersetzung mit demokratischen Mitteln zu führen. Die
Schweizer Behörden fordern wir auf, alles in ihrer Macht
stehende zu unternehmen, der Opposition und der
Demokratiebewegung den Rücken zu stärken und Druck auf die
jugoslawischen und serbischen Behörden auszuüben, auf jegliche
Gewaltanwendung zu verzichten. Besonders fordern wir die
Schweizer Regierung auf, die längst überfällige Einladung an
die FührerInnen der Demokratie- und StudentInnenbewegung in
Serbien auszusprechen, um sie auch von offizieller Seite als
DiskussionspartnerInnen anzuerkennen. Gleichzeitig fordern wir,
dass die offiziellen Kontakte zu Regierungsvertretern
Jugoslawiens eingefroren werden, bis die demokratisch legitimen
Forderungen durchgesetzt sind. Speziell fordern wir von den
Schweizer Behörden, auf die Rückschaffung von AlbanerInnen nach
Kosovo zu verzichten, bis die politische Lage in der
Bundesrepublik Jugoslawien sich normalisiert, d.h. demokratisiert
hat.
Diese
Solidaritätserklärung wurde am 3. Februar 1997 im Rahmen einer Veranstaltungsreihe
Zwischen Krieg und Frieden in der Berner Reitschule verabschiedet.
Das Schreiben wurde - unterzeichnet von den VeranstalterInnen
Medienhilfe Ex-Jugoslawien, sowie von der Reitschule Bern, dem
Grünen Bündnis Bern, der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee
GSoA, der Jungen Alternative JA! und der Demokratie- sowie
StudentInnenbewegung in Belgrad/Jugoslawien - den Behörden der
Bundesrepublik Jugoslawien, der Schweizer Regierung und der
Presse zugestellt.
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Ein Link zu den protestierenden StudentInnen in
Belgrad: www.dds.nl/~pressnow/general/protestof96.htm (3.4.2003: link defekt) Mehr Infos über die Studis und die Arbeit im ehemaligen Jugoslawien unter http://www.Medienhilfe.ch (fixed 3.4.2003) |