Vermittlungsmission der OSZE auf der Krim
Arbeit für NGOs
Seit 1994 versucht eine OSZE-Mission auf der ukrainischen
Halbinsel Krim, drei
Konfliktparteien ins Gespräch zu bringen. Welche Probleme sind
dabei zu lösen?
Und was lässt sich daraus für die aktuelle GSoA-Diskussion um
einen zivilen
Friedensdienst lernen? Für die GSoA-Zitig befragte Hans Hartmann
den kürzlich
aus der Krim zurückgekehrten Derek Müller.
Was ist eine OSZE-Mission?
Derek Müller: Eine Mission basiert auf einem Mandat, das zwischen der OSZE und dem Gastland
ausgehandelt wird. Diese Aufträge sind manchmal sehr vage und beinhalten etwa Beobachtung und
Berichterstattung, die Förderung von Demokratie und Menschenrechten oder den Abbau von Spannungen.
Die Mandate sind meist auf sechs Monate beschränkt, und ihre Verlängerung kann oft nur nach zähen
Verhandlungen in Wien durchgesetzt werden, weil die Gastländer die Anwesenheit einer Beobachtermission,
deren Angehörige diplomatische Immunität besitzen, häufig als lästig empfinden.
Wieso gibt es eine OSZE-Mission in der Ukraine?
Das Mandat dieser Mission wurde auf Initiative Russlands ausgehandelt und richtet sich hauptsächlich
auf die schwelende ukrainisch-russische Krise in der Autonomen Republik Krim aus. Die internationale
Öffentlichkeit interessiert sich für diesen Konflikt nicht zuletzt wegen dem Streit um den Mutterhafen
der früheren sowjetischen Schwarzmeer-Flotte in Sewastopol.
Aus der Sicht ukrainischer Nationalisten ist die Halbinsel Krim eine von gut zwanzig Verwaltungseinheiten.
Die ukrainische Regierung vertritt dieselbe Linie, welche gut zu ihrem noch aus Sowjetzeiten stammenden
Autoritarismus und Zentralismus passt. Die Krim ist jedoch zu drei Vierteln von ethnischen Russen
besiedelt. Unter ihnen wuchs nach der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine (1991) die Unterstützung
separatistischer Tendenzen. Die Garantie des Autonomiestatus in der neuen ukrainischen Verfassung
(1996) stoppte eine weitere Eskalation des Konflikts vorläufig. Doch noch harren vor allem wirtschaftliche
Aspekte der Autonomie - etwa Fragen der Steuerhoheit und des Verfügungsrechts über öffentliche Infrastruktur
- einer Verhandlungslösung.
Geht es also um einen Minderheitenkonflikt?
Tatsächlich gelten die Russen in der Ukraine als ethnische Minderheit und die Mission arbeitet
eng mit dem unabhängigen OSZE-Hochkommissar für ethnische Minderheiten zusammen. Doch bei aller
Brisanz des russisch-ukrainischen Konflikts wirft die Integration der zurückkehrenden Krimtataren viel
schwerwiegendere Minderheitenprobleme auf.
Seit der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine können die Angehörigen dieses vertriebenen Volkes wieder
in ihre alte Heimat zurückkehren, allerdings ohne ein Recht auf materielle Entschädigung. Schätzungsweise
eine Viertelmillion Krimtataren haben in den vergangenen fünf Jahren von dieser Möglichkeit Gebrauch
gemacht - genaue Zahlen sind allerdings nicht verfügbar. Sie siedeln zumeist wild, ausserhalb der
erschlossenen Zonen, in halbfertigen Rohbauten ohne Zugang zu Trinkwasser, Elektrizität und Kanalisation.
Steht demnach die humanitäre Hilfe im Vordergrund?
Auf der Ebene der Entwicklungszusammenarbeit wird sowohl bilateral als auch multilateral schon viel getan,
vor allem im Rahmen eines überzeugenden Programms der UN-Entwicklungsagentur UNDP, in welches auch
schweizerische Geldmittel fliessen. Dieses Programm fördert die wirtschaftliche Entwicklung der ganzen
Region und kommt damit allen Ethnien zugute. Die OSZE-Mission widmet sich demgegenüber den politischen
Problemen der Integration der Krimtataren. Die Zentralregierung zögert, mit der Gleichstellung der
RückkehrerInnen Ernst zu machen und ihnen, beziehungsweise ihren Nachkommen, die ukrainische
Staatsbürgerschaft zuzugestehen. Auf Argwohn stösst zudem der Anspruch der Krimtataren, ihr
traditionelles politisches System beizubehalten. Kiev sieht darin einen Staat im Staat.
Diese Probleme zogen in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit und einige Geldmittel der internationalen
Öffentlichkeit auf sich. Das wiederum hat den Neid der russischen Krimbevölkerung geweckt. Erschwerend
kommt hinzu, dass viele Krimtataren sich exklusiv als ursprüngliches Krim-Volk betrachten und den hier
ansässigen Russen die Berechtigung absprechen, sich mitder Krim zu identifizieren. Vor diesem Hintergrund
ist eine komplizierte Konfliktkonstellation entstanden: Russen und Ukrainer schliessen sich zu einer
slawischen Koalition zusammen, die auch vor aggressiven, rassistischen Tönen gegen die Krimtataren nicht
zurückschreckt. Letztere, beziehungsweise deren politische Führer, bieten sich umgekehrt der Kiever
Zentralregierung als Verbündete gegen den russischen Separatismus an.
Was kann die OSZE in dieser verwickelten Situation ausrichten?
Die OSZE-Mission übernimmt die Rolle des Moderators, indem sie die Meinungen aller Beteiligten zur
Kenntnis nimmt und sie miteinander ins Gespräch zu bringen versucht - ohne dabei in die staatliche
Souveränität der Ukraine einzugreifen.
Mit Erfolg?
Zunächst wurde die Mission von allen Beteiligten begrüsst. Doch die Beziehungen kühlten sich schnell ab,
als sich herausstellte, dass sie sich nicht als Sprachrohr bestimmter Interessen vereinnahmen liess.
Weil aber keine der Parteien auf die Dienste der Mission verzichten wollte, erlangte diese den Status
der Unparteilichkeit, der die Arbeit vor Ort erst ermöglicht. So organisierten wir zusammen mit dem
OSZE-Hochkommissar für ethnische Minderheiten verschiedene Runde Tische, deren Resultate dann in Form
von Empfehlungen an die Adresse des ukrainischen Aussenministers veröffentlicht wurden.
Die Menschen in der ehemaligen Sowjetunion sind stark für die Menschenrechtsproblematik sensibilisiert,
doch fehlt ein grundlegendes Verständnis dessen, was die westliche Welt als schutzwürdige Menschenrechte
definiert hat. Während meiner Arbeit auf der Krim sprachen jeden Monat fast ein Dutzend Besucherinnen und
Besucher wegen Verletzungen von Menschenrechten in unserem Büro vor. Meistens ging es um willkürliche
Wohnungs- und Arbeitsplatzkündigungen oder um Unregelmässigkeiten bei der Auszahlung von Renten.
Meine Erklärungen, dass der Europäische Menschenrechts-Gerichtshof erst angerufen werden könne,
wenn der nationale Rechtsweg ausgeschöpft wurde, rief regelmässig Enttäuschung hervor. Denn abgesehen
davon, dass sich diese Menschen keinen Rechtsanwalt leisten können, misstrauen sie diesen als Mitglieder
des korrupten Justizwesens.
Das Problem besteht also nicht darin, dass systematisch einklagbare Menschenrechte verletzt würden,
sondern dass die Grundlagen einer Zivilgesellschaft fehlen - eine Erkenntnis, die den Betroffenen
nicht viel nützt. Hier könnte viel sinnvolle Arbeit geleistet werden, allerdings nicht von einer permanent
überlasteten diplomatischen Mission, sondern von NGOs, die über konkrete Erfahrung auf diesem Gebiet verfügen.
Die GSoA versucht zur Zeit, solche Erfahrungen in die Diskussion um einen möglichen zivilen
Friedensdienst (ZFD) einzubeziehen. Worauf ist dabei Deiner Meinung nach zu achten?
Die gezielte, aufbauende Unterstützung von lokalen NGOs setzt neben den nötigen Geldmitteln vor allem
eine langfristige Präsenz voraus.
Wie schätzt Du die Möglichkeiten eines ZFD vor dem Hintergrund Deiner Krim-Erfahrungen ein?
Das mythologisierte Image der Schweiz als erfolgreiches, neutrales und uneigennütziges Land ist in
den Ländern der ehemaligen Sowjetunion immer noch intakt. Das ist vielleicht problematisch, bietet
aber auch gewisse Chancen. Konkret könnte ich mir vorstellen, dass eine Gruppe schweizerischer
ZFD-Leistender im Rahmen der offiziellen Schweizer Entwicklungszusammenarbeit dem UN-Crimea Integration
and Development Programm (UNCIDP) zur Verfügung gestellt wird.
Schon heute bestehen gute Beziehungen zwischen der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und
dem UNDP. Auch die Ansatzpunkte für ein Engagement, dessen Reichweite sinnvollerweise zwischen
humanitärer Hilfe und langfristiger Hilfe zur Selbsthilfe liegen würde, sind bekannt. Wenn - aus
welchen Gründen auch immer - eine Identifikation des ZFD mit multilateralen Organisationen nicht
opportun erschiene, müssten auch weitgehend bilateral vereinbarte Einsätze möglich sein. Für die
Formulierung einer ZFD-Initiative sollten die entsprechenden Bestimmungen des Bundesgesetzes von 1976
bedacht werden.
* Der Historiker und Osteuropaspezialist Derek Müller arbeitete zwischen September 1995 und September
1996 als Mitglied der Mission.
Langzeitmission Ukraine
Zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gehören neben den USA und Kanada
sämtliche europäischen Staaten. Entscheidungen der OSZE-Regierungsvertreterkonferenzen unterliegen
dem Konsensprinzip und sind dennoch nicht völkerrechtlich verbindlich. Umso wichtiger ist das
daily business der ständigen diplomatischen OSZE-Delegationen der Mitgliedstaaten in Wien. Dort
laufen auch die Fäden des OSZE-Missionsnetzes im sogenannten Konfliktverhütungs-Zentrum (CPC)
zusammen - einem bescheiden dotierten und deshalb immer überlasteten Gremium.
Die Langzeitmission Ukraine wurde im Winter 1994/95 installiert. Ihr diplomatischer Hauptsitz befindet
sich in Kiev. Die eigentliche Missionsarbeit wird in der Autonomen Republik Krim geleistet. In Simferopol,
der Hauptstadt der Krimrepublik, befindet sich eine Zweigstelle der Mission. Die Löhne der MitarbeiterInnen
werden von deren Herkunftsländern direkt bezahlt.
Das Mandat der Ukrainer Mission muss halbjährlich erneuert werden. Mit dem Argument, die Missionsziele
seien schon erreicht worden, könnte das Kiever Aussenministerium bei dieser Gelegenheit jeweils eine
Verlängerung blockieren. Um sich die Sympathien der Regierungen westlicher Geberländer im Europarat
nicht zu verscherzen, hat die Ukraine bis heute auf diesen Schritt verzichtet. Allerdings hat sie
inzwischen durchgesetzt, dass zurücktretende Missionsangehörige nicht mehr ersetzt werden, so dass
von den ursprünglich sechs Planstellen nur noch deren vier besetzt sind.
Die Krimtataren
Als Krimtataren wird eine eigenständige Ethnie bezeichnet - allerdings auf politisch und historisch
unkorrekte Weise, denn die Krimtataren stammen nicht von den Tataren, den mongolischen Nomaden-Kriegern
Chingis Khans, ab.
Die Krimtataren bildeten zur Zeit der Oktoberrevolution die Bevölkerungsmehrheit auf der Halbinsel.
Während des Zweiten Weltkrieges liess Stalin im Rahmen eines rassistischen Programms alle ethnischen
Minderheiten der Krim deportieren. Die gut 500000 Krimtataren, die vor 1944 auf der Krim lebten, wurden
nach Uzbekistan ausgesiedelt. Mindestens die Hälfte von ihnen starben während des Transports oder
verschwanden in Lagern.
Im Gegensatz zu anderen deportierten Minderheiten (Juden, Bulgaren, Armenier und Deutsche) wurden die
Krimtataren während der ganzen Sowjetzeit auch nicht ansatzweise rehabilitiert und entschädigt.
Entwicklungs-zusammenarbeit
Das Bundesgesetz über internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe vom 19. März 1976
sieht vor, dass der Bund Massnahmen in diesen Bereichen «bilateral oder multilateral, gegebenenfalls
auch autonom» durchführen kann.
Die Entwicklungszusammenarbeit, so das Gesetz, «unterstützt die Entwicklungsländer im Bestreben, die
Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung zu verbessern. Sie soll dazu beitragen, dass diese Länder ihre
Entwicklung aus eigener Kraft vorantreiben. Langfristig erstrebt sie ausgewogene Verhältnisse in der
Völkergemeinschaft.» Die humanitäre Hilfe soll demgegenüber «mit Vorbeugungs- und Nothilfemassnahmen
zur Erhaltung gefährdeten menschlichen Lebens sowie zur Linderung von Leiden beitragen; sie ist namentlich
für die von Naturkatastrophen oder bewaffneten Konflikten heimgesuchte Bevölkerung bestimmt.»