Umbruch in Spaniens Militärpolitik
Ein erster Schritt
Spanien schafft die Wehrpflicht ab. Die Armee befindet sich
in einer
Legitimationskrise, denn weit und breit ist kein Feind in Sicht.
Die Militärs
setzen nun auf die Beteiligung an multinationalen
Interventionseinsätzen.
Von Rafael Ajanguiz
Wie in Frankreich traf auch in Spanien eine konservative Regierung die
Entscheidung, die Wehrpflicht abzuschaffen. Die politische Diskussion
dauerte allerdings schon lange an. Sie begann 1989 mit dem Start der
insumision-Kampagne (Totalverweigerungs-Kampagne).
Erst mit dem totalen Widerstand begannen sich auch die PolitikerInnen
mit der Wehrpflicht zu beschäftigen. Und bereits im neuen Wehrpflichtgesetz
von 1991 dachte die Regierung über die Idee der Professionalisierung nach,
verschob sie aber auf eine fernere Zukunft. Im wesentlichen ist die
Entscheidung zur Abschaffung der Wehrpflicht das Ergebnis eines Prozesses,
und die Aktionen der Friedensbewegung waren dabei zentral.
Schneeballeffekt
Darüber hinaus spielte die politische Konjunktur eine Rolle. Die neue
konservative Regierung, die nach 13 Jahren Gonzales an die Macht kam,
versuchte als energische Gruppe grosser und einfacher Entscheidungen
zu erscheinen. Und da der politische Konsens in Spanien - vor allem in
den Bereichen Wirtschaft und Aussenpolitik - sehr weit reicht, ist die
einzige Möglichkeit, wirklich entscheidungsfreudig zu erscheinen, etwas
Neues zu tun, - zum Beispiel die Entscheidung zur Abschaffung der Wehrpflicht.
Nach der Ankündigung gibt es nun keinen Weg zurück.
Die spanische Dienstverweigererbewegung KEM-MOC erwartet einen Schneeballeffekt,
da die Menschen denken: «Ich will nicht der letzte sein.» Sehr wahrscheinlich
wird die Übergangsperiode ein Desaster sein. Die Umsetzung ihrer Entscheidung
wird für die Regierung sehr hart werden, denn ihr bleiben nur fünf Jahre für
die Umsetzung, und sie hat weder die Kapazität noch genug Geld, um Rekruten
zu werben. Das wird der Friedensbewegung viele Aktionsmöglichkeiten eröffnen.
Armee abschaffen
Kurz gesagt: wir können diesen Prozess optimistisch bewerten. Es hat sich
gezeigt, dass Ziviler Ungehorsam Sinn macht, und dass er für Menschen,
die für gesellschaftliche Veränderung kämpfen, richtig ist. Doch die
nächsten fünf Jahre werden auch für die Friedensbewegung eine Zeit der
Diskussion und Entscheidungsfindung sein. Es geht darum, die Zukunft einer
Bewegung , die derzeit 90 Prozent ihrer Energie in den Kampf gegen die
Wehrpflicht steckt, vorzuzeichnen. Es geht darum, über die Mittel nachzudenken,
mit denen für die Abschaffung der Armee gekämpft werden kann.
In Spanien kann sich die Friedensbewegung einer Situation erfreuen, die sich
von der in anderen Teilen Europas unterscheidet. Wie selbst die PolitikerInnen
und die Militärs feststellen müssen, sieht ein grosser Teil der Bevölkerung
keinen Existenzberechtigung für eine Armee. Dies teils aufgrund der Geschichte
(Militärdiktatur), teils aus strategischen Überlegungen: Spanien hat einfach
keinen realen Feind. Die Idee, dass Marokko Spanien bedroht, stösst heute
nicht auf viel Zustimmung.
Intervention als Rechtfertigung
Die Regierung strebt daher eine völlige Neudefinition der Begriffe von
Sicherheit und Bedrohung an, um die Armee zu legitimieren. Interventionen
sind der zentrale Punkt für die Armee der Zukunft. Die Beteiligung der
spanischen Armee am Ifor-Bosnien-Einsatz hat in der öffentlichen Wahrnehmung
die Meinung gestärkt, die Armee könne von Nutzen sein. Man kann das an
der Entwicklung der Rekrutierung von Freiwilligen ablesen: Vor Bosnien
war es ein Desaster, doch jetzt ist die Motivation gestiegen. Bosnien
ist daher derzeit für die spanische Armee von höchster Priorität; falls
sie Bosnien verlässt, hat sie nichts anderes mehr zu tun.
Für eine zivile Dienstpflicht nach der Abschaffung der Wehrpflicht gibt es
keine Perspektive. Die Regierung hat bisher keine in diese Richtung gehenden
Absichten geäussert. Die Erfahrung ist, dass die Durchsetzung eines
Zivildienstes selbst mit existierender Wehrpflicht nicht möglich war,
es gab reale Probleme, die Menschen zu einem Zivildienst zu bewegen.
Die Beibehaltung des Zwangs würde die Aktionsmöglichkeiten der Friedensbewegung
erweitern.
Rafael Ajanguiz ist Mitglied der spanischen Dienstverweigererbewgung KEM MOC.
Er koordiniert die Arbeitsgruppe «Professionalisierung von Armeen» der War
Resisters International.