GSoA-Initiative: Mittel zur Vergangenheitsbewältigung
Arbeiten für Hitler
Schon 1989 - vor dem Hintergrund der ersten GSoA-Initiative
und der gegen sie organisierten Diamant-Feiern - stand die Rolle
der Schweiz im Zweiten Weltkrieg zur Diskussion. Wir
veröffentlichen einen gekürzten Artikel*, den Josef Lang damals
gegen die helvetische Lebenslüge veröffentlicht hat, samt einem
Kommentar zu den aktuellen Auseinandersetzungen.
Von Josef Lang
«Die schweizerische Produktion für unseren Wehrmachtbedarf ist so bedeutungsvoll, dass wir
alles tun müssen, um diese Produktion störungsfrei weiterarbeiten zu lassen»
(Otto Carl Köcher, deutscher Gesandter in Bern im August 1942).1
«Adolf Hitler hat befohlen, dass die Verhandlungen mit der Schweiz so durchgeführt werden,
dass nach Möglichkeit eine Entscheidung herbeigeführt wird»
(Karl Clodius, Chef der Wirtschaftsabteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin, Juni 1943).
Als zügigstes Argument für die Schweizer Armee wird immer der Zweite Weltkrieg gebracht.
Nur unsere Armee habe uns damals vor dem Nazi-Überfall gerettet, weil dieser wegen deren
Entschlossenheit und Kampfstärke zu grosse Verluste gefordert hätte. Diese Abschreckungstheorie
ist eine lächerliche Geschichtslüge.
«Für Deutschland arbeiteten damals in der Schweiz 80 Prozent der Präzisionsinstrumente
erzeugenden Industrie, 75 Prozent der Elektroindustrie sowie 60 Prozent der Waffenindustrie,
die auch die schweizerische Armee zu versorgen hatte
Die schweizerischen Eisengiessereien
sowie die optische Industrie waren ebenfalls zu 50 Prozent mit deutschen Aufträgen belegt.»
Diese brisanten Zahlen in Werner Rings Raubgold aus Deutschland haben noch einen weiteren
Haken: Ein Grossteil dieser Rüstungs- und sonstigen Kriegsgüter wurden von der Schweiz mit
einem unverzinslichen Kredit selber finanziert.
Schweizer Waffen töteten mit
Der rechtssozialdemokratische Journalist Paul Schmid-Ammann bringt in seinen
Lebenserinnerungen ein anschauliches Beispiel: «Ich sah selbst am Churer Stierenmarkt
im Herbst 1940 dem Gebaren einer deutschen Einkaufskommission zu, wie die Herren
arrogant auftraten, sich die schönsten Tiere aussuchten, den Befehl zum Abtransport
gaben und das Zahlen unseren Behörden überliessen.» 3
Die Schweizer Industrie spielte im Russlandfeldzug eine unersetzliche Rolle:
«Rasch in so kurzer Zeit zu ersetzen, was im September 1939 in Polen, im April 1940
in Skandinavien und kurz darauf im Westen verbraucht worden war, dafür waren gewaltige
Anstrengungen nötig. Da mussten auch die neutralen und nichtkriegführenden Länder mit
ihrem Wirtschaftspotential für die Deutsche Rüstung herangezogen werden. Die Schweiz?
Sie produzierte in dieser Zeit für den Deutschen Wehrmachtsbedarf Spezialwerkzeugmaschinen
und Flugzeugbestandteile, Zünder für Panzergranaten und Fliegerabwehrgeschosse,
präzisionstechnische Komponenten für das deutsche Panzer- und Fernsteuerprogramm
und vieles mehr.»4
Als 1943 die britische und US-Luftwaffe begannen, deutsche Fabriken systematisch und
massiv zu bombardieren, gewann das schweizerische Industriepotential zusätzliche Bedeutung.
«Die Fabriken und Werkstätten, die Lagerhäuser, die Strassen, die Bahnanlagen, das ganze Land,
war für die Feuer und Trümmer säenden Mächte tabu. Hier, auf dieser friedlichen Insel,
arbeitete wie durch ein Wunder, eine hochmoderne, leistungsfähige Industrie, mit Volldampf,
pausenlos und ungestört - während in Deutschland ganze Produktionskomplexe in Schutt und
Asche sanken. Diese Schweizer Wirtschaft war wie geschaffen, für die an täglichen und
stündlichen Amputationen leidende deutsche Rüstungsindustrie einzuspringen. Auch das
wurde von ihr mit Nachdruck verlangt - und geleistet.»5
Der Waffenfabrikant Bührle erhöhte zwischen 1939 und 45 sein Einkommen von 6.8 auf 56
Millionen Franken und das versteuerte Vermögen von 8,6 auf 170 Millionen Franken.6
Wieviele Rotarmisten, Alliierte, Partisanen und Zivilisten fielen dem grausamen Bündnis
von Naziterror und Schweizer Präzision zum Opfer? Wieviele Freiheitskämpfer wurden von
Schweizer Waffen getötet?
Schweizer Milliarden für Nazikrieg
Noch wichtiger für das Dritte Reich war die Schweiz als Goldumschlagplatz. Um kriegswichtige
Rohstoffe wie Manganerz aus Spanien, Chrom aus der Türkei, Wolfram aus Portugal und Eisenerz
aus Schweden, von denen Deutschland nichts oder sehr wenig besass, einkaufen zu können,
waren die Nazis auf frei konvertierbare Devisen und damit auf Gold angewiesen. Da die
meisten Länder, auch die Neutralen wie Schweden und Portugal, sich weigerten, deutsches
Raubgold aus Frankreich, Belgien, Holland und den Konzentrationslagern anzunehmen, bot sich
nur noch die Schweiz als zentraler Gold- und Devisenumschlagplatz an. 7
Der deutsche Wirtschaftshistoriker Willi A. Boelcke fand im Zusammenhang mit seinen
Studien über die deutsche Rüstungs- und Kriegsfinanzierung 1933-45 heraus, dass die
Goldtransaktionen mit der Schweiz nicht nur für die Beschaffung strategisch wichtiger
Rohstoffe unerlässlich waren, sondern auch «für den Auslandnachrichtendienst, für den
weltweiten Agenteneinsatz, für den Ankauf von Rundfunksendungen und Pressemeldungen,
zur Finanzierung von Überseeoperationen der deutschen Kriegsmarine und anderes mehr.»
Boelcke schliesst daraus, dass Krieg ohne Gold so gut wie unmöglich geworden war und
stellt die folgerichtige Frage: «Was wäre geschehen, wenn Verbündete und Neutrale
plötzlich ihre gesamten kriegswichtigen Rohstoffexporte nach Deutschland gestoppt hätten?» 8
Eine Anschlussfrage drängt sich auf. Hätten die Nazis ohne die Schweiz so lange einen
Krieg führen können, der insgesamt 60 Millionen Menschen - dem 13fachen der damaligen
Schweizerbevölkerung - das Leben kostete?
Wie loyal die Schweizer Nationalbank den Nazis zu Diensten stand, beweist die unglaubliche
Tatsache, dass sie noch am 5. April 1945, also vier Wochen vor Kriegsende, von der
Reichsbank Gold entgegennahm und dieser «die Fortsetzung gewisser Zahlungen» zusicherte.
Der finanzielle Gesamtnutzen, den die deutsche Rüstung aus den Goldtransaktionen und den
Krediten gezogen hat, beträgt gut drei Milliarden Schweizer Franken, «eine für damalige
Verhältnisse unerhörte Zahl».9
Ein Rapport der US-amerikanischen Organization for Strategic Services aus dem Jahr 1944
schätzt, dass die deutschen Goldtransaktionen mit der Schweiz den deutschen Devisenbedarf
zu etwa 90 Prozent gedeckt hätten. 10
Während New York das Finanzzentrum der Alliierten war, war Bern das der Achsenmächte.
Rings wirft in diesem Zusammenhang die Frage der Neutralität auf: «Es widerspricht nämlich
dem gesunden Menschenverstand und einem etwas verschwommenen, aber tief angelegten
Gerechtigkeitsgefühl, als neutral gelten zu lassen, dass sich die Schweiz zum
Beispiel darauf einliess, Lieferungen von Rüstungsgütern an das nationalsozialistische
Dritte Reich selbst zu finanzieren, und zwar mit einem grösstenteils unverzinslichen
Milliardenkredit, dass also Tag und Nacht in dichter Folge Güterzüge mit unbezahlten
Waffen und anderen kriegswichtigen Gütern nach Deutschland rollten, indes versiegelte
Waggons mit deutschem Gold in die entgegegesetzte Richtung fuhren».11
GSoA-Initiative: Mittel zur Vergangenheitsbewältigung
In der damaligen Schweiz zirkulierte das Bonmot: «Während sechs Tagen arbeiten wir für Hitler,
am siebenten beten wir für die Alliierten». Den treffenden Spruch muss man insofern korrigieren,
als ein Grossteil des Bürgertums bis zur Stalingrader Kriegswende vom Januar 1943 für die
Achsenmächte betete. Minister Hans Fröhlicher, der Schweizer Gesandte in Berlin, rechnete
1940 den deutschen Diplomaten vor: «Stünde die offizielle Schweiz auf der Seite unserer Gegner,
so hätte sie das (die Gewährung von Krediten, jl) bestimmt nicht getan. Sie setzt vielmehr
auf den deutschen Sieg, denn sonst wären diese 450 Millionen doch in den Rauchfang geschrieben.»12
Im Zweiten Weltkrieg war die Schweiz Komplizin der Nazibarbarei, beging Hochverrat am
Antifaschismus und an der Menschlichkeit. Dass sie deswegen nie zur Rechenschaft gezogen
wurde, verdankt sie dem Kalten Krieg, der auch in unserem Land die Vergangenheitsbewältigung
erschwerte und um Jahre verzögerte.
Die Armeeabschaffungsinitiative ist auch in dieser Hinsicht eine grosse Chance,
Verpasstes nachzuholen und Verdrängtes aufzuarbeiten.
Anmerkungen:
* Der Artikel erschien am 6.5.1985 zum 40. Jahrestag des Kriegsendes in der Bresche.
1) In: Edgar Bonjour, Geschichte der schweizerischen Neutralität, Bd 7, Dokumente
Basel 1974, S. 252
2) Aufzeichnung über den Stand der Wirtschaftsverhandlungen mit der Schweiz vom 3.6.1943
in: W. Rings, Raubgold aus Deutschland, Zürich 1985, S.7
3) Unterwegs von der sozialen zur politischen Demokratie, Zürich 1978, S. 94
4) Raubgold S. 122
5) Ebenda S. 123
6) Hans-Ulrich Jost, Geschichte der Schweiz und der Schweizer, Bd 3, Basel 1983, S. 171
7) Raubgold, S. 55ff.
8) Ebenda S. 8, 296
9) Ebenda S. 110, 67
10) N. Faith, Safety in Number, The mysterious world of Swiss Banking, London 1982, S. 109f.
11) Raubgold, S. 170
12) In: Bilanz 3/83
Das Ende der Lebenslüge
Vier Fünftel dessen, was D'Amato der Schweiz vorwirft, entspricht der Wahrheit.
Und vier Fünftel davon ist eigentlich seit längerem bekannt.
Das entscheidend Neue an den Auseinandersetzungen der letzten Monate sind nicht
die Fakten, sondern ist der Umstand, dass
die offizielle Schweiz ihnen nicht mehr ausweichen kann. Nicht die Botschaft hat
sich geändert. Der Bote ist ein anderer, mächtigerer.
Irgendwie wiederholt sich die Geschichte der Judenemanzipation im letzten Jahrhundert
(1862-1874). Auch damals konnte sich der tolerante Teil der Schweiz erst durchsetzen,
als sie von aussen erpresserische Hilfe erhielt. Wie damals vefügten die hiesigen
Konservativen über einen Bösewicht: den französischen Kaiser Napoleon III.
Bloss die NZZ war liberale Schrittmacherin und nicht konservative Bremserin.
Wie wird sich die ins Alter gekommene Tante erst verhalten, wenn ihre Armee ins
Schussfeld der Kritik gerät?
Auch wenn diese besser dasteht als der
damalige Bundesrat, wird sie sich Fragen wie die nach ihrer Rolle bei der Abweisung
von Flüchtlingen stellen müssen. Auf jeden Fall wird sie der Zerfall ihres ideologischen
Fundaments, des helvetischen Widerstands-Mythos, besonders treffen. Die GSoA-Initiative
als Mittel zur Vergangenheitsbewältigung mag gegenüber den 80er Jahren an Brisanz
verloren haben.
An Aktualität hat sie gewonnen.
Josef Lang