«Neues Miteinander»

Soldaten schaffen keinen Frieden, Ingenieure bauen keine Brücken zwischen Menschen. Hans Koschnick, Alt-Bürgermeister von Bremen (D) und ehemaliger EU-Verwalter in der geteilten bosnischen Stadt Mostar, erklärt, warum es einen staatlich geförderten Zivilen Friedensdienst braucht.

Herr Koschnick, Sie rühmen immer wieder die Arbeit der Freiwilligen in Mostar.

Richtig. Die vielen kleinen und grösseren Nicht-Regierungs-Organisationen haben unglaublich viel dazu beigetragen, Vertrauen bei der Bevölkerung zu schaffen.

Die jungen Freiwilligen konnten den Menschen, gerade weil sie freiwillig kamen, glaubwürdig vermitteln: Wir, Europäer, Amerikaner oder Australier, nehmen Anteil an eurem Schicksal, wir wollen gemeinsam mit euch an einer neuen Perspektive arbeiten. Sie hatten eine viel direktere Nähe zu den Menschen als ich - ohne Bodyguards, wie ich sie brauchte. Das hat das Klima insgesamt und auch meine Möglichkeiten, zu arbeiten sehr verbessert. Unsere europäischen Regierungen sind gut beraten, diese Organisationen materiell besser zu unterstützen.

Wo stiessen die Freiwilligen an ihre Grenzen?

Sie konnten die Trennungslinien zwischen Serben, Muslimen und Kroaten dort nicht durchbrechen, wo Hardliner - in der Regel kroatische - sie mit Kalaschnikows und Dynamit zementierten. Das gilt besonders für die Welt der männlichen Erwachsenen zwischen 16 und 60. Aber in anderen Bereichen gelang das, etwa bei Kindern und Jugendlichen oder in der Arbeit mit traumatisch belasteten Frauen beider Seiten. Und dort entstand ein neues Miteinander und Zueinander.

Hätten professionell ausgerichtete Friedenskräfte mehr ausrichten können?

Natürlich. Traumatische Schäden zum Beispiel können Sie nur professionell bearbeiten. So haben italienische Gruppen Ärzte und Therapeuten als Freiwillige geschickt. Spanische Freiwillige, Ärzte und Apotheker, haben in mehrmonatigen Einsätzen Strukturen der Gesundheitsvorsorge aufgebaut. Das kann man übertragen auf Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen: Um die tiefen Spannungen und nationalen Gegensätze zu überwinden, braucht man Fachleute, die langwierige Bearbeitungsprozesse begleiten können.

Welche Fähigkeiten müssen Friedensfachkräfte mitbringen?

Sie brauchen psychologische Fachkompetenzen, therapeutische, aber auch historisch-politische: Wissen um die kulturellen Hintergründe eines Konflikts, ausserdem Sprachkenntnisse. Dafür muss man nicht zehn Semester studieren, aber vier Wochen sozusagen nebenbei reichen auch nicht. Einfach gesagt: Friedensarbeit braucht Professionalität. Ich denke, wir sollten mit der Zeit zu einer neunmonatigen Ausbildung für den Zivilen Friedensdienst kommen.

Nun warnen Skeptiker im Zusammenhang mit dem Friedensdienst vor einem neuen «Friedens-Kolonialismus». Nach der Devise: Jetzt kommen wir und zeigen euch mal, wie man anständig zusammenlebt ...

Wer so denkt, wird scheitern. Wir können nicht von aussen bei Aussöhnungsprozessen helfen, ohne von den Menschen im Konfliktgebiet darum gebeten worden zu sein. Ohne den Willen zumindest bei einigen vor Ort, aufeinander zuzugehen, hat es keinen Zweck. Im Gegenteil: Die Friedenshelfer bringen sich nur selbst in Gefahr. Das Konzept des Zivilen Friedensdienstes sieht das auch und legt Wert auf international zusammengesetzte Einsatzteams mit örtlichen Partnern.

Nun sagt der deutsche CSU-Entwicklungshilfeminister Carl-Dieter Spranger: Was der Zivile Friedensdienst will, macht die Entwicklungshilfe jetzt auch schon. Im übrigen sei der materielle Wiederaufbau das Wichtigste.

Mit materiellem Wiederaufbau allein lösen Sie nicht eine einzige Friedensfrage. Spranger war doch selbst in Mostar. Er wollte zwei sehr schöne Brücken einweihen, die sein Ministerium finanziert hatte. Eine hat er nicht eingeweiht, weil dort plötzlich die Kroaten nationalistische Kundgebungen abhielten. Er hat also feststellen müssen, dass seinem Amt dieser Teil des Wiederaufbaus, die Überwindung nationalistischer Aversionen, nicht gelungen ist. Das war ja auch nicht vorgesehen: Die Ingenieure sollten eine Eisenbahnbrücke bauen, aber nicht Brücken zwischen den Menschen. Dazu brauchen wir Friedensdienste.

Woher soll das Geld für den Zivilen Friedensdienst kommen?

Sicher ist zivile Friedensarbeit teuer. Aber Militäreinsätze und neue Flüchtlingsströme als Folge neuer Gewalt kommen viel teurer. Wird denn die Frage nach dem Geld auch gestellt, wenn es um die militärische Sicherung des Friedens geht? Warum wird nicht ein kleiner Teil der öffentlichen Infrastrukturmittel für Bosnien, die auch Kriegstreibern und Ausgrenzern zufliessen, an die gegeben, die Menschen zusammenführen wollen?

Es geht aber nicht nur um Staatsgelder. Auch die Gesellschaft selbst muss sich einbringen.Von den Kirchen würde ich mir mehr Klarheit beim Einsatz für den Zivilen Friedensdienst wünschen. Einige wichtige Kräfte dort setzen sich zwar engagiert dafür ein, aber leider ist das nicht die überwiegende Zahl.

Sie setzen sich für einen staatlich mitfinanzierten, aber gleichzeitig staatsfreien und dezentralen Zivilen Friedensdienst ein. Warum?

Die, die sich an einem solchen Friedensdienst beteiligen, müssen sich rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien verpflichten, aber nicht der Politik einer Regierung oder eines Parlaments. Staatsfrei heisst: Sie sollten die Freiheit haben, Dinge zu tun, die eine Regierung oder ein Parlament nicht tun kann. So können wir Bereiche erschliessen, in welche die staatliche Politik nicht vordringen kann.

Ein Friedensengagement, wie Sie es beschreiben, reisst die Freiwilligen für mehrere Jahre aus ihrem Alltag und ihrem Beruf heraus. Wie kann man Menschen dazu motivieren ?

Zunächst einmal müssen sie einen persönlichen, friedensethischen Anspruch mitbringen. Sonst machen sie es nicht. Aber wir brauchen auch konkret einen gesetzlichen Rahmen, wie beim Entwicklungsdienst. Dieser Rahmen muss die soziale Absicherung regeln und sicherstellen, dass Menschen, die sich für eine solche Aufgabe zur Verfügung stellen, anschliessend wieder in ihren alten Beruf zurückkehren können.

Ein Blick über den nationalen Tellerrand: Brauchen wir einen europaweiten Zivilen Friedensdienst?

Der Zivile Friedensdienst darf kein allein deutsches Thema sein. Es sollte in vielen Ländern Europas entsprechende Strukturen geben. Die Regierungen müssen dokumentieren: Wir wollen Europa als eine grosse Gesellschaft der Bürger und Bürgerinnen und wir schaffen deshalb Strukturen der Friedenssicherung und -förderung, in denen freiwillige Organisationen je ihr eigenes Profil einbringen können. Dann hätten wir genau die richtige Mischung zwischen staatlichem und freiem Handeln.

Das Interview mit Hans Koschnick entnahmen wir mit leichten Kürzungen dem «Publik-Forum», Zeitung kritischer Christen, April 97.