Friedenspolitik ist unvermeidbar

Nach den grossen Mobilisierung der Friedensbewegung im vergangenen Jahr ist es wieder ruhiger geworden. Mobilisierungen waren auch früher – beim Krieg gegen Kosovo oder Afghanistan – schwierig. Wirksam ist Friedenspolitik aber nicht nur wenn Hunderttausende auf die Strasse gehen.

Von Andreas Buro*

Seit Beginn der Neunziger Jahre war für die Legitimation von Aufrüstung und Militäreinsatz durch den Westen das Argument der «Humanitären Intervention» von zentraler Bedeutung. Aussenminister Fischer sprach vor Beginn des Kosovo-Krieges von Auschwitz, und Verteidigungsminister Scharping erfand ein KZ in Pristina. Die Schlussfolgerung war, es handle sich um eine solche Ausnahmesituation der Verletzung der Menschenrechte, dass zur Sicherung dieser aus humanitären Gründen militärisch eingegriffen werden musste. Diese Legitimation hatte, unabhängig davon, dass sie völlig unangemessen oder gar erlogen war, enorme Auswirkungen auf die Öffentlichkeit und auch auf viele Friedensbewegte. Sie konnten ihre Ablehnung von Krieg und ihre humane Zuwendung zu den Konfliktopfern nicht mehr in Einklang bringen. Dies führte zu einer erheblichen Dämpfung der Mobilisierung gegen diesen Krieg.

In jüngerer Zeit tritt in der Diskussion der alte Begriff des «Gerechten Krieges» in den Vordergrund. Dieser diente politisch gesehen im 4. Jahrhundert n. C. zur Überwindung der pazifistischen Haltung der damaligen Christen, die weitgehend den Militärdienst als unchristlich ablehnten. Die Behauptung von der Möglichkeit eines Gerechten Krieges hatte von Beginn an den Charakter einer Legitimationsideologie. Diese haben die Aufgabe, Motivation für selbstbestimmtes Handeln zu verhindern und die Menschen in ihrem Denken in Richtung der Regierungspolitik zu dirigieren. Die Aufgabe der sozialen Bewegungen ist es deshalb, solche Ideologien abzuwehren und zu erklären, was sie wirklich bedeuten.

Friedenspolitik ist anstrengend…

Diejenigen, die ständig in der Friedensbewegung arbeiten, können nicht davon ausgehen, dass die durchaus «friedensbewussten» BürgerInnen stets mobilisiert sind oder werden können. Es muss also darum gehen, diese Menschen zu erreichen und sie mit Informationen und Argumentationen zu versorgen, damit sie in ihrem täglichen Umfeld friedenspolitisch bestehen und wirken können. Dazu ist es notwendig, immer wieder die von der Politik und den Medien vorgetragenen Legitimationsideologien anzugreifen und zu delegitimieren. Die herrschende Politik setzt dabei nach wie vor auf militärische Gewaltpotentiale, was sich immer wieder in Kriegen niederschlägt. Friedenspolitische Fortschritte sind in der Staatenwelt oft kaum auszumachen. Friedensbewegte haben deshalb immer wieder Schwierigkeiten, diese «Rückschläge» zu verkraften und nicht darüber zu resignieren. Deshalb müssen wir immer wieder das Gespräch über die folgenden Prämissen unserer Arbeit führen:

  • Wir können nicht damit rechnen, dass die Welt von heute auf morgen auf Waffen verzichtet. Pacem facere heisst deshalb, die Welt in einem Prozess friedlicher zu machen. Das bedeutet Strategien zu konzipieren, um eine Verschiebung von der gewaltsam-militärischen zur zivilen Konfliktbearbeitung zu erreichen.
  • Dies erfordert sicherlich weitere Veränderungen gesellschaftlichen Bewusstseins, geht jedoch nicht ohne eine Veränderung der Politik der Staaten. Diese sind nach wie vor die wichtigsten, wenn auch nicht die alleinigen Träger von Aufrüstung, Kriegsdrohungen, Verherrlichung militärischer Gewalt und Unterdrückung. Sie sind vorherrschend in fast allen wichtigen internationalen Gremien wie den Uno, OSZE, IWF, Weltbank, WTO usw. Die in den staatlichen Handlungen sich ausdrückenden Interessen, sind oft nicht identisch mit den Interessen der jeweiligen Gesellschaften und ihrer Bevölkerungsmehrheiten. Pazifistische Arbeit kann jedoch in der Regel die staatliche Ebene nur auf dem Umweg über die Einwirkung auf die Gesellschaften erreichen, muss sich aber trotzdem immer wieder an sie wenden.
  • Pazifistische Politik von unten besteht auch darin, ausgehend von der Utopie friedlichen Konfliktaustrages, die Wege aufzuzeigen und zu beschreiten, auf denen aus der Gesellschaft heraus für dieses Ziel gearbeitet werden kann. Dieses gerade auch, um eine Änderung der erwähnten graduellen Verschiebung staatlicher Politik in Richtung zivile Konfliktbearbeitung zu erreichen.

Dabei bin ich mir sehr wohl bewusst, dass nicht nur manifeste Gewalt, sondern auch strukturelle Gewalt den friedlichen Konfliktaustrag in Frage stellt. Sie muss als eine Ursache von manifester Gewalt immer in den auszuarbeitenden Strategien mit bedacht werden. Diese Problematik verbindet in wichtiger Weise Friedensbewegung und Globalisierungskritiker.

… vielschichtig…

Pazifistische Strategien müssen für verschiedene Sektoren oder Säulen, die dem Frieden dienen, entwickelt werden. Die wichtigsten sind:

  • Präventive zivile Konfliktbearbeitung an möglichst vielen Orten der Erde. Bereitstellung der erforderlichen staatlichen Mittel, die für zivile Konfliktbearbeitung benötigt werden, vorwiegend durch Abbau von Militär und Rüstung; Kapazitäten von zivilen Friedensdiensten für Arbeit vor Ort im In- und Ausland.
  • Internationales Recht, internationale Regime und Institutionen mit der Aufgabe der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen und der Bearbeitung von Konfliktursachen. Diese sollten nicht unbedingt als hierarchische Konstruktionen, sondern vor allem als Netzwerke gedacht werden. Hier sollten wir auch an den verbreiteten Begriff der «Weltinnenpolitik» anknüpfen.
  • Regionale Integrationen: EU, Ausbau der OSZE im Sinne einer europäischen Friedensordnung, aber auch Stabilitätspakte für bestimmte Regionen als Vorstufen für Befriedung und Aussöhnung.
  • Akzeptanz für zivile Konfliktbearbeitung in den Gesellschaften und eine Kultur des Friedens.
  • Abrüstungskontrollsysteme, die über den Weg der Defensivierung der Waffensysteme Bedrohung vermindern und weitere Schritte der Abrüstung und Konversion ermöglichen.

Friedensarbeit hat sich an die Motivationen der Menschen zu richten, die wir überzeugen wollen. Protest-Demonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams – beides sind ja nur unterschiedliche Formen symbolischer Handlungen – haben sich an dieser Forderung auszurichten.

Die Friedensbewegung muss sich auf eine auf- und abschwellende Mobilisierbarkeit der Friedensbewegten einstellen. Soziale Bewegungen sind nicht tot, bloss weil nicht ganz viele auf die Strasse gehen. Die Friedensbewegung muss zudem ihre Unabhängigkeit von Parteien und Regierungen sehr sorgfältig bewahren, auch und gerade, wenn sie punktuell mit ihnen kooperiert. Alle Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen, die sich in der Menschenrechts-, Entwicklungs-, Frauen- und der Friedensarbeit engagieren, laufen Gefahr, in die herrschenden Strategien der militärisch gestützten Globalisierung integriert zu werden. Dies kann in der Regel nicht durch Abbruch der Beziehungen zu staatlichen Organisationen beantwortet werden. Gerade im internationalen Feld kann häufig nicht ohne Verbindung zu diesen gearbeitet werden. Ein erster Schritt besteht darin, sich das Problem überhaupt einzugestehen. So bedeutsam die Medien für die Meinungsbildung der Öffentlichkeit auch sein mögen, die Friedensbewegung kann darüber nur einen sehr begrenzten Einfluss ausüben. Es ist deshalb dringend, alle Möglichkeiten der direkten Kommunikation zwischen den Friedensbewegten zu stärken.

… und unvermeidbar!

Nach wie vor geht es darum, die verheerenden Folgen des militärischen Konfliktaustrages ständig zu brandmarken. Dazu gehört selbstverständlich die Analyse der Rüstung, Strategien und Konflikte. Dies muss auch in Konfrontation mit den eigenen Normen der Kriegführenden geschehen. Krieg ist Rückfall in die Barbarei. Der Terror-Begriff ist konsequent auch auf militärisch-kriegerisches Vorgehen anzuwenden. Kriegführung ist Terror. Der Kampf um Begriffe ist sehr wichtig!

    Analyse und Bekanntmachung von Konfliktursachen ist notwendig, damit die Bereitschaft zu Veränderungen wächst. Die wirklichen Konfliktursachen müssen benannt werden. Darunter sind die wichtigsten: Strukturelle Gewalt, mangelnde soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Ausbeutungsinteressen (Umwelt-, Ressourcen- und Arbeitsausbeutung), Globalisierung nach westlich kapitalistischem Muster, und direkte brutale Unterdrückung. Diese Ebene ist die Grundlage für die Kooperation zwischen Friedensbewegungen und Globalisierungskritikern.

    Strategieentwicklung im Sinne von ziviler Konfliktbearbeitung für konkrete Konflikte und von Aussöhnungsprozessen ist gefragt. Unsere Alternativen dürfen nicht auf kleine Basis-Projekte reduziert werden.

    Strategien zur Umorientierung von Gruppen die unmittelbares Interessen an der Aufrechterhaltung und am Ausbau von Gewaltpotentialen (Militär, Rüstungsindustrie) haben oder bei denen Kriege zur Reproduktionsgrundlage geworden sind (War Lords, private Söldneragenturen, Ressourcenausbeutung – z.B. Diamanten, Opiumanbau -), ist zentral. Wie kann denen der Boden für die Fortführung von Krieg entzogen werden?

    Internationalisierung der Friedensarbeit insbesondere «von unten» ist anzustreben. Dabei könnten Partnerschaften von lokalen oder fachspezifischen Gruppen über Grenzen hinweg – besonders auch in die USA – eine wichtige Rolle spielen.

    Kampf gegen falsche Legitimationsideologien, welche verhindern sollen, dass die BürgerInnen ihr eigenes Interesse an Frieden und Abrüstung erkennen, ist wichtig. Selbstverständlich gilt es auch sich gegen nationalistische, rassistische und religiös-kulturelle Legitimationsideologien zu wenden. Wir brauchen dazu Kampagnen, die unter die Haut gehen. Die Auseinandersetzung in Deutschland über den Satz «Soldaten sind Mörder» war eine solche.

    Die Sozialisationsaufgabe besteht im Überwinden der manichäischen Denkweise (Gut und Böse), der Gewaltverherrlichung und Entwicklung eines Gefühls für Solidarität der Menschen untereinander auf der Basis der Menschenrechte. Von dieser Basis aus lässt sich auch die Forderung nach grösserer sozialer, globaler Gerechtigkeit wirksam vertreten.

Meine aktuellen Schwerpunkte im Kampf um einen pazifistischen Weg in Kurzformeln:

  • Es gibt keinen «gerechten Krieg», also auch keine zu rechtfertigende Rüstung. Krieg ist Terror!
  • Die Weichenstellung EU-Europas zu einer Angriffsarmee ist eine katastrophale Fehlentscheidung und muss verhindert werden.
  • Die Lösung von Konflikten mit zivilen Mitteln liegt im Interesse der europäischen Gesellschaften. Sie ist möglich, wenn dies politisch gewollt wird …
  • Eine enge Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Friedensbewegung ist dringend geboten, damit dem militaristisch-imperialistischen Kurs Washingtons besser Paroli geboten werden kann.
* Andreas Buro ist friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Der Text ist zuerst in der deutschen Zeitschrift «Friedensforum» erschienen.
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