GSoA - Zitig, Nr. 78, November 1998
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Zu teuer

Freudige Nachricht: Die Schweiz schmeisst weniger Geld für das Militär zum Fenster raus. Aber wieviel kostet die Armee nun wirklich? Ein Spaziergang durch den Zahlendschungel
• Von Marcel Hänggi

Die Kuh ist treu. Bei der Abstimmung zu unserer letzten Initiative im Jahre 1989 warb Flora, hingefläzt auf eine Karte der Schweiz, einen Helm auf dem Kopf und einen Tausenderschein im Maul, für unsere Initiative. Sie stand (bzw. lag) für die Heilige Kuh Armee, die sinnlos Geld verschlingt. Rund 11 Milliarden Franken kostete die Schweizer Armee Bund, Kantone, Gemeinden und Private, Wirtschaftsunternehmen und SteuerzahlerInnen damals jährlich, fast zwei Tausender pro EinwohnerIn und Jahr. Unterdessen ist die Heilige Kuh geschlachtet, ihres Heiligenscheins entblösst. Viele haben gehofft, Floras Nachfolger KuhNo würde von alleine immer kleiner werden, abspecken bis zum vollständigen Verschwinden. Aber bisher hat er erst ein bisschen Luft abgelassen und ist nur wenig geschrumpft.

Gut verkauft ist halb gespart

Das Departement Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) stellt sich als Musterschülerin in Sachen Sparen dar: Eine Grafik auf der VBS-Internetseite zeigt, wie sämtliche Bundesausgaben zwischen 1990 und 1997 zugenommen haben – im Durchschnitt um 54 Prozent – ausser eben den Ausgaben für die Landesverteidigung, welche nominell (ohne Berücksichtigung der Teuerung) um ein Prozent gesunken sind und bis ins Jahr 2000 um acht Prozent gesunken sein sollen.

Dramatischer tönt es bei der «Arbeitsgemeinschaft für eine wirksame und friedenssichernde Milizarmee» (AWM), einem Zusammenschluss von Militärvereinen und rechtsbürgerlichen Gruppen, der sich gegen die «überrissene» Sparübung zu Lasten der Landesverteidigung wehrt: «Mit dem ‹Stabilisierungsprogramm 98› will der Bundesrat eine erneute Reduktion der Militärausgaben erzwingen. Dann wäre der Realwert der Militärausgaben zwischen 1990 und 2001 um 37 Prozent, der der Rüstungsausgaben gar um 49 Prozent gesenkt.»

Im internationalen Vergleich sind die Ausgaben des Bundes für Verteidigung laut AWM ganz bescheiden: Gibt die Schweiz 1,6 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) für Landesverteidigung aus, sind es in Deutschland 1,7%, in Schweden 2,4%, in Grossbritannien und Frankreich 3,1%. Nur gerade Österreich gibt weniger aus: 0,85% des BIP.

Hinkende Vergleiche

So weit, so gut. Nur: Auch Zahlen sind relativ. Es kommt immer darauf an, was womit verglichen wird.

Erstens: Die Schweiz hat ein hohes BIP pro EinwohnerIn. Pro Kopf hält sich die Schweiz nach wie vor eine der teuersten Armeen weltweit.

Zweitens: In der Schweiz machen die Bundesausgaben nur einen Teil der Verteidigungsausgaben aus. Konkret: 1995 gab der Bund für Landesverteidigung 5,58 Milliarden Franken aus. Kantone und Gemeinden wendeten weitere 800 Millionen auf. Die indirekten Kosten werden auf zusätzliche rund vier Milliarden pro Jahr gerechnet (Quelle: J.-J. Langendorf, Armee 2001, Genf 1995. Nicht berücksichtigt sind dabei Umweltschäden und unentschädigte Freizeitausfälle).

Drittens: Der AWM-Vergleich hinkt: 1990 war ein Spitzenjahr. Die Bundesausgaben für Landesverteidigung nahmen von 1990 bis 1997 real (teuerungsbereinigte Beträge) tatsächlich um 19% ab. Nimmt man als Ausgangsjahr 1987, so beträgt die Abnahme noch 12,5%. Und für die MathematiklehrerInnen unter den LeserInnen, welche gerade den Dreisatz durchnehmen, ein paar weitere Zahlen: 1970 betrugen die Militärausgaben des Bundes 2,05 Milliarden Franken, 1980 3,62 und 1990 6,05 Milliarden. Real betrug die Zunahme von 1970 bis 1990 27%. Weil allerdings gleichzeitig die anderen Bundesausgaben massiv zunahmen, ging der Anteil der Militär- an den gesamten Bundesausgaben von 25,8% im Jahr 1970 auf 19,1% (1990) und heute 12,7% zurück.

Umstritten ist, wie die indirekten Kosten berücksichtigt werden sollen. Die AWM ist der Meinung, diese würden durch indirekte Nutzen wettgemacht: «… ihnen [den indirekten Kosten] steht, soweit die Armee effektiv den Sinn für Disziplin – im Sinn von Augustinus [sic!] – fördert, ein staatspolitisch wichtiges Gemeinschaftsgefühl vermittelt und die Führungsfähigkeit der Kaderangehörigen spürbar stärkt, ein echter Gegenwert gegenüber.» Aha

Friede ist bezahlbar

All diese Vergleicherei freilich ist müssig: Wenn etwas, das horrend teuer ist, etwas weniger kostet, ist es deswegen noch lange nicht günstig – und schon gar nicht sinnvoll. Kann denn wirklich als sparsam gelten, wer jede Sekunde 310 Franken zum Fenster hinauswirft?

Wir wollen lieber einige andere Vergleiche anstellen:

  • Es gibt heute in der Schweiz 28’000 armeeabhängige Arbeitsplätze. Fast gleich viele, nämlich 24’000, erhoffte sich der Bundesrat aus dem Investitionsprogramm zu Gunsten der Bauwirtschaft zu schaffen – für gerade mal 561 Millionen.
    Pro Kopf hält sich die Schweiz nach wie vor eine der teuersten Armeen. Real gibt sie heute für die Landesverteidigung mehr Geld aus als 1970.

  • Die Bundesausgaben für internationale Friedensförderung betragen 1998 1,5 Milliarden Franken – fast viermal weniger als die Militärausgaben. Dabei wird die gesamte humanitäre Hilfe, die Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechtspolitik, Entschuldung und Umweltpolitik sowie die kulturelle Zusammenarbeit des Bundes als Friedensförderung mitgerechnet!

  • Um nicht zu behaupten, nur die Schweiz gebe zuviel für das Militär aus: Weltweit werden pro Jahr 800 Milliarden US-Dollar für «Verteidigung» ausgegeben, aber nur 40 Milliarden für soziale Grundversorgung.

Machen wir den Schritt in die richtige Richtung! Die Armee kostet etwas weniger als auch schon, doch sie ist weit davon entfernt, günstig zu werden. Unser Vorschlag ist bekannt: 0,00 Franken für Militärisches, dafür ein staatlich finanzierter Ziviler Friedensdienst, der nie annähernd soviel kosten, dafür sehr viel mehr nützen wird als die Armee.

  1. Dieses Stabilisierungsprogramm sieht Ausgabenkürzungen in allen Bereichen vor. Für den militärischen Bereich heisst das konkret: Die Ausgaben sollen von 4,66 Milliarden Franken (ohne Zivilschutz) im Jahre 1997 auf 4,28 Mia. im Jahre 2001 gesenkt werden, was einer realen Abnahme von 35-40% gegenüber 1990 und von 13-20% gegenüber 1997 entspräche.
  2. Dazu ein Zitat von Hans Widmer, ehem. Präsident der Oerlikon-Bührle Holding und Offizier der Schweizer Armee: «Ich halte ganz andere Fähigkeiten für entscheidend. Diese werden im Militär nicht nur nicht geschult, positive Veranlagungen werden oft noch verschüttet.»


Zumutung

Das Erscheinungsbild der letzten Nummer der GSoA-Zitig provozierte eine ganze Reihe vornehmlich negativer Reaktionen. Haben wir eigentlich nicht mehr alle Tassen im Schrank?
•Von Hans Hartmann

«Die Linke ist bilderfeindlich», schrieb Martin Heller, Leiter des Zürcher Museums für Gestaltung, anlässlich der Plakatausstellung «Hoffnung und Widerstand» vom September dieses Jahres. Die Linke, so Heller, habe die Entwicklungen in der visuellen Kommunikation verpasst. Sie ignoriere die Bedeutung ästhetischer Fragen und die Möglichkeiten aktueller Vermittlungsstrategien. In der WoZ vom 10. September machte er für die konservative Bildsprache der Linken unter anderem überhöhte ideologische Ansprüche verantwortlich.

Es stimmt schon: Was soll man sich auch um Ästethik kümmern, wenn es doch darum geht, aus dieser Welt eine bessere zu machen? Politik ist ein gnadenlos unschönes Alltagsgeschäft. Der Schöngeist in uns muss sich mit sonntäglichen Museumsbesuchen und gelegentlichen Griechenland-Reisen begnügen.

Spielereien …

Seit Jahr und Tag informieren wir GSoA-Zitigs-MacherInnen in unserer Publikation über die aktuellen Diskussionen in der Sicherheitspolitik, über die Entwicklung der Friedensbewegung und über unsere eigenen Projekte «Armeeabschaffung» und «Ziviler Friedensdienst». Sehr politisch, sehr «inhaltlich» und manchmal sogar kontrovers. Reaktion: quasi Zero. Gelegentliche Zweifel, ob überhaupt jemand all die vielen Buchstaben liest … Dann (wir verkünden weiterhin ungefähr diesselbe politische Frohbotschaft) verändert unsere Zeitung das Aussehen, bricht mit Lesegewohnheiten, irritiert den routinierten Blick aufs Bekannte – und siehe da: Es hagelt Kritik. Ästhetik ist eben doch mehr als eine Formsache.

Die letzte GSoA-Zitig mit ihrer schwer lesbaren, «japanoiden» Titel-Typografie war wohl eine besondere Zumutung. «Ich würde eher ihre Graphiker als die Armee auf den Mond schiessen», e-mailte uns Alain Gabus aus Köniz, und sprach damit offenbar vielen LeserInnen aus der Seele. Der Schriftsteller August E. Hohler retournierte die Zeitung mit der Bemerkung: «Das kann ich nicht lesen. Ein unmögliches Design.» H.E. Rüegger aus Ellenmoos fühlte sich von den Schriftzeichen gar «angeekelt» und warf «die Zeitung ungelesen zum Altpapier».

Mehrere LeserInnen bemängelten, dass «die grafischen Spielereien voll zu lasten des Inhalts [gehen], da sie einem vom Lesen abschrecken» (z.B. Christine Valentin aus Basel). «Wenn jetzt die Form zum Inhalt wird, brauche ich die Zeitung auch nicht mehr», meinte etwa Jean Rey-Bellet (Muttenz), und Beat Zwinggi brachte seine Kritik folgendermassen auf den Punkt: «Ich hatte schon öfter das ungute Gefühl, dass ihr die Zeitung für Euch und nicht für den Leser macht. Seit KuhNo für die Zeitung posiert, findet man sich nur schlecht in der GSoA-Zitig zurecht. Ich bin der Meinung, dass gerade eine politische Gruppierung ihre Ideen und Ziele mit einfachen, dafür um so wirksameren Schlagzeilen an die Menschen heranbringen sollte.»

GSoA-intern hat die massive Kritik an der «Zitig» eine latent vorhandene Verunsicherung sichtbar gemacht. Eine Zeitung, die SympathisantInnen und potentielle SpenderInnen vergrault, kann sich wohl keine politische Organisation leisten. Ästhetische Experimente sind so gesehen ein Risiko.

… oder politischer Anspruch?

Die an der GSoA-Zitig geäusserte Kritik ist jedenfalls ernst zu nehmen, nicht nur weil sie teilweise von langjährigen SpenderInnen kommt. Trotzdem: Es ist keineswegs so, wie etwa Christine Valentin vermutet, dass einer Redaktion «der Inhalt … gar nicht mehr so wichtig» ist, wenn sie sich einige Zusatzgedanken zur Art und Weise seiner Vermittlung macht. Ganz im Gegenteil: «Form» und «Inhalt» stehen sowieso in einer engen Wechselbeziehung. Man kann sich über dieses Verhältnis gar nicht zu viel Gedanken machen.

Vor anderthalb Jahren hat sich der Tages-Anzeiger für teures Geld ein neues Erscheinungsbild verpasst. «Eine Zeitung muss aussehen wie eine Zeitung», verkündete die Chefredaktion. Und der Tagi lebt dieses Motto der reibungslosen «Lesbarkeit» Tag für Tag vor. Diese Zeitung ist – formal und inhaltlich – eine ständige Aufforderung an die LeserInnen, sich mit einer Weltwahrnehmung abzufinden, mit der sich viele andere schon abgefunden haben.

Gleichzeitig haben wir in der GSoA-Zitigs-Redaktion ein anderes Projekt gestartet. Es soll Irritationen und Widersprüche nicht ästhetisch einebnen, und es will die Welt nicht auf die Form des immer schon Bekannten reduzieren. Es ist dies ein Versuch, einen Aspekt unseres politischen Anspruchs auch beim Zeitungs-Machen umzusetzen: anzuregen und aufzuregen.

Ein politisch engagierter Freund erklärte mir, er habe die letzte GSoA-Zitig nicht gelesen, weil die Titel so mühsam zu entziffern gewesen seien. Wozu so etwas gut sein solle, fragte er mich. Ich konnte es ihm nicht gleich sagen. In der sich daraus ergebenden Diskussion haben wir aber viel über unsere eigenen Lesegewohnheiten und Textansprüche herausgefunden. «Immerhin», meinte ich schliesslich, «macht einem diese Zeitung bewusst, wie gerne auch wir aufgeklärten, linken Polit-Cracks uns von attraktiven Headlines verführen lassen.»

Was meinen Sie dazu?

Im eingangs erwähnten WoZ-Artikel beklagte Museumsdirektor Heller, die Linke spreche dem Bild «jede Rafinesse, jede dysfunktionale, überschüssige, delirierende Dimension ab». An den letzten GSoA-Zitigen müsste Herr Heller eigentlich seine helle Freude haben. Aber wir wollen ja nicht ins Museum, sondern Politik machen. Wenn wir für unsere LeserInnen allzu dysfunktional und delirierend sind, dann müssen wir uns eben etwas anderes überlegen. Oder was meinen Sie dazu?


GSoA - Zitig, Nr. 78, November 1998
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