GSoA - Zitig, Nr. 78, November 1998
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Sehen und gesehen werden

Die mexikanische Armee hat einen Friedensvertrag unterschrieben, hält sich aber kaum daran. Internationale Freiwillige versuchen, den Militärs auf die Finger zu schauen und Schlimmeres zu verhindern. Friedensarbeit zwischen Zuversicht und Bedrängnis
• Von Rolf Geiser



Schlechte Nachrichten aus Chiapas, Südmexiko: Massaker an 45 Menschen, die sich in einer Wellblech-Kirche zum Gottesdienst
Nichts für Revolutionsromantiker: Friedensarbeit erfordert Zurückhaltung, Disziplin und Geduld.
versammelt hatten, der gewalttätige Einfall des Militärs in eine «autonome» Gemeinde, der Rücktritt von Bischof Samuel Ruiz als Präsident der Vermittlerkommission Conai und deren anschliessende Auflösung. Trotzdem bereitet die Koordination schweizerischer NGOs für Chiapas Corsam weiterhin Freiwillige auf einen Einsatz in Chiapas vor. Sie werden in die von Repression und Gewalt bedrohten Dörfer gehen und mit ihrer Präsenz («Sehen und gesehen werden») versuchen, Schlimmeres zu verhüten und über Menschenrechtsverletzungen Bericht zu erstatten.

Ein Projekt mit gutem Fundament

Als im Januar 1994 der Aufstand der «Zapatisten» das Weltinteresse (vorübergehend) auf die wirtschaftliche und kulturelle Unterdrückung in Chiapas lenkte, vermittelte die von Bischof Ruiz präsidierte Conai erfolgreich ein vorläufiges Abkommen, das der indianischen Bevölkerung gewisse Autonomierechte einräumte. Solidarische Menschen aus aller Welt haben seither mit ihrer Präsenz geholfen, diesen Vertrag aufrechtzuerhalten.

In Anlehnung an die Erfahrungen mit der Rückführung guatemaltekischer Flüchtlinge, bei der während mehrerer Jahre ebenfalls Freiwillige zum Einsatz gekommen sind, entstand in der Schweiz Ende 1996 das Corsam-Projekt. Wiederum waren Leute aus kirchlichen Hilfswerken und Friedensorganisationen dabei. Das Schweizerische Ökumenische Friedensprogramm (SÖF) wurde mit der Projektadministration beauftragt. Erfahrene TrainerInnen von Peace Brigades International übernahmen die Ausbildung der Freiwilligen.

Zurückhaltung und «low profile»

Die Freiwilligen von Corsam sind zwischen 22 und über 50 Jahre alt und arbeiten in ihrem Alltag als Arztsekretärin, Gemeindepfarrer, Studentin, Velokurier, Betriebsökonom oder Maturand. Einzelne haben eine persönliche Beziehung zu Mexiko. Für die meisten steht die Motivation im Vordergrund, in der Nord-Süd-Problematik ein konkretes Engagement zu leisten. Die Arbeit als Menschenrechtsbeobachterlnnen bei der indianischen Bevölkerung ist überreich an Erlebnissen und Erfahrungen. Trotzdem: RevolutionsromantikerInnen kämen nicht auf ihre Rechnung. Die oft trockene Knochenarbeit verlangt Zurückhaltung, Disziplin, «low profile» und vor allem Geduld.

Ungebrochenes Interesse

In einem Jahr haben sich gegen 300 Frauen und Männer für den freiwilligen Friedenseinsatz in Chiapas interessiert. 55 haben die Ausbildungskurse besucht. Diese führen in die wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung Mexikos und in die Hintergründe des Aufstandes vom Januar 1994 ein. Fragen der eigenen Motivation werden thematisiert, gewaltfreies Verhalten in Konfliktsituationen geübt und Ängste aufgearbeitet. Die grösste Aufmerksamkeit finden jeweils die Berichte jener, die ihren Einsatz bereits geleistet haben. Bis jetzt sind das 30 Corsam-Freiwillige. Voraussetzungen für einen Einsatz sind Spanisch-Kenntnisse, ein Mindestalter von 22 Jahren, physische und psychische Belastbarkeit sowie Teamfähigkeit. Der Einsatz dauert in der Regel zwei Monate. Für die Kosten von gut 2000 Franken müssen die Freiwilligen selber aufkommen.

Die Aufgabe weiterführen

Die mexikanische Regierung hat in den letzten Monaten die Friedensarbeit in Chiapas in grosse Bedrängnis gebracht. Viele ausländische BeobachterInnen sind aus der Konfliktregion weggewiesen worden. Unsere KollegInnen vom Menschenrechtszentrum in San Cristóbal leben uns aber vor, was Unerschrockenheit, Zuversicht und kritische Haltung weiterhin bewirken können. Corsam wird fortfahren, Menschen für die Friedensarbeit zu befähigen und zu ermutigen.

Rolf Geiser ist Sekretär des Schweizerischen Ökumenischen Friedensprogrammes SÖF und von Corsam. Er wird als Gast an der GSoA-VV sprechen. Kontakt: Tel.: 062 844 39 07. Vgl. Zitig 74 (Feb. 1998)

Friedensausbildung 1999

(nl) Seit über drei Jahren arbeitet das Schweizerische Ökumenische Friedensprogramm (SÖF) an einer Ausbildung für Friedensarbeit. SÖF wird von über 20 Organisationen aus dem christlichen und friedenspolitischen Umfeld getragen (u.a. Brot für alle, HEKS, Schweiz. Katholischer Missionsrat, Evang. Frauenbund, Christlicher Friedensdienst, Pax Christi und Peace Brigades International). Vor einem Jahr wurde die Projektskizze der geplanten Friedensausbildung breit zur Diskussion gestellt. Auch die GSoA hat an Vernehmlassungstreffen teilgenommen.

Im März 1999 soll der Jahreskurs «Friedensausbildung» starten. Vier einwöchige Blockkurse und ein Praktikum sind vorgesehen. Inhalte der Blockkurse sind: «Mein Verhältnis zu Gewalt, Gewaltfreiheit und Konfliktverhalten», «Dynamik von sozial-politischen Konflikten und deren Lösungen», «Die Rolle von Dritt-Parteien. Eingreifen und Vermitteln» sowie «Interkulturelle Konflikte im Inland». Der Jahreskurs richtet sich an Menschen, die in ihrem beruflichen und persönlichen Engagement mit Konflikten zu tun haben – Konflikte im Inland (Gewalt gegen Frauen oder unter Jugendlichen, Integrationsarbeit mit AusländerInnen u.a.) wie auch gewaltfreies Engagement im Ausland.

Im Januar finden Informationstreffen in Fribourg, Bern, Luzern und Zürich statt. Informationen: SÖF, Postfach 11, 5015 Niedererlinsbach, Tel/Fax: 062 844 39 07. e-mail: rgeiser@access.ch


Den Frieden gewinnen

Die Nato hat den Kalten Krieg gewonnen, die OSZE hat ihn verloren. Es fehlte der Politik am Willen, die zivilen Sicherheitsstrukturen zu stärken. Darum ist die Nato heute so stark und die OSZE so schwach. Wenn wir den Frieden gewinnen wollen, muss sich das ändern
• Von Solange Fernex

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE (früher KSZE) wurde in der Zeit der Blockkonfrontation gegründet, um Konzepte wie die Wahrung der Menschenrechte, vertrauensbildende Massnahmen und Abrüstung zu fördern. Nach dem Fall der Berliner Mauer konnte man hoffen, dass die Ziele der OSZE umgesetzt würden. Die Auflösung der Nato hätte die nötigen Mittel für den Aufbau einer dauerhaften, kooperativen, zivilen und globalen Sicherheitsstruktur freigesetzt.

Chance vertan

Die Chance wurde nicht wahrgenommen. Weder die politischen noch die zivilgesellschaftlichen Kräfte haben die zivile OSZE als Alternative zur militärischen Nato genügend unterstützt. Die Nato hat ein Vielfaches der Ressourcen zur Verfügung. Die Nato-Osterweiterung und das Nato-Programm «Partnership for Peace» (PfP) stehen im Zentrum der sicherheitspolitischen Diskussion. Die OSZE, ihre Erfolge und Schwierigkeiten - die vor allem auf den Mangel an Geld und an politischem Engagement seitens der Nato-Staaten zurückzuführen sind - stehen in ihrem Schatten.

Der Haushalt der OSZE beträgt ein Tausendstel desjenigen der Nato. Trotzdem kann die OSZE beachtliche Erfolge ausweisen. Dazu gehört die Durchführung der Wahlen in Bosnien, die Verhandlung des Waffenstillstandes in Tschetschenien oder die Anerkennung des Wahlsieges der Opposition bei den Lokalwahlen in Serbien gegen Milosevic. Zur Zeit wird eine OSZE-Beobachter-Mission für den Kosov@ zusammengestellt, um den Abzug des serbischen Militärs zu überwachen.

Sicherheit nicht auf Kosten der Nachbarn

Konzeptionell hat die kollektive Sicherheitsstruktur der OSZE gegenüber der Bündnisstruktur der Nato riesige Vorteile: In der «Deklaration von Lissabon» vom Dezember 1996 haben sich die 54 Staatsoberhäupter der OSZE- Mitgliedsländer verpflichtet, eine Sicherheitsstruktur aufzubauen, «ohne neue Trennungslinien in Europa», «ohne dass ein Staat oder eine Gruppe von Staaten ihre eigene Sicherheit auf Kosten derer ihrer Nachbarn verstärken würden». Diese deutliche Aussage hat leider wenige Monate später einige der mächtigsten OSZE-Mitgliedsstaaten nicht daran gehindert, die Nato auszuweiten. Militärische Machtstrukturen wie die Nato können jedoch zu einer europäischen, zivilen Friedensordnung keinen positiven Beitrag leisten.

NGOs sind gefragt

Die Frage ist: Was bleibt zu tun? Die OSZE braucht nicht nur Unterstützung von staatlicher Seite, sondern auch von der Friedensbewegung. In den 70er-Jahren gab es ein Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), welche die KSZE unterstützten.

Verantwortungsbewusste BürgerInnen und Nichtregierungsorganisationen müssen zivile, demokratische, nationale und internationale Strukturen fördern. So leisten sie ihren Beitrag zu einer friedlichen und sicheren Zukunft.

Solange Fernex war Europa-Abgeordnete der französischen Grünen und Präsidentin der interfraktionelle «Gruppe für Frieden und Abrüstung» des Europa-Parlamentes. Sie ist Präsidentin der internationalen Frauenliga für Friede und Freiheit (Wilpf).

Mehr Infos zur OSZE: http://www.osce.org/


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