GSoA - Zitig, Nr. 78, November 1998
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Politikersatz

Mit militärischen Schlägen hoffte «der Westen», Milosevic «zur Vernunft zu bringen». Die Nato weiss wie, aber niemand weiss wozu. Der Kosov@-Krieg ist eigentlich eine Nato-Krise
• Von Roland Brunner

«Humanitäre Verpflichtung» – «politische Notwendigkeit» – «sicherheitspolitisch unumgänglich»: Mit solchen Begriffen hantierte die Nato, als sie im September mit militärischen Massnahmen der Krise und dem Krieg im Kosov@ Herr werden wollte. Ohne Mandat des Uno-Sicherheitsrates und ohne politische Konzepte sollte der Frieden gegen Milosevic herbeigebombt werden.

Wer rettet die Nato?

Als die Nato im Juni dieses Jahres begann, sich der Kosov@-Sache anzunehmen, waren innerhalb kurzer Zeit alle militärischen Vorbereitungen abgeschlossen und Einsatzpläne vorbereitet. Mit Flugmanövern über Albanien und Flugzeugträgern vor der Küste sollte Milosevic militärische Nato-Macht demonstriert werden, um ihn zu politischen Zugeständnissen zu bewegen. Der Logik des Militärischen gehorchend, wurden diese Drohpotentiale immer weiter verstärkt bis zur Bombendrohung.

Die Nato verfing sich so in ihrer eigenen militärischen Dynamik. Die Vertrauenswürdigkeit der Nato stehe auf dem Spiel, hiess es bald einmal aus dem Hauptquartier dieser militarisierten Politik. Ob es wirklich zu den Bombardierungen kommen wird oder nicht, hängt nun gar nicht mehr so sehr von der Situation im Kosov@ ab als von der «Innenpolitik» der Nato, die ihr Gesicht wahren und dem Eindruck vorbeugen muss, nur leere Drohungen auszusprechen.

Weltweit war bei aller Ratlosigkeit eines klar: Mit Bomben aus der Luft ist Frieden im Land nicht zu haben. Auch in der Schweiz waren die Stimmen unisono, von Friedensbewegten bis zu Militärvertretern und quer durch alle Medien: «Die Drohgebärde ist weder militärisch noch politisch in eine erfolgversprechende Strategie eingebettet.» So kommentiert Peter Fürst im Tages-Anzeiger die militaristische Sinnlosigkeit (3. Oktober 1998). «Hinter der demonstrativen militärischen Stärke verbirgt sich nicht unbedingt politische Stärke. (...) Die USA haben keine langfristigen Vorstellungen über die Zukunft des Balkans, das erschwert auch die Erreichung kurzfristiger Ziele», doppelte er am 13. Oktober nach.

Aber auch die kaum als militärkritisch bekannte Neue Zürcher Zeitung fragte sich in einem Leitartikel (10. Oktober): «Was nützen Nato-Luftangriffe?», um festzuhalten: «Was mit Luftschlägen jetzt noch bewirkt werden könnte, ist unklar. (...) Auch in Kosovo mangelt es, wie schon während sehr langer Zeit in Bosnien, an einem von Washington und den wichtigsten europäischen Verbündeten unter Einschluss Russlands getragenen politischen Konzept, wie die Balkanregion kurzfristig befriedet und lanfristig stabilisiert werden könnte. (...) Sieht das Bündnis nun von Angriffen ab, ohne dass dem starken Mann in Belgrad substantielle Zugeständnisse abgerungen werden konnten, so hat es seine Glaubwürdigkeit gänzlich verspielt.»

Obwohl über den Unsinn dieses Nato-Militarismus Konsens bestand, begann in der Schweiz sofort die Diskussion, ob man nicht mittels dringlichem Bundesbeschluss auch Schweizer Soldaten erlauben müsste, dabeizusein...

Die Nato im Dilemma

Eine Nato-Intervention würde allerseits als einseitige Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates betrachtet. «Militärisch zu intervenieren heisst unter den gegebenen Bedingungen, jene Kräfte im Kosovo zu unterstützen und zu legitimieren, die seit mehreren Jahren und verstärkt seit der Vereinbarung von Dayton mit Gewaltmitteln gegen Einrichtungen der Belgrader Zentralregierung in der Provinz und gegen dort lebende Serben vorgehen», schreibt August Pradetto, Professor am Institut für internationale Politik an der Bundeswehr-Universität Hamburg (Blättern für deutsche und internationale Politik, Nr. 9/1998).

Ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates gibt es keine völkerrechtliche Grundlage für eine Intervention. Im
«Sieht die Nato nun von Angriffen ab, ohne dass dem starken Mann in Belgrad substantielle Zugeständnisse abgerungen werden konnten, so hat es seine Glaubwürdigkeit gänzlich verspielt.»

NZZ vom 10. Oktober 1998
Gegenteil: Eine Intervention würde direkt gegen den Grundsatz des Verbots von Gewaltanwendung in internationalen Beziehungen verstossen und müsste daher als verbotene Kriegshandlung ausgelegt werden. Demgegenüber könnte sich Serbien auf die Uno-Charta berufen, die in Artikel 51 «das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung» postuliert. Die Nato-Intervention würde so für die Uno zur «Bedrohung des Weltfriedens» und müsste eigentlich sofort zu einer Intervention durch den Uno-Sicherheitsrat gegen die Nato führen... «Die Stellungnahme der USA und der Nato, man brauche kein Uno-Mandat, war wohl Teil eines diplomatischen Versuchs, die Serben zum Einlenken zu bewegen und Druck zu machen», meint Bardo Fassbänder, Assistent am Institut für Völker- und Europarecht der Humboldt-Universität Berlin gegenüber dem Tages-Anzeiger (13. Oktober). Eine allfällige Bombardierung Serbiens bezeichnet er als «recht deutliche Überschreitung der völkerrechtlichen Grenzen», um dann festzuhalten: «Die Amerikaner haben sich im Laufe der Geschichte manches herausgenommen. Es ist für eine Grossmacht immer eine Versuchung, nach ihren nationalen Interessen zu handeln und die völkerrechtlichen Regeln ausser acht zu lassen. In der Tat sind die letzten Aktionen der USA besonders bedenklich.»

Die Frage nach dem politischen Ziel einer allfälligen Nato-Intervention wagte schon bald niemand mehr zu stellen. Eine Unabhängigkeit des Kosov@ kam nicht in Frage. Ein Protektorat wollte und will niemand. Die Tatsache, dass es den meisten Ländern nur darum ging, «Flüchtlingsströme» nach Westeuropa zu verhindern, wagte niemand auszusprechen. Das erklärte Ziel des Westens – weder Unabhängigkeit noch Status quo, sondern Rückkehr zu einer modifizierten Autonomie des Kosov@ – litt von Anfang an unter der Schwierigkeit, dass es weder von Belgrad noch von den Kosova-Albanern akzeptiert wurde.

Offensichtlich war die Nato-Bombendrohung eher ein Machtkampf innerhalb der Nato (USA gegen Europa) und eine Machtdemonstration gegenüber Russland. Während man sich in Bosnien-Herzegowina wenigstens noch mit dem politischen (Irr-)Glauben aus dem Kalten Krieg rechtfertigen konnte, ein Gleichgewicht der (militärischen) Kräfte mit Hilfe und Absicherung durch internationale Truppen könnte den Waffenstillstand bringen, der zum Frieden erwachsen würde, stand ein solches Gleichgewicht im Kosov@ gar nicht zur Diskussion. Ein Gleichgewicht zwischen den Terrorverbänden der serbischen Armee und Polizei einerseits und der UÇK – einer bewaffneten Truppe, die die Veränderung der Grenzen mit Waffengewalt anstrebt – ist politisch legitim nicht zu haben. Das Dilemma der Nato war deshalb ein doppeltes, ein politisches wie ein militärisches.

Den Preis zahlen die anderen

Die Bombendrohung der Nato führte in Jugoslawien sofort zu einer Verschärfung des innenpolitischen Klimas. Milosevic wälzte den Druck auf andere ab. Dragan Velikic, Schriftsteller und Publizist, schreibt in der Weltwoche vom 15. Oktober: «Ganz gleich, ob es zum Militärschlag durch die Nato kommt, allein die Drohung hat innenpolitisch dieselbe Wirkung erzeugt, als wären schon Bomben gefallen. (...) Seriöse Menschen fürchten sich mehr vor dem, was einer Bombardierung folgen würde, als vor der Bombardierung selber.» Veran Matic, Präsident der Vereinigung unabhängiger elektronischer Medien Jugoslawiens ANEM, erklärt: «Luftangriffe gegen Jugoslawien legen eine gefährliche Waffe in die Hände all der konservativen und nationalistischen Kräfte hier. Sie führen zu Verzweiflung und Orientierungslosigkeit bei all denen, die sich während all der Jahre gegen die Politik des Hasses und der Gewalt gewehrt haben. Das Gefühl der serbischen Nation, Opfer einer internationalen Verschwörung zu sein, würde verstärkt und einen Geist der Rache und des Isolationismus stärken, genau wie sich dies Milosevic seit seiner Machtübernahme in Serbien immer gewünscht hat.» Eine Intervention würde die serbische Bevölkerung hinter Milosevic einen, wie er es selber nie schaffen würde.

Die demokratischen und oppositionellen Kräfte, die der Westen – wenn auch nur viertelherzig – in den letzten Jahren unterstützt hat, würden damit zerstört – oder sind bereits zerstört worden: Mit einem neuen Mediengesetz und astronomischen Bussen gegen unliebsame Medien ist eine unabhängige Berichterstattung in Jugoslawien seit Oktober praktisch unmöglich geworden (siehe Kasten S. 12). Zoran Cirjakovic, Belgrader Journalist für das US-Magazin «Newsweek», schreibt im Tages-Anzeiger (24. Oktober): «Ich weiss nicht, ob die Drohungen der Nato den Krieg in Kosovo wirklich beenden können. Im unglücklichsten Fall könnten sie allem Blendwerk des Milosevic-Regimes ein Ende setzen und dessen Übergang in eine waschechte Diktatur beschleunigen.»

Ob dies wirklich im Interesse des Westens, aber auch der Kosov@-AlbanerInnen sein kann? Es gibt keine Lösung der Probleme in Bosnien oder im Kosov@ ohne Demokratie in Serbien; es gibt keine Demokratie in Serbien mit Milosevic; es gibt keine Alternative zu Milosevic, solange dieser auch durch die internationale Politik immer wieder gestützt wird. Milosevic hat mit seiner Unterschrift unter die Pax Holbrooke die Nato gerettet – und die Nato hat mit dem Abkommen wieder einmal Milosevic gerettet.

Die OSZE rettet das Gesicht der Nato

Das Abkommen, das der US-Diplomat Richard Holbrooke im Geheimen und hinter dem Rücken der kosovarischen Führung mit Jugoslawiens Präsident Milosevic ausgehandelt hat, rettete die Nato zumindest vorläufig aus dem selbstverschuldeten Dilemma, indem der Ball der OSZE weitergespielt wurde. Eine OSZE-Mission mit 2000 unbewaffneten Beobachtern soll den Abzug der serbischen Spezialeinheiten und die Einhaltung eines beiderseitigen Waffenstillstandes sowie der Menschenrechte überwachen, um die Rückkehr der Vertriebenen und Flüchtlinge zu ermöglichen. Diese «Kosovo Verification Mission» (KVM) unter der Leitung des Amerikaners William Graham Walker steht aber auf wackligen Füssen – nicht weil ihr das militärische «Backing» fehlen würde, sondern weil politisch das ganze Abkommen in der Luft hängt. Die Umsetzung des Abkommens und der zugrunde liegenden Uno-Resolution wurde von den politischen Kräften des Kosov@ bisher nicht angenommen. «Es dürfte für den Westen womöglich schwieriger werden, die Albaner zu politischen Konzessionen zu bewegen, als die Serben, denen der Autonomie-Plan eher entgegenkommt», kommentiert die NZZ am 14. Oktober. Tatsächlich wurde Milosevic erneut zum Partner des Westens gemacht, der – ob mit oder ohne militärische Prügel – für den Frieden verantwortlich sein soll. Peter Fürst schreibt im Tages-Anzeiger vom 24. Oktober: «Nur die Serben selbst können verhindern, dass Milosevic sein Volk in den kollektiven Untergang führt. Der Westen kann dabei helfen, indem er mit Milosevic nicht weiter verhandelt, sondern ihn total isoliert.»

Unabschätzbare Konsequenzen

Auch die NZZ kommentiert in einem Leitartikel auf der Titelseite (17. Oktober) hart: «Worum es dem Westen bei der Kosovo-Krise eigentlich geht, darüber lässt sich nur spekulieren. (...) Der Eindruck verstärkt sich, dass hier hastig ein Deal abgeschlossen wurde, dessen Konsequenzen kaum jemand abzuschätzen vermag. (...) Kurzfristiges Agieren in Krisen und die Suche nach einer auf längere Sicht haltbaren Strategie sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Mindestanforderung an eine sinnvolle Krisenbewältigung müsste sein, dass sie die Situation nicht verschlimmert und Wege für künftige Lösungen nicht verbaut. Der Verdacht, dass genau dies in Kosovo geschehen ist, lässt sich nicht verdrängen.»

Die «Pax Holbrooke» kennt bisher zwei Sieger: Die Nato und Milosevic. Der Militarismus ging auf beiden Seiten gestärkt hervor. In Serbien strahlte das Staatsfernsehen Werbefilme aus unter dem Titel «Die Armee marschiert.» «Mit uns seid ihr stark, mit uns seid ihr stärker», sang die Begleitmusik dazu. VerliererInnen sind die oppositionellen Kräfte in Serbien (siehe Kasten). Kosov@-AlbanerInnen scheinen mit dem ganzen nichts zu tun zu haben, waren sie doch weder bei der Entstehung des Abkommens noch bei seiner Ausarbeitung einbezogen. Zwischen den Zielen des skrupellosen Machtmenschen Milosevic und denjenigen der radikalen, nationalistischen Politiker des Kosov@ gibt es keinen Mittelweg und damit keinen Ausweg. Nur gegen die Extremismen beider Seiten sind Lösungen denkbar, die nicht gleich wieder die Grundlage für den nächsten Rachezug legen.

Fragen für die Zukunft

Wann lernen die Politiker, dass sich die Schützengräben nationalstaatlicher Interessen nicht durch das Schliessen der militärischen Reihen aufschütten lassen? Wann wird sich endlich die Einsicht durchsetzen, dass die politischen Instrumente geschaffen werden müssen, die Probleme rechtzeitig wahrnehmen und sie bearbeitbar machen? Wann wird allen klar, dass es soziale, wirtschaftliche, politische Antworten und Perspektiven braucht, die Probleme beseitigen, statt mit militärischem Irrsinn auf Probleme einzuschlagen? Wann sieht die offizielle Schweiz ein, dass sie hier mit zivilem Engagement viel mehr Zukunftsfähiges tun könnte als mit der Diskussion darüber, ob nicht auch Schweizer Soldaten an fragwürdigen Militäreinsätzen teilnehmen sollten? Der Glaube an die militärische Allmacht als Antwort auf die (selbst verursachte und verordnete) politische Ohnmacht ist in den letzten Jahren wieder stärker geworden. Unsere beiden Initiativen sind eine Chance, diesen Prozess umzukehren. Oder gemäss Leitartikel der «Weltwoche» (15. Oktober): «Die Welt braucht keine Zauberer, sondern fähige Handwerker.»

«Kosov@» wird als neutrale Schreibweise verwendet, da die Sprachen Teil des Konflikts sind. Albanisch heisst die ehemals autonome Provinz «Kosova», serbokroatisch «Kosovo und Metohija».


Schwarzer Oktober

Milosevic sitzt auf dem Trockenen. Den Preis für die Nato-Drohungen bezahlen die DissidentInnen. Die Drohungen der Nato, Serbien zu bombardieren, führte vor allem zu einer Verschärfung der Hetze und der Repression gegen oppositionelle Kräfte in Serbien. Stationen der Repression im Oktober 1998:

  • Eingeladene TeilnehmerInnen einer internationalen Konferenz «Broadcasting for a Democratic Europe», geplant in Belgrad Ende September unter Schirmherrschaft des Europarates, erhalten keine Einreisevisa.

  • Der rechtsradikale Politiker und stellvertretende Premierminister Jugoslawiens Vojislav Seselj sowie der Milosevic-Getreue und Parlamentsabgeordnete Zeljko Simic bezeichnen in einer Parlamentsdebatte Oppositionelle und unabhängige Medien als Verräter, fünfte Kolonne und Quislinge. Seselj ruft offen dazu auf, im Falle einer Bombardierung Serbiens Oppositionelle und MitarbeiterInnen internationaler Organisationen als Geiseln zu nehmen: «Vielleicht können wir nicht jedes einzelne Nato-Flugzeug abschiessen, aber sicher können wir all ihrer Agenten hier habhaft werden.» Speziell erwähnt werden dabei das «Helsinki Komitee für Menschenrechte», die «Frauen in Schwarz» sowie der intellektuelle und dissidente «Belgrad-Zirkel».

  • Die unabhängige Belgrader Radiostation B92 muss eine grosse geplante Solidaritätsdisco zugunsten der Kosovo-Flüchtlinge in Montenegro absagen, da durch die zunehmende Radikalisierung die Sicherheit der Leute nicht gewährleistet ist.

  • Staatsradio und -fernsehen reiten scharfe Attacken gegen unabhängige Medien und bezichtigen sie des Hochverrats.

  • Der serbische Informationsminister Aleksandar Vucic teilt den unabhängigen Stationen mit, dass die Weiterverbreitung von «Programmen, die zu Propagandazwecken und zur psychologischen Kriegsführung von westlichen Mächten produziert würden», als Akt der Spionage und als direkter Angriff auf die verfassungsmässige und gesetzliche Ordnung des Landes betrachtet würden. Gezielt wird dabei auf die serbischen Programme von BBC-World-Service, Deutsche Welle international u.a.

  • Dejan Anastasijevic, Journalist der unabhängigen Wochenzeitschrift Vreme, wird angeklagt wegen seiner Berichterstattung über die Massaker in Gornja Obrinja (Kosov@).

  • Vizepremier Seselj wiederholt seine Angriffe gegen Medienschaffende, die «Geld von den Amerikanern, den Deutschen, Engländern und Franzosen nehmen». Er bezeichnet sie als «Spione, die diesen Ländern in ihren antiserbischen Bestrebungen helfen».

  • Die Regierung verhängt – ohne Gesetzesgrundlage – einen «Erlass für Spezialmassnahmen anlässlich der Nato-Drohungen für militärische Angriffe gegen unser Land». Die Tageszeitungen «Dnevni Telegraf», «Danas» und «Nasa Borba» sowie die Radiostationen «Radio Indeks» und «Radio Senta» werden per Ausnahmezustand stillgelegt.

  • Ein am 24. Oktober angenommenes neues Mediengesetz setzt mit der Androhung hoher Bussen auf die Selbstzensur der unabhängigen Medien. Der serbische Informationsminister Vucic begründete das neue Gesetz damit, Serbien sei Angriffen von Terroristen und erpresserischen Drohungen einiger westlicher Länder ausgesetzt. Ausländische Regierungen versuchten durch Desinformation und Propaganda den Widerstandsgeist der serbischen Bevölkerung zu untergraben, um ihre politischen Interessen auf serbischem Gebiet durchzusetzen.

  • Einen Tag nach der Annahme des neuen Mediengesetzes werden die Herausgeber und Redaktoren der Zeitschrift «Evropljanin» auf Anklage der «Patriotischen Allianz Belgrads» wegen Verletzung der patriotischen Gefühle Serbiens im Schnellverfahren zu einer Busse von insgesamt 326’000 Franken verurteilt. Da die Verurteilten den Betrag nicht zahlen konnten, wurde ihr Eigentum konfisziert.

  • Aus Angst vor massiven Strafen stellt das unabhängige Boulevardblatt «DT Plus» am 27. Oktober sein Erscheinen ein.

Weitere Informationen über Kovov@ und Serbien sind zugänglich über die Homepage der Medienhilfe Ex-Jugoslawien: http://www.medienhilfe.ch/.


«Was tun?»

conTAKT nennt sich eine Gruppe an der Uni Basel, die sich seit 1995 für Beziehungen zu Studierenden in und aus Südosteuropa einsetzt. Unter dem Titel «Kosova – was tun?» fanden im Oktober Veranstaltungen über den Krieg statt
• Ein Bericht von Roland Brunner.

Ein Diavortrag über den Alltag in Kosova, Gedichte eines albanischen Schriftstellers, eine Disco mit albanischem Hip Hop und eine Diskussionsrunde über Kosova-AlbanerInnen in der Schweiz gehörten ins Programm. Eröffnet wurde die Veranstaltungsreihe durch eine Podiumsdiskussion, die in ihrer Anlage und in ihrem Verlauf die Problematik solcher Anlässe aufzeigt.

Das Gesicht der Nato gerettet

«Wir können nicht mehr ruhig sein. Der Krieg in Kosova und seine Hintergründe» stand als Titel über der Eröffnung am 22. Oktober in der Basler Kulturkaserne. Eingeladen, die Hintergründe dieses Krieges zu diskutieren, waren Donika Gervalla, Sprecherin und Aktivistin der kosovarischen Mehrheitspartei LDK, Sami Kurteshi, Menschenrechtsaktivist, Nena Skopljanac, Medienhilfe Ex-Jugoslawien Zürich, Andreas Zumach, Journalist und Korrespondent aus Genf, und Konrad Cleving, Osteuropa-Historiker aus München. Gegen 200 Leute folgten der Einladung und Aufforderung, sich mit diesem Krieg auseinanderzusetzen.

Der Fernsehjournalist Edi Strub eröffnete die Diskussion mit einer Frage über die Bedeutung des Abkommens, das der US-Diplomat Richard Holbrooke dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic unter Kriegsandrohung abgetrotzt hatte. «Wir sind nicht in der Phase, in der wir von Verhandlungen sprechen können», meinte die LDK-Vertreterin Gervalla. Das Abkommen sei geheim, hinter dem Rücken der Bevölkerung im Kosova erarbeitet worden und noch immer sei nicht offengelegt, was darin eigentlich wirklich vorgesehen ist. Eigentlich könne man mit Milosevic überhaupt nicht verhandeln, aber er sei nun mal vom serbischen Volk gewählt worden; eine demokratische Alternative zu ihm sei nirgends in Sicht. Auch Sami Kurteshi betonte, das serbische Regime kontrolliere die Gesellschaft: «Der serbische Mensch ist mit mehreren Ketten gebunden.»

Andreas Zumach und Konrad Cleving gingen mit dem Abkommen noch härter ins Gericht: «Es ging in diesem Abkommen nie um die Lösung des Kosovo-Konflikts, sondern um die Wahrung des Gesichts der Nato.» Aber wenigstens seien die offenen Kriegshandlungen zurückgegangen und es gebe wieder eine Chance für die Menschen, den Winter zu überleben. Nena Skopljanac betonte, die Geheimhaltung des Abkommens diene vor allem Milosevic. Das Zustandekommen eines Abkommens müsse aber auch als Chance wahrgenommen und genutzt werden, um endlich wirkliche Verhandlungsteams auf beiden Seiten zusammenzustellen.

Loslösung als einzige Lösung?

In der Analyse der serbischen Gesellschaft lag denn einer der grossen Streitpunkte des Abends: Nena Skopljanac zeigte die Vielfalt der gesellschaftlichen Bewegungen und Interessen und die vorhandenen dissidenten Kräfte. Gerade die brutale Repression gegen unabhängige Medien beweise, dass diese ein Machtfaktor und eine Gefahr für Milosevic geworden seien.

Auch Andreas Zumach erklärte, dass diese Opposition von der westlichen Politik verraten worden sei. «Solange Milosevic in Jugoslawien und Tudjman in Kroatien an der Macht sind, wird es keine wirkliche Lösung und keinen echten Frieden geben.» Trotzdem setze die westliche Politik immer noch auf diese beiden Machthaber. Zumach hinterfragte aus dieser Feststellung auch den Wahlboykott der Kosovo-AlbanerInnen: Hätten sie nicht besser die Opposition gewählt, um wenigstens Milosevic loszuwerden?

Sami Kurteshi und Donika Gervalla hingegen wollten von oppositionellen Kräften in Serbien nichts wissen: Alle Serben seien nationalistisch, bis auf einige wenige Individuen. «Serbien ist zur Demokratie noch nicht bereit», meinte etwa Gervalla. Es gebe keine serbische Opposition, mit der zusammen der Kosovo-Konflikt gelöst werden könne. Die einzige Lösung sei die Unabhängigkeit des Kosovo.

Polarisiert statt differenziert

Die Zusammensetzung des Podiums machte eine Diskussion der eigentlichen Fragestellung «der Krieg und seine Hintergründe» unmöglich. Während auf der Seite der AlbanerInnen zwei ethno-nationalistisch argumentierende PolitikerInnen sassen, gab es dazu (leider?) kein serbisches Gegenstück. Nena Skopljanac, Andreas Zumach und Konrad Cleving versuchten, bei aller Übereinstimmung mit Donika Gervalla und Sami Kurteshi in einzelnen Fragen, zu analysieren und zu differenzieren, wo die VertreterInnen des Kosova pauschalisierten und polarisierten. Politische Differenzen unter den Kosova-Albanern gehörten dabei ebensowenig in ihre Diskussionsbeiträge wie ein differenzierter Umgang mit den anderen DiskussionsteilnehmerInnen. Gervalla und Kurteshi erhielten überall dort Applaus aus dem zahlenmässig gut vertretenen albanischen Publikum, wo sie am polemischsten und undifferenziertesten waren. Gervalla und Kurteshi schienen gekommen, um ihre Schwarz-Weiss-Botschaft den schon Wissenden zu predigen. Kein Zufall waren denn auch aggressive Zwischenrufe wie: «Die Serben verstehen nur die Sprache der Gewehre.»


Biegen und Brechen

Pressemitteilung der GSoA zum Einsatz der Armee zur Betreuung von Flüchtlingen

Die GSoA verurteilt den Entscheid des Bundesrates, Truppen mit Betreuungsaufgaben im Asylwesen zu beschäftigen, um den – durch den Abbau der zivilen Betreuungsinfrastrukturen in den letzten Jahren verursachten – Notstand zu beheben. Der bundesrätliche Entscheid kommt der Armee in ihrer Sinnkrise gelegen: Da der militärische Feind fehlt, müssen neue Betätigungsfeld her – auf Biegen und Brechen. Es ist jedoch unfair und moralisch bedenklich, unausgebildete Soldaten mit der Betreuung von Flüchtlingen zu beauftragen, nur um der Armee den Schein einer Daseinsberechtigung zu verleihen.

Die für Betreuungsaufgaben primär in Frage kommenden Territorialeinheiten sind speziell für die Abwehr von Angriffen auf Gebäude und Personen ausgebildet. Es ist deshalb geradezu grotesk, wenn ihnen Betreuungsaufgaben im Asylbereich zugeteilt werden.

Kriegsflüchtlinge haben ihre Heimat verlassen, um ihr Leben und dasjenige ihrer Familien zu retten. Vertrieben wurden sie von Militärs. Viele Flüchtlinge haben Familienangehörige, Bekannte und Freunde durch von Militärs verursachte Gewalt verloren. Sie sind verunsichert, entwurzelt und leiden häufig an Kriegstraumata. Die Betreuung der Flüchtlinge durch uniformierte Soldaten zeugt von wenig psychologischem Geschick. Angemessen wäre ist eine professionelle Betreuung durch qualifizierte Fachleute.

Die Armee (miss)braucht die Flüchtlinge

– die Flüchtlinge brauchen die Armee nicht.

Reto Moosmann


GSoA - Zitig, Nr. 78, November 1998
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