GSoA - Zitig, Nr. 78, November 1998
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Friede an der Macht?

Rot-Grün hat am 27. September die deutschen Wahlen gewonnen. Gibt es nun einen Politik- oder nur einen Politikerwechsel? Was ist von der neuen Regierung friedenspolitisch zu erwarten?
• Von Lühr Henken, Hamburg

Frieden an der Macht? Das sollte man wohl annehmen, liest man die Überschrift jenes Kapitels des rot-grünen Koalitionsvertrags «Deutsche Aussenpolitik ist Friedenspolitik». Jedoch weit gefehlt. Noch nicht in Amt und Würden, wurde bereits von bündnisgrüner Seite am 30. September unmissverständlich die Droh- und Kriegsaussenpolitik der Kohl-Regierung unterstützt. Die verteidigungspolitische Sprecherin, Beer (zum linken Parlamentsflügel zählend) verkündete via Abendnachrichten, die – unter anderem aus der Friedensbewegung entstandenen – Bündnisgrünen trügen den Beschluss der alten Bundesregierung, mit 14 Tornados Jugoslawien zu drohen, mit. Der Einsatz dürfe jedoch nur mit UN-Mandat erfolgen. Da bekanntlich ein UN-Mandat noch nicht einmal für die Interventionsdrohung vorlag, war bereits dies völkerrechtswidrig.

Persilschein für die Nato

Am 16. Oktober stimmten 500 Abgeordnete für (nur 62 gegen) einen potentiellen Marschflugkörper- und Bombereinsatz auf 600 Ziele Jugoslawiens. Lediglich neun von 48 Grünen wehrten sich dagegen, den Nato-Militärs einen Persil-Schein auszustellen. Und bereits jetzt lässt sich klar absehen, dass dieses völkerrechtswidrige Vorgehen – Nato-Interventionen ohne Uno-Mandat – kein Ausnahmefall bleiben wird. Der neue Verteidigungsminister Scharping (SPD) will sich denn auch künftig für die völkerrechtliche Kodifizierung des ausländischen Eingriffsrechts bei Verletzung von Menschenrechten stark machen. – Stimmt, das fehlte der Nato noch. Denn: Ohne out-of-area ist sie out of business.

Und Grün mischt mit. Der Damals-noch-nicht-Aussenminister Fischer stimmte am 16. Oktober für den Einsatz der Bundeswehr gegen Jugoslawien. In vorauseilendem Gehorsam ist grün von Kopf bis Fuss auf Interventionen eingestellt. Nach der Unterzeichnung des Koaltionsvertrages wurde deutlich, dass Grün selbst eine beträchtliche Reduzierung der Sollstärke der Bundeswehr lediglich für die «Hauptverteidigungskräfte» im Lande, nicht für die «Krisenreaktionskräfte» anstrebt. Übrigens ein Vorhaben, das Geist und Buchstaben des grünen Wahlprogramms diametral widerspricht, und die strukturelle Angriffsfähigkeit effektiviert.

Rüstungsprojekte und Militärausgaben bleiben unangetastet

Was haben wir EuropäerInnen von der rot-grünen deutschen Aussen- und Sicherheitspolitik zu erwarten? Zunächst: die Grüne Partei, die in der Bevölkerung (noch) ein eher friedfertiges Image hat, hat erstens durch ihre Entscheidung, einem Nato-Kampfeinsatz das Ja-Wort zu geben, bedeutend zur Legitimität der erpresserischen Nato-Politik beigetragen. Zweitens hat sie die vom früheren Verteidigungsminister Rühe in Gang gesetzte qualitative Aufrüstung der Bundeswehr sanktioniert; denn glaubhafte Drohpolitik setzt ein flexibles, schlagkräftiges und präzises Angriffspotential voraus, dessen Herstellung dank der technologischen Vorarbeiten der Häuser Daimler-Benz, Thyssen, Siemens, Preussag, Mannesmann, Röchling u.a. bereits weit fortgeschritten ist.

Nicht nur in der Aussenpolitik, sondern auch bezüglich der Rüstungsprojekte und der Höhe der Militärausgaben wird Kontinuität gross geschrieben. Eine Wehrstrukturkommission soll alles erst mal in Ruhe analysieren. Keine einzige konkrete Abrüstungsforderung ist im Koalitionsvertrag enthalten. Im Gegenteil: Bis Ende 2000 sind alle mit der Rüstungsindustrie geschlossenen Verträge und ihre Umsetzung sakrosankt. Ab 2001 werden die Serienvorbereitung und -fertigung der wesentlichen Grossvorhaben so weit gediehen sein, daß das Argument «Vertragskündigungen sind unbezahlbar» noch schwerer zu widerlegen sein wird. Das trifft insbesondere auf die Eurofighter samt Bewaffnung zu, welche die Vertreter der neuen Regierungsparteien vor Jahresfrist noch heftig ablehnten, und die Schaffung einer universellen überlegenen «Deep-Battle-Kapazität» des Heeres, welches nichts anderes heißt, als mit den «weltbesten» neuartigen Panzerhaubitzen 2000, weitreichenden Mehrfachraketenwerfern, neuen Kampf- und Aufklärungsdrohnen und den neuen Kampfhubschraubern Tiger «eine ausgeprägte Fähigkeit zum Zerschlagen von gegnerischen Kräften in der Tiefe des Raumes» zu schaffen (General Jochen Schneider, Kommandeur der Artillerieschule der deutschen Bundeswehr). Für die Deutsche Marine sind drei neue High-Tech-Fregatten F 124 und vier neuartige U-Boote U-212 (Weltspitze im konventionellen Bereich) vorgesehen. Alles absichtsvoll global im Nato- oder auch europäischen Verbund nicht führbar ohne eine digitalisierte satellitengestützte Kommunikations- und Führungselektronik.

Europa der Armeen

Was Europa anbetrifft, gibt es diverse Befürchtungen: Ausgerechnet unter der Überschrift «Bundeswehr/Rüstungsexporte» findet sich die Festlegung, daß die neue Koalition den Zusammenschluß der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie «aktiv unterstützt». Zudem wird sie «sich bemühen, die WEU» – und damit die Militarisierung der EU – «weiterzuentwickeln». Die Nagelprobe auf den Vorsatz, Rüstungsexporte neuerlich am Menschenrechtsstatus des Empfängerlandes auszurichten, wird sich Ende des Jahres am Verhalten bezüglich der Auslieferung eines neuen Lenkwaffenzerstörers (Wert 420 Mio. Mark) an den Nato-Partner Türkei beobachten lassen.

Zivile Ansätze nur Feigenblatt?

In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung sind sehr wohl auch positive Ansätze zu finden. Die OSZE wird als unverzichtbare gesamteuropäische Sicherheitsorganisation bezeichnet und eine Stärkung der friedlichen Streitschlichtung verlangt. Auch der Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung wird explizit gefordert. Nur: Angesichts der Rüstungs- und Nato-Übermacht droht der Zivile Friedensdienst wohl zum Feigenblatt zu verkümmern. Sowohl zur Förderung der OSZE wie auch für einen begrüssenswerten Sanktionshilfefonds zur Stärkung des nichtmilitärischen Instruments fehlen Angaben über deren materielle Ausstattung.

Um es klar zu sagen: Deutschland hat zwar eine neue Regierungsmehrheit, setzt aber trotz zivilisierender Elemente die von der Kohl-Regierung begonnene Militarisierung der Außenpolitik im Wesentlichen fort. Das heisst: Mit oder ohne rot-grüne Regierung ist es die Aufgabe der deutschen und europäischen Friedensbewegung, ein umfassendes, plausibles und durchgerechnetes Abrüstungskonzept für Gesamteuropa und angrenzende Gebiete zu entwickeln, welches die Atomwaffen und ihre Träger, die Marine und die Raketen aller Art einschließen sollte. Mit anderen Worten, die eigentliche Friedensarbeit steht erst noch bevor. Zu befürchten ist jedoch, dass die Friedensbewegung mit dem Wechsel der Grünen in die Regierung auch einen möglichen Ansprechpartner weniger hat.

Lühr Henken war Mitglied der «Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden» im Fachbereich Aussenpolitik von Bündnis 90 / Die Grünen. Er verliess nach dem Wahlsieg am 2. Oktober die Bündnisgrüne Partei aus Ernüchterung über die nach den Wahlen erfolgte rasche Suspendierung jahrelang sorgfältig erarbeiteter friedenspolitischer Positionen.


Bananensplitterzone

(mh/ts) Was kostet gleich viel wie 45 Tomahawk-Raketen (nämlich 50 Mio. US-Dollar)? 6 Millionen Viagra-Pillen. Soviel muss die Virilität seiner armierten Mannen der Grossmacht Nummer eins schon Wert sein. Denn eine impotente Grossmacht, das wäre ein Widerspruch in sich.

viagra Und so budgetiert das Pentagon für 1999 denn, wie Le Temps berichtet, diese 50 Millionen. Macht sechs Pillen pro Soldat und Monat (ob die Soldatinnen bei dieser Rechnung mitberücksichtigt sind, geht aus dem Artikel nicht hervor). Wer öfter will, muss selber blechen.

Nun stellt sich für uns Schweizerbürger und Schweizerbürgerinnen die Frage: Warum hat der Brunner-Bericht für Schweizer Soldaten kein Viagra verlangt? Man wird sagen, der Bericht könne sich nicht um jeden Budgetposten und um jede Waffengattung einzeln kümmern.

Doch wir meinen: Hier geht es um die Potenz schlechthin! Die Bewaffnung von Schweizer Soldaten in Auslandeinsätzen war dem Bericht seine Zeilen wert, aber ist es mit der Würde dieser unserer Soldaten vereinbar, wenn sie sich ihr Viagra von den ausländischen Kameraden borgen müssen? Oder handelt es sich um ein weiteres Überbleibsel unserer Sonderfallmentalität («unsere Mannen sind noch aufrechter als die anderen»)?

Früher, gut, früher wäre das gegangen, da gab es heitere Kompanieabende, um allfällige Schwächen zu überbrücken. Aber heute, wo jeder Kopf eines Kadis, der zwischen den nackten Beinen einer Striptease-Tänzerin fotografiert wird, an den Blick verkauft wird und zu einem Disziplinarverfahren führt...? Früher, da durfte noch die Sau rauslassen, was ein richtiger Soldat war («Wir saufen wie die Sau / Und vögeln jede Frau / Weil wir Füsiliere sind / Das weiss ein jedes Kind / Wir reissen Bäume aus / Wo keine sind!» sangen wir, füher!), aber was bleibt übrig, wenn die Emanzipation schon in die Armee eindringt? Da wollen wir wenigstens Viagra als Ersatz.

Schon erfährt man, nun entwickle Roche ein Potenzmedikament. Dann haben wir inländische Ware für unsere Boys. Wird das Medikament den Ausfuhrbestimmungen für Kriegsmaterial unterstellt werden?


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